»IHR PULS WIRD IMMER SCHWÄCHER«

DA SASSEN WIR NUN, eingesperrt in einem finsteren Raum. Wie viel Zeit bereits vergangen war, konnten wir nicht sagen, denn unsere Handys waren alle auf den 01.01.1980, 00:00 Uhr zurückgestellt wurden.

»Wenigstens etwas Blut hätte uns Edith hier lassen können«, beklagte sich Rod.

Vermutlich würden wir alle vertrocknet sein, ehe wir einen Ausweg aus unserem Gefängnis finden. Klaus lief grummelnd durch den Raum und trat wütend gegen einen der leeren Kartons, die hier herumlagen.

»Sollen uns diese Kartons vielleicht irgendetwas sagen? Die liegen doch hier nicht umsonst herum, oder?«, fragte ich mehr mich selbst und begann diese Pappkisten eine nach der anderen zu durchsuchen.

Nach einer Weile musste ich mich mit der Erkenntnis geschlagen geben, dass alle Kartons leer waren und nichts passierte, wenn ich sie drehte, wendete oder sogar zerknüllte. Klaus begann in der Zwischenzeit Hassreden gegen die Wände zu schmettern. Ob uns das wohl mehr weiterhelfen würde? Elijah jedenfalls hatte ihn auf die Idee gebracht, dass die Wände auch nur Begrenzungszauber und somit gar nicht real sein könnten.

»Vielleicht kann man diesen Raum zwar betreten, aber ihn anschließend nicht mehr verlassen«, murmelte er vor sich hin. »Eventuell werden wir sogar von Edith und Walther beobachtet.«

Ein beängstigender Gedanke. Ich sah ihre schadenfrohen Fratzen förmlich vor mir.

Als ich gerade den letzten leeren Karton wieder abgestellt hatte, kam auf einmal Klaus auf mich zu und ließ seine Wut an mir aus.

»Was hast du denn geglaubt, darin zu finden? Edith? Walther? Noch ein Portal oder vielleicht sogar Freya? Oder noch besser, den Werwolfsgürtel?«, schrie er mich an.

»Heb' deine Aggressionen für unsere Feinde auf, Klaus und mach mich nicht für diesen Umstand verantwortlich. Du hättest vielleicht einfach vorher eine bessere Idee haben können, als in diese offensichtliche Falle zu latschen!«, schrie ich nicht weniger forsch zurück.

Damit weckte ich Mr. Hyde.

»Sag du mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe. Denkst du wirklich, du bist hier eine Königin? Du bist nichts weiter als ein schwächelnder Vampir, die sich als Retterin ihrer Heimatstadt aufspielt.«

Ich glaubte, ich spinnte, das zu hören.

»Und warum bist du dann hier? Warum seid ihr alle dieser kleinen dummen Vampirin hinterhergelaufen? Warum haben wir nicht deinen genialen Masterplan verfolgt, der anscheinend aus nichts anderem als Rumschreien besteht? Ich habe wenigstens versucht, hier drin etwas zu finden. Also sag du mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe, Klaus Mikaelson!«

»Drohst du mir etwa?«

»Wenn du das so verstehst? Bitteschön! Das habe ich bereits damals auf dem Parkplatz getan, wenn du dich erinnern kannst.«

»Ich könnte dir das Herz herausreißen, ehe du mit der Wimper zuckst.«

»Klaus, wir wissen beide, dass du das niemals könntest.«

Betretene Stille erfüllte den Raum. Mr. Hyde wurde wieder stumm und meine Gedanken fuhren abermals Karussell. War ich mir wirklich so sicher, dass nicht so langsam der Zeitpunkt gekommen war, an dem aller Freundschaft Bande brach und die Mikaelsons die Geduld mit mir Nervensack verloren?

Was der Stille folgte, war der Klang des heiseren Kicherns einer älteren Frau, welches immer näher zu kommen schien. Dann stand sie auf einmal mitten im Raum.

Edith.

»Ach, wie niedlich. Liegen eure Nerven schon nach so kurzer Zeit blank? Dabei habe ich noch gar nicht richtig angefangen«, sagte die Hexe und schien sich über uns zu amüsieren.

Klaus, geladen wie er war, wollte Edith sofort attackieren. Doch er rannte ebenso durch sie hindurch, wie der Mann auf der Konradsburg durch mich durchgegangen ist. Dann verschwand die Alte und tauchte an einer anderen Stelle des Raumes wieder auf.

»Sie ist nur eine Art Hexenhologramm. Wir können sie nicht angreifen«, stellte Elijah resigniert fest.

»Kluger Junge«, wandte sich Edith an ihn. »Aber ihr müsst zugeben, dass ich hier in diesem Raum die Klügste bin. Immerhin habe ich es geschafft, euch alle hierher zu locken. Na gut, mit ein wenig Unterstützung durch diesen Taugenichts Rodrigo.«

»Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass ich ...« Rod kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden.

Mit einer flüchtigen Handbewegung hatte Edith dem armen Kerl kurzerhand das Genick gebrochen.

»Sie kann trotzdem Magie gegen uns anwenden«, stellte ich entsetzt fest.

»Noch so eine Besserwisserin.« Nun wendete sich Edith an mich. »Hallo, Wölfin. Du solltest nicht hier sein. Du gehörst zu deinem Rudel und nicht zu diesem Mikaelson-Abschaum. Du hast den größten Fehler begangen, indem du dich ihnen angeschlossen hast.«

»Das kriege ich des Öfteren zu hören. Allerdings konnte mir bislang niemand erklären, warum es ein Fehler ist. Was passiert denn, wenn wir den Fluch brech ...«

Ich kam auch nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Edith verpasste mir erneut eines ihrer magischen Aneurysmen und schnürte mir gleichzeitig die Kehle zu. Ich wollte diesen Schmerzen widerstehen, doch ich schaffte es nicht. Mir wurde schwarz vor Augen und ich spürte, wie ich kraftlos auf den Boden prallte. Aus sämtlichen Öffnungen meines Schädels floss Blut.

»Du denkst, das wäre schlimm?«, hörte ich Edith wie durch eine Wand sprechen. »Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Macht der fünf Harzer Hexenzirkel. Und bedenkt, dass ihr es wart, die diese Macht entfesselt haben. Ach ja, wo wir schon dabei sind. Rudolf Herrmanns in Ostfriesland zu kontaktieren war wirklich ein jämmerlicher Versuch an euer Ziel zu kommen. Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass er euch Urvampiren und Hybridenabschaum helfen wird?« Edith lachte laut und dreckig. »Der Werwolfsfluch wird niemals gebrochen werden! Und eure Möchtegernwerwölfe seht ihr nicht wieder.«

Nach ihrem letzten gehässigen Lachen spürte ich einen fürchterlichen Schmerz im Nacken und dann verfiel ich in einen dumpfen, traumlosen Schlaf.

Als ich nach einer unbestimmt langen Zeit wieder zu mir kam, saßen all meine anwesenden Vampirfreunde um mich herum und beäugten mich mit besorgten Blicken.

Einzig Klaus ging sofort auf Abstand, als er merkte, dass ich wach wurde. Dieser Stoffel.

»Ist, ist Edith verschwunden?«, fragte ich noch etwas benommen.

»Ja, sie ist in das Nichts verschwunden, aus dem sie kam«, antwortete Stefan und lächelte mich müde an.

Aber dennoch sah ich die Verzweiflung in seinem Gesicht. Genauso war es bei dem Rest der Truppe. Alle waren sichtlich erleichtert, dass ich kleine Nervensäge wieder unter ihnen weilte, und dennoch sahen sie besorgt aus. Nur Klaus stand mit dem Rücken zu uns und gab nichts von seinen Gedanken und Gefühlen preis.

»Seid ihr alle okay?«, fragte ich weiter.

»Rodríguez ist vor ein paar Minuten aufgewacht. Uns hat sie nichts getan«, erzählte Stefan und half mir auf die Beine.

Das klappte eher schlecht als recht. Wieder einmal zeigte sich, dass ich kein gewöhnlicher Vampir war. Denn Rodríguez war bereits wieder vollständig genesen, während ich mich auch nach einer halben Stunde noch elendig fühlte. Die Werwolfsseite in mir kämpfte wacker gegen die Selbstheilungskräfte meiner Vampirseite an, obwohl ich auch als Wolf über solche verfügen müsste.

Ich war keine Werwolfskönigin. Ich war ein Bündel Elend.

»Leute, machen wir uns nichts vor. Klaus hat recht. Ich bin schwach. Ich bin ein Nichts und vor allem bin ich weder eine Anführerin noch eine Königin. Ich habe mir was vorgemacht. Ich habe euch allen etwas vorgemacht und euch damit in Gefahr gebracht. Euch und vermutlich meine ganze Heimat«, verfiel ich in widerliches Selbstmitleid, welches ich bei Film- und Serienfiguren abgrundtief gehasst hätte. Dabei wollte ich doch aufhören, mich selbst zu bemitleiden. Walther wird wieder einiges zu sagen haben, wenn er mich so sieht.

»Nein, das ist nicht deine Schuld. Du wolltest nur das Beste, aber du hättest von Anfang an nicht da reingezogen werden dürfen. Damon und ich hätten dich mehr beschützen müssen.«

Verdammt, Stefan schienen ebenso große Gewissensbisse zu plagen. Dabei trifft die Salvatores absolut keine Schuld. Alles das hier habe ich selbst so gewählt.

»Ihr habt alles richtig gemacht. Ihr habt mir geholfen, mit meinem neuen Leben klar zu kommen. Ich bin euch auf ewig dankbar. Aber ich schätze, ich war bereits zu all dem hier verdammt, nachdem ich Klaus' Blut getrunken hatte und von diesem Baum erschlagen wurde. Ich hätte nur nicht so naiv sein dürfen und denken, dass ich in der Lage bin, die Stadt zu retten. Das war eine Hausnummer zu groß für mich.« Ich versuchte, zu lächeln, aber ich war verzweifelt und enttäuscht von mir und der ganzen Entwicklung meiner Geschichte.

Dieses Mal war es Rod, der versuchte, mich zu trösten.

»Für mich wirst du immer eine Königin bleiben. Wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre ich tot. Du gehst Risiken ein für deine Freunde und hast die Gabe des Verzeihens. Ich werde immer an deiner Seite kämpfen. Auch, wenn ich vermutlich keine große Hilfe bin.« Mal wieder verneigte sich Rodríguez ehrfürchtig vor mir.

»Danke, Rod. Das ist lieb von dir. Ich glaube, du hast ein großes Herz. Das ist manchmal mehr wert, als große Kraft.« Rod schaute verlegen zu Boden.

»Allein das zu erkennen zeichnet eine wahre Königin aus«, merkte Elijah an und zwinkerte mir zu.

»Wir schaffen das. Wir alle zusammen. Es ist nicht deine Schuld, dass wir es mit einem so mächtigen Gegner wie Edith zu tun haben«, fügte Stefan hinzu.

Ich wusste gar nicht, womit ich so viel Zuspruch verdient hatte. Bislang hatte ich mich nicht als große Nummer in dieser Geschichte hervorgetan.

»Danke. Vielen Dank. Ihr seid so süß. Ich hab euch so lieb«, sagte ich und musste mir ein paar Tränen verkneifen.

Was folgte, war verlegenes Murmeln. Aber das war besser, als die verzweifelte Stille, die sonst diesen Raum erfüllte.

Nur einer schwieg weiterhin beständig.

»Niklaus, Bruder. Hast du vielleicht auch noch etwas zu sagen?«, ermahnte Elijah seinen kleinen schmollenden Bruder.

Widerwillig drehte dieser sich um und kam wie ein Schuljunge, der eine seiner Lehrerinnen geärgert hatte ein paar Schritte näher.

»Eventuell habe ich vorhin etwas überreagiert, Maria«, sagte er nach wie vor grummelig.

»Aber nur eventuell«, gab ich leicht belustigt zur Antwort. »Schon gut, Klaus. Ich will ja nicht, dass du an deinen eigenen Worten erstickst. Aber an deinem Aggressionsproblem und mangelnder Impulskontrolle müssen wir noch arbeiten«, ergänzte ich mit einem Augenzwinkern.

Doch irgendwas muss ich wieder falsch gemacht haben. Denn sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig von grimmig zu traurig. Ich erinnerte mich daran, dass Freya erzählt hatte, dass Klaus' Freundin Cami Psychologin und zeitweise als seine Therapeutin tätig war. Vermutlich habe ich ihn wieder an sie erinnert mit meinem Pseudo-Psycho-Wissen. Ich sollte lieber meinen Mund halten.

Das tat ich dann auch und nutzte die allgemeine Stille, um nachzudenken. Über Klaus und seine ganze Familie. Ich kam zu dem Schluss, dass ein Therapeut nicht ausreichen wird, um all die Jahrhunderte des Schreckens auszuradieren, die die Mikaelsons erlebt und verursacht hatten.

Sie alle waren kaputte Seelen, gefangen in unzerstörbaren Körpern. In ihnen steckte so viel Leid und so viel Verzweiflung und gleichzeitig so unendlich viel Hass. All diese Narben verbargen sie unter ihrer Fassade der Macht und Überlegenheit. Sie konnten sich nur sicher fühlen, wenn alle sie fürchteten. Dann fühlten sie sich unantastbar. Nur darin bestand für sie die Hoffnung, selbst nicht erneut verletzt zu werden. Nicht körperlich, sondern seelisch. Das machte mich sehr traurig.

Und ich musste mir eingestehen, dass es vermutlich genau das war, was mich immer wieder zu dieser kaputten Familie zog. Trotz aller Warnungen, die ich seit jeher um die Ohren gehauen bekam und all allen Wissens, um ihre skrupellose und gefährliche Art, suchte ich doch immer wieder die Nähe der Mikaelsons auf und wollte ihre Freundschaft. Ihr furchtbares Schicksal ging mir einfach nahe. Wie konnte es jemand nur aushalten, seit über eintausend Jahren so existieren zu müssen? Angst zu haben und gleichzeitig Angst zu verbreiten. Ich konnte einfach nicht nur die schlechten Seiten dieser Leute sehen. Was ich auch unternahm, ich kam von den Mikaelsons nicht los, auch wenn ich befürchtete, dass es mich zerstören wird.

»Du siehst immer noch schlecht aus«, unterbrach Stefan meine tiefgründigen Gedanken, während er ein paar Kartons auf dem Boden ausbreitete. »Leg dich noch ein bisschen hin und versuche, zu Kräften zu kommen. Wir anderen überlegen derweil, wie wir hier wieder herauskommen.«

Ich tat wie mir geheißen und schlurfte zu den Kartons, doch eines musste ich noch ansprechen. »Versprecht ihr mir eins? Dass im Falle eines Kampfes, Edith mir gehört? Ihr wisst, was ich meine.«

Stefan nickte traurig. »Wie du willst, Maria. Dennoch wäre ich froh, wenn du diese Frage niemals gestellt hättest.«

»Ich weiß, Stefan. Was ist nur aus dem kleinen lieben Mädchen von damals geworden, was?«, antwortete und umarmte ihn noch mal, bevor ich mich auf die Pappe legte.

Ich schaffte es tatsächlich, einzuschlafen. Doch erneut wurde ich von einem seltsamen Traum geplagt. Ich stand in Hopes Kinderzimmer. Die Kleine lag vor mir in ihrem Bettchen und schlief friedlich. Dann wurde sie wach und schien mich zu sehen.

»Tante Maria, was machst du hier?«, fragte sie mich mit weit aufgerissenen Kinderaugen.

»Hope, du musst uns finden und uns befreien. Dein Papi, dein Onkel Elijah, mich und unsere Freunde sind eingesperrt worden. Wir wissen nicht, wo wir sind und wie wir dort herauskommen können. Eine böse Hexe hält uns gefangen. Du bist unsere letzte Hoffnung, Hope.«

Ich wusste nicht, warum ich das sagte. Als Hope mit dem Köpfchen nickte, schreckte ich auf.

»Hope!«, war mein erstes Wort, das ich herausbrachte.

Das sorgte natürlich für sofortigen Schrecken bei ihrem Papa.

»Was ist mit meiner Tochter?« Neben mir tauchte Klaus auf und sah sehr besorgt aus.

»Ich weiß es nicht. Ich, ich habe von ihr geträumt. Aber es fühlte sich so real an. Ich stand neben ihr und sie hat mich angesehen. Ich habe ihr gesagt, dass sie uns finden soll.«

Erstauntes Schweigen folge.

»Wie ist das möglich?«, fragte Elijah.

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht war es nur ein Wunschtraum«, antwortete ich.

»Hope ist eine Mikaelson-Hexe. Sie macht sich sicher Sorgen um uns. Vielleicht hat sie es geschafft, im Schlaf Kontakt mit dir aufzunehmen«, sinnierte Elijah vor sich hin.

»Ich denke eher, dass Edith auch meine letzten vernunftbegabten Hirnzellen gegrillt hat.«

»Wenn wir schon kein Blut haben, dann hätte Edith wenigstens für etwas Frischluft sorgen können«, beklagte sich Rodríguez erneut über die mangelnde Gastfreundschaft unserer Feinde.

»Wenn du den wenigen uns zur Verfügung stehenden Sauerstoff durch dein ständiges Jammern weiter verbrauchst, ist uns auch nicht geholfen, Rodríguez«, ermahnte ihn Elijah genervt und dennoch um Höflichkeit bemüht.

Die beiden werden wohl keine Freunde mehr.

Der Rest von uns war weiterhin damit beschäftigt; einen Plan auszuhecken. Doch das fiel uns immer schwerer. Ich hatte besonders unter der Situation zu leiden und merkte, wie mein Puls immer schwächer wurde. Durch Ediths Attacke wurde ich stark geschwächt. Als schwächelnder Vampir werde es wohl ich sein, die als erste von uns zur Mumie wird, wenn wir nicht bald Blut bekämen.

Ich dachte, dass ich bereits fantasieren würde, als sich auf einmal mein werter Herr Erschaffer dazu herabließ, sich neben mich zu setzen. Er lehnte sich gegen die kalte und unebene Wand und starrte ins Dunkel unseres Gefängnisses.

»Ich hätte das vorhin nicht sagen dürfen«, sagte er dann leise.

Ich musste wohl tatsächlich fantasieren. Oder stand es bereits so schlecht um mich, dass er die letzte Gelegenheit nutzen musste?

»Es ist nicht selbstverständlich, dass sich unserer Familie jemand freiwillig anschließt«, führte er seine Entschuldigung fort, jedoch ohne mich dabei anzusehen.

»Lass gut sein, Klaus. Lass uns nicht mehr Luft als nötig für längst vergessene Taten verbrauchen. Es ist für uns alle eine Extremsituation.«

Um ehrlich zu sein, hatte ich selbst nicht mehr Kraft zum Sprechen und wollte diese Unterhaltung deshalb so schnell wie möglich abbrechen. Was schade war, denn wenn ein Klaus Mikaelson über seinen eigenen Schatten sprang, war das schon ein Ereignis. Aber ich konnte kaum noch meine Augen aufhalten. Ich wurde immer schwächer und schließlich sogar kurzzeitig ohnmächtig. Hätte Klaus nicht neben mir gesessen, wäre ich auf den harten Boden aufgeprallt.

Augenblicklich versammelte sich die gesamte Sippschaft um mich herum und machte sich Sorgen um mich. Das wäre mir eigentlich peinlich gewesen, aber selbst dafür hatte ich keine Kraft mehr. Und was noch beängstigender war, war die Tatsache, dass sich meine Finger langsam begannen grau zu verfärben. Ich brauchte Blut. Aber wir hatten keines. Ich begann mich damit abzufinden, langsam auszutrocknen, da fühlte Klaus meinen Puls. Nicht schon wieder Doktorspiele.

»Ihr Puls wird immer schwächer und sie fängt an auszutrocknen«, sagte er, leicht nervös werdend.

Dann biss er sich ins Handgelenk. Genau wie damals, am 17. Januar, als er mich von dem Vampirbiss geheilt hatte.

»Hier, trink. Es ist zwar kein Menschenblut, aber exquisites Hybridenblut. Es bringt dich wieder auf die Beine.«

»Nein, behalte dein Blut für dich. Wir müssen alle versuchen, über die Runden zu kommen«, lehnte ich das Angebot ab und schob Uneigennützigkeit vor. In Wahrheit war mir das alles ein wenig unangenehm.

»Ich bin über tausend Jahre alt und unsterblich, Liebes. Kein Grund für falsche Bescheidenheit.«

Ich konnte gar nicht mehr reagieren, da hatte ich bereits zum zweiten Mal Klaus' Handgelenk am Mund und trank von seinem mystischen Blut. Es half. Nach kurzer Zeit erholte ich mich und die graue Verfärbung an meinen Händen verschwand zum Glück auch wieder. Ich bin dem Vertrocknen noch mal von der Schippe gesprungen und musste nicht als Dörrfleisch bestehend hier ausharren

Und mal wieder war es ausgerechnet Klaus, der mich gerettet hatte. Langsam wurde es wirklich etwas seltsam. Der Rest unserer Truppe schaute zwar etwas merkwürdig, war dann aber doch ganz froh, dass ich wieder unter den lebenden Untoten weilte.

Nachdem wir noch eine gefühlte Ewigkeit mit Grübeln verbracht hatten, hörten wir auf einmal Schritte. Als würde jemand eine Treppe herabsteigen. Es kam von der Wand links neben uns. Aber wir konnten es uns nicht erklären, hatten wir doch jede Wand mindestens dreimal untersucht. Die Geräusche klangen auch ziemlich deutlich, als wären sie nur durch eine Tür von uns getrennt und nicht durch dicke Wände. Wir waren auf alles vorbereitet, als sich schließlich mitten in der Wand tatsächlich eine Tür auftat.

Eine ganz normale Tür!

»Elijah hatte also recht mit dem Tarnzauber!«, rief Rod erfreut.

Ob er sich da nicht zu früh freute?

Nein!

»Hayley, Hope? Was macht ihr hier?«, hörte ich Elijah erfreut rufen.

Doch wir blieben vorerst skeptisch. Denn es könnte genauso gut ein weiterer Trick von Edith sein.

»Bleib hinter mir, Hope«, ermahnte Hayley ihre Tochter.

Vermutlich war sie genauso skeptisch wie wir. Doch als Hope ihren Daddy sah, hielt sie nichts mehr und sie sprang ihn glücklich in die Arme. Hayley vergewisserte sich derweil bei Elijah, ob wir auch die Echten waren. Dieser konnte es bestätigen und so fiel auch Hayley ihrem Elijah in die Arme.

Was für ein Happy End.

Gerade als ich mich fragte, wer uns anderen in die Arme fallen würde, übernahm diesen Part bereits Rodríguez, der überaus erfreut über unsere Rettung war.

»Los, beeilt euch! Wir müssen so schnell wie möglich hier raus. Ihr wart lange genug hier unten«, sagte Hayley schließlich.

»Wie lange?«, fragte Elijah.

»Fast zwei Tage. Es ist Freitagabend, 22:38 Uhr.«

~ 16. März 2018 ~

Wir schauten uns alle ungläubig an. So lange kam unsere Gefangenschaft uns dann doch nicht vor und anscheinend hatten unsere Handys durch den Hexenzauber nicht richtig funktioniert. Denn diese zeigten bei uns allen nach wie vor 00:00 Uhr an und das bereits, seit wir durch das erste Portal gegangen waren. Wir liefen Hayley so schnell wie möglich hinterher und raus aus unserem Kittchen.

»Wie konntest du uns finden, Hayley?«, fragte Elijah, während er seinen Anzug zurecht zupfte.

»Ich hatte Hope gerade ins Bett gebracht. Ein paar Minuten später stand sie vor mir und sagte, dass sie wüsste, wo ihr Daddy und Onkel Elijah sind. Aber das erkläre ich euch später genauer. Jetzt raus hier!«

Als wir das Gebäude verlassen hatten, staunte ich nicht schlecht, als ich sah, wo genau wir die ganze Zeit gewesen sind.

»Die ehemalige Ostermann-Bäckerei?«, sagte ich erschrocken. »Edith hat uns in einem leer stehenden Geschäft mitten in der Stadt festgehalten?«

»Erwarte stets das Unerwartete«, fügte Rod ungefragt hinzu, woraufhin Elijah erneut die Augen verdrehte. Aber recht hatte er.

Es gab allerdings noch etwas, das uns sehr überraschte. Überall lag Schnee! Viel Schnee. Aber Hauptsache wir waren frei. Wenn da nicht noch ein kleines Problem wäre.

»Wie sollen wir alle in dein kleines Auto passen, Hayley?«, fragte Klaus und dachte an ihren Ford Mustang.

»Ich habe deinen Wagen genommen!«, antwortete Hayley und schon sahen wir Klaus' großen, schwarzen Ford Expedition, in dem wir alle Platz hatten.

Auf der Fahrt wäre ich beinahe wieder eingeschlafen, so kaputt fühlte ich mich. Rod bot mir wohlwollend seine Schulter zum Anlehnen an, welche ich dankend ablehnte.

Endlich erreichten wir die Villa Mikaelson und die Aussicht auf frisches Blut ließ mich wieder munter werden. In der Empfangshalle tranken wir uns an Konserven und dem Personal satt kamen wir langsam zur Ruhe. Hayley schaute noch einmal nach, ob uns auch wirklich niemand gefolgt war. Aber selbst für Tauben war es bereits viel zu dunkel.

Als Klaus seine Tochter fragte, wie sie uns gefunden hat, erzählte die Kleine tatsächlich, dass ich an ihrem Bett gestanden hätte und um Hilfe bat. Mein Traum war also kein Traum, sondern eine Vision oder so etwas.

»Dann habe ich einen von Papas Pinseln genommen und ihn auf einen Stadtplan gelegt. Der Pinsel drehte sich und zeigte schließlich genau auf die Stelle, wo ihr wart«, erzählte Hope stolz.

Doch sie war nicht die Einzige, die verblüffte Blicke erntete.

»Dein Traum. Maria, du hast mit Hope Kontakt aufgenommen«, stellte Stefan fest und raufte sich seine ohnehin bereits ruinierte Heldenfrisur.

Hayley stellte schließlich fest, dass Hope ihr Armkettchen nicht mehr trug. Dieses sollte eigentlich verhindern, dass Hope Magie anwendet, da sie diese möglicherweise noch nicht kontrollieren konnte. Als erstgeborene Mikaelsonhexe hatte sie eine Menge Macht und die hat uns heute gerettet. Ich fragte mich nur, wie ich da mit rein passte.

Hayley brachte Hope ins Bett und band ihr das Armkettchen wieder um. Klaus befahl seinen manipulierten Dienern, weiterhin als Blutbeutel für uns herzuhalten. Ich war noch nie so froh über diese Leute gewesen wie heute. Sie füllten uns ein paar Gläser voll mit ihrem roten Lebenssaft und wir konnten endlich unsere all unsere Reserven wieder aufladen.

Plötzlich bemerkte ich, dass Rod wie der erste Mensch durch das Gebäude geisterte.

»Wow! ¡Mierda! Ist das 'ne krass-geile Hütte hier!«, sagte er und wollte sich gerade eine der Vasen neben der Treppe genauer ansehen.

»Und das soll auch noch eine krass-geile Hütte sein, wenn wir den Hotelbetrieb offiziell eröffnen, Rodríguez. Also fass' lieber nichts an.« Wieder mal ermahnte Elijah diesen kleinen Nichtsnutz.

Irgendwie fingen die beiden an, mir immer besser zu gefallen. Es ist einfach zu putzig, Elijah und Rod zu beobachten. Wie Herricht und Preil.

»Ihr wollt bald eröffnen?«, fragte ich bei dieser Gelegenheit.

»Am Gründonnerstag. Wir geben eine fulminante Eröffnungsfeier. Du bist doch sicher dabei, Liebes?« Klaus schien wieder besserer Laune zu sein.

»Nur, wenn ich offiziell eingeladen werde und nicht nur als Pressetante«, antwortete ich mit einem Augenzwinkern und täuschte einen Hofknicks vor.

Klaus grinste sein Klausgrinsen und nickte majestätisch mit dem Kopf. »Die Harzer Werwolfskönigin bekommt natürlich einen VIP-Zutritt.«

Es war erneut Rodríguez, der die harmonische Stimmung störte.

»Die Bediensteten sind alle manipuliert! Wahnsinn! Die könnt ihr alle ansaugen, wann immer ihr wollt?«, rief er quer durch die Halle, als er sich ein weiteres Glas Blut nachfüllen lies.

»Wer ist eigentlich diese Nervensäge?«, fragte Hayley, als sie die Treppe wieder herunterkam.

»¡Hola! Ich heiße Rodrigo Martínez. Aber alle nennen mich Rodríguez. Du darfst auch Rod sagen. Mein Vater war Spanier. Aber er hat uns verlassen, als ich acht Jahre alt war. Ich gehöre zu eurem Team, übrigens!«

Rod war ganz aus dem Häuschen im Mittelpunkt zu stehen. Aber zu seinem Pech interessierte sich Hayley nicht wirklich für ihn, als er ihr die Hand aufdringlich zum Gruße reichte.

»Das ist mein Werk. Ich habe ihn begnadigt, als er hochheilig versprochen hatte, uns im Kampf gegen Walther zu helfen«, entschuldigte ich mich für unseren neuen Anhang.

»Ja, Maria ist meine Königin!«, rief Rod dazwischen. »Bist du auch eine Königin? Du wirkst so klug und so stark?«, fragte er Hayley und schaute sie fasziniert an.

»Das ist sie in der Tat«, antwortete Elijah und legte stolz seinen Arm um Hayleys Schulter.

»Ah, du bist ihr Mann! Du Glückspilz. Ihr beiden seid ein sehr schönes Pareja de enamorados. Elijah ist mein guter Kumpel, musst du wissen«, erklärte Rodríguez.

Während Hayley fast einen Lachanfall bekommen hätte, atmete Elijah tief ein, um nicht die Nerven zu verlieren. Die beiden brauchen dringend einen Shipname.

Rodlijah.

»Dann sind ja nur noch wir beide übrig, Stefan!«, rief Rod Stefan zu, der nachdenklich an der Wand lehnte.

»Was!?«, fragte dieser und wusste vermutlich genauso wenig, was Rodríguez meinte, wie ich.

»Nur ein Scherz, el compañero!«, beruhigte Rod den nach wie vor verwirrten Stefan und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter.

Was habe ich uns da nur eingefangen?

»Kann uns Hope auch bei der Suche nach Damon und Freya helfen?«, wollte Stefan schließlich wissen.

»Freya vielleicht. Sie ist ihre Tante. Sie hat einen emotionalen Bezug zu ihr. Damon hat sie noch nie gesehen und eigentlich will ich sie da lieber raushalten. Ohne eine erfahrene Hexe, die sie unterstützt, kann Hope ihre eigenen Kräfte nicht kontrollieren. Edith ist so mächtig, Hope ist noch ein kleines Kind.« Jeder im Raum konnte Hayleys Bedenken nachvollziehen.

Aber wie sollen wir Freya nur finden, ohne eine Hexe, die uns hilft? Ich wurde von einem völlig profanen Gedanken aus dieser Überlegung gerissen.

»Verdammter Mist! Ich habe erneut zwei Tage unentschuldigt auf Arbeit gefehlt. Wie erkläre ich das morgen bloß wieder?«, sagte ich mehr zu mir selbst und wollte mich gerade auf den Weg nach Hause machen.

Doch Klaus war es, der mich davon abhielt.

»Schön hiergeblieben! Offiziell gelten wir alle noch als Gefangene. Wenn Edith oder einer ihrer Spione dich morgen ganz normal im Funkhaus sieht oder hört, könnte es ungemütlich werden«, sagte er.

»Aber ...«

»Kein Aber, Liebes. Wir bleiben alle in der Villa. Keiner von uns geht vor die Tür.«

»Du kannst mich doch nicht ...«

»Und ob ich das kann! Noch sind alle Hotelzimmer frei. Such dir eines aus, bis wir einen neuen Schlachtplan haben«, befahl Klaus.

Was sollte ich da noch entgegnen? Vermutlich hatte er recht. Aber was ist mit meinen Eltern und Luisa? Hoffentlich haben sie mich nicht als vermisst gemeldet. Ich war froh, dass Luisa über mein Doppelleben Bescheid wusste. Sie konnte sich sicher denken, dass eine polizeiliche Suche nicht viel bringen würde. Ich schrieb ihr eine SMS, dass ich noch lebte und ich aus unerwarteten Gründen vorerst nicht nach Hause kommen konnte. Alles andere musste sie sich dann ausdenken. Ich selbst musste meine letzten klaren Gedanken für diese Unternehmung nutzen.

Ich suchte mir anschließend eines der luxuriösen Hotelzimmer aus und richtete mich darin häuslich ein. Es gab sogar eine mit Blutbeuteln gefüllte Minibar. Hauptsache die werden entfernt, wenn später richtige Gäste hier einziehen.

Gründonnerstag – zwei Tage vor dem nächsten Blue Moon soll also Eröffnung sein. Zwei Tage bevor der Fluch gebrochen wird. Zwei Tage vor meinem endgültigen Tod oder meinem neuen Dasein als Hybridin. Aber schaffen wir das überhaupt? Ohne Freya, ohne den Werwolfsgürtel? Ohne Hoffnung?

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