»DU MEINST, OB ICH MICH FÜR DEN TOD ENTSCHIEDEN HÄTTE?«
~ 21. Februar 2018 ~
LIEBES TAGEBUCH,
den heutigen Mittwoch verbrachte ich möglichst lange auf Arbeit. Ich wollte warten, bis es dunkel genug draußen war, damit mich keine Tauben beobachten konnten. Ich hoffte zumindest, dass die Viecher sich dadurch abschrecken ließen, aber wer weiß, ob verhexte Tauben nicht auch bei Nacht sehen konnten? Auch während der Arbeitszeit schaute ich ständig besorgt aus dem Fenster und zuckte bei jedem vorbeifliegenden Vogel zusammen. Meine lieben Kollegen wunderten sich bereits über mein seltsames Verhalten und machten sich Sorgen, dass es mir nicht gut gehen könnte.
Während ich bereits darüber nachdachte, wie ich irgendwann meine Schwester Luisa in diese Sache einweihen kann, müssen diese unschuldigen und völlig unbeteiligten Leute um jeden Preis aus allem raus gehalten werden. Ein wenig beneidete ich sie für ihre Unwissenheit.
Irgendwann konnte ich den Feierabend nicht weiter hinauszögern und traute mich aus dem vermeintlich sicheren Funkhaus. Ich atmete einen tiefen Zug frische Winterluft ein und begann gerade, den Kopf ein wenig freizubekommen, von all den Irrungen und Wirrungen in meinem neuen Leben. Doch die übernatürliche Realität holte mich ausgerechnet an der Stelle wieder ein, an der ich damals zum ersten Mal Bekanntschaft mit Vampiren gemacht hatte, als eben einer dieser Vampire aus der Dunkelheit auftauchte.
»Wie war dein Tag, Liebes?«
»Klaus? Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?«, fragte ich erschrocken.
»Ich hoffe doch nicht«, antwortete Klaus und schaute mich prüfend an.
»Nein, alles Gut. Keine erwähnenswerten Vorfälle. Aber sag mal, was hast du denn da auf dem Kopf?« Ich konnte mir ein breites Grinsen einfach nicht verkneifen, als ich sah, dass Klaus eine Schirmmütze trug.
»Nun, da uns anscheinend irgendwelche verhexten Tauben ausspionieren, kann so eine Tarnung doch recht dienlich sein«, meinte er ebenfalls grinsend.
Kaum zu glauben, dass sich sogar der gefürchtete Urhybrid Sorgen darüber machte, dass ihn Tauben sehen konnten. Wenn es nicht so ernst wäre, hätte es tatsächlich etwas Komisches an sich. Dann sah ich allerdings etwas, das wirklich komisch im Sinne von niedlich war. Klaus' Kappe war offenbar handbemalt. Vorne auf der Schirmmütze war ein blauer Schmetterling zu sehen, der über leuchtend rot-orangefarbene Blumen flatterte.
»Hat das deine Tochter gemalt?«, fragte ich und er bejahte dies mit einem breiten Grinsen und stolzgeschwellter Brust.
»Sie scheint schon ein richtiges kleines Talent zu sein. Wie ihr Papa«, sagte ich mit einem Augenzwinkern. »Aber was wolltest du nun eigentlich hier? Du bist doch nicht nur hierher gekommen, um mir einen angenehmen Feierabend zu wünschen oder, Klaus?«
Mich ließ die Befürchtung nicht los, dass sein unerwarteter Besuch einen düsteren Hintergrund hatte.
»Nun, die Sache ist die ...«, fing er an, zu erzählen, was mich in meiner Annahme bekräftigte.
»Sag schon. Was ist wieder passiert?«, fragte ich ungeduldig.
»Wir sollten für unsere künftigen Vampirgeiseln Zellen ohne jeglichen Sonnenlichteinfall bauen«, begann Klaus seine schlechte Nachricht zu verkünden.
Ich konnte mir denken, was er versuchte, mir zu sagen.
»Florian hat sich selbst entzündet«, beantwortete ich schließlich meine eigene Frage.
Klaus nickte verlegen.
»Unsere Leichen im Keller werden langsam mehr«, stellte ich mit einem sarkastischen Unterton fest.
»Es macht dich also nicht wütend?«, fragte Klaus erstaunt. »Ich meine, er ist tot. Du kanntest seinen Namen und du bist ein guter Vampir.«
Klaus macht sich anscheinend über mich lustig.
»Und er war einer der bösen Vampire. Niemand wird ihn vermissen. Wir haben genug Informationen aus ihm herausbekommen. Vermutlich haben sie den Befehl von Walther, sich umzubringen, wenn sie in feindliche Gefangenschaft geraten. Allerdings war er so dumm, uns vorher alles zu erzählen, anstatt sich von dir ausmerzen zu lassen. Tja, Pech für die. Punkt für uns.«
Klaus musste lachen, als er meine Worte hörte. »Lass das nur nicht deine Salvatores hören. Sie würden ihr Projekt Mustervampir als gescheitert betrachten.«
Dann drehte sich Klaus um und wollte gehen. Aber irgendwie war mir das gar nicht recht.
»Halt!«, rief ich ihm hinterher. »Ich dulde nicht, dass du nur hergekommen bist, um mir nach Feierabend Todesmeldungen zu übermitteln. Jetzt, da wir wissen, wie viele Gefahren hier lauern, musst du mich als guter Freund noch ein wenig begleiten«, schlug ich vor und es war mir bereits peinlich, während ich noch die letzten Silben sprach.
Zu meiner Überraschung drehte Klaus sich tatsächlich wieder um. »Von mir aus. Gehen wir ein Stück«, sagte er schmunzelnd.
Der uralte Urvampir schien so langsam zu begreifen, dass das Wort Freundschaft mehr beinhaltete, als nur irgendwelche düsteren Vereinbarungen. Allerdings musste ich auch noch lernen, welche Gesprächsthemen man mit Freunden anfängt, die mehr als tausend Jahre älter sind, als man selbst.
Ich setzte alle Karten auf den guten alten Small Talk über meinen Tag auf Arbeit, das Wetter und den Baum, der mich einst erschlug. Denn an dieser schicksalsträchtigen Stelle machten wir halt und Klaus stellte mir auf einmal eine Frage, über die ich selbst noch nie nachgedacht hatte.
»Du hattest damals keine Wahl, ob du die Verwandlung zum Vampir abschließen willst oder nicht. Hättest du dich anders entschieden, wenn du die Möglichkeit gehabt hättest?«
»Du meinst, ob ich mich für meinen Tod entschieden hätte?«
Klaus nickte, während ich nachdachte.
»Ich bin noch so jung. Ich habe eine Familie, Freunde und Kollegen, die mir alle sehr am Herzen liegen. Ich hätte das alles hier, mein Leben, niemals freiwillig verlassen«, antwortete ich schließlich.
»Auch nicht, wenn du gewusst hättest, was es bedeutet, ein Vampir zu sein?«, fragte Klaus weiter nach.
Er selbst hatte damals auch nicht die Wahl. Sicher interessierte er sich deshalb so sehr für meine Meinung darüber.
»Das hätte mich zweifeln lassen, das gebe ich zu«, antwortete ich nach einer kurzen Überlegung. »Und ich wäre daran zugrunde gegangen, wenn ich allein mit dieser Entscheidung gewesen wäre. Ich bin so unendlich dankbar, dass die Salvatores damals an meiner Seite waren. Ohne sie hätte ich das alles nicht überstanden. So viel Glück, wie ich, hatten ganz sicher nur die allerwenigsten Vampire kurz nach ihrer Verwandlung«, erzählte ich und strahlte übers ganze Gesicht, als ich an die erste Woche bei Damon und Stefan dachte.
Klaus schaute jedoch ein wenig genervt, als ich die Salvator-Brüder erwähnte. Aber so ist es nun mal. Ohne die beiden wäre ich an meinem neuen Ich zerbrochen. Ich hatte ihnen so viel zu verdanken. Aber dennoch war ich auch froh, mich langsam auf eignen Pfaden zu bewegen, auch wenn ich wusste, dass ihnen viele Entscheidungen nicht gefallen würden, die ich auf diesem Weg traf.
Nichtsdestotrotz fühlte ich mich besser, als je zuvor, nachdem ich akzeptiert hatte, dass ich ein Vampir war und, dass dies bedeutete, fortan kein liebes kleines Mädchen mehr zu sein. Frisches Blut war mein Lebenselixier. Und ich hatte gelernt, wie man es bekommt, ohne Menschen zu töten oder schwer zu verletzen. Das machte mich stolz und glücklich. So falsch es sich anhören mag, aber so ist es.
Schlagartig wurde unsere beklemmende Unterhaltung unterbrochen, als eine Frau in der Allee auftauchte und auf uns zu kam. Daraufhin tat ich etwas, womit weder die Salvatores, noch Klaus, noch ich selbst je gerechnet hätten.
»Lust auf einen kleinen Abendsnack?«, fragte ich und ehe Klaus begreifen konnte, was ich damit meinte, hatte ich die Frau auch schon manipuliert.
Das war dann wohl das endgültige Ende all meiner guten Vorsätze.
Klaus schaute noch etwas ungläubig, angesichts dieses unerwarteten Schauspiels. Doch wenig später hingen wir beide an jeweils einer Seite des Halses der Dame und labten uns an ihrem frischen Blut.
Das musste ein wirklich skurriler Anblick gewesen sein. Zum Glück war es dunkel und niemand sonst war zu dieser Zeit unterwegs. Nachdem wir rechtzeitig wieder aufgehört hatten zu trinken, wurde die Dame fachgerecht manipuliert, alles zu vergessen und weiter ihres Weges geschickt.
»Du bist immer wieder für eine Überraschung gut«, merkte Klaus an, als er sich gerade das Blut aus den Mundwinkeln wischte. »Vor nicht allzu langer Zeit hast du mein Angebot frischen Blutes genau an dieser Stelle abgeschlagen.«
»Zu dieser Zeit dachte ich, dass es mich unglücklich machen würde. Nun weiß ich, dass ich nur glücklich sein kann mit dem, was ich bin, wenn ich es akzeptiere. Alles andere hätte mich irgendwann zu einer explodierenden Zeitbombe werden lassen. Und wenn ich, nachdem der Fluch gebrochen wurde, den Löffel abgeben muss, habe ich eh nichts zu verlieren. Also genieße ich das kurze untote Leben, das mir noch bleibt«, erklärte ich den Grund meines Sinneswandels.
Klaus schien positiv überrascht aber auch verwundert über meine Einstellung 2.0 zu sein. Zugegeben, ich war es auch.
»Aber das ändert nichts daran, dass ich es nicht zulassen werde, dass irgendwelche dahergelaufenen Vampire in diese Stadt kommen und Menschen schwer verletzen oder sogar töten«, stellte ich an dieser Stelle noch einmal mit einem Augenzwinkern klar. »Damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Ich bin nach wie vor kein böser Vampir, sondern nur ein vampirischer guter Vampir.«
»Solange du trotzdem böse genug zu unseren Feinden bist, reicht mir das völlig«, antwortete Klaus schmunzelnd.
Wir gingen noch gemeinsam bis zur Bachstraße.
»Ab hier ist Salvatore-Gebiet«, sagte Klaus dann. »Ich werde mich jetzt unauffällig zurückziehen. Du sollst schließlich keinen Ärger von deinen beiden Bewährungshelfern bekommen.«
Wusch – weg war er auch schon.
Ganz ohne anständige Verabschiedung. Aber was hatte ich auch erwartet?
Die Salvatores tauchten an diesem Abend nicht auf und ich flitzte schnell an ihrem Haus vorbei, denn das kleine schlechte Gewissen meldete sich mal wieder. Sie haben so viel für mich getan und ich schüre Geheimnisse mit ihrem Erzfeind. War ich es nicht selbst, die gestern noch gesagt hat, dass die Feinde meiner Freunde auch meine Feinde seien? Was ist mit Klaus? Wir sind scheinbar tatsächlich Freunde geworden. So sehr ich es mir auch einredete – die Mikaelsons werden für mich niemals wieder Feinde sein. Wenn mir das alles vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, ich hätte ihn für einen Spinner gehalten.
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