»ICH WILL MICH NICHT VERABSCHIEDEN«

LIEBES TAGEBUCH VON MARIA,

ich bin Luisa, Marias Zwillingsschwester. Leider ist meine Schwester nicht mehr in der Lage, alles Weitere aufzuschreiben, was sich in jener Nacht des 1. Aprils zugetragen hat. Sie ist kurz nach den letzten Zeilen in dir auf ihrem Bett zusammengebrochen. Also übernehme ich nun diesen Part, was mir nicht leicht fällt. Meine Augen sind immer noch geschwollen, von all den Tränen und mein Herz fühlt sich an, als wäre es in tausend Stücke zersprungen. Aber ich möchte, dass du, liebes Tagebuch, weiterhin über alles Bescheid weißt. Denn offenbar warst du die ganze Zeit der Einzige, der wirklich alles über das Doppelleben meiner Schwester wusste.

Nachdem Maria zusammen mit der Urvampirin Rebekah losgefahren war, saß ich allein zu Hause. Ich schaute kein Fernsehen, hörte keine Musik. Ich fühlte mich leer und hatte Angst vor dem, was passieren würde und passieren könnte. Kurz vor ein Uhr hörte ich zuerst ein komisches Geräusch und dann schien ich für einen Augenblick das Bewusstsein verloren zu haben. Als ich wieder zu mir kam, fand ich den Mondlichtring in vielen Einzelteilen vor mir liegen. Ich wusste nicht, was geschehen war, und leider wartete ich auch vergebens auf einen erlösenden Anruf meiner Schwester.

Alles blieb still.

Bis nach einer gefühlten Ewigkeit jemand schwerfällig die Treppen heraufkam und versuchte, mit zittrigen Händen die Haustür aufzuschließen.

Maria.

»Maria! Oh mein Gott. Du lebst. Verflucht, wie siehst du nur aus? Wie geht es dir?« Ich fiel meiner Zwillingsschwester sofort in die Arme, als ich sie sah. »Was ist passiert? Mein Mondlichtring ist plötzlich in seine Einzelteile zersprungen. Im selben Augenblick wurde mir kurz schwarz vor Augen.« Ich stützte Maria auf dem Weg in ihr Zimmer.

»Edith hatte offenbar noch ein Hintertürchen, welches wir übersehen haben«, antwortete sie mir, eher hauchend als sprechend.

Ich ließ sie sich an ihren Schreibtisch setzen und machte ihr einen Tee. Währenddessen hatte sie wieder nichts Besseres zu tun, als in ihr Tagebuch, also dir, zu schreiben. Ich bin nicht sicher, ob dieses Gekritzel irgendwann noch mal jemand entziffern kann. Nach einer Weile legte sie den Stift zur Seite und ich musste ihr versprechen, fortan für sie weiterzuschreiben. Sie trank den Tee aus und wollte schließlich auch mir alles erzählen. Als sie auf mich zukam, gaben ihre Beine unter ihr nach.

Maria fiel völlig kraftlos auf ihr Bett. Sie erzählte mir alles, soweit sie sich erinnern konnte und solange sie noch Kraft dafür zu haben schien.

»Vergiss erst mal diese Ringe und die Wölfe. Viel wichtiger ist im Moment, wie es dir geht. Dein Kopf glüht ja richtig. Was kann ich tun?« Ich wollte stark bleiben, aber ich zitterte am ganzen Leib.

»Bleib einfach bei mir. Mehr kannst du nicht für mich tun. Du kannst dich für die zwei Monate bedanken, die wir noch gemeinsam hatten. Alles hätte bereits am 18. Januar vorbei sein können – vorbei sein sollen. An diesem Tag wurde mein Schicksal besiegelt.« Maria fing an, Blut zu husten, und bekam heftigen Schüttelfrost.

»Nein! Nein, nein! Das darfst du nicht sagen. Hörst du? Du darfst nicht sterben! Wir waren unser gesamtes Leben zusammen. Lass mich bitte nicht allein!« Nun verlor ich endgültig meine Stärke und brach schreiend in Tränen aus.

»Du musst jetzt stark sein. Du hast noch eine Aufgabe zu erfüllen. Vergiss die Briefe nicht, die ich dir gegeben habe«, sagte Maria zu mir und konnte sich selbst fast nicht mehr hören, wie sie sagte.

Ich legte mich zu meiner Schwester aufs Bett und fing an, über unsere schönsten Kindheitserinnerungen zu reden. Wir versuchten, zu lachen, aber Maria sagte, dass sie kaum noch ihr Gesicht fühlen konnte.

Es war furchtbar, sie so zu sehen. Doch ich riss mich zusammen und erzählte einfach weiter, denn es schien ihr gutzutun. Ihr Atem wurde flacher, aber sie versuchte, mir mit einem gequälten Lächeln zu signalisieren, dass sie nicht litt. Ich glaubte ihr nicht und streichelte unentwegt ihr schweißnasses Haar.

Unser Abschied wurde einige Zeit später durch das Klingeln an der Haustür unterbrochen.

»Ich glaube, dein Erschaffer steht vor der Tür«, sagte ich, nachdem ich mich schweren Herzens von Maria losgerissen und durch den Türspion geschaut hatte.

»Lass ihn rein. Dann könnt ihr euch gleich persönlich über die Zukunft der Werwölfe unterhalten«, antwortete meine Schwester schwach.

»Kannst du auch noch an was anderes denken, als an die Wölfe? Ich will diesen Klaus jetzt nicht hier haben. Das ist unser Moment. Unser Letzter«, sagte ich unter Tränen.

Auch wenn es vielleicht nicht so ist, war für mich von Anfang an Klaus die Quelle dieses Übels gewesen.

»Lass ihn bitte rein. Ich muss wissen, ob es den anderen gut geht«, sagte Maria erneut und ich ging widerwillig zur Tür.

»Klaus hat sein Versprechen gehalten und ist zurückgekommen«, murmelte Maria noch schwach, als ich ihr Zimmer verließ.

Dann war es so weit: Niklaus Mikaelson und ich trafen zum allerersten Mal aufeinander, nachdem meine Schwester meine Existenz so lange erfolgreich vor dem Urhybriden geheimgehalten hatte. Maria und ich sehen uns nahezu hundertprozentig ähnlich. Nur hatte sie eine andere Frisur und trägt ihre Haare blond, statt wie ich hellbraun. Und ich war im Gegensatz zu ihr kerngesund. Schade, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, als ich die Tür öffnete.

»Herr Mikaelson, nehme ich an«, sagte ich und versuchte, möglichst selbstsicher zu wirken.

»Was? Wer? Wie?«, stammelte Klaus völlig ungläubig.

»Kommen Sie herein. Ich erkläre Ihnen alles später.« Klaus trat ein. »Keine Angst. Ich bin keine mystische Doppelgängerin. Nur Marias Zwillingsschwester Luisa. Eineiig, offensichtlich«, erklärte ich ihm, während Klaus mich immer noch ungläubig beäugte.

»Sie hat nie erwähnt, dass sie eine Schwester hat«, antwortete er schließlich.

»Sie wollte mich so lange wie möglich aus der Seite raushalten. Ich bin schließlich auch eine der Wölfe, die sie für ihre New Orleans-Sache haben wollen. Ich selbst habe auch erst vor Kurzem von dieser ganzen Geschichte erfahren. Auch davon, dass ich Ihnen wohl dankbar sein sollte, für die weiteren zwei Monate, die ich meine Schwester lebend haben durfte, nachdem sie fast von einem Vampir und dann vollständig von einem Baum gekillt wurde«, sagte ich.

»Wo ist sie? Wie geht es ihr?«, wollte Klaus wissen.

»Sie ist sehr schwach. Sie hustet Blut und hat hohes Fieber.« Ich zeigte Klaus den Weg zu Marias Zimmer und ging ihm voraus.

Als ich eintrat, musste ich jedoch mit Schrecken feststellen, dass Maria bereits ohnmächtig geworden war und Blut aus allen Öffnungen ihres Kopfes floss.

»Nein! Scheiße! Was ist das? Was ist passiert? Das war eben noch nicht! Sie hat noch mit mir gesprochen! Maria! Maria, wach auf! Sprich mit mir!«

Ich brach in Tränen aus und klammerte mich fest an meine Zwillingsschwester.

»Tun Sie was! Helfen Sie meiner Schwester, verdammt!«, schrie ich Klaus verzweifelt an.

»Wenn ich dazu in der Lage wäre, dann hätte ich es längst getan!«, schrie Klaus zurück und fühlte Marias Puls. »Sie lebt noch. Ihr Puls ist sehr schwach und unregelmäßig. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte er zu mir.

»Nein! Nein, bitte nein! Das darf nicht passieren. Sie darf nicht sterben!« Ich zitterte und verkrampfte am ganzen Körper.

Klaus hatte bereits zahlreiche Hybriden sterben sehen, die ihre Verwandlung nicht abschließen konnten. Er wusste, dass es in diesem Stadium keine Rettung mehr gab.

»Es tut mir leid. Wir, wir müssen uns von ihr verabschieden«, sagte Klaus, während nun auch ihm die Tränen in die Augen schossen.

Das hätte ich bei ihm nicht erwartet. Er schien mehr für meine Schwester übrig zu haben, als sie selbst zu wissen glaubte.

Er war verzweifelt und hatte Angst, Maria zu verlieren. Genau wie ich. Diese lähmende Hilflosigkeit einer Macht gegenüberzustehen, die selbst er nicht bezwingen konnte erfüllte Klaus gleichsam mit Wut und Traurigkeit.

»Ich kann euch in Gedanken verbinden. So kannst du noch Abschied von deiner Schwester nehmen«, schlug Klaus schließlich vor.

»Ich, ich will mich nicht verabschieden. Ich will meine Schwester behalten. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was soll ich denn ohne sie anfangen? Was soll ich unserer Familie erzählen? Ihrem Chef? Wie soll es denn ohne sie weitergehen?« Ich stand nun kurz vor einem Nervenzusammenbruch und hyperventilierte bereits.

»Versuch, dich bitte zu beruhigen. Maria soll nicht so gehen müssen. Reiß dich zusammen und nimm ihre Hand. Ich werde euch verbinden, sodass du ihr auf Wiedersehen sagen kannst. Das hat sie verdient. Sie hat nicht mehr viel Zeit. Du würdest es bereuen, diese Chance zu verpassen. Bitte Luisa, reiß dich zusammen. Für Maria. Sie hat so viel für dich und ihre Stadt getan, die letzten Monate.«

Doch ich schaute ihn nur böse an.

»Wieso ist sie keine Hybridin geworden? Sie haben schon früher Hybriden erschaffen? Wieso konnten Sie sie nicht einfach verwandeln?«, schrie ich Klaus an.

»Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Ich brauchte dazu das Blut der Petrova-Doppelgängerin. Dieses Blut steht mir nicht mehr zur Verfügung und wir wissen nicht, ob es bei der harzer Werwolflinie überhaupt funktionieren würde«, erklärte Klaus und legte meine Hand in Marias.

»Dann hätte ich wohl doch lieber eine mystische Doppelgängerin von Maria sein sollen, anstatt eine einfache Zwillingsschwester«, sagte ich sarkastisch und bereitete mich auf den bevorstehenden Abschied von meiner Schwester vor.

»Aber du bist einer der harzer Werwölfe!«, rief Klaus plötzlich wie von der Tarantel gestochen. »Wir haben das Blut der Wölfe noch nicht probieren können, als in Pömmelte alles drunter und drüber ging.«

Ehe ich überhaupt begreifen konnte, wovon Klaus da auf einmal sprach, hatte er bereits mein Handgelenk aufgebissen und legte die blutende Wunde auf Marias Mund.

»Verzeih mir bitte, Liebes, aber wir haben keine Zeit mehr für lange Erklärungen. Bete, dass sie trinkt und, dass es wirkt«, sagte Klaus und fühlte weiter Marias Puls.

Eine Weile passierte nichts.

Dann hörte ihr Herz auf zu schlagen.

»Verdammt, nein!«, schrie Klaus und stand zitternd auf.

»Was ist los? Ist, ist sie?« Ich fühlte mich, als ob auch mein Herz in diesem Moment aufhörte zu schlagen.

Maria war tot.

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