»HÖR AUF, DIESE MITLEIDERREGENDE PERSON ZU SEIN«
DRAUSSEN WAR ES BEREITS DUNKEL, und ich dachte schon, dass ich langsam paranoid wurde, als ich auf einmal das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. In der Tat sah ich einige Meter neben mir ein paar Tauben hektisch auffliegen und dachte sofort an Ediths fliegende Spione. Als ich den Tieren noch eine Weile hinterherblickte, stand plötzlich jemand vor mir und schaute mich grimmig an. Ich erkannte ihn sofort wieder:
Walther.
»Schön, dass wir uns auch mal persönlich kennenlernen«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
Hatte ich das heute nicht schon einmal gehört? Eigentlich war mein Bedarf an neuen Bekanntschaften an diesem Tag gedeckt und auf den Anführer der Untergrund-Vampire hatte ich nun wirklich keine Lust. Erstrecht nicht, wenn ich ganz allein war. Was könnte ich schwächelnder Jungvampir gegen einen ausrichten, der mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel hatte?
»Was willst du, Walther?«, fragte ich ihn und versuchte, möglichst selbstbewusst zu wirken. »Sag deiner Chefin, dass sie uns nicht einschüchtern kann und, dass sie die Werwölfe freilassen soll.«
Doch Walther grinste nur finster.
»Noch sind es keine Werwölfe, ebenso wenig wie du. Und ihr solltet euch besser mit der Tatsache anfreunden, dass das auch so bleiben wird. Ihr werdet diesen Fluch niemals brechen.«
»Weil du das verhindern wirst. Natürlich« Ich wurde eventuell etwas zu selbstbewusst. »Das werden wir ja noch sehen. Und nun geh mir aus dem Weg, du Insekt.«
»Oh, schau an. Da wird der kleine Gutvampir auf einmal doch ganz schön ruppig. Höchst interessant.« Walther trat einen Schritt näher an mich heran und kramte gewaltig in seiner Wissenskiste herum. »Wissen deine heiligen Salvatores davon, dass du hin und wieder auf der Jagd bist, um frisches Blut zu trinken?«
Verdammt, das hatte ich bislang nicht mal dir anvertraut, liebes Tagebuch. Aber ich hab es im Griff. Was will er mir daraus für einen Strick drehen?
»Sie wären sicher sehr traurig und tief enttäuscht von ihrem Projekt. Immerhin wollten sie aus dir das machen, was sie selbst niemals geschafft haben.«
Wieso klingt er auf einmal wie Klaus damals?
»Dabei hat sich Stefan so viel Mühe gegeben, in die Fußstapfen seiner besten Freundin und einstige Lehrmeisterin auf dem Gebiet des Vampirismus zu werden. Lexi. Ich nehme an, du hast von ihr gehört.«
Ich nickte genervt und wollte gerade meinen Weg fortsetzen, als er weitersprach.
»Ich vermute, dass sie dir bis heute nicht erzählt haben, was damals mit Lexi geschehen ist.« Ich wollte es nicht hören, aber Walther ließ sich durch kein noch so deutliches Augenrollen unterbrechen. »Damon hat sie getötet. Einfach so. Auf offener Straße. Nur, um selbst als der Gute dastehen zu können und seinen eigenen Blutgelüsten weiterhin ungestört frönen zu können. Zu traurig, nicht wahr? Lexi hätte dir gefallen. Sie war auch ein Gutvampir, so wie du einer werden wolltest. Also pass lieber auf.«
»Jetzt pass du mal auf, du Apostel«, ließ ich mich dazu herab, ihm zu antworten. »Ich kenne nicht jede fiese Einzelheit aus dem Leben der Salvatores, aber ich war mir vom ersten Tag an darüber bewusst, dass sie keine Engel sind.« Da ließ Kols dämlicher Spruch von vorhin grüßen. »Du kannst mir erzählen, was du willst und versuchen, mich gegen meine Freunde aufzuhetzen, aber du wirst keinen Erfolg damit haben.«
»Mhm«, nickte Walther vielsagend. »Du tust das alles für die Sicherheit deiner Stadt und deiner Familie. Ich weiß. Aber weißt du auch, dass Klaus damals die Mutter von Tyler Lockwood qualvoll ertränkt hat? Aus Rache und obwohl sie zu dieser Zeit quasi zur Familie seiner –«
»Halt den Rand, Walther! Ich habe gesagt, dass ich das alles nicht wissen will. Mich interessiert nur das, was jetzt hier passiert.«
»Klaus wollte anfangs, dass Hayley mit seinem ungeborenen Kind im Leib getötet wird. Die Wahl deiner Freunde sagt eine Menge über jemanden aus, Maria.«
Diese Behauptung brachte mich tatsächlich kurz aus der Fassung, was Walther ausnutzte, um nachzutreten.
»Du bist nichts als ein Spielzeug für diese Vampire und Fluch hin oder her, eines Tages wirst du das auf schmerzvolle Weise begreifen.«
Ich lachte höhnisch und bot Walther die Stirn. »Du tust so, als ob du ein besserer Vampir wärst, Walther. Was unterscheidet dich bitteschön von ihnen?«
»Du hast recht. Ich bin kein unbeschriebenes Blatt. Ich habe unsere Magd Lise getötet und mehrere duzend Menschen kaltblütig und brutal abgeschlachtet. Besser als Stefan, der Ripper.« Walther lachte überheblich. »Dann war da dieses junge unschuldige Mädchen, das ich nur ermordet habe, damit ich nicht erwischt werde. Sehr eigennützig und ganz nach Manier von Klaus oder Damon, ich weiß.«
Ich nickte erneut, um mich selbst zu bestätigen. Der Widerspruch kam prompt.
»Und weißt du was? Das war kurz nach meiner Verwandlung und seitdem bin ich clean, wie man heute so schön sagt. Ich töte nur noch, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Leider sehen das einige meiner Anhänger zuweilen etwas anders, aber ich bin noch dabei, sie zu erziehen.«
»Was laberst du da? Das will ich alles nicht wissen. Ich will, dass Edith, du und deine Anhänger, wie du selbst sagst, aus Eichenstedt verschwindet und niemanden mehr tötet! Hast du mich verstanden?«
»Hmmm, hab ich dich wütend gemacht? Lass es raus, Maria. Greif mich an. Hör auf, diese mitleiderregende Person zu sein, die zwanghaft versucht, die Gute in der Geschichte zu sein, indem sie sich verbiegt, nur um das arme Opfer zu bleiben. Das war schon in deiner Schulzeit so. Du warst sogar zu Christin freundlich, obwohl sie dich so oft vor der ganzen Klasse runtergemacht hat.«
»Woher weißt du das?« Ich wünschte mir, dass ich in dieser Situation cooler reagiert hätte, denn Walthers bestätigtes Lachen war der Beweis für ihn, dass er mich mit seiner Aussage getroffen hatte.
»Ach, komm schon, Radiotante. Soll ich dir jetzt erklären, wie man recherchiert? Deine Abschlussklasse stand mit Foto in der Zeitung und der Artikel ist nach wie vor im Internet zu finden. Geniale Erfindung, nicht? Und die Personen auf dem Bild ausfindig zu machen war nicht schwerer, als die Werwölfe einzusammeln.«
»Du bist ein perverses Schwein!«, schrie ich ihn an und spürte, wie die Wut in mir aufstieg. Das machte ihn umso mehr an.
»Pervers, ich? Nein. Dein Ex, dieser Möchtegernsänger Phil, der ist pervers. Wusstest du, dass er was mit deiner Lieblingsfeindin Christin hatte? Und ehe du fragst: Ja, während du mit ihm zusammen warst. Ging ne ganze Weile so und du hast es nicht gemerkt oder wolltest es nicht merken. Die Wahrheit zu ertragen war noch nie deine Stärke.«
Ich hörte schön gar nicht mehr zu, was Walther noch alles erzählte. Ich wollte ihm nicht glauben, aber die Wahrheit ist, dass ich gewisse Dinge nicht abstreiten konnte, und das machte mich wirklich wütend.
Ich wollte mich auf Walther stürzen, um ihn in Stücke zu reißen, aber er ist älter und stärker als ich. Er schleuderte mich einfach über sich hinweg und ich landete unsanft auf dem Boden.
»Wirklich witzig, dich so zu sehen, Maria. Du kannst es einfach nicht, selbst wenn du es wolltest. Böse sein ist dir nicht in die Wiege gelegt worden, ebenso wenig gewinnen. Deshalb suchst du dir böse Freunde aus, die für dich die Drecksarbeit machen, wie zum Beispiel Hexen entführen. Du kannst am Ende dann wieder sagen, ich war es nicht, ich hatte nur gute Absichten. Tut der lieben kleinen Maria nichts! Hahaha!«
»Du bist geisteskrank, Walther! Verschwinde einfach!«, brüllte ich mir die Seele aus dem Leib und wollte vor ihm fliehen.
Aber da packte der Arsch mich doch tatsächlich an der Kehle und drückte mir die Luft ab. Er war gerade dabei, mir weitere pseudopsychologische Weisheiten um die Ohren zu hauen, als auch seine Stimme auf einmal irgendwie röchelnd klang.
Er ließ mich endlich los und ich musste ein paar Mal tief Luft holen, um mich von seiner Attacke zu erholen. Als ich wieder einigermaßen bei klarem Verstand war, sah ich, dass hinter meinem Angreifer zwei goldgelbe Augen aufblitzten.
Klaus hatte seine Hand in Walthers Brust gerammt und nun offenbar dessen kaltes Herz fest umklammerte. Erneut konnte ich meinem Erschaffer für seine Hilfe danken. Darüber, woher er überhaupt so schnell kam, konnte ich nicht mehr nachdenken, denn er begann Walther ein paar Fragen zu stellen und endlich war er es, der zuhören musste.
»So, Walther. Dann lernen wir uns auch endlich kennen. Erzähl uns doch mal, warum es so falsch wäre, diesen Fluch zu brechen und die Werwölfe zurückzubringen?« Klaus hörte sich finsterere an, als ohnehin schon, blieb aber auf eine skurrile Weise doch sehr höflich.
Ob er mitbekommen hatte, was Walther alles zu mir sagte, wusste ich nicht.
Walther versuchte, ihm verständlich zu machen, dass er nicht sprechen konnte, solange Klaus Hand sein Herz umklammerte und langsam herumdrehte. Also riss Klaus seine Hand unsanft aus Walthers Brustkorb und schleuderte diesen noch unsanfter gegen einen Baum am Wegesrand. In Vampir-, ähm Hybridengeschwindigkeit hetzte Klaus ihm nach und beugte sich über Walther, der noch ein wenig hustete.
Während Klaus mit Walther beschäftigt war, sah ich erneut eine Taube auf einem Ast sitzen. Hatten diese Viecher uns am Ende schon viel länger ausspioniert, als wir ahnten?
»Hahahaha! Ihr seid alle so jämmerlich«, amüsierte sich Walther und ich fragte mich, warum Klaus sich das gefallen ließ. »Uns endlich kennenlernen, Klaus? Ernsthaft? Dein Gedächtnis hat in den vergangenen Jahrhunderten wohl mächtig gelitten. Aber das soll heute nicht von Belang sein. Edith wird nicht zulassen, dass ihr den Fluch brecht. Ich werde es nicht zulassen. Wenn ihr einen Krieg haben wollt, dann bekommt ihr auch einen«, wetterte Walther und wich weiterhin jeder Frage aus, die Klaus ihm stellte.
Ich, wütend wie ich nach wie vor war, ließ mich zu einer völlig absurden Tat hinreißen. Ich griff mir die Taube vom Baum und tat so, als würde ich mit ihr skypen. Ich hielt das arme Tier in den Händen und sprach ihr ins Gesicht, während ich die Szene hinter mir, nun ja, filmte. Oder so.
»Hallo, Edith? Kannst du uns sehen? Falls ja, dann hör gut zu. Wir haben keine Angst vor dir. Lass die Werwölfe gehen und zieh diesen nervigen Walther und seine Leute ab. Und wage es nie wieder, einen Anschlag auf meine friedliche kleine Heimatstadt zu verüben. Haben wir uns da verstanden? Egal, was du unternimmst und was du glaubst, über mich zu wissen, wir sind dir überlegen.« Dann ließ ich die Taube wieder fliegen, ohne zu wissen, ob es nicht vielleicht doch nur eine ganz normale Taube war.
Klaus versuchte derweil, Walther durch Manipulation zum Reden zu bringen. Aber es hatte keinen Sinn. Edith scheint ihn mit einem Zauber unempfänglich gegenüber Manipulationen der Urvampire gemacht zu haben oder er nimmt, wie ich, Eisenkraut, um davor geschützt zu sein. Seine Redseligkeit von vorhin war jedenfalls dahin.
»Tja, was sollen wir jetzt mit ihm machen?«, fragte mich Klaus provokant.
Ich wusste, worauf er abzielte und alles in mir schrie danach, ihm die Antwort zu geben, die er hören wollte.
»Wenn er nicht redet, ist er für uns nicht von Nutzen. Also tu dir keinen Zwang, Klaus«, antwortete ich.
Walther grinste mich triumphierend an und nickte mir zu, als wolle er sagen: »Siehst du? Warum tust du es nicht selbst?«, oder was auch immer. Und glaub mir, mit dieser Wut im Bauch hätte ich nichts lieber getan, als ihm die Kehle höchstpersönlich rauszureißen.
Klaus strahlte derweil voller Vorfreude auf das bevorstehende Gemetzel und ich hätte ihn beinahe gefragt, ob ich es nicht tun könnte, als plötzlich mehrere Dutzend Tauben auf uns losflogen und uns angriffen. Walther nutze die Gelegenheit zur Flucht und sauste über das winterkarge Feld. Klaus wollte gerade die Verfolgung aufnehmen, doch ich hielt meinen Erschaffer und mehrmaligen Retter zurück.
»Lass ihn doch zu Edith laufen und sich da ausheulen, dieses Opfer.«
Mehr oder weniger widerwillig ließ Klaus von seinem Vorhaben ab und schaute mich skeptisch an, als er die Wut, die in mir brannte, erkannte.
»Was hat er zu dir gesagt?«, fragte er mich.
»Nichts von Bedeutung«, war meine knappe und nicht ganz ehrliche Antwort.
Ich wollte das, was dieser Bastard mir erzählt hatte, nicht an mich rankommen lassen. Mit ihrer psychologischen Kriegsführung sollten Walther und Edith bei mir keinen Erfolg haben. Denn ich bin nicht schwach, nur weil ich an das Gute glaube.
»Dankeschön. Du hast mich schon wieder gerettet«, sagte ich schließlich zu Klaus und zwang mich zu einem Lächeln.
»Ich habe lediglich die Gelegenheit genutzt, diesem Kerl zu zeigen, dass man sich besser nicht mit den Mikaelsons anlegt«, antwortete Klaus und grinste dabei gemein.
Ob er es wollte oder nicht, aber dafür war mal wieder die legendäre Maria-Umarmung fällig und die hatte ich mehr als nötig. Überraschenderweise fiel die Umarmung nicht mehr ganz so ungelenk aus, wie noch vor ein paar Wochen und ich kam dadurch langsam wieder zur Ruhe. Auch mit tausend Jahren kann man offenbar noch etwas dazulernen.
»Kennt Walther dich etwa?«, fragte ich Klaus dann.
»Ich wüsste nicht, woher. Der blufft nur«, war sich Klaus sicher.
»Aber er weiß so viel über dich und sogar die ganzen Sachen aus Mystic Falls.«
»Hexen reden, sagt man. Edith wird ihre Quellen haben.« Klaus gab sich weiterhin kurz angebunden und ich hatte keine Lust (oder keinen Mut) ihn nach der Geschichte mit Hayley und Hope zu fragen.
Vielmehr wollte ich endlich meinen Heimweg fortsetzen und den ganzen Vorfall hinter mich lassen. Doch angeschlagen wie ich war, ließ ich mich mal wieder zu einer vollhorstigen Frage hinreißen.
»Ähm, Klaus? Willst du nicht vielleicht noch ein Stück mitkommen? Wer weiß, was hier sonst noch alles im Dickicht lauert?«, fragte ich.
Klaus schmunzelte zur Antwort und tatsächlich musste ich den restlichen Weg nach Hause nicht allein gehen.
Bei der Gelegenheit sprach ich ein anderes unangenehmes Thema an. »Hat Freya schon eine Idee, was aus mir wird, wenn der Fluch gebrochen wurde?«
»Sie ist da an etwas dran.« Klaus' spärliche Aussage ließ mich vermuten, dass dem nicht so war.
Als wir an der Birkenheimer Straße ankamen und ich es nicht mehr weit hatte, trennten sich unsere Wege wieder. Mit einer weiteren kurzen Umarmung verabschiedeten wir uns und Klaus versicherte mir, dass ich in der Villa Mikaelson fortan wieder ein gern gesehener Gast sei. Aber irgendwie lag eine bedrückende Stimmung in der Luft.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top