»ALSO HABEN WIR WEITERE VAMPIRE IN DER STADT«

~ 04. Februar 2018 ~

LIEBES TAGEBUCH,

der gestrige Samstag sollte ganz mir und meiner Familie gehören. Keine Vampire, Werwölfe, Hybriden, Hexen oder was auch immer sollten einen Platz darin haben. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist das nur so halbwegs gelungen. Aber von Anfang an:

Der Plan für den heutigen Tag sah folgendermaßen aus: Zusammen mit meinen Eltern und meiner Zwillingsschwester Luisa wollte ich meine Großeltern Charlotte und Johannes Graf besuchen. Doch schon auf dem Weg dorthin passierte etwas, das meinen bis dahin erfrischend normalen Tag zu ruinieren drohte. Denn als wir um die Ecke zu der Straße einbogen, in der die Eltern unserer Mama wohnen, begrüßte uns ein riesiges Aufgebot an Polizeiwagen und Spurensicherung. Auch ein Krankenwagen samt Notarzt war vor Ort. Alle anwesenden Beamte, Ärzte und Sanitäter tummelten sich um den Platz, wo die Mülleimer und Glascontainer stehen. Einer der Polizisten leitete uns mit etwas Abstand an den vermeintlichen Tatort vorbei, aber ich spitze natürlich meine Vampiröhrchen, um zu lauschen, was dort wohl geschehen sein könnte.

Den wenigen Details, die ich aufschnappen konnte, entnahm ich, dass hinter den großen Containern eine männliche Leiche gefunden wurde! Einer der Ärzte sprach von einer sonderbaren Bissspur am Hals des Opfers. Zudem sei der Körper des Mannes völlig blutleer. Bei diesen Stichworten klingelten bei mir natürlich sämtliche Alarmglocken. Wenn da kein Vampir am Werk war, dann wollte ich künftig Emil heißen.

Die Spurensicherung vermutete, dass der Mann weiter entfernt vom Fundort angegriffen worden sein musste, da an Ort und Stelle weder Kampf- noch Blutspuren zu finden waren. Dass der arme Mensch manipuliert und schließlich ausgesaugt worden sein könnte, konnte sich zum Glück niemand von ihnen vorstellen. So kam der Verdacht eines Vampirangriffs erst gar nicht auf. Aber woher auch? Bislang wusste ja kein Mensch in Eichenstedt, dass es hier Vampire gab, geschweige denn, dass diese Kreaturen überhaupt existierten.

Ich hatte leider keine Zeit noch mehr in Erfahrung zu bringen. Schon standen wir bei Oma und Opa vor der Tür und wieder einmal hoffte ich, dass die drei Zauberworte „Komm doch herein" genannt wurden. Denn ohne ausdrückliche Einladung kein Einlass für Vampire. Zum Glück lud mich damals zu Hause meine Mama sofort hocherfreut ein, hereinzukommen. Meine Oma machte das nicht. Nun musste ich tricksen und tat so, als ob ich noch mal zu dem ungewöhnlichen Aufgebot vor ihrer Tür schauen würde.

»Ich weiß auch nicht, was da los ist, Maria. Na los, komm rein«, sagte Oma Lotte dann zum Glück doch noch und ich konnte eintreten und mal wieder so tun, als ob seit unserem letzten Besuch nichts Außergewöhnliches passiert sei.

Nach der allgemeinen Begrüßungsrunde bei Oma Lotte und Opa Johannes verzog ich mich kurz ins Gästezimmer, um zu telefonieren. Offiziell mit Franz Meißner, meinem Radiokollegen. In Wahrheit rief ich jedoch Damon Salvatore an, um ihm von meiner Beobachtung zu berichten.

»Also haben wir tatsächlich weitere Vampire in der Stadt«, stellte Damon enttäuscht fest. »Und der scheint sich nicht gerade unauffällig zu verhalten. Ich hatte es befürchtet.«

»Du denkst also nicht, dass es Klaus gewesen ist? So als Warnung oder, um uns zu ärgern?« Ich glaubte selbst nicht wirklich daran, aber musste die Frage stellen, um zu erfahren, wie Damon und Stefan die Sache sahen.

»Das wäre durchaus denkbar. Dennoch sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass alles Böse, was demnächst hier passiert, auf Klaus zurückzuführen ist. Wir sollten wachsam bleiben und uns auf weitere Blutsauger und deren Übergriffe vorbereiten.« Damon versprach mir außerdem, dass er sofort zu der Stelle gehen wolle, um sich ein Bild der Lage zu machen und den anwesenden Polizisten durch Manipulation eine neue offizielle Ursache für den Tod des Mannes einzuflößen.

Das Grundproblem wäre damit noch lange nicht gelöst. Niemand würde die ungewöhnlichen Todesumstände hinterfragen und am Ende auf komische Schlussfolgerungen kommen.

Einige Zeit später, nachdem das Massenaufgebot vor der eigenen Haustür auch zum Thema Nr. 1 bei meinen Großeltern geworden ist, bekam ich einen Rückruf von Damon. Na ja, offiziell war es natürlich ein Anruf von Eichenstedt.fm, die darüber sofort berichten wollten.

Damon hatte demnach alle Ermittler, Ärzte und Sanitäter manipuliert zu glauben, der Tote sei von seinem Hund, einem Rottweiler angegriffen und tödlich verletzt wurden. Der Hund habe demnach sein Herrchen etwa einen Kilometer entfernt von der Fundstelle so schwer verwundet, dass er binnen kürzester Zeit ausblutete. Dann habe das Tier den leblosen Körper des Mannes bis zu dieser Stelle geschleift. Ein Mitarbeiter des Forstamtes habe das Tier bereits erlegt und fachgerecht beseitigt.

»Was für eine schlagzeilenwürdige Geschichte. Das wird wieder eine Grundsatzdiskussion über Listenhunde auslösen«, sagte ich, nachdem ich mir Damons abenteuerliche Version der Geschichte angehört hatte.

Als großer Tierfreund war ich selbstverständlich nicht gerade begeistert darüber, dass erneut ein Hund negativ dargestellt wurde. Noch dazu in Verbindung mit einem Todesfall. Aber in Zeiten wie diesen durfte ich nicht wählerisch sein. Hauptsache, das Wort Vampir tauchte in keiner der Meldungen auf. Bei derartigen Verletzungen, wie sie der Tote aufwies, wäre es vielleicht nur eine Frage der Zeit gewesen, bis irgendein Narr auf die Idee kam, woran der Mann wirklich gestorben sein könnte. Und bekanntermaßen machen solche Theorien, mögen sie auch noch so unwahrscheinlich klingen, sehr schnell die Runde.

Meine Familie war sehr gespannt, was ich wohl zu berichten hatte, als ich von dem Telefonat zurückkam. Sie glaubten jedes Wort von Damons Notlüge und sofort entbrannte eine Diskussion über Kampfhunde. Genau wie ich befürchtet hatte. Auch ein Tier wird nicht böse geboren. Das hatte ich immer gesagt. Leider waren solche Gedanken seit der Nacht zum Donnerstag irgendwie an diesen Widerling Klaus gebunden. Verdammte Axt. An den wollte ich doch heute überhaupt nicht denken. Zum Glück fanden meine Großeltern sehr schnell andere Themen: Politiker, Prominente, Krankheiten. Das übliche Programm wurde abgespielt. Nur nicht in meinem Kopf.

Ich dachte darüber nach, dass eigentlich ich das erste Vampiropfer der Stadt war und nicht dieser Mann. Nur, dass ich dank Klaus gerettet wurde, bevor es zu spät war. Warum ausgerechnet von Klaus? Und, was hat er eigentlich mit dem Vampir gemacht, der mich angegriffen hatte? War es vielleicht doch einer seiner Handlanger und womöglich derselbe, der jetzt diesen armen Mann getötet hatte? Was, wenn Klaus der Drahtzieher hinter solchen Attacken ist, um sich anschließend als Retter der Stadt aufspielen zu können, in dem er selbst dafür sorgt, dass diese wieder aufhören? Wieder dachte ich an Star Wars und den Aufstieg von Kanzler Sheev Palpatine zum Imperator des ersten galaktischen Imperiums. Er schaffte das, indem er Krieg gegen sich selbst führte, dadurch das Vertrauen des Senats gewann und den Verstand Anakin Skywalkers mit Lügen vergiftete, um ihn auf seine Seite zu locken.

Vielleicht war das alles aber auch zu weit hergeholt.

Als wir am Abend nach Hause gingen, begann es zu schneien und schon bald lag eine flächendeckende weiße Pracht über der Stadt und somit auch über den Tatort.

In der Nacht konnte ich ein weiteres Mal keinen Schlaf finden. Die tausend Gedanken, die seit dem Vorfall mit dem Toten in meinem Kopf herumgeisterten, waren aber nicht der einzige Grund meiner nächtlichen Unruhe. Mich beschäftigte noch etwas.

Du wirst ab jetzt immer gesund sein. Du wirst dich absolut fit fühlen und Krankheiten sind für dich kein Thema mehr. Das haben mir Stefan und Damon damals gesagt, kurz, nachdem sie mir erzählt hatten, dass ich fortan ein unsterblicher Vampir war. Aber irgendetwas stimmte an dieser Behauptung nicht. Entweder hatten die Brüder gelogen oder es war etwas mit mir nicht in Ordnung. Denn seit ein paar Tagen fühlte ich mich irgendwie kränklich. Mein Kopf tat weh. Mal mehr, mal weniger und manchmal fühlten sich meine Muskeln an, als hätte ich drei Tage lang Kohle geschippt. Was war nur los mit mir? Ob das am Anfang des Vampirseins normal war und sich später wieder geben würde? Ich war ratlos und trank noch einen Blutbeutel. Danach fühlte ich mich normalerweise besser. Vielleicht sollte ich mehr davon trinken. Oder brauchte ich doch frisches Blut?

Auf all diese quälenden Fragen hoffte ich, eine Antwort zu finden, als ich erneut heimlich des Nachts aus meinem Zimmerfenster hüpfte. Dieses Mal hatte ich allerdings ein klares Ziel vor Augen. Telefonisch kündigte ich mich bei Stefan und Damon an, die zum Glück noch wach waren. Wenig später beförderte mich meine Vampirgeschwindigkeit auch schon direkt vor ihre Haustür.

Zunächst redeten wir noch einmal über den Fund der Leiche. Ich wollte nicht gleich mit neuen beunruhigenden Meldungen hereinplatzen. Doch bereits nach einer Weile bemerkte Stefan, dass ich irgendwie blass aussah. Ich hoffte, dass genau das nicht der Fall war.

»Das hat dich ganz schön mitgenommen, was?«, fragte er und schaute mich etwas unsicher an.

Ich nickte zunächst nur stumm, fing dann aber an über meine Beschwerden zu sprechen. Es nützte ja nichts, es noch länger mit mir herumzuschleppen. Als sie davon hörten, wie es mir ging, schienen sie ernsthaft besorgt um mich zu sein.

»Vampire werden nicht krank. Nicht einfach so. Das ist ungewöhnlich«, sagte Stefan und legte seine Hand auf meine Stirn, um zu testen, ob ich Fieber hatte. »Temperatur hast du nicht. Nasenbluten?«

»Nein«

»Verträgst du die Konserven oder musst du dich übergeben?«

»Nein, auch nicht. Alles in Ordnung mit den Konserven. War vielleicht eine davon schlecht?«, fragte ich nach.

»Das hättest du bestimmt früh genug gemerkt«, klinkte sich Damon ins Gespräch ein.

Beide wurden daraufhin für einen Moment ganz still und schienen angestrengt zu überlegen. Dann schaute mich Stefan fragend an und ich hoffte, dass er eine Lösung für mein Problem hätte. Dem war dann aber doch nicht so.

»Nein. Das ist auch unmöglich«, brabbelte er vor sich hin und überlegte still weiter. Damon schenkte mir währenddessen ein Glas A+ ein und meinte, ich solle nicht so viel grübeln und mich zu Hause etwas ausruhen. Ich befolgte seinen pseudoärztlichen Rat und ging wieder heim.

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