Quae est verum * aktualisiert
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Die Gesichter verborgen unter dunklen Kapuzen beobachteten das Mädchen. Folgten unauffällig dem roten Farbtupfer ihrer Haare, wie sie die Treppen hoch eilte. Sich immer wieder hastig umsah und die Gegend mit ihren grünen Augen scannte, um dann unruhig weiter zu hetzen. Immer weiter den Berg hinauf und hinein in die labyrinthartige Stadt. Erst als sie eine Ebene über dem Schulhof erreicht hatten, machten die Verfolger halt. Genossen die Unruhe, die das Gesicht des Mädchens widerspiegelte.
„Sie merkt, dass wir sie beobachten!", krächzte eine der drei Gestalten. Ihre langen Fingernägel krallten sich in die steinerne Mauer, an der sie standen. Mörtelsplitter sammelten sich unter den Nägeln. Schnitten in das weiche Fleisch. Gelangweilt drehte sie die Hand nach oben und betrachte aus der Dunkelheit der Kapuze heraus den Schmutz. „Natürlich bemerkt sie uns!", zischte die Größte der Drei. Sie stand in der Mitte und unterschied sich nur durch ihre Größe. Die dunklen Mäntel, die sie trugen, ließen sie wie drei Raben wirken. „Sie ist eine Namara!". Die erste Gestalt zuckte beim scharfen Klang der Stimme zusammen und senkte die Hand. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihrem Handrücken und breitete sich wie Unkraut flächendeckend auf ihrem Arm aus. Unauffällig zog sie an ihrem Ärmel, um das Zeichen ihrer Furcht zu verstecken. Ihr Körper bebte. Der Stoff des Mantels zitterte und warf Falten. Ein kaltes, genießerisches Kichern ertönte. Als sie ihren Blick demutsvoll, ergeben hob, erhaschte sie einen Blick auf das tiefe Rot, das aus den Schatten der Kapuze herausleuchtete. Ähnlich krabbelnden Spinnen, liefen Schauer aus Ekel und Panik über ihren Körper. Verborgen durch die Kapuze sah sie das spöttische Grinsen nicht. Aber sie konnte es fühlen. Ergeben senkte sie wieder den Blick. Die Kapuze fiel ihr wie ein Schutzschild vors Gesicht. „Sollen wir sie töten, Herrin?", leise drang die Stimme von der anderen Seite der Anführerin herüber. Der Tonfall eine Kombination aus demutsvollem Einschmeicheln und unterdrücktem Hass. „Nein!", die benannte Herrin blickte vom steinernen Plato hinunter. Ihre Augen folgten dem rothaarigen Mädchen:" Noch nicht! Sie könnte nützlich für unsere Sache werden. Und wenn nicht..", die Schultern hoben sich unter dem Stoff:" ... dann töten wir sie!"
„Wie kann sie nützlich sein?", die Worte kamen undeutlich durch zusammengebissenen Zähne. Geröll löste sich von der Mauer. Krachend fielen die Steinchen eine Etage tiefer in den Schulhof. „Das hat euch nicht zu interessieren!", die rotglühenden Augen unter der Kapuze bewegten sich bedeutungsschwer nach links und rechts, wo die in Stille verfallene Person stand:" ich befehle- ihr folgt! Vergesst, das nie!"
***
In ihrem Rücken kribbelte es. Hastig drehte Alainn sich um, prallte gegen Schülermassen, die sie wieder Richtung Eingang zerrten. Ihre Augen suchten den Platz ab. Fachwerkhäuser, die sich aneinanderreihten und einen kreisrunden Marktplatz bildeten. Zwei Gassen, die eine Ebene höher führten und eine wendeltreppenähnliche Gasse, die den Berg hinunter führte. Eine merkwürdige Stadt, dachte Alainn. Ihr Blick fiel auf eine steinerne Mauer, an deren Boden buntes Laub klebte und die wie ein Farbtupfer im trüben Grau des Tages wirkten. Nebelschwaden waberten über den Boden, Tau funkelte in winzigen Wassertropfen von den Blättern. Ein Schwarm Krähen gleich lachten und redeten die Schüler. Wieder kribbelte Alainns Rücken. Eine Gänsehaut bildete sich zwischen ihren Schulterblättern. Hastiges Herumdrehen ihrerseits war die Folge davon. Grüne Augen, die Menschen und Gassen absuchten. Schweiß bildete sich auf ihrer Haut. Kühlte in der eisigen Oktoberluft ihre Körpertemperatur auf eine gefährliche Gradzahl herunter. Unruhig um sich blickend, überquerte sie den Marktplatz.
Wie verzaubert stoppte sie vor dem schmiedeeisernen Eingangstor der Schule. Um die geschwungenen Verstrebungen hing immergrüner Efeu und ließ den Eingang der Schule wie ein Tor in eine andere Welt erscheinen. Die Stadt Wolfsbach war eine vor Jahrhunderten aus dem Berg herausgeschlagene Burg, die sich in mehreren Ebenen und Platos über den Berg erstreckten. Moose und Flechten kletterte an alten bröseligen Steinmauern empor. Unkraut nistete sich in den Fugen des Kopfsteinpflasters ein, Gestrüpp bahnte sich seinen Weg in jedem freien Zwischenraum. Auf der Stadt lag der Zauber des leisen Zerfalls durch die Eroberung der Natur. Alainn drückte sich in eine dunkle Ecke- fern von den Blicken in ihrem Rücken. Von dort aus konnte sie die Fachwerkhäuser betrachten, wie sie sich an den Berg klammerten, die abertausenden Winkel und Ecken und Innenhöfe, die über ganze Ebenen des Berges verliefen. Sie sah das Labyrinth der verlassenen Gassen oberhalb der belebten Stadt, die sich in einem nebelverhangenen Plato sammelten. Noch immer schlug ihr Herz wild gegen sein Gefängnis. Alainn atmete tief ein und aus. Verlangsamte ihren Puls und leckte sich über die blau angelaufenen Lippen. Dann stieß sie sich ab. Eilte über den Schulhof und in die Schule hinein. Es war, als betrete sie erneut eine Traumwelt. Eine, die ihr bekannt vor kam mit ihren erleuchteten Gängen und Rundglasfenstern, bestickten Wandteppichen und den ausgelegten, roten Teppich auf dem Steinboden. „Allison Grey!", murmelte Alainn, während sie sich suchend durch die Massen der Schüler umsah:" Was hat das zu bedeuten?" WUM!
Alainn prallte gegen eine Gestalt. Bücher ergossen sich auf den Boden, mit dem sie unsanft Bekanntschaft machte. „Alainn Namara, nicht?" Stöhnend rieb sich das Mädchen die Brust. Es fühlte sie an, als sei sie gegen Stein gelaufen. Als sie den Blick hob, starrte sie in zwei wasserstoffblaue Augen. Das Gesicht des Mannes wirkte merkwürdig alterslos, seine honigbraunen Haare zu perfekt, zu akkurat. Noch immer auf den vier Buchstaben sitzend, starrte Alainn ihn verdattert an. Er reichte ihr höflich die Hand:" Tut mir leid, dass mein stürmischer Empfang sie so umgehauen hat..", in seinen Augen funkelte es amüsiert. Alainn lachte nicht. Sie spürte nicht einmal einen Hauch des Amüsement, den der Mann vor ihr, an den Tag legte. „Ich bin Professor Rees, der Leiter dieser Institution.". Er sagte Leiter statt Direktor, verwendete das Wort Institution anstatt Schule und betonte auf seltsamerweise jede einzelne Silbe. Er war aalglatt. Und das weckte Alainns Misstrauen. Sie folgte seiner einladenden Handbewegung mit zusammengekniffenen Augen, die jede seiner Bewegungen observierte. Sein Gang hatte etwas Graziöses. Professor Rees war groß und schlank. Vielleicht hätte man ihn für schwach gehalten, wären da nicht die sehnigen Arme und der federnde Schritt und die Gerade- ja fast militärische, Haltung.
Nicht nur Alainn beobachtete den Professor, auch andersherum, betrachtete der Direktor das Mädchen mit prüfenden Blicken. Immer wieder drehte er sein Kopf zu ihr herum. Mit seinen wasserstoffblauen Augen kontrollierte er, dass sie ihm folgte. Er fand es seltsam, dass kein Rascheln von Kleidung, kein Windhauch, nicht mal der Duft eines Parfüms ihre Anwesenheit verriet. Prüfend drehte er sich zu ihr um. Ihr Schritt hatte etwas Raubtierartiges. Eine ruhige, lauernde Gangart, die sie geräuschlos ausführte. Er begegnete ihrem Blick. Ein stechender Ausdruck lag in ihren tiefgrünen Augen. Nicht ein einziges Mal senkte sie ihre Lider oder wand ihren Blick ab.
Professor Rees Büro hätte besser zu einem Dandy des 19. Jahrhunderts gepasst, der mit einem maßgeschneiderten Anzug, Veste, Einstecktuch und einem Butler auf das Servieren seines Brandys in Kristallgläsern wartet. Alainns Blick wanderte über die dunkle Holzvertäfelung, die den Raum verdunkelte, die Gemälde von Menschen aus vergangenen Epochen. Auffallend war die Ähnlichkeit der Menschen in Wams und Strumpfhosen mit dem Professor selbst. Die gleichen wasserstoffblauen Augen, die hohen Wangenknochen und die mandelförmigen Augen, die ihm trotz alldem nichts Asiatisches anhaften ließ, sondern sein Gesicht mit einer schärfe hervorstechen ließ. Alainn betrachtete den Direktor, wie er hinter dem beeindruckenden Monstrum eines Schreibtisches aus seinem ledernen Lehnstuhl hervorragte. Je länger sie ihn betrachtete, umso mehr konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass die Luft um ihn herum zu flimmern begann. Zwischen dem Flattern der Luft lugte eine Gestalt mit spitzen Ohren und milchigen Augen ihr entgegen. Aber immer, wenn sich die Konturen der Kreatur verschärften, verschwamm das Bild wieder und vor ihr saß nur der Direktor. Rees entging nicht der misstrauische Blick des Mädchens, die jede seiner Bewegungen aus leuchtend grünen Augen verfolgte. Ihre Augen hatten etwas Hypnotisches. Die Farbe ihrer Iris war von einer so intensiven Farbe, dass sie einen anzog und man den Blick nur schwerlich abwenden konnte. Ähnlich der Wirkung von Licht auf Nachtfalter, dachte der Mann.
„Setzt dich doch!", er lächelte bemüht um Freundlichkeit. Trotzig schob das Mädchen den Stuhl vor dem Schreibtisch zurück und fläzte sich hinein. Sie rutschte im Stuhl vor, sodass ihr Kopf auf der Lehne lag. „Haben Sie den Schreibtisch mit Absicht vor das Fenster geschoben? So das alle hier Sitzenden vom Licht geblendet und verunsichert werden?", der Kaugummi in ihrem Mund knatschte laut. Er sah dabei zu, wie ihr Kiefer auseinandersprang und wieder zusammen trafen. Jedes Mal gab der rosa Kaugummi ein quatschendes Geräusch, dass Rees an Gummistiefel erinnerten, die durch eine Moorlandschaft wanderten und alle zwei Meter in der nassen Erde versanken und mit Gewalt herausgezogen werden mussten.
Ein ekelhaftes Geräusch. In ihrem Mundwinkel zuckte es amüsiert, so als wisse sie, um seine Gedanken. Er räusperte sich. „Gut durchdachte!", sagte Alainn und sah sich noch einmal um. Sie konnte ihren Kopf nicht besondersweit drehen, weil die Lehne des Stuhles sie dabei hinderte. Sie richtete sich ein wenig auf, ließ sich dann aber wieder tief in den Stuhl fallen:" Ein Psychologischer Vorteil bei Verhören würde ich sagen!", sie hob belustigt die Augenbrauen. In ihren Augen funkelte es. Sie spielte mit ihm. Professor Rees lächelte gutmütig und lehnte sich in den Sessel zurück:" Das hier ist eine Schule, Alainn und kein Polizeirevier. Ich führe keine Verhöre!"
„Ich dachte, dass hier wäre eine „Institution"?", sie betonte jede Silbe des Wortes, hob dabei spöttisch die Augenbrauen und fixierte den Direktor und jede Zuckung seiner Mimik. Dann wand sie urplötzlich den Blick ab, ließ ihre Augen über die Abschlüsse an der Wand wandern. Rees schlug eine Mappe auf. Papier knisterte:" Du bist in den letzten Jahren viel umgezogen!"
„Nein"
„Wie bitte? Deine Akte dokumentiert, dass du an keiner Schule länger als zwei Jahre warst."
„Das habe ich nicht gemeint!", ihr Tonfall war gelangweilt. „Was dann?", so intensiv sie ihn vorhin auch gemusterte hatte, genauso kontinuierlich ignorierten ihre Augen ihn jetzt. „Nicht erst seit ein paar Jahren. Schon immer!"
„Stört dich das?"
„Gibt es hier eine Couch?"
„Entschuldigung?", Rees sah die Rothaarige fragend an. Gemächlich drehte sie ihren Kopf:" Wenn Sie mich schon Psychoanalysieren wollen, will ich mich wenigstens auf eine Couch legen! Was wäre die Realität ohne Klischees, finden Sie nicht auch?", in ihrer Stimme schwang ein dunkler Ton mit. Die Stimmlage war tief, aber seine Bedeutung schien einer leisen Drohung gleich zu kommen.
„Ich will dich nur kennen lernen. Was macht dich so misstrauisch?" Im Gesicht des Mädchens zuckte es. Sie presste die Lippen gewaltsam aufeinander bis sie weiß aufleuchteten. Trotz und Zorn ließen das Grün in ihrer Iris ein Spur dunkler werden. Wie eine Gardine, die man vor ein Fenster zieht, um den Raum vom Sonnenlicht abzuschirmen.
„Ich verstehe,dass ein hochdotierte Psychologe- wie Sie es sind, sich als städtischer Direktor einer Kleinstadt Schule langweilt. Aber ich bin kein Versuchsobjekt und schon gar keine Patientin!"
„Ich verstehe, dass du wütend bist, Alainn. Es muss schwer sein keinen festen Wohnort zu besitzen, bei jedem Umzug Freunde zu verlieren und wieder auf die Suche zu gehen aber ich bin es nicht, auf den du wütend bist!", Alainn schnaubte. Dieses Psychogewäsch hatte ihr gerade noch gefehlt:" Bist du wütend auf deine Mutter, Alainn?"
„Keine Ahnung! Sind Sie denn auf Ihre Mutter wütend, Professor?"
„Was?", verwirrt sah er sie an.
„Na wegen ihrem Stock im Arsch!", in ihren Augen funkelte es gefährlich. Er konnte sehen, dass sie ihn provozierte, ihre Grenzen austeste.
„Du bist sehr respektlos!", Alainn lachte. Dann beugte sie sich vor:" Das...", sie zeigte mit ihrem Zeigefinger auf seine Brust;" ist genau das Problem von euch Erwachsenen. Ihr wollt immer Respekt und Gehorsam. Aber Ihr wollt nichts dafür tun. Ihr verlangt nur, aber Respekt und Gehorsam verdient man sich!"
Stille.
„Kann ich jetzt gehen?"
Professor Rees stand am Fenster und sah dabei zu, wie Alainn Namara aus dem Eingang der Schule stürmte. Das rote Haar wehte wie züngelnde Flammen, um ihre kleine Gestalt. „Und?", fragte eine dunkle Stimme hinter ihm. „Wir sollten sie im Auge behalten!", antwortete der Professor ohne seinen Blick abzuwenden:" Eine wütende, junge Frau ist eine gefährliche Waffe in den falschen Händen!"
Quae est verum: Alles ist wahr!
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