Freunde

Freunde...Ein heikles Thema. Hatte ich überhaupt welche und wann würde mir endlich mal jemand sagen, warum ich so lange geschlafen hatte. "Wieso redet ihr nicht mit mir?", wütend auf alles und jeden.

Nur Phil schaffte es mit seiner ruhigen besonnen Art mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. "Lasst sie in Ruhe!", schob die nervigen Weißkittel nach draußen.
Phil...Der einzige Lichtblick in diesem tristen Spiel, mein Bruder eben, wartete bis ich eingeschlafen war, spürte wie er das Zimmer verließ.

Nun stand er draußen auf dem Gang mit Herrn Ziegenbärtchen und diskutierte heftig gestikulierend, "redete mit Händen und Füßen", so wie nur unsere Mutter es vermochte.

Alle dachten, ich würde nichts mitbekommen. "Haha...falsch gedacht!", wusste so vieles über mich und andere. Doch ich behielt das für mich, vorerst. "Man spielt noch nicht das ganze Blatt", erinnerte mich an das Kartenspiel mit unserem Vater.

"Lebt er überhaupt noch?", meine Synapsen schlugen regelrecht Purzelbäume. Nicht wirklich erklärbar für meine Außenwelt, wie ich sie nannte. Wenn ich meine Ruhe wollte, verkroch ich mich schweigend unter meine nun gestreifte Bettdecke.

"Ja, ich beobachtete und lernte...Lernte und beobachtete...Alles und jeden". Ein Neurologe hätte sicher Spaß mich dabei zu beobachteten. Verdammt NEUROLOGIE..

MRT...MAGNETRESO...dingsbums...fertig

Dunkel erinnerte ich mich an das Hämmern und Knacken in meinen Ohren als ich mal wieder in diesem sündhaft teuren Teil herumliegen musste. Ich versuchte mal wieder an nichts zu denken. Und selbst dabei wurde ich gestört.

Eine auf Stelzen laufende Mittfünfzigerin mit hochgesteckten Haaren und hässlicher dick schwarz umrandeter Brille beobachtete mich, störte meine Gedanken, analysierte mich. Wie ich das hier alles hasste...

"Oh Schicksal wie bist du so hart...", keine Flucht möglich. "Gleich geschafft...", endlich weg hier, wollte rennen, was ich nicht konnte. Meine Hände und Füße brannten fürchterlich...

"Konnte es noch schlimmer kommen?", nicht zu Ende gedacht, stand Herr Ziegenbärtchen schon wieder bei mir auf der Matte. "Mensch, verpiss dich doch endlich! Ich will dich nicht sehn!"...

Konnte es ihm nicht sagen...wollte einfach fliehen...einfach weg hier. Raus aus dieser Tretmühle, die mich in ihrer Gewalt hatte...Keine Flucht möglich.

"Ich gebe nicht auf! Ihr werdet schon sehn...", müde und abgekämpft..."Hatte ich eigentlich Freunde, so richtige von früher?"...

Wie das klang: "früher", so alt war ich dann doch nicht. Hoffte endlich auf ein liebes bekanntes Gesicht zu treffen. "Scheiße...nicht der schon wieder!", wollte rennen...

Wieder stand ein Weißkittel an meinem Bett, zigtausend Mal hatte ich das schon erlebt...für die Routine. Ich aber hasste es...konnte sie nicht mehr sehn...egal ob jung oder alt...dick oder dünn.

"Weißkittel würden niemals meine Freunde...Niemals!", hörst du, schrie ich allen zu. Doch keiner hörte mich. Ich musste mühsam wieder sprechen lernen.

Doch mein Gehirn war einfach viel schneller als bei anderen. Und keiner wusste warum...wirklich keiner.

Und jetzt kam gleich noch die "Domina des Labors", wie ich sie getauft hatte. Mal wieder von meinem Lebenssaft zapfen. "Man es reicht!", wollte toben, schreien.

Griff mit letzter Kraft nach ihr und bohrte meine Fingernägel in das Fleisch ihrer Hand. Oh was war ich gerade wütend und sie blieb einfach seelenruhig sitzen.

"Also doch 'ne verkappte SM", verzog noch immer keine Miene und ich ließ noch immer nicht von ihr ab.

"Ja, da staunst du? Die Laborratte hat sich endlich gewehrt!", verzog mein Gesicht und steckte ihr nun die Zunge raus.

Damit hatte sie wohl nicht gerechnet, rief nach dem Professor. Hatte wohl keiner gehört. "Pech, meine Liebe!".

Einmal zu viel hatte sie mich und meinen Körper geschunden. Die Laborratte lebte, mehr denn je. Und sie lernte und beobachtete...beobachtete und lernte...rasend schnell...

Da kam keiner mehr mit, nicht mal Phil. Auch er war blitzschnell und überdurchschnittlich intelligent.

"Nichts da, er ist keine Laborratte! Ihn bekommt ihr nicht! Niemals!", tobte ein Kampf in meinem Inneren, den ich gewinnen wollte, hatte viel zu lange geschlafen...

"FREUNDE"...

...hatte ich die überhaupt und falls ja, würden sie mir die Wahrheit sagen? Hilfe, unaufhörlich arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren wie ein Prozessor im Inneren eines Computers.

Nur ich war der Computer und die Synapsen, die Schnittstellen auf meinem Übertragungsweg. "Verdammt, gib dir Mühe! Du musst endlich wieder sprechen!".

"Keine schlechte Idee!", schon wieder stand Herr Ziegenbärtchen neben meinem Bett, zog sich einen Stuhl heran, griff nach meiner Hand, hielt sie fest.

"Wir werden das Sprechen neu erlernen müssen!", hielt noch meine Hand. "Was für ein Quatsch, "Wir"...doch wohl eher "ich"...Er konnte ja schließlich reden.

Spürte seine schwitzige Handfläche. Der war wohl aufgeregter als ich selbst. Nun blickte ich ihn an, sah in seine braunen Augen.

"Braune Augen...", mehr wusste ich nicht mehr. Passend zu seinem Ziegenbärtchen trug er langes Haar, was im Nacken zusammen gebunden war. Dunkel erinnerte ich mich, dass auch unsere Mutter ihr Haar so trug.

Und auch Phil ließ sich davon anstecken, trug sein blondes Haar mit Stolz. An das Bildnis unseres Vaters konnte ich mich nicht erinnern, nur an sein Vanillepfeifchen.

Aber langsam kamen Bruchstücke meines Lebens wieder an die Oberfläche gekrochen. Ich musste sie nur zusammensetzen wie ein Puzzle, das Puzzle meines Lebens.

Nur wusste ich noch immer nicht, ob ich sogenannte "wahre Freunde" hatte. Und hier würde man mir sowieso nicht die Wahrheit erzählen. Schließlich sollte man mich schonen.

Konnte es schon nicht mehr hören, traute keinem Weißkittel mehr über dem Weg. Zu viel hatte ich während meiner Zeit im Koma über sie erfahren. Ungewollt gewisse Dinge erfahren. Noch immer dachte man, ich wüsste nicht Bescheid.

Nur vergessen diese Halbgötter in weiß, dass wir uns zwar nicht mitteilen können und trotzdem alles mitbekommen.

Was sind sie doch einfältig. Schließlich war ich nicht die Erste, die aus dem Koma wieder erwachte. Und werde wohl auch nicht die Letzte sein. Aber noch immer hatten sie nichts begriffen.

Auch wenn ich noch hilflos wie ein Baby war, so würde dieser Zustand doch nicht ewig anhalten. Zumindest hoffte ich das tief in meinem Inneren. Und ich wollte alles dafür tun. Notfalls ertrug ich Herrn Ziegenbärtchen und seine Gehilfen.

"Ich werde euch zeigen, was in mir steckt!", hoffte endlich auf Freunde, wenn ich denn welche hatte. Und schreiben wollte ich auch wieder können.

Was fast noch wichtiger für mich wahr: "Ich wollte wieder in meinen Büchern schmökern können! Wenn es hier oben jemanden gibt, dann hilft mir, bitte!", faltete meine Hände und wandte den Blick gen Himmel.

Es war ungewöhnlich für mich, wohl aber nicht unmöglich. Ich wollte glauben, musste es einfach. Glauben an meine vollständige Heilung, wann auch immer das sein würde.









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