2.
Weihnachten.
Es sind nicht einmal 24 Stunden vergangen.
Ich kann nicht aufhören an etwas anderes zu denken. Immer wieder erinnere ich mich an diesen Moment.
Alles erinnert mich daran und genau deswegen halte ich es in unserem Haus nicht mehr aus.
Ich erhebe mich von meinem Bett und sehe mein Spiegelbild mir gegenüber. Apathisch stehe ich mir selbst gegenüber. Besser gesagt, stehe ich dem Schatten meiner selbst gegenüber. Denn das bin nicht mehr ich.
Das ist ein von Trauer und Schuldgefühlen zerfressener Zombie mit meinem Aussehen.
Ich kann auch den Jungen, den Mörder meines Vaters, nicht vergessen. Er hat mir den Rest genommen, der mir auf dieser Welt noch geblieben ist.
Er hat mir alles genommen was ich noch hatte und deswegen verabscheue ich ihn, ohne ihn zu kennen.
Ich habe auf dem Polizeirevier mitbekommen, dass Sie von einem Geschäft geredet hatten. Ein Geschäft im Zusammenhang mit dem Tod meines Vaters.
Ich weiß nicht, was sie damit meinten.
Mein Vater war ein offenes Buch mir gegenüber. Ich kannte jede Macke an ihm und er so bei mir. Wir waren beste Freunde gewesen bis ans Ende.
Nicht an ihn denken.
Ich drücke schmerzerfüllt meine Augen zusammen und reiße alles von meinem Schreibtisch runter. Alles was dort drauf steht. Alle Geschenke, alle Andenken...Alles knallt laut zu Boden.
Tränen überströmen meine Wangen. Sogar als es unten klingelt, schaffte ich es nicht runter. Ich schaffe es nicht aus meinem Zimmer. Immerzu muss ich dran denken.
An all die Erinnerungen in diesem Haus.
Denk nicht an das.
Ich schnaufe und wische mir über die Wangen.
Mein Leben hat keinen Sinn. Das hat es noch nie gehabt, aber jetzt viel weniger.
Das dauerklingeln bleibt für mich Nebensache. Ich weiß, wer an der Tür ist, doch ich kann ihr nicht gegenübertreten.
Also ignoriere ich das Klingeln und schalte mein Handy auf stumm. Langsam schreite ich durch das Chaos in meinem Zimmer und rüber zu der Tür. Auf dem Balkon lasse ich mich auf der Bank nieder und schaue ins nichts.
Das Klingeln hat mittlerweile aufgehört und das Haus liegt mit mir in Trauer.
Während ich ins Nichts schaue, erkenne ich die olivfarbene Haut, die nicht zum Schnee passt. Ich erkenne die braunen, fast schwarz gelockten Haare. Ein kahler Schrei durchschneidet die idyllische weihnachtliche Landschaft.
Mein Herz hämmert im rasenden Tempo gegen meine Brust. Ich fürchte mein Herz würde vor Schreck aufhören zu schlagen.
Ich fürchte jeden Moment zu sterben und trotzdem schaffe ich es hier nicht weg.
Das perfekte Reh im Scheinwerferlicht.
Ich bin wahrlich auf einem Präsentierteller. Die perfekte Zielscheibe.
Schritte.
Jemand taucht neben mir auf. Ich fahre hoch und mache mich bereit für einen Kampf. Meine beste Freundin taucht neben mir auf und reißt weinend ihre Arme um meinen Körper.
Der letzte Mensch der mich einigermaßen kennt. Ich habe nie gern mich anderen Menschen vollkommen hingegeben.
Etwas hat mich immer zurückgehalten mein ganzes und vor allem wahres Ich ganz preiszugeben.
Sie kennt die lockere Mariell, die gute Noten Mariell, die sich neben der Schule für die Umwelt einsetzende Mariell, die Mariell die ihre Mutter nie kannte.
Sie kennt eine vorgefertigte Mariell.
Sie kennt nicht die wahre Mariell. Sie kennt nur so viel, wie ich zu dieser Zeit von mir erzählen konnte und wollte.
,,Es tut mir so leid" schluchzt sie und weint laut, während sie mich noch fester in den Arm nimmt. Ich drehe mich so, dass ich wieder in die Ferne sehen kann, doch dort draußen ist Niemand mehr.
Die Gestalt des Jungen Mannes muss ich mir eingebildet haben. Bisher habe ich mich wegen ihm nicht einmal getraut zu schlafen.
So paranoid wie ich bin, bilde ich mir jetzt sogar Gespenster ein. Ich atme aus und schlinge meine Arme auch fest um sie.
Der Vater meiner besten Freundin hat mich gestern aus dem Krankenhaus abgeholt und Heim gefahren. Nachdem ich ihm gefühlt tausend Mal bestätigte, dass ich nach Hause wollte.
Er meinte, Sophia würde mich heute holen kommen, damit ich mit ihrer Familie Weihnachten feiern konnte. Damit ich an Weihnachten nicht allein bin. Sie taten es aus Mitleid zu mir. Sie dachten wahrscheinlich, Sie wären mir was schuldig oder sowas.
Sophia löst sich ein bisschen von mir und mustert mich ganz genau. Während sie wie ein Schlosshund weiter weint, bleibe ich kalt.
Ich denke daran, dass ich womöglich meine ganzen Tränen schon verbraucht habe. Dass ich keine einzige Träne mehr in mir trage und es ist okay. Ich kann es sowieso nicht ändern.
,,Ich kann hier bleiben" biete ich an, denn ich will mich nicht aufdrängen. Selbst nach all dem nicht.
,,Du kommst mit mir" schluchzt sie und wischt sich die Tränen weg. Sie nimmt mich noch einmal fest in die Arme um lotst mich zurück in mein Zimmer.
Mit ihrer Hilfe packe ich ein paar Sachen zusammen und gemeinsam verlassen wir das Haus. Welches nun voller verlorenen Erinnerungen steckt.
Welches ich im kalten zurücklasse.
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