1.

Es war kurz vor Weihnachten.

Es ist immer noch so nah und doch als wäre es vor Ewigkeiten geschehen.

Ich erinnere mich an jene Nacht.

Jede Sekunde, jede Minute und jede Stunde.

Jeden Tag.

Es spielt sich in meinen Träumen ab.

Die Bilder flackern vor meinen Augen, wenn ich Sie schließe.

Es passierte damals, ohne das ich etwas tun konnte.

Ich hatte keine Macht darüber.

Ich besaß sie noch nie und viel weniger jetzt.

Ich war allein mit ihm.

Wir waren das schon seit ich denken kann.

Es gab immer nur ihn und mich.

Mich und ihn.

Dieser Tag hat alles geändert.

Seit diesem Tag gab es nur noch mich.

Allein.

Es war sogar genau einen Tag vor Weihnachten.

Wir lebten wie alle anderen, aßen zusammen an Weihnachten, feierten es und hielten uns zusammen über Wasser...

Es gab immer nur mich und meinem Vater.

Es hätte mich treffen sollen.

Ich bin fester Überzeugung, klammere mich an diese Überzeugung. Ich hätte in jener Nacht sterben sollen.

Jedenfalls wäre ich jetzt viel lieber Tod, als hier alleine auf dieser grausamen Welt zu sein.

All die Monate, in denen ich mein Aushilfsjob machen durfte, ging ich immer allein von der Arbeit nach Hause.

Jedes verdammte Mal.

Nur am 23. Dezember holte mich mein Dad bei der Arbeit ab. Wir wollten noch gemeinsam durch die bunt erleuchtete Stadt schlendern und uns was zu Essen auf dem Weg holen.

Wir wollten nur gemeinsame Zeit.

Es war das aller erste Mal, aber auch das aller letzte Mal, wie sich heraus stellen sollte.
Es war jedes mal, als wäre ich wieder da.

Die Kälte schlängelt sich wieder an meinen Beinen hoch, wie an jenem Abend, wenn ich nur daran denke. Sie ließ meine Wangen ganz rosig erscheinen.

Meine Nase lief wegen der schmerzenden Kälte und meine Augen tränten vom faden Wind.

Vereinzelt fielen ein paar dicke Schneeflocken vom Himmel.

Auf der anderen Straßenseite gab es einen riesigen  Tannenbaum, der womöglich viel größer war, als unser Haus.

Der Baum war bunt geschmückt, so herrlich und leuchtete in allen Farben.

Er beeinträchtigte die Kälte und ließ es in diesen Straßen ganz warm und wohlig erscheinen.

Obwohl es bereits ziemlich dunkel war, leuchtete alles.

Die Schaufenster warfen Licht auf den Gehweg und eines zog immer wieder meine Interesse an sich.

Es war das eine.

,,Dad" rief ich freudig auf dem Weg nach Hause und gestikulierte in Richtung des Schaufensters.

Es war ein Kleid.

Ein Kleid, welches ich mir jeden Tag auf dem Weg nach Hause ansah.

Es war wunderschön.

In einem zarten rosa, mit spitze und einem langen Saum.

Es war so unglaublich schön und ich sah mich jedes Mal wieder darin.

 Im nachhinein denke ich, dass ich nicht hätte anhalten dürfen. Wir hätten weiter gemusst, so schnell es geht, nachhause.

Wir hatten an diesem Abend noch Pläne, den Baum schmücken und das ganze Essen naschen, welches wir eigentlich nur vorbereiten wollten.

Vielleicht hätte mein Vater es ja überlebt, wenn ich nicht auf dieses dumme Kleid zugegangen wäre.
Vielleicht wären wir dann immer noch zusammen alleine.
Wir gegen den Rest der Welt, doch so war es nicht.

Ich...

Ich war nun allein. 

Während ich mich immer weiter von meinem Vater entfernte, ihn ganz allein auf der anderen Straßenseite ließ und auf das Schaufenster zu lief. Da passierte es, ohne jeglicher Vorwarnung.

Es war ein einzig lauter Knall. Dieser Knall setzte mich komplett lahm, er ließ mich erschaudern und nichts anderes mehr hören.

Ein Schuss.

Dieser einzige Schuss, der seinen Ziel nicht auch nur um ein Zentimeter verfehlt hat.
In diesem Moment wurde auf mein Vater geschossen.

In der Spiegelung des Schaufensters sah ich wie sich sein Körper schwer auf die Knie fallen ließen. Außerdem ließ in der Spiegelung auch erahnen, dass mein Vater mitten auf der Stirn getroffen wurde.

Ich erinnere mich, dass ich vorne überkippte und mir den Kopf an dem Schaufenster auf geschlagen habe.
Ich erinnere mich, dass ich auf die Seite rollte und meinen Vater am Boden sah.

Ich erinnere mich, dass ich mich nicht getraut habe ihn direkt anzusehen.
Ich erinnere mich an das viele Blut, welches ich in dieser Nacht ertragen musste.

Ein schriller Schrei stieß aus meiner Kehle und Menschen sammelten sich um uns herum.

Einige leisteten Erste Hilfe, obwohl jedem klar gewesen sein muss, das man meinem Vater nicht mehr helfen konnte.

Die Kugel hatte  sich gemeingefährlich in seinen Schädel gedrängt und wichtiges Gewebe des Gehirns verletzt.

Mein ganzer Körper zitterte, unfähig irgendwas zu tun.

Ich schaffte es nicht einmal zu ihm rüber. Zu meinem Vater. Einige Ersthelfer versuchten sich auch um mich zu kümmern, für mich waren Sie aber kilometerweit weg.

Ich redete es mir immer ein,  dass ich doch hätte irgendwas tun können. Ich redete mir ein, dass ich ihm irgendwie hätte helfen Können, doch es war unmöglich.

Mein Vater war in der Sekunde, als die Kugel seine Schädeldecke durchbohrte, Tod.

Mein Vater starb innerhalb eines Atemzugs.

Der laute Knall klirrt noch immer durch meine Ohren. Er klirrt noch immer durch meinen ganzen Körper.
Immer noch spüre ich die Panik in mir, die Angst, den Kummer und die Schuld.
Vor allem aber die Schuld.

An das, was danach passierte, erinnere ich mich nicht mehr so gut.

Es war alles so verschwommen. So benebelt. So kilometerweit weg.
Das einzige an das ich mich noch erinnere, ist er.

Seine dunkle, große Gestalt, vollkommen in Schwarz gehüllt. Die Kälte die er ausstrahlte. Die Kälte die von ihm aus ging.

Der Mörder meines Vaters.

Er stand mir mitten auf dem Gehweg in Mengen der Menschen gegenüber.
Ich erkannte das aufblitzen  seiner Waffe in seiner gesenkten Hand.

Ich war wie betäubt. Ich betrachtete ihn für einen Augenblick nur.

Sein Gesichtsausdruck sah nicht aus, wie von jemanden der einen fremden Menschen auf offener Straße ermordet.

Eigentlich sah sein Gesichtsausdruck nach überhaupt nichts aus. Keinerlei Mimik war zu erkennen, keine Schuld und keine Angst vor Konsequenzen.

Seine Haut war in einem feinen Olivenfarbenen Ton, sein Haar so tief braun, fast schwarz und zart gelockt war es auch.

So gelockt, dass ihm die Haare hinter den Ohren vor standen und sich kräuselten. 

Seine Haare waren länger, als die meisten Männer Sie trugen, aber nicht zu lang.

Sein Aussehen war edel, kalt und herzlos.

Er hob eine Hand und hielt Sie hoch, so als würde er mich grüßen wollen.

Als hätte er eben nicht mein Vater in den Kopf geschossen. So als würden wir uns unter normalen Umständen treffen.

Sein Blick war durchdringend. Als würde er direkt durch mich durch schauen können.

Vor ihm fühlte ich mich durchsichtig, unsichtbar und unbedeutend.
Das Blut, welches aus meiner Wunde am Kopf rinn, tropfte auf meine Nase, lief langsam über mein Kinn und tropfte auf den Gehweg.

Es war das einzige was ich hörte. Das tropfende Blut.

Mit einem mal drehte er sich von mir weg und verschwand schnell und präzise in der Menschenmenge und ich war zu unfähig mich zu bewegen.

Unfähig ihm hinterher zu gehen.
Unfähig irgendetwas zutun.

Ich habe nur noch Einzelteile in meinem Gedächtnis.

Ich wurde von allen möglichen Leuten verhört, ob ich irgendwas gesehen habe.

Ob mein Vater Feinde hatte, doch ich war nicht einmal in der Lage zu sprechen.

Im Krankenhaus wurde ich für eine Nacht da behalten, wegen meiner Kopfverletzung.

Ich wurde wahnsinnig. Man sagte mir, ich solle mich einer Therapie unterziehen noch an dem selben Tag. Man ließ mir keine Zeit zu atmen oder zu trauern.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top