Prologue

„And if you're born there you're bound to go back when you hear that Kentucky voice."

Benjo- und Violine-Töne erfüllen dank des Bluetooth-Lautsprechers den Raum und Ricky Skaggs' Stimme zusammen mit der Melodie und dem Text versetzt mich augenblicklich zurück in meine Heimat. Und dieser Song könnte nicht besser passen, denn jetzt gerade bin ich dabei die Etappenplanung unserer Weltreise abzuschließen. Es fehlen noch die letzten 3'800 Kilometer von Calgary in Kanada über New York City bis nach Winchester, Kentucky. Mit den Motorrädern sollte dies in vier Tagen locker machbar sein, womit wir mehr als gut im Zeitplan liegen würden und somit noch einige Tage New York erkunden könnten.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht ziehe ich unter meine Aufstellung einen Strich und rechne alle Etappen zusammen. Mit dem Winterlager in Georgien und Kanada und den vielen Zeitpuffern, die ich mit eingeplant habe, sind wir mit den noch nicht vorhandenen Motorrädern in zweieinhalb Jahren in Winchester in den USA. Meine Heimatstadt.
Schnell übertrage ich diese Zahl in mein ordentliches Journal und fülle das Quadrat für die zu erledigende Aufgabe aus – erledigt.

Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages eine Weltreise auf Motorrädern planen würde? Ich ganz bestimmt nicht und alle anderen, die mich schon mein Leben lang kennen auch nicht. Eine Reise durch den Osten, mit vier Ural M72-ern und meilenweiten Strecken ohne Unterkunftsmöglichkeiten außer unserem selber mitgebrachten Lager.
Meine Eltern sind nach wie vor skeptisch, kennen sie mich und meinen Drang alles zu planen doch nur zu gut, aber genau darum will ich es ja machen. Ich will ihnen und allen andern beweisen, dass auch eine Weltreise so planbar ist wie mein fünf-jähriges Studium hier in Augsburg. Man muss nur genügend Zeit und Journals haben.

Gut gelaunt hinsichtlich der weiteren Verkürzung unserer Checkliste beziehungsweise Aufgabenliste singe ich lauthals den Refrain des Liedes mit und ernte dafür einen missbilligenden Blick meines Kollegen Harry, der es sich im Schein der Abendsonne, die sanft und doch so stark durch das Wohnzimmerfenster scheint, mit dem Laptop auf dem Schoß auf meiner Couch gemütlich gemacht hat. Der Lockenkopf ist in der Planung für alles, was mit den Finanzen zu tun hat, zuständig. Seinen flinken Fingern und den klimpernden Ringen daran auf der Tastatur nach zu urteilen, sitzt er wohl gerade an einer weiteren Sponsorenanfrage oder an einem Text über unsere Fortschritte für unsere Unterstützer auf 'gofundme'.

Geld für eine solche Reise zusammenzukriegen, war, wie ich feststellen musste, gar nicht mal so einfach. Nicht nur die Höhe der Summe, die wir benötigen, aber auch die von potenziellen Sponsoren immer wieder angesprochenen Risiken machen es nicht leicht, die Geldgeber von diesem Abenteuer zu überzeugen.
Aber mit Harry haben wir die beste Person für diesen 'Job'. Der Charmeur, der immer weiß, wann man was sagen muss, um gewisse Reaktionen zu erzielen, hat schon im Studium keine Mühe, sich aus brenzligen Situationen rauszureden und hat mit seiner Art schon mehr als einer oder einem unserer Kommilitoninnen oder Kommilitonen den Kopf verdreht.

„Wärst du nicht von dort, würde ich mir ernsthaft Sorgen um deine Psyche machen, Shay. Wer setzt sich diesem Katzengejammer bitte freiwillig aus?", zieht er mich auf und verzieht dabei theatralisch das Gesicht.

Harry macht aus seinem Hass gegenüber Country Musik seit jeher keinen Hehl, aber mich täuscht er damit nicht. Ich sehe, wie er jedes Mal mit dem Kopf nickt oder mit dem Fuß zur Melodie wippt. Selbst pfeifen habe ich ihn eine Country-Melodie bereits gehört.

Auch heute erwische ich ihn dabei, wie sein linker Fuß, den er über sein rechtes Knie gelegt hat, zum Takt auf und abspringt. Aber wie jedes andere Mal hat er auf meine Erwiderung auch dieses Mal eine Ausrede: „Mein Knöchel schmerzt. Ich versuche bloß, ihn durch Bewegung etwas zu entspannen."

In seinen grasgrünen Augen blitzt der Schalk und ich entgegne skeptisch ein „ja ne, ist klar".
Dem Sofakissen, das kurz darauf auf mich zusegelt, kann ich durch Einziehen meines Kopfes gerade noch ausweichen, die Blumenvase auf der Küchenzeile hinter mir hat jedoch weniger Glück. Mit einem lauten Klirren zerschellt sie in tausend Teile und verteilt dadurch die schönen Frühlingsblumen auf dem Küchenboden.

„Harry!", regt sich nun auch Liam, der bis anhin konzentriert daran war, unsere wichtigen Dokumente wie Pässe, Einreise- und Arbeits-Visa, Impfkarten und so weiter zu prüfen. „War das nötig?"

Es gibt wenige Situationen, in denen der Älteste von uns Dreien die Geduld verliert, aber wenn man seine Konzentration stört, dann kann er schon mal etwas unwirsch werden.

„Kein Grund unleidlich zu werden Papa Bär. Ich mach es ja wieder sauber", entgegnet der Gemaßregelte und erhebt sich seufzend.

Unsere Blicke kreuzen sich und Harry verdreht die Augen, während er in Richtung des Esstisches nickt. Kurz halte ich die Luft an und sehe zu Liam. Er mag den Spitznamen, den der Grünäugige sich für seinen besten Freund ausgedacht hat, nicht, aber wie es scheint, hat er ihn dieses Mal nicht mitbekommen. Der Pflichtbewussteste in unserer Gruppe abgesehen von mir ist bereits wieder in seiner Arbeit versunken und sieht sich Dokument für Dokument ganz genau an.

„Du weißt schon, dass das meine Lieblingsvase war, Harold?" necke ich ihn, während er auf den Knien die Scherben zusammenwischt.

„In vier Monaten kannst du sie sowieso nicht mehr gebrauchen", erklärt er mir, während er aufsteht, um die volle Schaufel in den Müll zu entleeren. „Ich glaube nicht, dass diese im Seitenwagen einer Ural M72 lange überleben würde. Ich hab dir hier also bloß den Trennungsschmerz erspart."

„Nun, dein Verlust. Ich wollte sie brauchen, um unser Nachtlager etwas zu dekorieren", erwidere ich in einem gespielt enttäuschten Tonfall, zwinkere ihm dann aber zu.

Harry lacht und hält sich dabei die Hände an den Bauch. Diese Pose lässt mich jedes Mal noch mehr lachen, denn er sieht dabei einfach so knuffig aus.
Wie er zurückgelehnt den Kopf in den Nacken wirft und die Hände auf den Bauch klatscht, ist einfach herzerwärmend.

Nachdem er sich wieder beruhigt und den Besen und die Schaufel verräumt hat, setzt er sich wieder aufs Sofa, nur um mit einem Riesenschrei wieder aufzuspringen.
Ein entnervter Blick Liam's und ein perplexer meinerseits liegen auf Harry, der mit großen Augen und Hand auf dem Herz auf den Laptop starrt. Augenblicklich muss ich an Liam's Streich vor einigen Wochen zurückdenken, bei dem Harry von einem Video dazu aufgefordert wurde ein Bild ganz genau anzuschauen. Auf besagtem Bild war außer einer Straße und einigen Bäumen nichts zu erkennen, dennoch hat sich der Lockenkopf immer näher an den Bildschirm geschoben, um doch noch ein Detail auszumachen. Und dann passierte es. Es folgte der Text, dass er in fünf Sekunden etwas sehen würde, was zuvor noch nicht dagewesen wäre. Der Countdown startete, doch bevor er bei 1 angelangt war, erschien eine hässliche Fratze auf dem Bild und Harry, der schon beinahe mit der Nase den Bildschirm berührt hatte, erschrak so sehr, dass er rückwärts vom Stuhl gefallen war.
Die heutige Szene hat so viele Ähnlichkeiten mit diesem Streich, dass ich direkt zu Liam schaue. Dieser sieht nun aber ebenso neugierig wie genervt zu seinem besten Freund, während er sich über sein müdes Gesicht streicht und seine in kuscheligen Tigerfinken steckenden Füße unter dem Tisch streckt.

„Willst du uns verraten, was los ist?", fragt er also, bevor er sich erhebt und zur Wohnecke hinübergeht.

Doch noch ehe er Harry und den Laptop erreicht, und dieser seine Stimme wieder gefunden hat, knallt die Wohnungstür auf und Marina stürmt herein.

„Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott! Habt ihr es schon gesehen? Das ist der Wahnsinn, ich kann's gar nicht glauben. Und wir waren uns noch so unsicher. Oh mein Gott! Leute! Wart ihr denn gar nicht auf gofundme?", sprudelt es nur so aus der Rothaarigen heraus und die Vierte und Letzte im Bunde sieht uns verwirrt an.

In meinem Kopf rasen die Gedanken mindestens so schnell wie Marina gesprochen hat und ich versuche das alles zu verlinken. Nach wenigen Sekunden geht das Licht an, und das wohl nicht nur bei mir.

„Wir haben das Sponsorenziel zusammen?", fragt Liam ungläubig und sieht von Marina zu Harry.

Harry's langsames, beinahe apathisches Nicken steht im starken Kontrast zu Marina's, das ihre Locken wild durch die Luft wirbeln lässt.
Die Realisation sickert von meinem Hirn in meinen Körper und ich springe kreischend auf und renne auf Marina zu, die mich freudestrahlend umarmt. Arm in Arm springen wir auf und ab und wenig später brechen auch die Jungs in lautes Gejohle aus.

Die größte Hürde ist geschafft. Jetzt steht meiner Heimreise über Umwege nichts mehr im Weg und selbst wenn es noch so einiges zu planen und organisieren gibt, so fühle ich, wie die Unsicherheit über die effektive Durchführung dieses Abenteuers immer weiter schwindet. Denn: Alles lässt sich planen und organisieren – sofern die Mittel vorhanden sind, und das sind sie nun definitiv.

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Hallo meine Lieben

Und schon wieder gibt's etwas Neues. Vor ein paar Wochen war ich an einem Vortrag, der mich zu dieser Geschichte hier inspiriert hat.

Ich hoffe, ich konnte mit diesem Prolog einige von euch für diese Story interessieren und würde mich freuen, wenn ihr mit mir und Shayleen dieses kleine große Abenteuer antreten würdet.

Dieses Projekt wird ungleich meiner letzteren Werke wieder mal eine längere Geschichte – also weder eine Kurzgeschichte noch ein One Shot :-)
Dennoch kann ich euch bezüglich Upload-Zyklus keine genauen Angaben liefern. Ich bemühe mich darum, dass es wöchentlich wird, kann es aber nicht versprechen.

Und jetzt wünsche ich euch allen noch einen schönen Rest des Wochenendes und bis bald.

Lg
Eure StephVi

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