»BESSER JETZT ZWEI TOTE, ALS SPÄTER EINE VERWÜSTETE STADT«

~ 02. März 2018 ~

LIEBES TAGEBUCH,

jetzt ist es bereits März. Die Welt dreht sich einfach so weiter, ganz normal. Es wird Tag, es wird Nacht. Ein Monat gibt dem Nachfolgenden die Klinke in die Hand. Jahreszeiten kommen und gehen. Die Natur erfindet sich neu, die Zugvögel kehren aus ihren Winterquartieren zurück. Leben wird geboren, Leben stirbt. Der ewige Kreislauf. Ich bin nicht mehr Teil dessen. Denn ich bin eine Kreatur, deren Existenz gegen die Natur spricht. Entweder habe ich Glück und darf mich bis in alle Ewigkeit als Rebellin diesen Gesetzen widersetzten, die so alt sind wie das Universum selbst, oder Terra Mater holt mich an Ostern auf den Boden der Tatsachen zurück und zeigt mir die lange Nase. Wird mir die zweifelhafte Ehre des ewigen Lebens zuteil? Wenn ja, dann ist der Preis dafür hoch, das weiß ich. Was auch passieren wird, nichts wird danach wie vorher sein – für keinen von uns.

Der Frühling sollte so langsam in den Startlöchern stehen, aber es ist weiterhin sehr kalt. Den ersten Krokussen und Osterglocken macht das nichts aus. Sie sind auch Rebellen und leuchten den Frost einfach weg. Außerdem ist heute wieder Vollmond, auch er leuchtet. Ich weiß jetzt, warum mich dieses Leuchten seit jeher fasziniert hat. Eine tödliche Faszination.

Nach einem Monat ohne, wartet der diesjährige März, genau wie der vergangene Januar, gleich mit zwei Vollmonden auf. Der nächste sogenannte Blue Moon steht somit am 31. März auf dem Plan.

An diesem Tag will Freya den Anti-Werwolf-Fluch brechen. Vorausgesetzt, wir haben bis dahin den sagenhaften Werwolfsgürtel gefunden. Und die hiesigen Werwölfe natürlich. Beides könnte sich unseren Vermutungen zufolge in den Händen der Hexe Edith befinden und genau diese will sich für eine Weile bei ihrer Schwester Martha hier in Eichenstedt einquartieren. Der Feind betritt Feindesland. Wenn das mal gut geht!

Ich entschied mich, an diesem Abend einen kleinen Spaziergang zu machen, und ich fand mich kurze Zeit später erneut im Rosenpark wieder. Beim letzten Blue Moon Ende Januar bin ich auch dort gewesen. An jenem Abend hat mir Klaus zum ersten Mal von den Werwölfen erzählt.

Ich dachte darüber nach, wie sich alles hätte entwickeln können, wenn ich damals einfach vor ihm davon gelaufen wäre. Wir hätten niemals irgendeinen Deal geschlossen, vielleicht wäre ich auch nie zu Alarics Okkultismuskurs gegangen und hätte auch Linda nie kennengelernt.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Nun hatte es auch keinen Sinn mehr, darüber nachzudenken.

Stefan hatte mir einmal erzählt, dass die ganze Sache mit Katherine und ihrer Doppelgängerin Elena auch mit einer seltenen Himmelserscheinung zusammenhing. Damals war über Mystic Falls ein Komet zu sehen gewesen. Einmal 1864, dem Jahr in dem Damon und Stefan zu Vampiren wurden und ein zweites Mal 2009, als sie schließlich Elena Gilbert kennenlernten. Vielleicht sind die beiden blauen Monde in diesem Jahr meine persönlichen Kometen.

Solche einschneidenden Veränderungen passieren vermutlich und glücklicherweise nur Once in a Blue Moon – aller Jubeljahre.

Die Nacht war knitterkalt und klar. Ich zog die Luft tief durch die Nase ein. Es fühlte sich an, wie der letzte Strohhalm, nach dem ein Ertrinkender griff.

»Warum bist du nachts so alleine im Park, Kindchen?«, ertönte völlig unvorhergesehen ein paar Meter von mir entfernt eine unbekannte Stimme und riss mich aus meiner Lethargie.

Als ich mich umdrehte, stand da eine ältere Dame und schaute mich mit einem sehr beängstigenden Blick an. Ich hatte sofort eine Ahnung, um wen es sich bei der Frau handelte.

»Willkommen in Eichenstedt, Edith.«

Es gab keinen Grund, mich dumm zu stellen. Sie wusste ohnehin schon genug über mich. Ihr fieses Lächeln schien mir recht zu geben.

»Du hast mich also schon erwartet. Schön. Willst du deinen Freunden, den Mikaelsons nicht Bescheid sagen, dass ich hier bin?«

»Ich vermute, Sie lassen den Urvampiren diese Information schnellstmöglich per Brieftaube zukommen«, spottete ich zurück.

Edith lächelte in sich hinein. Eigentlich sah sie aus wie eine gewöhnliche ältere Dame. Nichts an ihr schrie nach böser Brocken-Hexe. Aber wir Vampire sehen ja auch ganz normal aus. Von Äußerlichkeiten durfte man sich in meiner neuen Welt noch weniger täuschen lassen, als es normalerweise der Fall war.

Ihre weinrote gesteppte Winterjacke raschelte, als sie näherkam.

»Ich kann dir einen Rat geben, mein Kind. Halte dich aus dieser Sache raus. Was die Mikaelsons vorhaben, ist ein großer Fehler. Sie können sich vermutlich gar nicht vorstellen, welches Übel sie dadurch losbrechen«, erzählte Edith und wirkte dabei geheimnisvoll und allwissend.

»Sie können sich vermutlich auch nicht vorstellen, welches Übel Sie und Walther bereist losgetreten haben. Es sind Menschen gestorben oder wurden verletzt. Unschuldige Menschen. Eiskalt angegriffen wurden sie. Von Ihren sogenannten Freunden. Auf offener Straße und im Seniorenheim. Wer macht hier wohl den größeren Fehler?«, warf ich ihr an den Kopf und spürte zusammen mit meiner Wut die Adern unter meinen Augen wachsen.

Edith Ziegler trat langsam näher an mich heran, was mich unheimlich nervös machte. Ich versuchte, standhaft zu bleiben und ihr das Gefühl zu geben, dass ich mich nicht einschüchtern ließ.

»Möglicherweise ist der Fehler, den ihr dabei seid zu begehen, ein derart großer, dass ich mich dazu veranlasst sehe, zu solch drastischen Mitteln zu greifen«, behauptete Edith und schaute unschuldig auf ihre Fingernägel.

»Und damit, denken Sie, können Sie ein reines Gewissen haben?«

»Kollateralschäden. Frag mal deinen Klaus, wie er über dieses Thema denkt«, sagte Edith, lachte dabei dunkel und zuckte anteilnahmslos mit den Schultern. »Besser jetzt zwei oder drei Tote, als später eine verwüstete und menschenleere Stadt.«

»Wenn Sie davon überzeugt sind, dann habe ich Ihnen für heute nichts mehr zu sagen. Schönen Abend noch.«

Ich wollte gerade gehen, als ich mich plötzlich nicht mehr bewegen konnte.

Edith hatte ihre Hand gehoben und schaute mich wütend an. Dann ballte sie ihre erhobene Hand zu einer Faust, woraufhin ich so starke Kopfschmerzen bekam, dass ich Angst hatte, mir würde der Schädel explodieren.

»Hören Sie auf damit!«, schrie ich schrill.

Aber Edith verstärkte ihren miesen Zauber nur noch weiter. Als es mir gerade schwarz vor Augen zu werden drohte, wurde es schlagartig still und ich wurde von irgendetwas oder irgendjemanden weggeschleppt wie eine Puppe.

Das hatten wir doch schon mal!

Als ich wieder einigermaßen zur Besinnung kam, fand ich mich außerhalb des Parks, am Ufer des Eichenstedter Flüsschens wieder. Neben mir stand Stefan und blickte besorgt zu mir herunter.

»War sie das? Die Hexe, mit der ihr euch unbedingt anlegen wollt?«, fragte er.

Ein Hauch von Vorwurf war in seiner Stimme zu hören. Dennoch war ich froh, dass er da war.

»Ja, das war Edith Ziegler. Die einzig Wahre. Sie hat mir gedroht. Sie weiß also genau wer ich bin und, dass ich mit den Urvampiren gemeinsame Sache mache«, antwortete ich, während ich mir die nach wie vor brennenden Schläfen hielt.

»Wir haben dir immer gesagt, dass das eine schlechte Idee ist.«

»Ich weiß und wer nicht hören will, muss eben fühlen«, sagte ich schmunzelnd. »Also hatte Klaus recht und sie hat mich auf den Kieker. Ich bin einer der Schwachpunkte der Mikaelsons.«

»Erzähl keinen Unsinn, Maria. Du bist nur ihr Handlanger. Sie würden niemals ihre Pläne gefährden, um eines anderen Willen, als ihrer selbst«, sagte Stefan streng. »Du bist ihnen nicht viel mehr Wert, als dass du ihnen nicht im Weg stehst, vor allem Klaus nicht. Das haben wir alles damals in Mystic Falls bereits durchmachen müssen. Er schleimt sich überall ein, um zu bekommen, was er will. Ihm liegt nichts an Kleinstadtbürgern. Eichenstadt und du seid ihm egal.«

Autsch. Er konnte manchmal echt hart sein. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er Klaus noch etwas anderes übel nahm, etwas sehr Persönliches. Aber das zu hinterfragen hatte ich heute keine Lust mehr. Vielmehr wollte ich meine Ehre retten und sagte Stefan meine Meinung.

»Stefan, ich weiß, ihr habt alle mehr als genug Gründe, die Mikaelsons zu hassen und ihnen zu misstrauen. Aber ich habe all diese Gründe nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass mir das Wohl meiner Heimat und den Menschen hier an erster Stelle steht. Du weißt besser als ich, dass ich Klaus niemals hätte von seinen Plänen abhalten können. Denn dann hätte ich ihm im Weg gestanden und würde jetzt nicht vor dir stehen. Also schlossen wir diesen Deal. Auf diese Weise habe ich direkte Einsicht in ihre Pläne und Kontrolle darüber, was in Eichenstedt passiert. Die Alternative wäre gewesen, den Kopf in den Sand zu stecken und das ohnehin Unvermeidbare einfach so geschehen zu lassen. Und ich bin auch eine der harzer Werwölfe, deretwegen er überhaupt erst hergekommen ist. Ein großer Teil meiner Familie gehört dazu. Ich stecke so oder so mit drin in dieser Sache. Ob ich will oder nicht.«

Stefan hörte sich meine Worte geduldig an und zu meiner Überraschung nickte er verständnisvoll. »Du hättest mit uns darüber reden können.«

»Ich weiß. Aber ihr seid hier hergekommen, um für eine Zeit lang ein ruhiges und normales Leben führen zu können. Ohne Vampirdramen – vor allem ohne Klaus. Und es ist meine Stadt. Ich wollte das selbst in die Hand nehmen und euch da raushalten. Diese Entscheidung ist mir unendlich schwergefallen. Ich hatte niemals vor, euch zu hintergehen. Das müsst ihr mir glauben.«

Stefan reichte mir die Hand und half mir, aufzustehen.

»Schon gut. Wir verstehen dich. Wir sind dir nicht böse, Maria. Nur ein wenig enttäuscht. Na, sagen wir, sehr enttäuscht«, sagte er und blickte mir streng in die Augen.

»Also sind wir immer noch Freunde?«, fragte ich vorsichtig.

»Natürlich sind wir das. Und wir werden dir helfen, bei allem, was du durchstehen musst. Das haben wir dir doch versprochen«, sagte Stefan und lächelte mich endlich wieder an, wenn auch etwas besorgt.

»Danke. Vielen Dank. Das bedeutet mir wirklich sehr viel. Danke für alles. Ihr werdet immer einen besonderen Platz in meinem Leben haben.« Stefan und ich lagen uns noch eine Weile in den Armen, bevor mir die friedliche Stille um uns herum etwas seltsam vorkam.

Herrschte hier nicht eben noch Hexenterror?

»Was hast du eigentlich mit Edith angestellt? Wo ist diese alte Hexe so plötzlich hin?«, wollte ich wissen.

»Sie ist sofort abgehauen, als sie mich gesehen hat. Geh am besten schnell nach Hause, bevor sie wieder auftaucht, und mach niemandem Unbekanntes die Tür auf«, riet mir Stefan mit erhobenem Zeigefinger.

Dieses Väterliche mag ich besonders an den Salvatores. Sie sind die geborenen Beschützer.

»Natürlich nicht. Aber ich schätze, bald kann ich es nicht länger vor mir herschieben und muss auch meiner Schwester Luisa alles über mein neues Leben erzählen. Auch sie ist eine Wölfin. Ich kann froh sein, dass ich sie bislang aus allem raushalten konnte. Selbst die Mikaelsons wissen nichts von ihrer Existenz. Das hoffe ich jedenfalls. Wenn es um meine Familie geht, traue ich niemandem leichtfertig. Aber auch das wird irgendwann unumgänglich sein, fürchte ich«, erklärte ich und schaute bedrückt auf den Boden.

Stefan lächelte. »Gut zu wissen, dass du diesen Urvampiren doch nicht so blind vertraust, wie wir befürchtet hatten.«

»Natürlich nicht! Wir haben einen Deal. Aber das bedeutet nicht, dass sie alles wissen müssen«, antwortete ich mit einem Augenzwinkern.

»Ich dachte, ihr seid Freunde?«, fragte Stefan etwas belustigt.

»Ja. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Es ist ...«

»Sag nicht kompliziert«, unterbrach mich Stefan und verzog das Gesicht.

»Doch – tatsächlich. Das trifft es vielleicht am ehesten. Immerhin dachte ich lange Zeit, die Mikaelson wären meine Feinde. Ich konnte Klaus nicht ausstehen. Ich wollte nichts auf der Welt mehr, als ihn so schnell wie möglich aus der Stadt zu vertreiben. Allerdings steht am Ende unseres Deals genau das. Sobald Klaus seine Werwölfe hat, geht er wieder. Also muss ich die Urvampire gar nicht hassen, um sie loszuwerden. Ist doch auch nett, oder nicht?«, fragte ich grinsend.

Stefan nickte. »Weiß Klaus, dass Edith hier ist?«

Ich versuchte, meinen Erschaffer telefonisch zu erreichen, aber er ging nicht ans Handy. So viel zum Thema telefonischer Kontakt. Aber ich erreichte wenigstens Freya und konnte ihr von meiner jüngsten Begegnung der dritten Art erzählen. Diese war wenig überrascht darüber.

»Ich hatte schon so ein seltsames Gefühl. Ich spürte, dass irgendwo in der Nähe Magie ausgeübt wurde. Bist du in Ordnung?«, fragte Freya.

»Ja, Edith hat durch den bloßen Anblick von Stefans Heldenfrisur panisch die Flucht ergriffen. Aber wie es scheint, hatte ich recht mit meiner Befürchtung. Edith weiß genau, wer ich bin. Ihre Täubchen haben gute Arbeit geleistet. Es besteht also kein Grund für ein Kontaktverbot.«

»Aber es ist erst mal besser so«, sagte Freya zu meiner Enttäuschung. »Bleib in nächster Zeit bei deiner Familie. Wir wissen nicht, wozu Edith alles im Stande ist zu tun. Es ist besser, wenn du deine Familie nicht ungeschützt lässt. Ich werde für euch ein paar Schutzobjekte herstellen, welche Ediths Magie unwirksam macht«, schlug sie vor.

»Vielen Dank, Freya. Seit wachsam.«

»Du auch.«

Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, musste Stefan sich etwas eingestehen.

»Wie ich sehe, arbeitet ihr wirklich Hand in Hand zusammen. Du hast mich überzeugt. Ich denke, es hat durchaus seine Vorteile, die Mikaelsons im Team zu haben. Eines muss man ihnen neidlos anerkennen: Sie haben Power und wissen, wie man mit Gegnern umgeht.«

Ich nickte stumm.

»Hey, Maria. Das mit dem Kontaktverbot setzt dir ziemlich zu, hm?«, fragte mich Stefan und sah mich auf einmal wieder ziemlich skeptisch an.

»Ach, was! So habe ich wenigstens mehr Zeit, mich um meine Familie zu kümmern. Alles gut! Nur die kleine Hope vermisse ich ein bisschen. Sie wollte mit mir Dinos malen und so«, antwortete ich schnell und glaubte mir selbst nicht.

Ich sollte wirklich aufhören, dieses Freundschaftsding zu ernst zu nehmen, wenn das Ziel der ganzen Unternehmung doch ist, dass ich diese Familie schon sehr bald Auf Wiedersehen sagen muss. Aber ich war schon zu Lebzeiten auf Harmonie aus, auch wenn ich die meisten Menschen in meinem Umfeld nicht ausstehen konnte.

Stefan nickte mir noch einmal aufmunternd zu und verschwand in der Nacht. Edith kreuzte glücklicherweise nicht wieder auf.

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