3. Misstrauen

*Was ist das nur für ein Kerl? Was will er dauernd von mir?*

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Schweigend betrat der gelbäugige Junge mit den anderen Schülern das Gebäude und ging hoch zu seinem Klassenzimmer.

Er ließ sich auf seinen Platz ganz hinten am Fenster auf dem klapprigen, unbequemen Holzstuhl nieder. Für ihn ist es der beste Platz im ganzen Raum. Von den anderen Kindern beachtete ihn sowieso keiner, er war durch und durch unsichtbar für alle. Grade jetzt nach der Sache mit Junpeke war ihm das nur noch mehr recht, schließlich hatte dieser Mistkerl ihn eiskalt ausgenutzt und seine Freundlichkeit für sich benutzt.

*Alle gleich*, brummte Kazutora abwertend in seinem Inneren während er seinen Blick durch das Klassenzimmer schweifen ließ. In lauter kleiner Gruppen standen seine Mitschüler und Mitschülerinnen herum und unterhielten sich angeregt.
*Irgendwann werdet ihr alle verraten, das ist das was Menschen tun*, war der Schwarzhaarige sich sicher.

Kaum etwas später ging die Klassenzimmertür auf. Ein großer Mann schlanker Statur mit kurzen, schwarzen Haaren kam herein.

Kaum sah der Junge seinen Klassenlehrer, richtete er sich auf. Um alles in der Welt wollte er irgendeinen Ärger vermeiden, vorallem weil sonst sein Vater davon mitbekommen würde und das wäre das schlimmste, was ihm überhaupt passieren könnte.

Der blaue Fleck den er sich gestern durch einen Tritt eingefangen hat, schmerzte unglaublich.

„Guten Morgen", brummte er wie die restlichen Schüler und setzte sich gleichzeitig mit den anderen wieder auf den knarzenden Stuhl. Sofort war es wieder still. Die grauen Wände des Klassenzimmers ließen ihn noch gefangener fühlen, als er sich so schon fühlte. Am liebsten wäre er doch vorhin schon mit Baji mitgegangen, als das alles hier zu ertragen.

*Der ist bestimmt eh schon weg*, seufzte er in seinem Inneren über den Jungen, den er gestern erst kennengelernt hatte.

Vorsichtig linste er durch die dreckige Scheibe neben ihm auf den Pausenhof, den man von seinem Platz perfekt im Blick hat.

Überrascht zog Kazutora eine seiner dunklen Augenbrauen nach oben und lehnte sich weiter zum Fenster herüber als er sah, dass der Schwarzhaarige noch an der gleichen Stelle lag wie vorhin.
*Das kann nicht sein...was will der bloß?*, erschloss es sich ihm nicht ganz.

*Warum sollte er freiwillig da unten in der Kälte warten und sich langweilen?*

„Kazutora, komm bitte nach vorne und rechne uns die Aufgaben vor", holte der Lehrer den deutlich unaufmerksamen Schüler aus seinen Gedanken. Sofort reagierte der Junge mit einem leichten Nicken. Schweigend kam er nach vorne und nahm dem Mann die Kreide aus der Hand.

Kazutora wendete sich der Tafel zu und überflog schnell die Zahlen, die dort standen. Auch wenn er grade nicht aufgepasst hatte, wusste er trotzdem wie er es rechnen musste.

Als er jede der Aufgaben ausgerechnet hatte, kritzelte er mit schnellen Bewegungen die Ergebnisse auf die dunkelgrüne Tafel. Kaum war er damit fertig legte er das weiße Schreibutensil in die Ablagerung unter der Tafel, neben den völlig verdreckten und müffelnden Tafelschwamm. Eilig ging er zurück zu seinem Platz und wischte sich dort den Kreidestaub der an seinen Händen haftete an der Hose ab.

Er hasste es ganz vorne vor der Klasse zu stehen, jedesmal fühlte er sich dabei unwohl wenn die anderen ihm direkt in den Nacken starrten.

Hinter ihm hörte er nur leicht die lobenden Worte seines Lehrers, die er aber so gut es ging ignorierte. Kazutora wollte kein Lob oder Anerkennung, er wollte nur seine Ruhe, nicht mehr und nicht weniger.

Aufmerksam drehte sich der Schwarzhaarige nach vorne und hoffte so nicht noch einmal dran genommen zu werden.

Immer wieder blinzelte der Junge zu der Uhr, deren Zeiger sich mit leisen, kaum hörbaren Ticken vorwärts bewegte. Doch auch wenn der Zeiger sich sichtlich bewegte, kam es ihm wie Stunden vor, bis die Stunde endlich vorbei war.

Mit einem inneren Seufzer füllte er sein Arbeitsblatt aus, das der Lehrer grade seinen Schülern ausgeteilt hatte.

Es herrschte eine bedrückende Stille in dem trostlosen Klassenzimmer. Am besten könnte man es mit einem Gefängnis vergleichen, das dachte Kazutora zumindest immer.

Nervös ließ er seinen Stift zwischen seinen Fingern auf und ab wippen. Sein Blatt war schon lange ausgefüllt. Die letzten drei Minuten waren angebrochen, bevor er diese Anstalt des Grauens endlich verlassen konnte.

Seit Beginn der Stunde hatte er nicht mehr aus dem Fenster gesehen. Kazutora wusste nicht ob Baji immer noch unten auf ihn wartete. Insgeheim hoffte er sehr, dass der Schwarzhaarige noch da ist, auch wenn er selber nicht grade davon überzeugt war.

Als es gongte, sprang der Junge auf, pfefferte seine Sachen in den Rucksack und eilte aus dem Klassenzimmer. Auf der einen Seite wollte er unbedingt vor seinen Mitmenschen flüchten, andererseits interessierte es ihn ob Baji immer noch da war und auf ihn warten würde.

Mit Schwung stieß er die schwere Tür zum Schulhof auf. Langsam ging er um einen der Büsche und richtete seinen Blick dann auf die Bank an der er Keisuke zurück gelassen hatte.

Sie war leer. Menschenleer.

Kazutora seufzte leise und ließ seinen Kopf hängen.

*War ja klar*, brummte er und drehte sich um. Auch wenn er es sich schon gedacht hatte, enttäuschte es ihn doch sehr. Insgeheim hatte er doch sehr gehofft, dass der Junge noch da gewesen wäre.

Fester griff er in den Tragegurt seines Rucksacks, bis seine Knöchel weiß anliefen.
*Wer würde schon auf mich warten*, murmelte er und schlurfte dann zurück Richtung Schulgebäude.

„Hey, warte!", rief Jemand ihm nach. Kazutora stockte kurz vor der großen Tür, dessen Griff er gerade ergreifen wollte.

Verwundert drehte er sich um. Grinsend stand der schwarzhaarige Junge vor ihm.

„Sorry, ich war nur kurz pissen", lachte Baji und legte seinen Arm um Kazutora's Schulter.

Der gelbäugige nickte schweigend. Irgendwie war er froh, dass Baji doch da war und er nicht ganz alleine war, andererseits hatte er keine Ahnung was er nun mit diesem anfangen sollte.

„Dachtest du echt ich renn einfach weg?", lachte Keisuke und zog Kazutora noch etwas näher zu sich. Unwissend zuckte dieser wortlos mit den Schultern.

„Wäre nicht das erste mal", murmelte der Ältere und befreite sich aus Baji's Griff, der ihm langsam aber sicher sehr unangenehm wurde.

Der Größere grinste. „Wenn ich etwas sage, dann halte ich es auch, darauf kannst du dich verlassen", beteuerte er und ging an Kazutora vorbei. Mit einem kräftigen Ruck öffnete er die schwere Schultür und hielt sie auf.

„Was ist? Willst du Wurzeln schlagen? Komm jetzt endlich"

Kazutora drehte sich perplex um. Als er sah, dass Baji die große Glastür offen hielt, lief er eilig zu ihm.

„Danke", murmelte er leise, worauf Baji nur sein typisches Grinsen aufsetzte.

Die Aula war wie leer gefegt. Alle Schüler waren entweder schon nach Hause gegangen oder saßen noch in den Klassenzimmern.

Mit hallenden Schritten durchquerten sie schweigend den großen Raum um durch die Tür,
die sich gegenüber befand das Schulgebäude wieder zu verlassen.

„Na, was wollen wir jetzt machen?", grinste Baji wieder und drehte seinen Kopf zu seinem neuen Freund herum. Kazutora wich sofort dem Blick aus und blickte Richtung Boden. Schweigend zuckte er seine Schultern in die Höhe und ließ sie gleich darauf wieder fallen, schließlich hatte er sich keine Gedanken darum gemacht, da er nicht erwartet hatte, das Baji wirklich auf ihn warten würde.

„Hat dir vorhin jemand in deinen Kakao gespuckt oder warum redest du nicht?", kicherte Baji und sah den Kleineren amüsiert an.

Kazutora seufzte leise während er weiter neben Keisuke herging.
„Ich rede allgemein nicht viel. Ich bin auch nicht wirklich interessant, also was soll ich schon sagen"

„Also ich find dich interessant, du siehst aus wie Mutti's Liebling, bist aber mindestens so stark wie ich"

„Wenn's nur so wäre", nuschelte der Kleinere und vertiefte seinen Blick noch weiter im Boden.

„Wie meinst du das?", fragte der Größere jetzt interessiert nach, da er ausnahmslos jedes Wort verstanden hatte.

Ertappt riss Kazutora etwas die Augen auf.
*Verdammt, hab ich etwa laut gedacht?*, biss er sich verärgert auf die Unterlippe.

„Egal, nicht so wichtig", murmelte er und legte etwas an Geschwindigkeit zu.

Eilig hastete Baji hinter dem Jungen her. In den gelben Augen konnte er immer wieder deutlich einen tief sitzenden Schmerz erkennen. Ein Schmerz den Kazutora sichtbar versuchte zu verstecken, doch jetzt hatte Keisuke es grade gesehen.

„Ich will dir nichts Böses, sag schon was los ist", murmelte Baji mitfühlend und legte sanft seine linke Hand auf die Schulter des Schwarzhaarigen.

Verärgert schlug Kazutora sie mit einem lauten Klatschen von seinem Körper.
„Das geht dich gar nichts an und fass mich nicht dauernd an!", knurrte Kazutora ihn genervt an.

Perplex blieb Baji stehen. Er verstand gar nichts mehr, weder den anderen Jungen, noch sich selbst. Normalerweise würde er jemanden sofort eine reinhauen, der so mit ihm spricht, aber bei Kazutora konnte er es einfach nicht. Stattdessen fühlte Baji etwas das ihm bis jetzt nicht bekannt war. Der Junge tat ihm leid, tatsächlich empfand Keisuke zum ersten Mal in seinem Leben wirkliches Mitleid gegenüber jemand anderen.

Schnell lief er Kazutora nach und sprang vor ihn. Überrascht blieb der Ältere stehen und musterte Baji immer noch mit genervten Blick.

„Hör zu, es tut mir leid. Ich wollte dir nur helfen, weil du so traurig ausgesehen hast, du hast mir leid getan. Wenn du es mir nicht sagen willst, ist das voll in Ordnung"

Kazutora's Blick sänftigte sich.
*Er will mir helfen? Warum?*, fragte er sich in seinem Inneren. *Meint er das ernst?*

Entschuldigend senkte der kleinere Junge seinen Kopf.
„Nein, mir tut es leid, es war nicht so gemeint", murmelte er leise und drehte sich etwas von Baji weg.

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht, ist doch alles in Ordnung", sagte Keisuke, der sofort wieder sein altbekanntes Grinsen aufgesetzt hatte.

„Komm mit, ich kauf uns erstmal was zu trinken, ich lad dich ein", fügte er weiter hinzu und zog den erstaunten Kazutora mit, der es sichtlich nicht erwartet hatte, dass er von dem Jüngeren mitgezogen wurde.

Schweigend liefen sie nebeneinander die Straße entlang. Baji wusste nie wirklich wie man ein Gespräch führte und Kazutora schien es wohl ähnlich zu gehen.

Oft versuchte Baji anzusetzen, brach aber dann doch immer vorher ab.
*Warum krieg ich es nicht hin auch nur einen normalen Satz mit ihm zu wechseln? Das ist doch verrückt!*, knurrte er sich selbst in seinen Gedanken an.

Seufzend schnappte Keisuke nach Luft.

„Darf ich dich mal was fragen", hörte er es leise neben sich murmeln.

Überrascht, dass doch sein Freund das Gespräch begann, hob Baji den Kopf und schaute zu dem Schwarzhaarigen hinüber.

„Ja, was denn?"

Kazutora blickte weiter stur geradeaus ohne seinen Blick von der grau asphaltierten Straße abzuwenden.

„Warum warst du heute schon so früh da? Hast du keine Schule? Selbst ich hatte nur so früh aus, weil bei mir zwei Stunden ausgefallen sind", stellte der Junge seine Frage.

Erst als Keisuke leise zu lachen begann, sah Kazutora ihn verwirrt an.

*Warum lacht er? War die Frage wirklich so dumm?*, fragte er sich selber. Beschämt drehte Katutora sich wieder weg. Im nächsten Moment legte sich ein Arm um seine Schulter.

Überrascht sah er Baji an, der immer noch leicht lachte.

„Nunja, ich wurde heute schon in der ersten Stunde aus der Klasse geworfen", lachte er.

*Warum findet der das so lustig?*, verstand der Ältere nicht und zog etwas die Augenbraue nach oben.

„Wie das?", fragte der Kleinere weiter.

Langsam zog Baji seinen Arm wieder von Kazutora's Schulter. Der Gelbäugige linste hinüber. Sofort merkte er, dass Baji's Blick sich verändert hatte, doch Katutora wusste nicht was es bedeuten sollte.

„Weißt du mir geht das alles am Arsch vorbei. Ich hasse die Lehrer und meine Mitschüler erstrecht. Ich bin so schlecht in der Schule, dass ich vielleicht sogar sitzen bleibe. Dieser ganze Dreck mit Regeln und was man lernen soll, kapier ich überhaupt nicht", brummte der Schwarzhaarige und stopfte genervt seine Hände in die Taschen seiner Jacke.

Ein leichtes Lächeln zog sich auf Kazutora's Gesicht. *Er ist genau wie ich*

„Hey, was gibts da so blöd zu grinsen?!", wurde er von der Seite angeraunt. Kazutora zuckte leicht zusammen und sah zu Baji rüber der ihm einen genervten Blick zuwarf.

Der Ältere schluckte hörbar.

„So war das nicht gemeint", winkte er sofort ab.
„Ich hab mir nur grade gedacht, dass ich genau so bin wie du"

Erstaunt sah Keisuke den Jungen neben sich an. Von Kopf bis Fuß musterte er den gelbäugigen Jungen, der ihm zumindest äußerlich überhaupt nicht ähnelte.

„Davon merkt und sieht man aber nicht viel, außer dass du dich auch prügeln kannst"

Kazutora lachte leicht. „Naja sagen wir es so, ich wäre so wie du wenn meine Eltern anders wären."

„Dann musst du denen zuhause einfach mal zeigen wo der Hammer hängt und einen Scheiß darauf geben was sie wollen", seufzte Baji, der sich von seiner Mutter schon so gut wie nichts sagen ließ.

Nicht überzeugt zog Kazutora seine Augenbraue nach oben, der jetzt schon die Faust spüren konnte, wenn er nur daran dachte, sich gegen seinen Vater aufzulehnen.

„Nein...lieber nicht...ist schon ok. Bekommst du von deinen Eltern eigentlich keinen Ärger?", fragte der Gelbäugige vorsichtig nach.

„Doch, aber das is mir ziemlich egal. Heute wird's erst wieder Ärger geben, weil ich aus der Klasse geflogen bin und dann darf ich mir wieder anhören...Keisuke was soll nur aus dir werden...Keisuke du schaffst die Klasse nicht...Keisuke was sollen wir denn machen wenn du von der Schule fliegst...und lauter so Sachen", imitierte Baji die melodramatische Stimme seiner Mutter.
„Was kann ich dafür wenn ich den ganzen Scheiß nicht kapier", schnaubte er noch hinterher.

Kazutora sah ihn mitleidig an. Er selbst musste gezwungenermaßen ein Musterschüler sein, wenn er nicht wollte, dass es danach jede Menge Ärger und blaue Flecke hagelte.

„Soll ich dir Nachhilfe geben?", schlug der Kleinere vorsichtig vor.

„Willst du dir das wirklich antun?", seufzte Keisuke, der genau wusste, wie anstrengend er in diesem Thema war.

„Warum nicht", zuckte Kazutora mit den Schultern. Doch kaum hatte er es ausgesprochen überkam es ihn auf einmal.
*Warum will ich ihm helfen? Ich kenn ihn doch kaum. Eigentlich weiß ich gar nichts über ihn*

„Na gut, dann komm". Keisuke blickte in den Himmel. Graue Wolken breiteten sich über der Stadt aus.
„Es fängt eh gleich an zu regnen", seufzte er.

Kazutora nickte, auch wenn er sich jetzt gar nicht mehr so sicher war.

*Was ist, wenn das eine Falle ist? Vielleicht ist er ein Verbündeter von Junpeke und will mich reinlegen*, flatterten ihm diese Gedanken durch den Kopf.

Fester umschloss er seine Hand um die Stoffriemen des Rucksacks und folgte Baji.

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Was denkt ihr? Ob das wohl gut geht? 🤔😅

Würde mich sehr über Feedback freuen :), wünsche euch noch einen schönen Tag.

Das nächste Kapitel kommt wahrscheinlich im Laufe der Woche, wird aber dann voraussichtlich etwas kürzer als die letzten ^^

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