5. Das Geheimnis fliegt auf
Die nächsten Wochen trafen sich die beiden Jungen immer zusammen direkt nach der Schule. Zuerst lernten sie immer gemeinsam, danach zockten sie meist noch etwas an Baji's Konsole oder schauten eine Serie.
Baji saß gerade auf der Bank im Park an der die beiden Jungen sich immer trafen. Der Schwarzhaarige bließ sichtbaren Atem in die kalte Luft. Inzwischen waren schon einige Monate vergangen und der kalte Winter war hereingebrochen.
Keisuke zog mit seinen Händen, die dick in Handschuhe eingepackt waren sein Handy aus der Tasche und ließ den Bildschirm aufleuchten. Genau betrachtete er die Uhrzeit, die sich als weiße Zahlen von seinem Hintergrundbild abhob.
„Man wo bleibt der bloß? Der hat Nerven mich hier in der Kälte warten zu lassen!", zischte Keisuke verärgert und rieb seine eisig kalten Hände aneinander.
„Baaaaajiiii", hörte er seinen Namen quer über den Platz rufen.
„Das wurde aber auch Zeit", sagte Keisuke mehr zu sich selbst und erhob sich von der hölzernen Bank, als die Stimme seines besten Freundes an sein Ohr drang.
„Was is denn mit dir passiert wurdest du doch verprügelt?", fragte Baji etwas belustigt nach und deutete auf Kazutora's Wange.
Der Gelbäugige strich über den dünnen, weißen Stoff. Während er nach außen ein Lächeln vorspielte, zerriss es ihn innerlich. Der blaue Fleck der sich darunter zeichnete war von keinem anderen als seinem Vater und das nur weil er gestern ein paar Minuten zu spät nachhause gekommen war.
„Keine Sorge, ich hab's Ihnen ordentlich gegeben", grinste Kazutora, der es am leichtesten fand Baji's Spiel mitzuspielen und ballte seine Hand zu einer Faust, die er demonstrativ nach vorne streckte.
„Da war wohl jemand neidisch auf dich du Streber", lachte Baji und klopfte seinem Kumpel freundschaftlich auf die Schulter.
Innerlich ließen diese Worte den Älteren böse aufstoßen. Mit einem leichten Lächeln versuchte er die Situation zu überspielen, da er genau wusste, dass Keisuke ihm nichts Böses wollte.
„Ich wünschte ich wäre von den Noten ganz normal, nicht außergewöhnlich gut und nicht außergewöhnlich schlecht, die Mitte würde mir schon reichen"
„Dann mach doch einfach weniger, dann kannst du auch mehr Dinge tun die dir Spaß machen", schlug Baji vor als wäre es das einfachste auf der Welt, was es für ihn durchaus wäre.
Kazutora schüttelte den Kopf.
„Das geht nicht, mein Vater besteht auf gute Noten"
Baji seufzte. „Du bist echt so ein Lieblingskind aller Eltern."
*Wenn du wüsstest*, grummelte es Kazutora durch den Kopf, der in seinem ganzen Leben noch nicht ein Wort der Dankbarkeit oder Anerkennung von seinen Eltern zu hören bekommen hat.
„Na los, lass uns gehen", leitete Baji das Thema um und winkte Kazutora mit sich, als Zeichen, dass er sich auf den Weg machen will.
Schnell lief der Kleinere ihm nach und ging dann neben dem Jüngeren her.
Um zu Baji zu gelangen mussten sie etwas durch die Stadt laufen. Es war Anfang Dezember und somit waren alle Läden schon festlich für Weihnachten geschmückt.
Abrupt blieb Kazutora stehen als plötzlich ein kleines Kind seinen Weg kreuzte. Fast hätte er es übersehen und einfach über den Haufen gelaufen. Interessiert verfolgte er es mit den Augen, während er weiter stehen blieb.
„Mama! Papa! Schaut mal da drüben! Darf ich das haben?", rief das Mädchen aufgeregt und lief zu ihren Eltern, die sie sogleich an den Händen mit sich ziehen wollte.
„Was hast du denn gefunden?" rief ihre Mutter aufgeregt zurück.
„Zeig ich euch da drüben!"
„Na dann mal los", grinste ihr Vater und nahm sie hoch. Kazutora beobachtete die Familie still weiter, während es in seiner Brust unangenehm stach.
Der Vater trug die Kleine zu dem Schaufenster, von dem sie gerade angelaufen kam. Aufgeregt deutete das Mädchen auf ein Schloss aus Lego hinter der Scheibe.
„Da! Das! Das will ich haben!", lachte die Kleine und schaute ihre Eltern erwartungsvoll an.
„So brav wie du das ganze Jahr warst, kann es bestimmt sein, dass es bald unterm Weihnachtsbaum steht", lächelte ihre Mutter und ihr Vater strich ihr sanft über den Kopf.
Fröhlich lachte das Mädchen, dann ging die Familie, die der Junge grade noch begutachtet hatte weiter.
Kazutora's Kopf hatte sich schon längst gesenkt. Traurig aber auch gleichzeitig verärgert biss er sich auf die Unterlippe.
*Warum haben alle andern sowas nur ich nicht? Warum darf ich keine Familie haben die mich gern hat?*, schoss es ihm durch den Kopf, worauf ihm plötzlich ungeheuer kalt wurde. Augenblicklich fühlte er sich wieder alleine.
*Das ist so unfair!*, murrte der Schwarzhaarige verärgert in sich und ballte etwas die Hände zu Fäusten.
„Hey, was ist?", rief Baju verwirrt, der erst ein paar Meter weiter bemerkt hatte, dass Kazutora stehen geblieben war.
Er sah zu seinem Freund. In dessen Augen so viel Traurigkeit und Einsamkeit zu sehen war, aber auch etwas das nach Hass aussah.
Vorsichtig ging Baji zu ihm. Der Gelbäugige blickte immer noch bedrückt auf die Straße.
„Was hast du?", fragte Baji nochmal etwas fürsorglicher nach, auch wenn das nicht grade seine Stärke war und ging langsam wieder den Weg zurück zu ihm.
Der Andere rührte sich nicht. Er blieb stehen als wäre nichts gewesen.
Baji seufzte leise. Doch dann wagte er es und verringerte den Abstand zu Kazutora. Sanft nahm er ihn in den Arm und strich ihm behutsam über den Kopf durch seine pechschwarzen Haare.
Plötzlich durchzog es Kazutora mit einer gewaltigen Wärme, die die Kälte von vorhin sofort vergessen ließ. Sie war so stark und warm, dass man es fast schon Hitze nennen könnte. Es war weder unangenehm noch fühlte er sich komisch dabei, eher im Gegenteil. Noch nie wurde er von jemand anderen so umarmt.
Nie im Leben hätte er sich ausmalen können, wie toll sich das anfühlen könnte.
Normalerweise hasste er den körperkontakt zu anderen. Immer hatte er ihn mit etwas schlechtem verbunden, aber das grade war das schönste Gefühl, dass er in seinem Leben je gespürt hatte, auch wenn er es nicht einordnen konnte.
Sanft lehnte er seinen Kopf gegen Baji's Schulter und schloss die Augen.
Auch für Keisuke fühlte es sich nicht schlecht an.
*Hoffentlich geht es ihm jetzt besser*
Noch kurz standen sie so da. Kazutora drehte seinen Kopf und sah direkt in Baji's Augen.
Sofort erröteten beide und gingen einen Schritt auseinander.
„Tut...tut mir leid", stammelte Baji und drehte sich schnell etwas weg, damit Kazutora seine Röte, die er deutlich spürte nicht sehen konnte.
Der Ältere tat es ihm gleich.
Den ganzen restlichen Weg zu Baji sprachen sie kein Wort mehr miteinander.
*Warum hab ich das nur gemacht? Fühlte er sich von mir bedrängt? Warum ist er so rot geworden? Und warum sah er davor so traurig aus?*
Es waren viel zu viele Fragen auf die er keine Antwort wusste. Kazutora danach fragen konnte er auch nicht.
*Vielleicht finde ich es noch selber heraus...ich hoffe es zumindest*
Bei Baji zuhause angekommen, sperrte der Schwarzhaarige mit seinem Schlüssel die Wohnungstür auf und trat hinein.
„Sind wieder da!", rief er wie immerund zog sich seine Schuhe aus.
Keine Sekunde später streckte seine Mum ihren Kopf in den Flur in dem die beiden Jungen gerade standen.
„Hallo", murmelte Kazutora schüchtern während er seine Jacke aufhing.
Egal wie oft er schon hier war, vor Baji's Mutter hatte er unglaublich Respekt. Er selber wusste auch gar nicht woran es lag, denn zu ihm war die Frau immer viel netter als zu ihrem eigenen Sohn. Was nicht heißen soll, dass sie sich nicht mögen aber Baji und seine Mutter hatten nun ja eine „spezielle" Art miteinander umzugehen. Vielleicht war es auch das was Kazutora nicht verstand, wie locker die beiden miteinander sein konnten.
„Soll ich euch einen Kakao machen? Es ist kalt draußen", fragte sie freundlich nach.
„Nein, dan..."
„Ja, aber bitte mit viel Sahne, gehört", funkte Baji seinem Freund ins Wort, der gerade höflich ablehnen wollte.
„Sahne is alle, hab ich selber gegessen", entgegnete die Frau kalt und wartete nur auf die Reaktion ihres Sohnes.
„Aber Mamaaa...Sahneee", schmollte Keisuke nur und sah sie mit dackelähnlichen Blick an.
Ohne weitere Worte drehte sich seine Mutter um, ging ins Wohnzimmer und kam kurz darauf wieder zurück.
„Na los, streck die Hand aus", sagte sie zu ihrem Sohn, der gehorchte und seine geöffnete Hand ausstreckte.
Sie ließ ein paar Yen Münzen hineinrisseln und sah ihn scharf an.
„Sahne kann nicht gezaubert werden wenn du eine willst, dann kauf dir eine", entgegnete die Schwarzhaarige trocken und verschränkte siegessicher die Arme vor der Brust.
Keisuke seufzte.
„Naaa gut, aber nur weil es Sahne ist".
Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, war er schon mit halb angezogenen Schuhen wieder aus der Tür verschwunden.
Seine Mutter riss die Tür nochmal hinter ihm auf, brüllte hinterher: „Nimm auch Kekse mit!" und schloss die Tür nun endgültig.
*Was ist hier grade passiert?*, fragte sich Kazutora für den das grade etwas zu schnell ablief. Überfordert stand er immernoch im Flur.
Hilflos sah er sich um.
*Bin ich jetzt etwas ganz allein mit ihr?*
„Na los komm rein oder willst du da stehen bleiben bis Keisuke zurück ist?", fragte sie den Jungen.
Zögerlich ging der Schwarzhaarige mit ihr ins Wohnzimmer. Als wäre es aus zerbrechlichen Porzellan, setzte er sich vorsichtig auf die Couch.
Schweigend sah er überall hin nur nicht in ihr Gesicht, er hasste es über alles Augenkontakt zu halten, er fühlte sich dann noch kleiner und wehrloser als ohnehin schon.
„Was ist da passiert?".
Sie deutete auf seine Wange.
„Nichts", murmelte er und hielt seine Hand über das Pflaster.
„Sieht nicht nach nichts aus. Na komm schon wer war's?", fragte sie weiter.
„Niemand"
„Ein Erwachsener?", hakte sie weiter nach.
Kazutora stockte. *Woher weiß sie das?*
„Nein", sagte er leise nach einer kurzen Pause und ließ seinen Blick wieder zu Boden sinken.
„Es war ein Versehen ich schwörs ich bin nur über seinen Fuß gestolpert und gegen die Tür gekracht", versuchte er sich schnell rauszureden, da er schon an der Stimmung die im Raum lag merkte, dass die Schwarzhaarige einen Verdacht hat.
Nicht grade überzeugt musterte sie ihn.
„Dann läufst du aber ganz schön oft gegen die Tür. Du kannst mir nichts vormachen, ich seh es an der Art wie du gehst. Du hast Schmerzen sehr oft an den Beinen und der Hüfte, da wo man es nicht sieht."
„Was wissen sie denn schon?! Ich hab gar nichts!", schrie der Gelbäugige sie an.
Sofort hielt er wieder inne und verbeugte sich.
„Entschuldigung, das hätte ich nicht sagen dürfen."
Schon in der nächsten Sekunde hörte er das Knacken des Schlüssels in der Wohnungstür.
„Bin wieder da", hörte er Baji's Stimme, die durch die Räume hallte.
Schnell sprang Kazutora auf und rannte Richtung Haustür. Eilig nahm er seine Jacke und Schuhe, bevor Baji die Tür schließen konnte und rannte nach draußen.
„Kazutora, warte!", schrie Baji ihm noch nach, doch natürlich blieb der Schwarzhaarige nicht stehen.
„Mum, was ist hier passiert?!", rief der Jüngere vollkommen überrumpelt und eilte ins Wohnzimmer.
„Nichts, aber pass gut auf ihn auf", murmelte seine Mutter nur noch und sah ihren Sohn dabei nicht an.
In Windeseile pfefferte Baji Sahne und Kekse auf den Tisch. Dann rannte er aus der Tür, schmiss diese lauthals hinter sich zu und lief. Er wusste nur eine Möglichkeit wo Kazutora sein könnte und hoffte auch, dass dieser den Ort aufsuchen würde.
Kazutora hingegen war außer um sich schnell alles anzuziehen den ganzen Weg durchgerannt. Völlig aufgelöst kam er an seiner Haustür an. Er schloss sie mit seinem Schlüssel auf, eilte hinein und schmiss sie wieder zu. Sofort zog er sich seine Wintersachen aus rannte in sein Zimmer, schmiss seine Tür zu und ließ sich in sein Bett fallen.
Völlig aufgelöst krallte er seine Finger in sein Kissen und begann leise zu schluchzen.
*Sie weiß es! Was passiert jetzt mit mir? Bin ich bald ganz alleine?*, nachdem er sich schon das Schlimmste ausgemalt hatte.
Die Tränen flossen sein Gesicht in Bahnen herunter und tropften auf das Kissen. Fest umarmte er es und drückte es an seinen kleinen Körper.
„Warum ist mein Leben nur so scheiße?", wimmerte er leise und steckte seinen Kopf tief ins Kissen.
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Hay ihr lieben ☺️, heute mal ein eher trauriges Kapitel 🙁
Was denkt ihr macht Baji? Lässt Kazu ihn überhaupt mit ihm reden?
Lasst gerne Feedback da ^^
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