Ohne dich

„Bist du jetzt eigentlich vollkommen übergeschnappt?! Du willst sterben, oder wie habe ich das zu verstehen?!"
Sabine war sauer. Auf Ezra, weil er fast gestorben wäre... und auf sich selbst, weil sie an seiner Seite gewesen war, und nicht hatte verhindern können, was passiert war. Schlimmer noch, sie war sich ziemlich sicher, dass sie der Grund dafür war, dass er verletzt worden war. Er war abgelenkt gewesen und war unnötige Risiken eingegangen.
Der Padawan verdrehte die Augen.
„Entspann dich, okay? Mir geht's gut."
„Gut?! Soll das ein Witz sein?!", gab sie bissig zurück.
„Es ist nur eine Schusswunde an der Schulter, ich werde es überleben."
„Und eine an der Hüfte. Und wenn der Truppler, der deine Schulter erwischt hat, auch nur ein kleines bisschen weiter links getroffen hätte, hättest du einen neuen Arm gebraucht, weil der Schuss die Nerven auseinandergerissen hätte. Diese ganze Aktion war sowas von leichtsinnig! Du wärst fast gestorben! Und wofür?"
Sie war vollkommen frustriert. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre und sie ihm nicht hätte aus der Patsche helfen können... sie wusste nicht, was sie dann getan hätte.
Ezra seufzte, als er sich vorsichtig aufsetzte.
„Hör mal, du übertreibst maßlos, okay? Ich wäre nicht gestorben."
Sie schaute ihn ernst an.
„Okay, beim nächsten Mal mache ich dann begeisterte Luftsprünge, wenn du vollkommen leichtsinnig dein Leben riskierst, indem du das komplette Feuer auf dich ziehst", sagte sie sarkastisch, bevor sie mit fester Stimme fortfuhr. „Lichtschwert und deine Fähigkeiten hin oder her, das waren eine Menge Sturmtruppler und so schlecht schießen die auch wieder nicht. Also ja, du hättest sterben können."
„Und was wäre die Alternative gewesen?! Wenn ich das nicht getan hätte, wären wir vielleicht alle gestorben!" Sie schreckte nicht zurück, obwohl er sie anschrie, aber sie war wesentlich verletzter, als sie tat, das konnte er spüren. „Ich... entschuldige. Es ist nur... du hättest sterben können." Seine Stimme war mit einem Mal ganz weich. „Den Gedanken habe ich nicht ertragen."
Die Mandalorianerin schüttelte den Kopf.
„Ich kann mich auch selbst verteidigen, weißt du? Ich kann das. Ein sehr großer Teil meines Lebens diente nur dem Zweck, das zu lernen, versteh das doch bitte. Du brauchst nicht den Babysitter für mich zu spielen. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Und du solltest erst recht nicht wie ein Idiot rein preschen und ihre Aufmerksamkeit auf dich ziehen." Sie griff seine Hand. „Glaubst du, mir würde es damit gut gehen, wenn dir etwas passiert? Denkst du, es wäre irgendwie besser, wenn ich überlebe, weil du stirbst? Wie glaubst du würde es mir dabei gehen?"
Sie hatte alle Mühe dabei, sich weit genug unter Kontrolle zu halten, damit sie nicht vor Wut und Angst und Trauer zu zittern begann, so sehr machte die bloße Vorstellung sie fertig. Und das Problem war, dass sie wusste, was er antworten würde. Sie hatte es in den letzten Wochen gesehen, in denen er endlich wieder jemanden nah genug an sich ran gelassen hatte, um mit der Person auf Missionen zu gehen. Er wurde immer besser... aber wenn es hart auf hart kam und die Leben seines Teams auf dem Spiel standen, war er sofort bereit, sein eigenes Leben zu opfern, wenn es nur hieß, dass die anderen heil aus der Sache rauskamen. Auch dann – und das ärgerte die Mandalorianerin besonders –, wenn es nicht ansatzweise nötig gewesen wäre.
„Ich-", fing er an, aber Sabine unterbrach ihn.
Sie wollte es nicht hören. Sie wollte kein »ja« hören. Also redete sie stattdessen energisch auf ihn ein, ohne sich seine Antwort anzuhören.
„Ich weiß, nach Malachor hast du dir eingeredet, unser aller persönlicher Beschützer sein zu müssen. Das ist zwar gut gemeint... Aber das musst du nicht sein, okay? Wir können auf uns selbst aufpassen. Pass du nur bitte auch auf dich auf. Bitte setz dein Leben nicht unnötig für uns oder für irgendein Missionsziel aufs Spiel. Das ist es einfach nicht wert."
Ihm stiegen Tränen in die Augen. Sie verstand ihn nicht. Niemand konnte das. Was er getan hatte, konnte er nicht wieder gut machen. Ganz egal was sie sagte... daran konnte sie nichts ändern. Niemand konnte das.
„So einfach ist es nicht, okay? Kanan, er..."
Seine Stimme zitterte. Sabine legte beschwichtigend einen Arm um seine Schulter, vorsichtig, ihn dabei nicht zu verletzen.
„Gibt dir nicht die Schuld daran, was passiert ist. Keiner von uns tut das. Der Einzige, der dir die Schuld gibt, bist du selbst. Es würde uns allen so unglaublich helfen, wenn du endlich aufhören würdest, dich zu quälen. Wir vermissen dich, und wir brauchen dich, verstehst du das? Als Familie. Als Unterstützung. Nicht als Beschützer. Auch wenn du dir das selbst einredest... du hast nichts gutzumachen. Du tust uns bloß damit weh, dass du nie da bist."
Ezra wirkte fast ein wenig überrascht.
„Ich... ich dachte, es wäre besser, wenn ich weg bleibe. Für euch, und für mich. Weil sich dann keiner etwas vorlügen muss. Ihr müsst nicht so tun, als wäret ihr froh, mich zu sehen, und ich müsste nicht so tun, als wäre ich wieder in Ordnung und käme mit dem, was ich getan habe, klar."
„Wir alle machen Fehler, Ezra. Vertrauen den falschen Leuten, werden verletzt, verletzen andere. Das ist normal, es ist menschlich." Sie senkte den Kopf. „Aber wenn wir den Rest unseres Lebens nur damit verbringen, für unsere Fehler zu büßen, werden wir nicht mehr richtig glücklich werden. Und das würde ich gern sein. Und ich möchte auch, dass du es wieder bist. Zumindest hin und wieder. Unsere Zeit ist zu wertvoll, sie mit Reue und Hass aufeinander zu verschwenden. Wer weiß, wie viel uns noch bleibt."
Die Mandalorianerin biss sich auf die Lippe.
„Sag sowas nicht", erwiderte er traurig. Die bloße Vorstellung, dass sie... irgendwann einfach nicht mehr da sein würde, brachte ihn fast um. „Du... die ganze Crew... ihr verdient es, glücklich zu werden. Nach dem Krieg. Für den Rest eures Lebens. Hast du nie darüber nachgedacht? Was du tun willst, wenn das alles hier vorbei ist? In der Zukunft?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich... versuche, nicht zu sehr darüber nachzudenken." Sabine seufzte, als sie den Arm wegzog, der bis dahin noch immer um ihn gelegt gewesen war. „Weißt du, ich... ich denke, ich lebe nicht lange genug, um herauszufinden, wie es wirklich sein wird, und das würde diese Träumereien nur schmerzhaft machen. Ich meine seien wir mal ehrlich. Du, ich, die Crew... auch wenn wir das richtige wollen... letztendlich sind wir alle Mörder. Was haben Leute wie wir schon für eine Zukunft? Warum sollten wir überhaupt eine Zukunft haben? Abgesehen davon, dass das Konzept generell Blödsinn ist... für uns gibt es kein »glücklich bis ans Ende aller Tage«. Wir werden mit Narben aus diesem Krieg gehen, falls wir ihn überleben, und einige davon werden nie mehr verheilen. Da mache ich mir keine Illusionen. Unser Leben nach all dem hier wird vielleicht wieder in Ordnung sein, aber in einem normalen Leben richtig glücklich werden... ich glaube, wenn das jemals passiert, wird es noch sehr lange dauern bis dahin. Mit jeder Minute dieses Krieges vergesse ich mehr, wie es überhaupt war, ein normales Leben zu führen, und ich zweifle daran, dass ich das je wieder tun kann. Außer uns kann das niemand verstehen. Wir unterstützen einander. Und ohne einander werden wir zerbrechen. Und deshalb lass bitte diesen riskanten Blödsinn, in Ordnung?"
Ezra wollte ihr widersprechen. Er wollte ihr sagen, dass das nicht stimmte... aber das wäre gelogen gewesen. Und dass alles, was sie gerade gesagt hatte, die bittere Wahrheit war, machte es so viel schlimmer.
„Weißt du, ich habe darüber nachgedacht. Und das war auch der Grund, warum ich heute mein Leben riskiert habe."
Sabine schüttelte den Kopf.
„Sag es nicht, bitte. Ich will es gar nicht wissen. Wir haben vielleicht gar keine Zukunft, okay? Also lass uns die Zeit genießen, die wir haben. Im hier und jetzt. Solange wir können."
Und er tat, worum sie ihn gebeten hatte, und schwere, deprimierende Stille legte sich über den Raum. So still verbrachten sie den größten Teil des Rückflug, über den er ihre Behandlung stumm über sich ergehen ließ. Aber dass er das, was er gedacht hatte, als er sein Leben riskiert hatte, und an das er nun wieder denken musste, nicht ausgesprochen hatte, machte es nicht weniger wahr. Er sah es, jeden Tag, jede Sekunde, in der er die Mandalorianerin ansah, die ihm so unendlich viel Halt gab und ihm geholfen hatte, so viele Momente zu überstehen, die ihn ansonsten vollkommen zerstört hätten.
Er dachte daran, wie naiv verknallt er in sie gewesen war, als er zur Crew gekommen war, und kam sich im Nachhinein deshalb oberflächlich und bescheuert vor. Klar, sie war wunderschön, seine Meinung diesbezüglich hatte sich nie geändert... aber da war so viel mehr. Das, was er für sie empfand, nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten, war so viel mehr als eine einfache Verknalltheit. Es war, als wäre sie über die Jahre hinweg ein Teil von ihm geworden, ohne den er nicht mehr leben konnte... als wäre sie das einzige, was ihn in seinen dunkelsten Momenten daran erinnern konnte, wie man atmete. Und das führte dazu, dass er sie liebte... weit mehr als sein eigenes Leben, und genug, um sich selbst für sie aufzugeben, wenn es sein musste. So ging es ihm mit der ganzen Crew, aber mit Sabine ganz besonders. Eine Galaxis ohne sie war keine Galaxis, in der er leben wollte. Die Vorstellung davon, dass er, hätte die Macht ihn nicht zur Crew geführt, sie nie kennengelernt hätte, fühlte sich unendlich seltsam für ihn an.
In der Dunkelheit der letzten Monate war sie so oft sein Licht gewesen, viel mehr, als ihr wohl bewusst war, und selbst dann, wenn es wirklich nur kleine, nette Gesten gewesen waren, die für sie wohl kaum besonders viel bedeutet hatten – Momente, in denen sie ihn gedrängt hatte, zu essen, was so weit ging, dass sie ihm selbst Sachen aufs Zimmer gebracht hatte, oder sie ihn um seine Meinung bei einem neuen Bild gebeten hatte. All diese Sachen, die ihm gezeigt hatten, dass er ihr trotz all seiner Fehler vielleicht nicht vollkommen egal geworden war... Auch wenn ein Teil von ihm nicht umhingekommen war, zu denken, dass sie ihm die Malachor-Sache trotz allem vorwarf. Aber zuvor schien sie so... so ehrlich verzweifelt gewesen zu sein, dass er davon absah, das zu glauben.
Er seufzte leise. Langsam schien er vor lauter Schuldgefühlen vollkommen paranoid zu werden.
Ezra versuchte, sich zu verbieten, diese Wärme zu fühlen, die er empfand, wenn sie in der Nähe war. Weil es das alles komplizierter machte. Weil er Angst hatte, dass seinetwegen nochmal jemand verletzt werden würde, den er liebte. Weil er Angst hatte, dass sie, wenn ihm etwas zustoßen würde, noch verletzter sein würde als sowieso schon, wenn er sie näher an sich heranließ. Alles wäre einfacher gewesen, hätte sie ihn einfach gehasst. Dann hätte er sie beschützen können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie dabei verletzt werden würde, wenn er es irgendwann nicht mehr konnte. Gut, das war zugegebenermaßen sowieso nicht das Ziel – denn wenn er nicht mehr da war, hieß das auch, dass er sie nicht mehr beschützen konnte –, aber dennoch konnte er nicht anders, als daran zu denken.
Das alles, gekoppelt mit seinen Schuldgefühlen und seinem Selbsthass, führte dazu, dass er sie von sich wegdrückte, wenn er eigentlich nichts mehr wollte, als sie an sich heranzuziehen und sich an ihrer Schulter auszuweinen. Dass er manchmal ganz kalt zu ihr war, obwohl sie eigentlich die Welt verdiente. Er sah immer wieder, dass er ihr damit weh tat, und fühlte sich schrecklich deswegen, aber er tat sich zu schwer damit, von der nach innen gerichteten Wut wegzukommen, um damit aufzuhören, gerade weil eine Stimme in seinem Kopf... und vielleicht auch die Stimme aus dem Holocron... überzeugt davon war, dass er das Richtige tat.
Aber Sabine, unnachgiebig wie immer, ließ sich nicht so einfach loswerden. Und es gab Momente, in denen seine realen Gefühle hinter dieser Mauer hervorkamen, die er um sich aufgebaut hatte. Er liebte es, dass sie sein schwaches, verletzliches Ich hervorbrachte, so sehr, wie er es hasste. Obwohl er wusste, dass er nie wieder der Junge sein würde, der er vor Malachor gewesen war, hatte sie etwas an sich, das ihn ab und an hoffnungsvoller, naiver und verletzlicher machte, als ihm lieb gewesen wäre... und ein Teil von ihm wusste auch, dass das ziemlich weit oben auf der Liste der Gründe stand, warum er sie so sehr liebte.
So saß er einfach da und dachte nach, in vollkommener Stille, ließ sich von Sabine verarzten und versuchte zwanghaft, zu ignorieren, wie sehr er es genoss, wenn sie ihn dabei berührte, obwohl es natürlich auch weh tat. Nach einer Weile der Stille fing die Mandalorianerin wieder an zu schimpfen.
„Ist ja gut, Kleine. Au. Kommt nicht nochmal vor."
Sie wusste wohl, dass das nicht stimmte, schien aber nicht nochmal einen Streit vom Zaun brechen zu wollen und keine Energie mehr für die Diskussion zu haben, also seufzte sie einfach nur lautstark, verdrehte ihre wunderschönen braunen Augen und machte den Bacta-Verband etwas fester.
Er lächelte frech.
Ob sie sie nun hören wollte oder nicht... er hatte über die Zukunft nachgedacht, und die Antwort auf die Frage, was werden würde, sie war ganz einfach. Jedes Mal, wenn er sie ansah, wusste er, warum er jederzeit sein Leben für sie riskieren würde, ohne es je zu bereuen. Sie hatte so viel durchgemacht, und mehr als alles andere wünschte er sich, dass sie alle Zeit des Universums hatte, um wieder richtig glücklich zu werden. Aber da war noch etwas.
»Ohne dich habe ich keine Zukunft.«

A/N: Die Idee (und den Anfang) dieses Oneshots hatte ich jetzt schon gefühlt zwei Jahre in meinen Notizen rumfliegen. Ich hatte während dem Schreiben irgendwann vollkommen die Motivation verloren, aber als ich dann heute mal wieder durch meine „Ideen"-Spalte gegangen bin, wie ich es manchmal mache, hab ich den Ansatz wieder ausgebuddelt und dachte mir, ich könnte ja mal versuchen, etwas daran weiterzuschreiben, und bitte, hier bin ich. Hat ja auch gerade mal gefühlt ewig gedauert, bis ich mich wieder drangesetzt habe. Hurra ich.
Hoffe, es gefällt euch ein wenig. Die Geschichte spielt, für alle, die es interessiert, eine Weile nach „Familienbunde".

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