»ANDEREN MENSCHEN ZU VERTRAUEN IST KEINE SCHWÄCHE«
ICH ENTSCHLOSS MICH, ein wenig an die frische Luft zu gehen, und stellte mich an den See vor dem Hotel und starrte in die Nacht.
Ich hatte einiges zu verarbeiten.
Zum einen, dass ich von Geburt an ein Werwolf war und zum anderen, dass ein Teil meiner Familie Werwölfe sind, allen voran meine Zwillingsschwester Luisa. Damit ist sie unfreiwillig ebenfalls eine Spielfigur in dieser Geschichte geworden. Genau das, was ich eigentlich immer vermeiden wollte, ist somit eingetreten, ohne, dass ich es hätte verhindern können.
Ich fühlte mich ohnmächtig gegenüber dieser Tatsache.
Aber es war auch die Gewissheit, dass ich dem Tod offenbar nur zeitweise von der Schippe gesprungen war, die an mir nagte. Sobald Freya es schaffte, die Harzer Werwölfe von dem Fluch zu befreien, der ihre Werwolfseite unterdrückt, würde ich vermutlich sterben. Meine Hoffnungen basierten einzig darauf, dass es uns gelingen würde, diesen Umstand irgendwie aufzuhalten. Aber war das überhaupt möglich? Ich wollte es glauben, aber so wirklich gelang es mir nicht.
Und dann war da noch Klaus.
Nun stand es endgültig fest, dass all seine Versprechungen und Freundschaftsangebote nur Mittel zum Zweck waren. Genau wie ich selbst. Nun, da er davon überzeugt war, dass ich seine Pläne um jeden Preis verhindern will, um selbst nicht zu sterben, ließ er mich im Regen stehen, wie eine nasse und schimmlige Kartoffel. Das geschieht mir wohl recht.
Nach einer Weile gesellte sich Freya zu mir an den See.
»Ich hätte es wissen müssen, nicht wahr?«, fing ich an, mit ihr über meine Gedanken zu reden. »Sobald er seine Wölfe hat, verlässt er Eichenstedt und alles andere war und ist ihm egal. Ich bin nur eine lästige Randfigur und es ist ihm ganz recht, dass ich ins Gras beiße, sobald er hat, was er will. Dann muss er mich nicht eigenhändig aus dem Weg räumen und sich damit den Unmut der Salvatores aufhalsen. Besser hätte es für ihn gar nicht kommen können. Wie konnte ich nur denken, dass hinter unseren Verhandlungen ehrenwerte Gedanken steckten? Er hat mich und mein Geschwätz doch von Anfang an gehasst und ist diesen heuchlerischen Deal nur eingegangen, um seine Ruhe zu haben.«
Freya schmunzelte, was mich eher verwirrte als bestätigte. »Er hasst dich nicht, Maria«, sagte sie. »Er hat Angst vor dir.«
»Ach, komm, Freya. Der uralte, unzerstörbare, unfehlbare und unantastbare Mr. Miesfies Klaus Mikaelson, der seit über tausend Jahren nichts als Schrecken in der Welt verbreitet, fürchtet sich vor einer kleinen, kränkelnden Baby-Vampirin? Erzähl mir was Glaubhafteres«, widersprach ich sarkastisch lachend.
Freya schaute eine Weile still auf den See, ehe sie mit einigen Infos über Klaus um die Ecke kam, die ich noch nicht gehört hatte.
»Du hast ihm von Anfang an die Stirn geboten, ohne ihm das Gefühl zu geben, dass du ihn hasst, bevor du ihn richtig kennengelernt hast«, sagte sie und lächelte mir zu.
Ich hatte eigentlich einen anderen Eindruck von unserer Anfangszeit gehabt. Hatte ich ihm nicht deutlich genug die kalte Schulter gezeigt?
Nein, hatte ich nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich habe ihm meinen Standpunkt deutlich gemacht, ihm gedroht – aber gehasst? Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das vielleicht tatsächlich nie. Alles fing mit dieser dämlichen Unterhaltung bei Vollmond im Rosengarten an. Ich hätte ihn damals links liegen lassen sollen! Stattdessen hatten wir dieses schwülstige Gespräch. Ich Vollhorst. Aber dennoch wusste ich nicht, weshalb Klaus mich deswegen nicht trotzdem hassen sollte. Jemand wie er wird sich doch von den Alltagsweisheiten einer Neunzehnjährigen nicht beeindrucken lassen. Skeptisch hörte ich Freya weiter zu.
»So etwas hat Klaus in seinem Dasein nur selten erlebt und wenn doch, dann war es meist er selbst, der es wieder zerstört hat. Du wirst es nicht glauben, aber mein zuweilen tyrannischer Bruder hatte bereits Freunde und Menschen, an denen ihm etwas lag. Vor allem seine Freundin Camille. Sie hatte stets die guten Seiten an ihm gesehen und fühlte sich dennoch auch von seiner dunklen Seite angezogen«, erzählte Freya und klang dabei traurig.
»Ist diese Camille noch in New Orleans? Ist sie dort in Gefahr? Braucht er deshalb eine starke Armee an seiner Seite?« Ich dachte zunächst, dass diese Vermutungen meinerseits vielleicht wieder etwas zu blauäugig waren, als Freya mit dem Kopf schüttelte. Denn die Wahrheit war noch viel tragischer.
»Cami ist gestorben. Es war ein einschneidendes Erlebnis für Klaus, über das er nur sehr schlecht hinweggekommen ist«, antwortete Freya.
Ich musste schlucken. »Wie furchtbar. Das tut mir leid. Was hat sie denn gehabt?«
Freya lachte daraufhin. »Das meine ich. Du gehst immer zuerst vom Guten aus. Andere Leute hätten vielleicht gefragt, was Klaus der armen Frau Fürchterliches angetan hat, dass sie starb, oder hätten vermutet, dass er sie zumindest unwillentlich umgebracht hat. Aber du fängst sofort an, ihn zu bemitleiden. Ihn, den, wie du sagtest uralten, unzerstörbaren, unfehlbaren und unantastbaren Mr. Miesfies.«
So hatte ich mich selbst noch gar nicht wahrgenommen und konnte dem erst mal nichts entgegnen. Eigentlich empfand ich mich immer als einen eher pessimistisch eingestellten Menschen. Aber ich habe mich offenbar mehr verändert, als ich dachte.
»In Wahrheit hat dieser Vorfall Klaus daran erinnert, dass es Dinge gibt, worüber auch er nicht erhaben ist«, fuhr Freya schließlich fort. »Er konnte nichts tun, um Camille zu retten. Und nein, er hat ihr niemals etwas angetan. Er hat sie wirklich geliebt. Und er wird auch dir nichts antun und freut sich ganz sicher nicht über deinen eventuell bevorstehenden Tod. Er gibt es nur nicht zu. Aber wo mein Bruder in seiner paranoiden Art überall nur Gefahren für seine Familie und Verschwörungen gegen sich selbst sieht, bist du in der Lage sogar in einem Monster wie ihn etwas Menschliches zu sehen. Und jetzt sieht es für ihn so aus, als ob er auch dich verlieren wird, so wie er Cami verloren hat. Das macht ihm Angst und deshalb geht er lieber auf Distanz zu dir.«
»Um nicht ein weiteres Mal enttäuscht oder verletzt zu werden?«, fragte ich.
Freya nickte.
Ich beschloss daraufhin, zurück in die Villa zu gehen, um das Gespräch mit meinem monströsen und offenbar doch sehr sensiblen Erschaffer zu suchen. Ich fand ihn in seinem Atelier vor einer Leinwand stehend und scheinbar planlos Farbe darauf herumpinselnd. Er wendete den Blick nicht von seinem Kunstwerk ab, als er mich bemerkte.
»Da ist ja der große böse Wolf«, begann ich dennoch das Gespräch mit ihm und war mir sicher, dass er zuhören würde.
»Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass das widerborstige Rotkäppchen sich letzten Endes selbst als Wolf entpuppt hat? Nun weißt du, warum ich wie ein Raubtier für meine Überzeugungen gekämpft und dir die Stirn geboten habe. So von Wolf zu Wolf. Du bist hierhergekommen, um die Harzer Werwölfe zu finden, und stolperst dann, ohne es zu wissen, über mich, die dir dann auch noch helfen will, die anderen Wölfe zu finden. Mein Rudel sozusagen. Klingt noch etwas komisch für mich.«
Ich versuchte mehr schlecht als recht die Stimmung aufzulockern. Aber Klaus pinselte seelenruhig weiter an seinem Bild herum.
»Ich dachte immer, das alles wäre nur ein blöder Unfall. Aber was wäre, wenn es wirklich einen Sinn hatte, dass ausgerechnet ich in einen Vampir verwandelt wurde, ausgerechnet von dir, dem Urhybriden? Dem Einzigen, der überhaupt Werwölfe in Vampire verwandeln kann. Für mich sind das zu viele Zufälle für eine Person. Ich muss also noch irgendeine Rolle in dieser Geschichte spielen. Anders kann ich mir das gar nicht erklären.«
Ich konnte weiterhin nicht erkennen, ob Klaus mir zuhörte und was er von meinem Geschwafel hielt. Aber ich plapperte mich dennoch weiter um Kopf und Kragen.
»Irgendwo da draußen sind Leute wie ich. Ich schätze mal, es ist so etwas wie meine Bestimmung, diese zu finden und zu vereinen. Weißt du, Klaus, vielleicht ist es ja genau umgekehrt mit uns beiden. Nicht ich helfe dir, die Wölfe zu finden, sondern du hilfst mir mein Rudel wieder zu vereinen und zu alter Stärke zurückzubringen. An unserem Deal würde das nichts ändern. Auch ich stelle es den Wölfen frei, entweder hierzubleiben und mir bei der Vampirabwehr zu helfen oder mit dir nach New Orleans zu gehen, um deinen Feinden eins auf die Mütze zu geben. Du hast sicher gute Gründe dafür.« Damit spielte ich auf den Tod seiner Freundin Cami an, ohne zu wissen, ob diese Feinde überhaupt etwas mit ihrem Tod zu tun hatten.
Dann kam ich auf eine weitere waghalsige Idee.
»Malen bedeutet für dich Kontrolle, habe ich gehört«, sagte ich und nahm einen seiner Pinsel, woraufhin Klaus zum ersten Mal eine kleine Regung zeigte und in meine Richtung linste.
Jetzt bekommt er sicher die große Panik.
»Aber weißt du«, fuhr ich fort, während ich den Pinsel in leuchtend gelbe Farbe tunkte. »Manchmal ist es auch gut, etwas von seiner eigenen Kontrolle abzugeben, um seine Sichtweisen zu erweitern und ein stimmiges Gesamtergebnis zu erhalten.«
Ich fing an, eine Art Sonne auf den düsteren Himmel zu malen, den Klaus in den letzten Tagen geschaffen hatte und das Bild wirkte sogleich viel freundlicher und schöner.
»Anderen Menschen zu vertrauen ist keine Schwäche, Klaus. Daraus kann eine ganz neue Stärke entstehen.«
Ich hoffte, damit irgendwie deutlich gemacht zu haben, dass ich weder vor hatte aus unserem Geschäft auszutreten, noch, dass ich irgendetwas unternehmen wollte, um die Pläne der Mikaelsons zu durchkreuzen. Aus meiner Sicht gab es für ihn nun keinen Grund mehr, mich wie eine Feindin zu behandeln. Wie er die Sache sah, sollte ich an diesem Tag allerdings nicht mehr erfahren. Er stand weiterhin regungslos vor der Leinwand, die jetzt passenderweise ein Gemeinschaftswerk von uns beiden präsentierte.
Als ich die Treppen runterging, den Kopf schwer mit Abertausend Gedanken und Gefühlen, kam mir der dauermanipulierte Butler Alfred entgegen.
»Alfred, mein Guter«, sagte ich, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mir einen Schluck genehmige?«
»Natürlich nicht, Madame«, antwortete er höflich und neigte sogleich seinen Kopf zu Seite, sodass seine pulsierende Halsschlagader frei lag.
Auch wenn ich nicht glücklich über mein Verhalten war, frisches Blut war in dem Moment alles, was ich wollte. Der Vampir in mir war stärker und ich musste diesem Verlangen nachgeben. Tatsächlich fühlte ich mich danach viel wohler, bedankte mich höflich bei dem armen Alfred und setzte meinen Weg nach unten fort.
Im Augenwinkel sah ich Klaus am Geländer stehen. Sein Gesichtsausdruck war unverändert grimmig. Dann griff er zu seinem Handy und verschwand. Vermutlich musste er erst noch begreifen, dass ich trotz allem, was ich heute erfahren hatte, immer noch in seinem Team spiele.
Aber was hatte ich auch zu verlieren? Gegen ihn kam ich ohnehin nicht an. Also bleibe ich lieber seine Verbündete, um das letzte bisschen Kontrolle über diese Situation nicht auch noch zu verlieren. Alles andere wird das Schicksal entscheiden.
Oder die gestohlene Seite aus Oma Eberhardts Hexenbuch, die ich bislang noch niemanden gezeigt hatte. Vielleicht hatte auch das einen Sinn, dass ich sie überhaupt entdeckt hatte.
Immer schön positiv denken, Maria!
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