»DIESES STÜCK BRONZE SOLL WERWÖLFE ERSCHAFFEN HABEN?«

LIEBES TAGEBUCH,

viel geschlafen habe ich letzte Nacht wieder nicht, denn schließlich habe ich sofort, nachdem ich von diesem skurrilen Vampirtreffen zurückgekommen bin, alles dort erlebte in dir aufgeschrieben. Ich wollte einfach nicht riskieren, irgendein Detail zu vergessen. Demnach ist dies hier bereits der zweite Eintrag an diesem 5. Februar.

Der heutige Montag war, im Gegensatz zum Wochenende ein angenehm ruhiger Tag. Keine Vampirdramen, keine Leichenfunde und vor allem kein Klaus.

Na ja, wart's ab.

Am Nachmittag hatte ich vor, Alaric Saltzmans ersten Okkultismuskurs an der Volkshochschule zu besuchen. Franz, unser Radiospezialist für Mythen und Sagen musste heute länger Arbeiten und hätte es nicht pünktlich zum Kursbeginn geschafft. Also hatte ich mir eine der Freikarten geschnappt, die Ric am Freitag dem Radio gesponsert hatte und mich bereit erklärt, dort hinzugehen. Ich selbst erhoffte mir dabei Hinweise und Fakten zu den angeblichen Harzer Werwölfen.

Laut Klaus waren alle Geschichten darüber nur Legenden und vage Gerüchte und er selbst wusste nicht, was daran wahr ist und was nicht. Meine Hoffnung bestand darin, ihm alle Informationen darüber zu geben, die ich auftreiben konnte. Wenn er anschließend die Stadt wieder verlassen würde, hätte ich meine Mission erfüllt. Der heroische Plan für die zweite Tageshälfte stand somit fest.

Bis dahin genoss ich meinen freien Tag und ruhte mich richtig schön aus, denn nach wie vor fühle ich mich manchmal eher schlecht als recht. Und um ehrlich zu sein, beunruhigte mich das sogar noch ein wenig mehr als die Anwesenheit des Urvampirs in Eichenstedt. Offenbar war es wirklich nicht alltäglich, dass sich ein Vampir so fühlte wie ich im Moment.

Das Einzige, was mich noch mehr beunruhigt, ist der mörderische Vampir, der am Wochenende einen Mann getötet hat und dessen Identität wir immer noch nicht kennen. Damit lag Klaus nur noch auf Platz drei meiner größten Sorgen. Na ja, vielleicht auch nicht. Denn es bestand schließlich immer noch die Möglichkeit, dass er am Ende doch etwas mit diesen Vampirangriffen zu tun hatte. Außerhalb jeglicher Platzierungen liegt natürlich noch die allgegenwärtige Sorge um meine eigene Familie. Sie zu schützen hat für mich allerhöchste Priorität. Leider bedeutet das auch, sich täglich neue Lügen einfallen zu lassen.

Lügen, liebes Tagebuch, werde ich künftig auch, was meinen Gesundheitszustand betrifft. Nie wieder möchte ich in so eine peinliche Situation wie gestern hineingeraten! Du wirst in Zukunft der Einzige sein, der noch die Wahrheit über meine Unpässlichkeiten erfährt. Wenn Damon und Stefan fragen, wie es mir geht, dann sage ich ab jetzt: Fabelhaft, es könnte nicht besser sein. Vielleicht lag es nur daran, dass ich mein neues Vampirdasein zuerst gänzlich akzeptieren musste, um mich in dieser Haut wohlfühlen zu können.

Um ehrlich zu sein, hoffe ich wirklich darauf, dass das der Schlüssel zu meinem Wohlbefinden ist. Denn wie könnte ich mich denn gesund fühlen, wenn ich nicht hinter dem stehe, was ich jetzt bin?

Ein Vampir.

Nach wie vor belastet mich dieser Umstand mehr, als ich jemals zugegeben habe. Wer auch immer jemals meine Zeilen lesen wird, wird denken, dass ich keine Probleme damit habe, eine untote blutsaugende Kreatur zu sein. Die Wahrheit sieht völlig anders aus. Es gibt Momente, in denen ich in Tränen ausbreche, gegen Dinge trete, Äste im Park ausreiße, wenn ich nachts allein spazieren gehe. Ich möchte schreien, fliehen vor all dem. Die Erinnerungen an mein früheres Leben sind dann vor allem eins: unermessliche Qualen.

Ich hatte ein schönes Leben, eine großartige Familie und ein klares Ziel vor Augen. Dennoch freute ich mich auf die vielen unvorhergesehenen Dinge, die einer jungen Frau so passieren. Ich werde im Mai zwanzig Jahre alt. Da fängt das Leben doch erst an und endet nicht bereits.

Jetzt sind all diese normalen Dinge plötzlich harte Arbeit, damit sie für alle anderen normal bleiben und doch pendelt das Damoklesschwert der Gewissheit, dass ich all das früher oder später hinter mich lassen muss, unentwegt über mir.

Nein, liebes Tagebuch. Ich habe noch lange nicht akzeptiert, ein Vampir zu sein.

Am späten Nachmittag raffte ich mich aus meiner gemütlichen Lethargie auf und machte mich fertig für Alarics Okkultismuskurs. Als ich Federmäppchen und Hefter in meine ehemalige Schultasche packte, fühlte ich mich wieder wie ein Schulmädchen – was eine lustige Abwechslung darstellte und meine Laune verbesserte. Meine Schwester konnte indes überhaupt nicht verstehen, warum ich am Montagabend freiwillig die Schulbank drücken wollte.

»Und dann auch noch für so einen Hokuspokus-Kurs«, sagte Luisa abfällig.

Eigentlich war es mir ganz recht, dass Luisa sich nicht dafür interessierte. So konnte sie auch so schnell nichts über Vampire, Werwölfe und Hexen erfahren.

Aber dennoch schwirrte eine Frage unbeantwortet im Raum: Warum wollten die Salvatores ebenfalls nicht, dass ich etwas über Werwölfe wusste? Warum haben sie mir bis heute noch nichts über deren Existenz erzählt? Auch, um mich zu schützen? Oder gab es einen anderen Grund?

Dann war da wieder dieses leicht euphorische Gefühl, dass ich ihnen bei diesem Thema voraus war. Ich mochte ja schon immer Detektivgeschichten und, dass ich jetzt Teil meiner eigenen kleinen und geheimen Ermittlung bin, ist einfach großartig. Ich sehe schon ihre überraschten Gesichter vor mir, wenn Klaus die Stadt wieder verlässt. Sie werden so viele Fragen an mich haben: Wie konntest du das alles wissen? Wie hast du es geschafft, den Urvampir ganz allein aus der Stadt zu jagen? Sie werden bestimmt stolz auf ihre kleine Schülerin sein – und vielleicht auch ein bisschen enttäuscht, dass ich ihnen so manches verheimlicht hatte. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Und dieser führte zunächst wieder einmal am Haus der Salvatores vorbei. Trotz der eisigen Temperaturen warteten die beiden vor dem Gebäude brav wie Schoßhündchen auf mich.

»Sagt jetzt nicht, ihr wollt auch an Rics Kurs teilnehmen?« Ich hatte gehofft, dass sie es nicht tun würden, damit ich ohne sie nach Werwölfen forschen konnte. Aber die zwei sind manchmal lästig wie Scheißhausfliegen.

»Wir können es uns doch nicht entgehen lassen, Stefan in nostalgischen Gefühlen schwelgen zu sehen. Immerhin war Ric sein Geschichtslehrer, als er in Mystic Falls an der High School war. Das weckt sicher viele schöne Erinnerungen. Stefan, weißt du noch, als Klaus von Alaric Besitz ergriffen hatte?«, erzählte Damon und machte mich neugierig.

»So was geht?!«

»Du wärst überrascht, was wir dir noch alles für Untaten des großen bösen Urvampirs erzählen könnten«, antwortete Damon.

»Seltsam nur, dass es lediglich ein paar Gläser Bourbon bedarf, damit ihr all diese Untaten vergesst und euch aufführt, als ob Klaus schon immer euer bester Freund war.« Diesen Seitenhieb auf den gestrigen Abend konnte ich mir nicht verkneifen.

»Klaus soll ruhig denken, dass wir ihm die Unschuldsnummer abkaufen. Desto sicherer und unbeobachteter er sich fühlt, desto eher macht er einen Fehler und wir können ihn überführen«, erklärte Stefan den geheimen Plan der Salvatores.

»Also vertraut ihr ihm nicht?«, fragte ich und bekam entrüstete Blicke zugeworfen.

»Natürlich nicht! Man kann diesem Monster nicht vertrauen. Halte dich bitte weiterhin von ihm fern und lass die großen Jungs das machen, Maria.«

Damons Anweisung war eindeutig. Offenbar war ich also nicht die Einzige mit Geheimagentenambitionen. Auch die Salvatores arbeiteten verdeckt.

Klaus hatte also zwei Teams gegen sich, ohne es zu wissen, und diese Teams wissen auch nicht alles voneinander. Was für eine Tragödie. So was konnte sich kein Krimiautor ausdenken!

Als wir schon kurz vor der Bibliothek waren und an der Stelle des umgefallenen Baumes ankamen, griff ich durch Zufall in meine Jackentasche und fand dort etwas Ungewöhnliches: einen kleinen Zettel. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn da reingesteckt zu haben. Es fühlte sich an wie eine Terminkarte vom Arzt. In Wahrheit kam eine edle Visitenkarte mit Goldschrift zum Vorschein.

Von niemand anderem als Klaus Mikaelson.

Du liebe Güte. Dieser Schurke! Wann hat er die denn in meine Jacke reingelegt? Schnell ließ ich sie wieder dorthin verschwinden, ehe einer der Salvatores sie sehen konnte. Wie es schien, spielte Klaus sein eigenes Geheimagentenspiel mit den Brüdern. Wie verworren und spannend das doch alles war.

Wenn es nicht so gefährlich wäre, wäre das jetzt der Zeitpunkt zu gestehen, dass nicht alles an meinem jetzigen Dasein schlecht ist. Aber bei aller Sherkock-Spielerei war ich mir dem Ernst der Lage bewusst und hätte all das, ohne zu zögern, gegen mein altes Leben eingetauscht.

Als wir auf den Hof der Bibliothek einbogen, schaute sich Stefan noch einmal den Flyer an, um zu sehen, in welchen Raum wir eigentlich mussten. Dann sahen wir aber bereits Alaric, der die Tür aufhielt und uns zuwinkte.

»Schön, dass ihr gekommen seid«, begrüßte er uns. Er war ebenfalls sehr erfreut, dass ich mich entschieden hatte, seinem Kurs beizuwohnen, um mehr über die verrückte Welt zu erfahren, in der ich nun lebte und zurechtkommen musste.

Während sich die Salvatores noch ein wenig mit Alaric unterhielten, ging ich schon mal nach oben in die Räumlichkeiten der Volkshochschule. Einige Umbauten liefen noch in meiner ehemaligen Schule und ich erkannte viele Orte wieder, an denen so viele Erinnerungen an mein früheres Ich hingen. Doch diese fielen nun ebenso den Veränderungen zum Opfer, wie mein Leben. Der Kurs fand in meinem ehemaligen Physikraum statt. Ich ging rein, um mir einen guten Platz zu sichern. Prompt kam ein Mädchen, etwa in meinem Alter, mit langen dunkelrot gefärbten Haaren freundlich grinsend auf mich zu.

»Ich dachte schon, ich bin die einzige junge Person in diesem Kurs. Bisher sind hier nur so alte Käuze und Kräuterfrauen aufgetaucht«, sagte sie breit grinsend.

Witzigerweise hatte sie recht mit ihrer Beobachtung. Der Altersdurchschnitt in diesem Raum lag ungefähr bei sechzig Jahren. Aber was solls, ich war ja in einer geheimen Mission unterwegs und nicht, um meinen Freundeskreis zu erweitern. Da konnte ich mich nicht von alten Herrschaften aus dem Konzept bringen lassen.

Das Mädchen hätte jedoch Potenzial eine neue Freundin zu werden. Sie schien nett zu sein und stellte sich mir als Linda Eberhard vor. Sie war achtzehn Jahre alt und freute sich erneut, als sie die vermeintlich ebenfalls jungen Herren Stefan und Damon erblickte. Dass diese Burschen schon über 170 Jahre auf den Buckel hatten und damit den Altersdurchschnitt des Kurses immens anhoben, ahnte sie zum Glück nicht.

Linda entpuppte sich in den darauffolgenden Minuten als eine wahre Quasselstrippe. Ehe ich etwas mehr sagen konnte als meinen Namen, saß ich auch schon mit ihr zusammen am Tisch in der vordersten Reihe links, am Fenster. Während Stefan und Damon sich hinter uns setzten, löcherte Linda uns mit Fragen, warum wir in diesem Kurs waren, ob wir uns schon immer für mystische Dinge interessiert haben und so weiter.

Damon fuhr sofort seine Charmeoffensive auf und begann lebhaft davon zu berichten, dass er und sein jüngerer Bruder neu in der Region wären und sie sich deshalb über die Sagen hierzulande informieren möchten.

»Wir haben uns schon immer für Mythen und Legenden interessiert. Nicht wahr, Stefan? Über unsere eigentliche Heimatstadt könnten wir eine Menge erzählen, aber wir wollen Herrn Saltzman nicht die Show stehlen«, sagte Damon mit einem Augenzwinkern.

Als ich schließlich den Spieß umdrehte und anfing, Linda darüber auszufragen, warum sie in diesem Kurs war, wurde es interessant.

Sie erzählte uns von ihrer Urgroßmutter. Diese hatte zeitlebens behauptet, eine echte Hexe zu sein. Das ließ auch die Vampir-Brüder aufhorchen. Linda erzählte, dass ihre Großmutter, Martha Eberhard, wiederum kein Wort davon glaubte, was über ihre Familiengeschichte berichtet wurde. Hexerei und all das spielte in ihrem Leben keine Rolle. Anders als ihre Großtante Edith Ziegler, die auch heute noch die uralten Legenden weitererzählte.

»Ich hoffe wirklich sehr, dass ich in diesem Kurs noch mehr dieser tollen Geschichten höre, wie sie mir meine Großtante als Kind immer erzählt hat. Vielleicht liegt ja doch das ein oder andere Fünkchen Wahrheit darin.« Linda war ganz euphorisch, während die Salvatore-Brüder und ich anfingen zu grübeln.

Vielleicht sind in Lindas Familie wirklich Hexen gewesen. Original Harzer Hexen.

»Mein Vater hat niemals nur ein Wort darüber verloren«, fuhr Linda fort. »Aber ich sehe ihn auch nicht oft, seit er vor zwölf Jahren nach Sindelfingen gezogen ist.«

Sie wirkte bedrückt und ich wollte in diese Familienangelegenheiten fürs Erste nicht weiter nachhaken. Dennoch ahnte ich, dass Linda noch eine Rolle in dieser Geschichte spielen würde, auch wenn mir das um ihretwillen nicht gefiel.

Es dauerte nicht lange, da kam Alaric in den Klassenraum und stellte sich erst einmal bei allen Anwesenden vor. Er erzählte ein bisschen was darüber, wie er zu dem Thema Okkultismus kam und wies darauf hin, dass Sagen und Legenden die Menschheitsgeschichte schon immer stark geprägt hätten. Er hatte es wirklich drauf, die Kursteilnehmer in den Bann zu ziehen. Sogar die beiden Blutsauger hinter mir saßen da, wie zwei aufmerksame Erstklässler und staunten über den gewaltigen Sagenschatz meiner Heimat.

Besonders interessant wurde es, als Alaric auf die berühmte Himmelsscheibe von Nebra zu sprechen kam. Diese wurde am 4. Juli 1999 von Raubgräbern auf dem Mittelberg in der Nähe von Nebra, hier in Sachsen-Anhalt gefunden. Seit 2002 kann sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale bestaunt werden. Das gute Stück ist etwa viertausend Jahre alt und zeigt astronomische Ereignisse, wie die Mondphasen. Bei dieser Altersangabe und dem Stichwort Mondphase musste ich plötzlich daran denken, was Klaus über den Werwolfsfluch gesagt hatte. Demnach wurden die ersten Werwölfe vor mehr als dreitausend Jahren hier in der Nähe von einer machtvollen Hexe erschaffen.

Als Alaric dann von seinen eigenen Recherchen bezüglich der Himmelsscheibe berichtete, wäre ich fast vom Stuhl gefallen vor Schreck.

»Ob Sie es glauben oder nicht, aber es gibt Hinweise darauf, dass die Scheibe im Zusammenhang mit Werwölfen stehen könnte«, erzählte er und blickte dabei ernst in die Runde.

Der überwiegende Teil des Kurses kicherte. Die Salvatores schwiegen und in meinem Kopf läuteten hundert Glocken und zappelten tausend Blinklichter. Das war das Stichwort, auf welches ich gehofft hatte.

Werwölfe in Sachsen-Anhalt.

Alaric begann die Kursteilnehmer zu fragen, wie sie über Werwölfe dachten. Stefan und Damon schaute er dabei erst gar nicht an. Der Rest der Anwesenden warf altbekannte Klischees in die Runde: Haarige Menschen, die nachts den Mond anheulten, blutrünstige Bestien, die alles zerfleischten und krochen wie Tiere.

Das allgemeine Bild von Klaus' Verwandtschaft schien nicht sonderlich positiv zu sein, was mich leicht amüsierte.

Hinter mir hörte ich Stefan und Damon irgendetwas über eine gewisse Familie Lockwood flüstern, während Ric weiter von seinen Nachforschungen berichtete und dabei Bilder der Himmelsscheibe hochhielt.

»Es ist durchaus denkbar, dass es Hexen waren, die die Himmelsscheibe von Nebra einst für einen mächtigen Zauber nutzten. Einen Zauber, der Menschen in Tiere verwandelte.«

Ich wurde ganz nervös. Sollte das die Lösung sein? Ist es das, wonach Klaus angeblich suchte?

»Dieses Stück Bronze soll Werwölfe erschaffen haben?«, fragte einer der Teilnehmer ungläubig nach.

»Es könnte noch einen weiteren magischen Gegenstand gegeben haben, der an diesem Zauber beteiligt gewesen ist. Einen Gürtel oder etwas Ähnliches. Aber wie es eben immer so ist bei den Mythen und Sagen – geredet wird viel, gewusst wird wenig«, antwortete Alaric und klappte ein dickes staubiges Buch zu. »Einige glauben daran, andere nicht. Beweise oder Gegenbeweise kann ich Ihnen bislang leider nicht vorlegen. Also steht es jedem von Ihnen frei, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden.« Rics ernste Miene machte einem breiten Grinsen Platz.

Alle Kursteilnehmer schmunzelten und kicherten vor sich hin. Bis auf Damon und Stefan, die sich heimlich ein Augenzwinkern zuwarfen, wie ich in der Fensterscheibe beobachten konnte.

Alaric fing währenddessen an, seinen Kram zusammenzupacken. »Meine werten Damen und Herren, leider müssen wir jetzt den Klassenraum wechseln. Ich habe noch einen Film für Sie vorbereitet. Doch leider hat die Technik in diesem Raum anscheinend Beine bekommen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den leeren Fernsehschrank. »Wenn Sie mir dann unauffällig folgen würden.« Ric ging uns allen voran die Treppe zu den obersten Stockwerken hinauf. Dort lagen früher zu meinen Schulzeiten die alten Computer- und Technikräume. Es rocht dort noch heute genauso muffig wie damals.

Auf dem Weg zu dem anderen Klassenraum spekulierten wir, was wir wohl zu sehen bekommen würden.

»Vielleicht Thriller von Michael Jackson«, meinte Linda.

»Solange wir nicht dazu tanzen müssen«, witzelte ein weiterer Kursteilnehmer, der einen düsteren Grufti-Look trug.

Alaric hatte offenbar keinen Schlüssel für den anderen Raum und musste noch mal nach unten ins Sekretariat flitzen. Währenddessen warteten wir auf der Treppe auf seine Rückkehr und unterhielten uns über den bisherigen Kurs.

Doch bevor ich die Salvatores unverfänglich fragen konnte, ob sie denn davon wussten, dass es auch Werwölfe geben soll, zog Linda auf einmal einen silbernen Ring von ihrem Finger und meinte, dass Werwölfe kein Silber vertragen würden. Damon verdrehte bei dieser Behauptung auffällig die Augen. Linda legte mir ihren Ring schließlich auf die Hand, um zu sehen, ob etwas passierte. Es tat sich natürlich nicht das Geringste.

»Du bist kein Werwolf, Maria«, stellte sie fast schon enttäuscht fest.

Dann bemerkte sie die wuchtigen Ringe an den Händen der Salvatore-Brüder.

»Wow, das sind ja ein paar Prachtstücke«, sagte Linda staunend und ihre Hand zuckte leicht vor und zurück, bei der Versuchung diese Dinger einmal anzufassen. Warum wollen manche Frauen immer alles anfassen?

»Familienerbe«, entgegnete ihr Damon stolz und zog seinen Ring demonstrativ aus ihrer Reichweite.

Dann fing Linda an, eine Kette um ihren Hals hervorzuholen. »Ich habe auch ein Familienerbstück.«

Zum Vorschein kam eine lange Kette, an der ein großes Amulett hing.

»Das ist von meiner Urgroßmutter«, präsentiere sie es uns stolz.

»Der Hexen-Omi?«, fragte Damon schmunzelnd.

»Ja. Genau. Das Ding soll angeblich magische Kräfte haben.« Als Linda es mir rüber reichte, wollte ich es in die Hand nehmen, aber etwas Seltsames passierte: Als ich das Amulett berührte, fühlte ich einen brennenden Schmerz.

Eisenkraut.

Zum Glück bemerkte Linda nichts davon, weil sie in diesem Moment von jemandem angerempelt wurde. Da ich nicht laut darüber sprechen konnte, nahm ich mein Handy und tippte das gerade erlebte ein, um es den Brüdern unauffällig zu zeigen.

An dem Amulett ist Eisenkraut.

Stefan und Damon schauten nicht schlecht. Zumindest Lindas Vorfahren schienen über die Existenz von Vampiren Bescheid gewusst zu haben, was eine interessante Wendung sein könnte, auf meiner Suche nach Antworten zur Werwolfsproblematik.

Wie aus heiterem Himmel und völlig unpassend ging es mir gesundheitlich wieder schlechter. Ich bekam Kopfweh und konnte es auf die Schnelle leider nicht überspielen.

»Hey, was ist los? Gehts dir nicht gut, Maria?«, fragte Linda und stützte mich sofort ein wenig. »Vielleicht brütest du ein Infekt aus. Das wäre kein Wunder bei den Temperaturen. Dagegen habe ich einen tollen Kräutertee. Ein Rezept meiner Urgroßmutter. Die Zutaten klingen zwar sehr abenteuerlich, aber er hilft. Da sind haufenweise Kräuter drin, wie Löwenzahn, Brennnessel, Eisenkraut –«

Stefan unterbrach Linda bei der letzten Zutat. »Welche Wirkung soll denn Eisenkraut haben?«, fragte er auffällig unauffällig.

»Ich sagte ja, die Zutaten sind seltsam. Angeblich sollen sie böse Dämonen fernhalten«, antwortete Linda schmunzelnd und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Meine Hexen-Uroma war eben auf alles vorbereitet.«

Mehr und mehr drängte sich uns der Gedanke auf, dass diese Uroma vielleicht doch mehr wusste, als ihre Nachfahren ihr zutrauten. Dann tauchte Alaric wieder auf, klimperte mit dem Schlüsselbund, wie es nur Lehrer können und öffnete den Klassenraum.

Wir bekamen ein Infovideo über die Himmelsscheibe von Nebra zu sehen. Danach kam auch das Ringheiligtum von Pömmelte zur Sprache. Diese Kreisgrabenanlage wurde erst vor ein paar Jahren bei Barby im Salzlandkreis entdeckt.

Dennoch begann Linda auf einmal zu erzählen, dass ihre Uroma wohl bereits vor Jahrzehnten von diesem Ort zu berichten wusste. Ihre Oma ist demnach mit den Sagen darüber aufgewachsen und war nicht überrascht, als es 2005 tatsächlich gefunden wurde. Es soll damals als Stätte für rituelle Magie und Hexerei gedient haben.

»Meine Uroma hatte auch ganz viele uralte Bücher mit angeblichen Hexensprüchen und all son Zeug. Einige davon hat meine Oma heute noch. Aber ich kann die Schrift darin leider nicht lesen. Mir haben als Kind die Zeichnungen immer sehr gut gefallen. Da waren viele Blumen und Tiere abgebildet.« Linda war der Stolz anzusehen, den sie beim Erzählen dieser Geschichten empfand.

Ich wurde immer neugieriger. »Ich liebe altes Zeug und besonders antike Bücher. Ich würde gern mal einen Blick rein werfen«, sagte ich, um mich vorsichtig heranzutasten.

Denn ich vermutete, dass in den Büchern auch etwas über Werwölfe stehen könnte.

»Die liegen bei meiner Oma in einer Ecke auf dem Dachboden. Ich habe sie lange nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber ich denke nicht, dass sie Oma weggeworfen hat. Ich werde sie mal fragen. Sie hat sicher nichts dagegen, wenn wir uns die Bücher einmal zusammen angucken.«

Lindas Antwort ließ mein Herz höherschlagen. Dass ich alte Bücher liebe, war nicht einmal gelogen. Also konnte ich eines mit dem anderen verbinden. Irgendeine Spur zu den Harzer Werwölfen musste es in dieser Familie geben. Wie sonst konnte ihre Urgroßmutter von dem Ringheiligtum gewusst haben, welches erst etwa vierzig Jahre nach ihrem Tod wiederentdeckt wurde?

Was ich dann tat, war das wohl Geheimagentenmäßigste, was ich je getan hatte. Ich schrieb heimlich unterm Tisch eine Textnachricht an Klaus Mikaelson!

Hast du Zeit? Habe Infos zu Werwölfen und Hexen. 19 Uhr Parkplatz Berggasse/Schmalstraße.

Als das Video über Kreisgrabenanlagen in der Region vorbei war, teilte Alaric noch einige Arbeitsblätter zu den heute behandelten Themen aus.

»In der kommenden Woche gehen wir bei einigen Dingen noch weiter ins Detail und lernen noch ein paar weitere, weniger bekannte Sagen und Legenden der Region kennen. Bis dahin, eine schöne Woche und lassen Sie sich nicht von Werwölfen wegschnappen«, sagte Ric zum Abschluss des heutigen Kurses.

Allgemeines Gelächter brach aus und der Kurs löste sich langsam auf.

Für mich hatte sich die Teilnahme daran vermutlich gelohnt. Ich konnte nur hoffen, dass es das war, was Klaus haben wollte und, dass er bald aus der Stadt verschwand, nachdem er seine Wölfe gefunden hat.

Auf dem Schulhof verabschiedete ich mich von Linda und wir tauschten die Handynummern aus. Stefan und Damon blieben noch bei Alaric, um sich mit ihm zu unterhalten. Vermutlich über mich und über Klaus. Wie passend, dass ich genau ihn gleich treffen werde. Ein wenig mulmig war mir bei dem Gedanken ja schon zumute, eine Verabredung mit dem Feind zu haben.

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