»LIEBES TAGEBUCH«
ABSOLUTE STILLE ERFÜLLTE DEN RAUM.
Klaus stand schweigend am Fenster und starrte in die Nacht.
Ich saß am Boden neben Marias Bett und konnte nicht sagen, ob ich selbst noch atmete oder ebenfalls starb.
Mir sollten eigentlich Tausende Gedanken durch den Kopf schwirren. Wie ich sie Sache unseren Eltern beibringe, unseren Großeltern, Freunden, Marias Chef und Arbeitskollegen. Die Leute von der Zeitung, die sie immer wieder bei Pressegesprächen getroffen haben, werden Maria vielleicht einen Artikel widmen und spätestens dann werden Fragen nach der Todesursache lauter werden.
Doch für all das hatte ich im Moment keine Nerven. Auch nicht für Klaus und dem Brief, den ich ihm in Marias Namen geben sollte. Selbst für weitere Tränen hatte ich keine Kraft mehr.
Noch nie zuvor habe ich gleichzeitig einen solchen Schmerz und eine unendliche Leere gefühlt. Mein einziger Trost bestand darin, dass Maria nun an einem Ort war, an dem sie nie wieder Schmerzen haben würde.
Mit diesen Gedanken setzte ich mich an den Schreibtisch, um das Versprechen zu erfüllen, ihr Tagebuch in ihrem Namen fortzuführen. Ab jetzt liegt es wohl an mich, diese Geschichte weiterzuverfolgen und mich mit Vampiren und Werwölfen herumzuschlagen.
Klaus stand währenddessen stumm im Zimmer und starrte ins Leere. Nach einer Ewigkeit des Schweigens drehte er sich um und ging zur Tür.
»Die Kosten für die Beerdigung zahlt meine Familie«, sagte er, ohne sich zu mir umzudrehen.
Dann blickte er ein letztes Mal zu Marias leblosen Körper und ging.
»Es ist nicht Ihre Schuld. Das hat Maria immer wieder gesagt. Machen Sie sich und ihrer Familie keine Vorwürfe. Auch ich werde versuchen, dies nicht mehr zu tun. Sie wollten ihr nur helfen und konnten nicht wissen, dass sie ein Werwolf ist und ihr am nächsten Morgen ein Baum auf den Kopf fällt, Herr Mikaelson. Marias Schicksal war von Anfang an besiegelt«, sagte ich zu ihm.
Er nickte mir verhalten zu, dann wand er sich wieder von mir ab, blieb aber noch einen Moment an der Zimmertür stehen, als ob er nicht gehen wollte. Vielleicht hatte er noch Hoffnung, wo längst keine mehr war.
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn gehen lassen wollte oder ob ich doch jemanden an meiner Seite brauchte – auch wenn es nur Klaus Mikaelson war, und irgendetwas sagte mir, dass es ihm ähnlich ging.
Nach einem weiteren Moment der absoluten Stille und Verzweiflung geschah etwas, mit dem ich niemals mehr gerechnet hatte.
--- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- --- ---
Liebes Tagebuch,
nicht erschrecken, aber da bin ich wieder, Maria Simoni. Die einzig Wahre. Lebendig, mehr oder weniger. Ich kann mich kaum noch an die Ereignisse der vergangenen Nacht erinnern und bin froh, dass meine Schwester alles notiert hat.
Ich kann noch gar nicht richtig fassen, dass sich alles so zugetragen hat, und es fühlt sich einfach surreal an. Wo knüpft man da an? Einfach so weitermachen, wie bisher? Mit einem anderen Stift weiterschreiben? Okay lassen wir das und machen es nicht noch verrückter.
Nachdem ich das Bewusstsein verlor und in einen traumlosen Schlaf fiel, hatte ich meiner armen Schwester wohl den größten Schrecken ihres Lebens eingejagt. Doch dann war es, als würde ich im Traum aus Tausende Metern Höhe herunterfallen und auf den Boden aufschlagen. Ich schreckte auf und holte ein paar Mal ganz tief Luft, als wäre ich kurz vorm Ertrinken gewesen und langsam lichtete sich der dunkle Schleier vor meinen Augen. Dieses Gefühl hatte ich schon einmal. Als ich damals unerwartet unter einem umgestürzten Baum erwachte. Ich japste weiter wie ein Karpfen an Land und begann nun auch wieder einwandfrei zu hören.
Meine Augen leuchteten nach Berichten meiner Schwester goldgelb auf. Neben mir sah ich in zwei vertraute Gesichter, die mich mit einer wilden Mischung aus Trauer, Verzweiflung, Schrecken, Erstaunen und Freude anblickten.
»Willkommen zurück, Liebes«, begrüßte mich Klaus und grinste breit.
Aber noch unbezahlbarer war das Gesicht meiner Schwester.
»Maria? Bist, bist es wirklich du?«, fragte sie unter Tränen und tastete ungläubig mein Gesicht ab.
»Ich denke schon, Schwesterherz«, antwortete ich. »Aber, was, was ist eigentlich passiert? Wieso bin ich hier?« Ich hatte meine Erinnerungen an die letzten Stunden komplett verloren. »Wir wollten nach Pömmelte, um den Fluch zu brechen! Ich muss los. Warum ist Klaus eigentlich in meinem Zimmer? Wer hat ihn reingelassen? Was geht denn hier vor sich?«
Ich war noch nie so verwirrt wie in diesen ersten Minuten nach meiner zweiten Wiedergeburt.
»Komm erst mal wieder zu dir, Maria. Luisa, gib ihr noch etwas von deinem Blut. Das wird sie stärken«, bat Klaus meine Schwester.
»Wieso Luisas Blut? Was ist denn hier los?«, fragte ich immer noch verwirrt.
»Laber nicht, trink«, antwortete Luisa und hielt mir ihre noch offene Wunde unter die Nase. »Denken Sie, sie hat es geschafft?«, fragte Luisa Klaus.
»Ja. Ja, sie hat es geschafft. Maria ist die erste harzer Hybridin«, antwortete Klaus erleichtert.
»Also war das Blut eines Werwolfs aus ihrer Linie des Rätsels Lösung?«, fragte Luisa erneut.
»Vielleicht. Oder das Blut eines genetisch identischen Individuums. Eineiige Zwillinge sind fast so etwas wie Doppelgänger. Egal, was es war. Hauptsache ist, dass sie es geschafft hat.«
Mit dieser Antwort hatte Klaus gleichzeitig bewiesen, dass er nicht vor hatte, weitere Hybriden aus den Werwölfen zu erschaffen. Ich war doppelt und dreifach erleichtert, als ich langsam auch meinen Verstand wiederfand.
»Ich muss nicht sterben? Ich lebe?«, fragte ich mit Tränen in den Augen.
»Wenn du nicht etwas komplett Verrücktes anstellst, dann bist du jetzt eine nahezu unzerstörbare Hybridenkönigin«, antwortete Klaus und verbeugte sich.
»Königin? Meine Schwester? Übertreiben Sie nicht, Herr Mikaelson«, erwiderte Luisa schmunzelnd.
Auch Klaus grinste wie ein Honigkuchenwolf. Ich glaube, das war das ehrlichste Grinsen, was ich bisher bei ihm gesehen hatte.
Doch meine Freude über meine österliche Wiederauferstehung wurde recht schnell wieder getrübt.
»Was ist passiert, nachdem Freya den Fluch gebrochen hat?«, fragte ich und hielt mir den noch leicht brummenden Schädel.
Klaus erzählte mir alles. Von den zerbrochenen Mondlichtringen, der Flucht von Edith und Walther und den komplett durchgedrehten und unkontrollierbaren Werwölfen, die auch in der Villa Mikaelson für Unruhe sorgten.
»Verdammt! Ich erinnere mich an dein Telefonat mit Kol. Wie geht es Rodríguez?«, fragte ich aufgeregt.
»Ich habe ihn gerettet. So wie du wolltest. Obwohl es mir lieber gewesen wäre, früher hier gewesen zu sein, anstatt diesen Nichtsnutz zu retten«, antwortete Klaus endlich wieder etwas grummeliger, so wie ich ihn kannte.
Ich hatte schon Sorge um ihn.
»Alle Wölfe sowie Edith und Walther sind jetzt verschwunden«, fuhr Klaus mit seiner Erzählung fort. »Vermutlich haben uns die Hexen irgendwie hinters Licht führen können. Wir haben Martha und Rudolf erreichen können. Der Rest scheint ebenfalls verschwunden zu sein. Freya versucht einen Lokalisierungszauber, sobald sie sich erholt hat.«
Ich war entsetzt über diese Neuigkeiten.
»Sind alle Wölfe verschwunden? Es haben sich doch nicht alle verwandelt?«, fragte ich.
»Jene, die sich verwandelt haben, waren wie ferngesteuert. Edith muss sie während ihrer Gefangennahme mit einem Zauber belegt haben. Alle, die ihre Menschenform noch hatten, waren laut Kol Gegner unserer Pläne und zogen es vor, sich Walther und Edith anzuschließen. Der Rest ist noch hier. Also alle, die sich entschieden haben, uns zu vertrauen. Einige Wölfe hat Kol vermutlich erschossen. Er hatte keine andere Wahl.«
Klaus schien wirklich betrübt zu sein, mir dies zu berichten. Unser gesamter Plan schien sich von jetzt auf gleich gegen uns gewendet zu haben. All unsere Mühen der vergangenen Wochen schienen auf einmal für umsonst zu sein.
»Luisa, deine Schwester ist nun wieder völlig gesund. Ich denke, ich werde mich fürs Erste zurückziehen und schauen, was ich noch über dieses Desaster in Erfahrung bringen kann«, sagte Klaus und wollte sich auf den Weg zu Villa machen.
»Warte, Klaus! Ich komme mit! Immerhin sind das meine Wölfe. Ich habe versprochen, dass ihnen kein Leid mehr geschieht, und nun hat dein Bruder welche erschossen. Sie haben mir vertraut.«
Klaus schaute nicht begeistert. »Diese Leute haben sich gegen uns verschworen und haben Edith und Walther Treue gelobt. Sie haben es nicht besser verdient«, antwortete Klaus und schien mal wieder genervt von mir zu sein.
So schnell kehrt der Alltag zurück.
»Jene in Menschengestalt. Die, die sich verwandelt haben, hatten keine Wahl. Sie standen unter Ediths Zauber«, entgegnete ich ihm.
»Dafür können wir aber nichts. Sie haben uns angegriffen. Es war Notwehr.«
»Notwehr? Sie sind jetzt tot! Wenn die anderen das erfahren, werden sie sich auch von uns abwenden!«, schrie ich Klaus an und merkte, dass ich mich ihm kräftemäßig etwas angenähert zu haben schien.
»Schön, dass du wieder ganz die Alte bist, Liebes«, sagte Klaus plötzlich und schmunzelte auf einmal.
»Gleichfalls. Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht, bei so viel Fürsorglichkeit«, antwortete ich nun ebenfalls wieder grinsend.
Luisa stand ratlos im Zimmer und guckte wie ein überfahrenes Reh.
»Ist das bei euch immer so? Streiten, Vertragen, weiter streiten, wieder vertragen?«, fragte sie uns.
Klaus und ich antworteten gleichzeitig mit ‚Ja', woraufhin wir alle drei lachen mussten.
»Gehen Sie schon, Klaus. Ich lasse meine Schwester heute ganz bestimmt nirgendwo mehr hin«, sagte Luisa und hielt mich ganz fest im Arm.
»Hör auf deine Schwester. Sie scheint der Elijah von euch beiden zu sein und vergiss unseren Bourbon nicht«, sagte Klaus mit erhobenem Zeigefinger und einem Augenzwinkern. »Dann kannst du mir auch in Ruhe erklären, warum ich erst heute von Luisa erfahren habe.«
Dann verschwand er aus der Tür.
Luisa kochte mir einen weiteren Tee, während ich auf mein Handy schaute und mehrere eingegangene Nachrichten und versäumte Anrufe darauf fand. Damon und Stefan haben sich offenbar die ganze Nacht die Finger nach mir wund geklingelt.
̴ ̴ ̴
Was ich nicht wusste, war, dass die beiden unten vor meiner Haustür lungerten und Klaus genau in die Arme liefen.
»Klaus? Seid ihr wieder da? Was ist mit Maria? Wie geht es ihr? Ist sie ...«
»Es geht ihr gut«, unterbrach Klaus Damons hektischen Fragen.
Doch in diesem Moment klingelte bereits dessen Handy.
̴ ̴ ̴
»MARIA!?!?«, schrie es am anderen Ende der Leitung, als mein Anruf entgegengenommen wurde. »Maria, bist es du? Lebst du noch?«, fragte Damon hektisch.
»Ja, ich lebe noch. Ich bin jetzt eine Hybridin. Meine Ohren sind noch besser als deine. Also brauchst du mich nicht so anzuschreien durchs Telefon. Ich höre sogar, dass ihr unten auf der Straße vor unserem Haus steht, ihr zwei Chaoten.« Mir liefen die Tränen in den Augen, als ich meine beiden Salvatores endlich wieder hörte.
»Sie lebt!!!«, schrie Damon schließlich und beide Brüder fielen sich erleichtert in die Arme.
Klaus winkte ihnen kurz zu und fuhr dann zurück zu Villa.
»Wie habt ihr es geschafft dich zu verwandeln?«, wollte nun Stefan wissen.
»Es war Rettung in allerletzter Sekunde. Vermutlich war es das Blut meiner Zwillingsschwester. Wir wissen es nicht genau. Aber ich lebe und ich fühle mich großartig«, antwortete ich. »Aber ihr müsst vorsichtig sein. Uns sind ein Haufen Werwölfe abhandengekommen. Sie stehen unter dem Einfluss von Edith und auch jene in ihrer Menschengestalt sind nicht gut auf uns zu sprechen«, ergänzte ich.
»Aber du hast doch letztens so sauronmäßig Ringe an diese Leute verteilt und dir ihr Vertrauen erobert«, wunderte sich Damon, der nun auch aus seinem Freudentaumel erwachte und auf dem Boden der Realität zurückkehrte.
»Wir hatten Ringe«, antwortete ich.
»Hat Gollum sie gestohlen?«, fragte Damon erneut und ich hätte ihm den Kopf abreißen können, für seine kindischen Fragen.
»Damon, die Sache ist ernst. Die Wölfe, die sich gegen Klaus und mich entschieden haben, sind nun mit Walther und Edith durchgebrannt. Die Wölfe, die sich heute verwandelt haben, sind willenlos und ihnen ebenfalls ergeben. Sie sind tickende Zeitbomben. Wir müssen sie so schnell wie möglich wieder finden, bevor uns allen ein Ragnarök bevorsteht. Die Ringe sind, kurz nachdem Freya den Fluch gebrochen hat, in ihre Einzelteile zersprungen. Ich kann mein Versprechen dem Rudel gegenüber dadurch nicht mehr einlösen. Es kann sein, dass sich auch die restlichen Wölfe für Edith und Walther entscheiden. Wir stecken echt in der Klemme. Bringt euch in Sicherheit. Wir besprechen morgen alles. Ähm, heute meine ich. Also wenn die Vollmondnacht vorbei ist«, erklärte ich.
Die Salvatores gingen nach Hause. Als ich auf die Uhr blickte, war es bereits weit nach drei Uhr. Der Vollmond sank bereits wieder. Bald würden sich die Wölfe in Menschen zurückverwandeln. Ich war zwar am Leben, aber unser Plan war gescheitert.
Was für eine Wendung der Geschichte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top