Knusper, Knusper

ONC Novelle von DaCaBells

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Kitty, ihres Zeichens kluge, fleißige und ausgeglichene Katze, lebt seit 283 Jahren als Gefährtin ihrer Hexe im tiefen Schwarzwald. Keiner guten Hexe, wie man vielleicht vermuten könnte. Seit Jahrtausenden verschlingt das Monster jede Dekade eine menschliche Seele. Auch sonst ist sie kein liebevolles Frauchen und Kitty bekommt mal wieder den Gehstock zu spüren, nur weil sie ihren Unmut darüber kundtut, dass die Lockmittel für unschuldige Opfer ausgebracht werden.

Seit Kitty vor drei Blutmonden einen Menschen aus Überlebensinstinkt davon abgehalten hat, ihre Herrin zu töten, plagen sie schreckliche Schuldgefühle. Als zwei Kinder, Nadja und Michael, der Hexe in die Falle gehen, beschließt Kitty es wieder gut zu machen und die beiden zu retten.

Auf Katzenart.

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Ich beginne meine Rückmeldung hier mit den Sternen. Fünf - weil ich nicht mehr habe.

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

Für mich ist das eine geniale Umsetzung eines Prompts, verändert, aber intelligent gemacht. Eventuell war es dann für die Jury doch etwas stark verändert, weshalb die Geschichte nicht auf die Longlist glitzerte. Für mich wäre sie mindestens auf der Shortlist, eventuell gar in der Endrunde - bei den 'Ehrenvoll Erwähnten'. Aus meiner Sicht hätte sie das verdient. So was von!

Nur warum hätte sie das? Das versuche ich auf den folgenden Zeilen zu erklären.

Viele Menschen werden das Märchen von Hänsel und Gretel noch kennen; vor allem jene, welche im Geburtsdatum eine Neunzehn vorne stehen haben. Wir sind mit Märchen aufgewachsen; einem Vorläufer der heute aktuellen Fantasy-Stories; Märchen - schöne Sache, aber brutal und bestimmt nicht jugendfrei; doch das nannte man damals Erziehung.

Hänsel und Gretel ... und die böse Hexe. Ach ja, mit Kater und Rabe. Das sind die Zutaten für den Zaubertrank. Es wird kein satanarchäolügenialkohöllischer Wunschpunsch und auch kein Zaubertrank, der übermäßige Kräfte verleiht. Nein, es wird so eine richtig fiese, fonduezähflüssige, übelriechende Pampe, welche mir die Lungenflügel veräzt und die Finger verbrennt. Es wird heftig gruselig, wie das Sommergewitter, welches sich mit der dräuend schwarzen Wolke ankündigt. - Und ich werde es genießen!

Der bekannte Stoff scheint zu Beginn einfach nur Pate zu stehen. Schnell merke ich, dass ich es hier wohl mit einer modernen Fassung des alten Plots zu tun habe. Das Original stammt aus dem Jahre 1812; ist also mehr als zweihundert Jahre alt, wie die Hexe auch. Ich erhalte hier aber keine bucklige Alte mit Warze auf der Nase und fehlenden Zähnen gezeigt, diese Hexe hier ist attraktiv, die Traumfrau, in die ich mich verlieben könnte. Erst zu spät würde ich dabei merken, einer Hexe ins Netz gegangen zu sein ...

Mir gefällt die Tatsache, dass die Kinder hier dunkelhäutig sind; das ist ein sehr schönes Detail, das oft vergessen wird. Die Hexe geht strukturiert vor, folgt ihrem tödlichen Plan, den ich erst etwa in der Mitte der Geschichte erfahre und nur ansatzweise fassen kann. Die gefangenen Kinder realisieren zu spät, wie ihnen geschieht. Übrigens finde ich es auch riesig toll, dass Nadja hier älter und selbstbewusster ist als Michael (im Original war das selbstverständlich umgekehrt - der große Bruder und das schwache Mädchen).

Mit der Zeit merke ich, dass die Hexe keinen festen Körper (im Sinne von physikalischem Aggregatzustand, nicht als 'dick' zu verstehen) hat, sondern eine Gestaltwandlerin ist. Herrlich; das öffnet sämtliche Türen für mehr Grusel und Horror; ich werde nicht enttäuscht. Hühnerhaut ist mein Begleiter, wenn ich durch die Geschichte hetze und vor den Gefahren fliehe.

Und jetzt ist es Zeit, über den besten, witzigsten Schachzug der talentierten Autorin zu sprechen. Die Geschichte ist nicht in der dritten Person erzählt, sie ist ein Bericht aus einer Ich-Perspektive; das nennt man heute POV. Der POV ist ... die Katze!

Ich lieb's (habe ich das schon gesagt?). Die Katze bringt so manchen trockenen Kommentar; sie ist witzig und engagiert zugleich. Ihr Plan, den Kindern zu helfen, ist nicht ganz selbstlos, aber fast. Ich merke, dass es auch die Katze faustdick hinter den Ohren hat. Kitty - aber hello!

Mit jedem Kapitel wird die Geschichte verworrener und rasanter. Ich japse nach Sauerstoff; muss mich zwischendurch erholen; aber ich will weiterlesen. Ich lege das Buch erst weg, wenn es ausgelesen ist. Die Autorin ist eine Hexe; sie hat mich in ihrem Netz gefangen! Schöne Sache.

Zum Ende folgt dann der Knaller des gezündeten Feuerwerks. Nein, ich sage euch hier nicht, welche bunten Farben die sprühenden Funken haben. Lest das Buch, dann wisst ihr es! Lasst euch begruseln, lasst euch verzaubern. Es lohnt sich. Durch die flüssige und nahezu fehlerfreie Schreibweise wird die Geschichte zu einem vielschichten Lesevergnügen; Kopfkino inklusive.

Übrigens: Der Prolog hat fast 170 Reads, der Epilog noch 70. Das kann ich nicht verstehen. Niemals hätte ich diese Geschichte irgendwo in der Mitte weggelegt. Aus diesem Thriller gehe ich nicht nachhause, ohne das Ende zu kennen. Eher verdrücke ich das letzte Popcorn noch während des Abspanns. Ah, apropos Abspann: Mir fehlt hier ein kleines Vor- oder Nachwort der Autorin. Aber das ist ein sehr kleines Detail.

Zum Schluss aber noch ein weiterer Höhepunkt: Der Titel der Geschichte ist ein Zitat aus dem Original der Gebrüder Grimm - Ehrenvolle Nennung. Schöne Sache. Ich hoffe, euch die Gründe für meine fünf Glitzersternchen erklärt zu haben.

Macht's gut - Eure Lesende

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Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch, Michael Ende, Kinderbuch 1989, Thienemann Verlag - Absolut lesenswert!

Zaubertrank = Zitat aus Astérix, Comicserie von Coscinny und Uderzo, 1959 (!) - Ich hab sie alle!

POV = point of view = Sichtweise, Betrachtungswinkel, Erzählperspektive

Schöne Sache - Filmzitat aus 'Just like Heaven' (Solange du da bist); 2005, Dreamworks


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