Praenuntius* aktualisiert


12

Blinzelnd öffnete sie ihre Lider. Finsternis hüllte sie ein. Sie lag auf dem kalten Steinboden des Pavillons. Stöhnend richtete sie sich auf und blickte sich verwirrt um. Die Ruinen waren verschwunden, ebenso der Wald. Stattdessen stand sie nun im Pavillon, der sich wiederum in einer runden Tempelanlage befand. Verwitterte Mauern ersetzten kunstvolle Rundbögen, die das Dach trugen. Das gläserne Kuppeldach zeigte die runde Silhouette des Mondes, der schimmerndes Licht in den runden Raum warf. Die Skulpturen warfen im spärlichen Silberlicht gespenstige Schatten. Ohne die Moose und Flechten, die sich um ihre Körper rankten, erkannte Alainn ihre überdurchschnittliche Größe. Ihre kalten Steingesichter liesen sie erschaudern. Die Rillen im Pavillon leuchteten im Licht des Mondes, so als habe jemand eine Schale Glitter fallen gelassen. Neben dem Dach des Pavillons ragte eine riesige Eberesche empor. Alainn erkannte sie an den Beeren und den gefiederten Blättern. Mit großen Augen stieg sie die Stufen hinunter. Erst jetzt bemerkte sie das silberne Kleid, dass sie trug. Vorsichtig berührte sie den Stoff mit den Fingern. Fließendes silberweis schmiegte sich wie eine zweite Haut um ihren Körper. Ein langer Schlitz an ihrer rechten Seite sorgte für die nötige Beinfreiheit. Ihre nackten Füße patschten auf den Boden der Anlage, während sie angezogen von dem mächtigen Baum auf ihn zu schritt. Sie stoppte erst, als ihre Zehen fast die kräftigen Wurzeln berührten. Alainn legte ihren Kopf in den Nacken. In Gold und Silber schimmerte der Baum. Seine mächtige Baumkrone bestand aus millionen verzweigter und verwinkelter Äste und Zweige, an denen sich Blätter und Beeren krallten und ihn schmückten. Zögerlich streckte das Mädchen den Arm aus. Bedächtig so als habe sie Angst, dass eine Berührung dem Baum schaden würde, näherten sich ihre Finger dem Stamm. 

„Weißt du, was du da vor dir hast, kleine Hüterin?". Alainn zuckte zusammen. Ihr Herz raste. Neben ihr stand eine Frau. Eine wunderschöne Frau mit langen, wogenden blonden Haaren und eisblauen Augen, die sie von oben herab musterten. Sie trug das gleiche silbrig-weise Kleid wie sie selbst.

„Der Weltenbaum, nicht wahr?", flüsterte Alainn bedächtig. Die Frau lächelte:" Richtig, kleine Hüterin. Kennst du seine Funktion?" Alainn nickte begierig:" Er ist das Zentrum. Er verbindet alle Welten miteinander. Die Schöpfung der Götter besteht nur so lange wie er besteht. Er ist das Leben. Die Zeit und die Balance. Er ist die höchste magische Kraft neben den Göttern. Er hat das Weltenbuch erschaffen, das Buch der Wahrheit, der Magie, des Wissens. Er ist das Tor der Welten und gleichzeitig ist er jede Welt."

Die Frau lächelte, während sie die Ehrfurcht erstarrte Mimik des Mädchens betrachtete. „So ist es!", sie sah Alainn weiterhin an: „Weißt du denn auch, warum du hier bist?" Alainn schüttelte den Kopf: „Ich weiß ja nicht einmal, wo ich bin! Eben war ich noch...", sie stockte, überlegte. Ihre Erinnerungen waren wirr. So als habe sie sie weit von sich geschoben, und müsse sie erst zurückholen, um die passende Erinnerung herauszukramen."Du bist im Götterhain!", sagte die Frau. Sie hatte eine liebliche Stimme. Sanft und klar wie Morgenrot an einem strahlend blauen Sommermorgen. 

„Im Götterhain? Aber das hier ist doch nur ein Traum? Nur eine Nachwirkung meiner Kräfte, richtig?"

„Ist dem so, kleine Hüterin?"

„Ich weiß es nicht, ich frage euch?", Alainn redete die Frau mit der höfischen Umgangsform an, da sie tief in ihrem Inneren die Macht der Frau spürte. Noch immer hatte sie sich nicht vorgestellt und trotz ihrer Neugier hatte es Alainn nicht gewagt zu fragen. Es war eine alte, kraftvolle Magie, die sie umgab und Alainn hin und wieder die Haare zu Bergen stehen ließ. „Du bist im Götterhain, weil es Zeit ist."

„Zeit, wofür?", die Frau legte lächelnd eine Hand an den Stamm des Baumes. Ließ ihre feinen Finger über seine Rinde tanzen. „Zeit deine Bestimmung zu erfüllen!"

„Meine Bestimmung?", Alainn runzelte die Stirn:" Ich glaube nicht an Bestimmung oder Schicksal. Ich glaube, an den freien Willen!" Lange sah sie Alainn aus eisblauen Augen an:" Der freie Wille schließt die Existenz des Schicksals nicht aus. Seit deiner Geburt steht die Aufgabe deines Lebens fest. Genau wie die Aufgabe deiner Mutter seit ihrer Geburt feststeht."

„Was für eine Aufgabe soll das sein?"

„Du wirst tun, wofür ich deine Blutlinie auserkoren haben. Auserkoren unter hundert Familien!"

Alainn stockte. Ihre grünen Augen besahen die Frau noch einmal:" Ihr seid Ceridwen. Die Göttin der Anderswelten und die Schöpferin der Korrigans!"

Die Frau zeigte ein mildes Lächeln, dass Alainn zu sanft vorkam, als das es echt sein konnte. „Was ist meine Aufgabe, Göttin?", fragte Alainn entschlossen und richtete sich auf. Sie war bereit. Ihr gesamtes Leben hatte sie auf eine solche Chance gewartet. Sie würde der Göttin dienen. Sie unterdrückte ein zufriedenes Lächeln. „Allison Greys Mord setzt etwas in Gang, dass die Balance deiner Welt zerstört."

„Was wurde in Gang gesetzt?"

„Die Zerstörung."

„Die Zerstörung von was?" Ceridwen legte den Kopf schief und blickte das Mädchen an. Ihre eisblauen Augen sahen sie verwundert an, ganz so, als verstehe sie nicht, wie Alainn ihre kryptischen Worte noch nicht entschlüsselt hatte. „Du hast Zeit bis Samhain, Hüterin!"

„Zeit, wofür?", Ceridwen schickte sich zu gehen an. „Zeit sie aufzuhalten!"

„Wen?", in Alainns Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Was für eine merkwürdige Unterhaltung. Auf der anderen Seite: War es denn eine Unterhaltung? Vielmehr schien es eine Zusammensetzung von kryptischen Andeutung, die Alainn eine Aufgabe zuwiesen, die genauso unbestimmt wie die Situation war. Abstrus, dachte Alainn, vollkommen defus. „Die Zerstörer, Allisons Mörder- nenn sie wie du willst!", Cerdiwens sanfter Ton wich einem Befehlston. Ein Ton, den Königinnen in Filmen annahmen:" Halt sie auf. Lerne und werde, wozu du bestimmt bist."

Alainn wagte es nicht nachzufragen. Sie blieb stumm am Weltenbaum stehen. Gebieterisch drehte sich Ceridwen zu ihr um. Musterte sie:" Deine Mutter war älter, als du es jetzt bist. Sie war erfahrener!", sie kam wieder auf Alainn zu und streichelte mit den Finger über ihre Wange. Erschrocken erstarrte das Mädchen zu einer regungslosen Skulptur. Die Finger der Göttin waren kalt, ihre Berührung aber sanft und fast liebevoll:" Ich wünschte, wir könnten dir mehr Zeit geben. Aber die Zeit rennt. Das Ende naht, Alainn. Das Ende deiner Welt. Du sollst die Balance wieder herstellen."

„Wie soll ich das tun?", flüsterte das Mädchen. Ceridwens Hand fiel von ihrem Gesicht und griff nun nach ihrer Hand. Dort wo Allison den Baum gemalt hatte, der seitdem einfach nicht mehr abgehen wollte. Die Göttin zeichnete mit dem Zeigefinger, ein langer, dünner Finger mit einem runden Nagel und der perfekten Nagelhaut, wie Alainn nicht ohne Neid feststellen musste, die Linien des Baumes nach. Dann zeigte sie darauf." Du hast die Kraft des Baumes. Der Baum ist dein Beschützer. Du bist der Baum. Aber du wirst einen großen Preis zahlen. Genau wie der blinde Seher. Yggdrasil erwartet eure Opfer!"

„Mein was? Und wer ist der blinde Seher? Muss ich den jetzt auch noch suchen?"

Ceridwen lachte. Ein glockenhelles Geräusch, dass wie Nachtigallgesang durch die Halle hallte „Du hast ihn doch schon längst gefunden!" , sie fuhr ihr wieder über die Wange :" Durch Blutopfer und Leben wird die Welt zerstört, und nur durch Blutopfer und Leben kann sie wieder aufgebaut werden. Schließe die Tore, kleine Alainn, zahle den Preis und werde eine Dienerin!" Eindringlich sah die Göttin das Mädchen an. „ Aber bin ich nicht eine Hüterin? Ich bin nicht wirklich zum dienen geschaffen. Meine Mutter sagt, ich habe ein Authoritäts Problem!" Die Göttin lachte über die verdatterte Miene Alainns. Sie strich über ihr rotes Haar und führte sie näher an den Baum:" Du wirst Dienerin des Weltenbaumes.Das ist die Aufgabe der Namaras- seit Generationen. Gräme dich nicht kleine Alainn, du wirst schon bald verstehen. ja," , der Ausdruck in den eisblauen Augen wurde melancholisch:" ja, du wirst schon bald erwachsen sein. Viel zu schnell! Aber das Schicksal hat es nicht gut mit dir gemeint."

„Was?", entsetzt sah Alainn sie an. Doch schon griff die Göttin eisern nach ihrer Hand. Alainn wehrte sich. Die Göttin war stark. Stark wie eisen. Nicht einen Millimeter bewegte sie sich in die andere Richtung. „WAS TUT IHR?", schrie Alain, während die Göttin ihre Hand auf das Gold des Baumes drückte. Kurz bevor die Rinde ihre Hand berührte, fing das Feuer an zu lodern. „NEIN!", schrie Alainn. Kämpfte gegen den Griff. Sie musste dabei zusehen, wie ihre Hand sich dem heißen Feuer unerbittlich näherte. Alainn schrie. Das Feuer brannte sich in ihre Haut. Sie sah dabei zu, wie ihre blauen Venen Feuer fingen. Sie spürte, wie ihre Haut Blasen warf, die bald darauf platzten. Und dann schmolzen. Sie verbrannte. Ihre Haare schmolzen als erstes. Sie brannten sich in ihre Haut. Sie versank in einen ekelerregend Klumpen geschmolzenes Fleisches. Während Alainn schrie,spürte sie, wie der Boden unter ihr bröckelte. Sie fiel. Stürzte ins Bodenlose. Kalt sauste die Luft an ihr vorbei. 

Kühlte ihre brennende Haut ab. Löschte die Flammen, die ihren Körper in Brand gesteckt hatten. Als sie die Augen wieder öffnete, lag sie noch immer auf dem Steinboden des Pavillons. Ihre linke Hand umklammerte die leblose Hand Allison. Rasch lies sie sie los. Ein kalter Wind war aufgefrischt und dicker Schnee bedeckte den Boden um sie herum. Wie eine eisige, nasse Bettdecke, murmelte Alainn vor sich hin. Ihr Körper fror. Sie sah es an der blauen Farbe, die ihre blasse Hautfarbe verdrängte. Sie zitterte. Nur ein Körperteil brannte. Es war die Hand, die Ceridwen an den verfluchten Baum gepresst hatte. Alainn erwartete, eine verkohlte Hand vorzufinden, stattdessen war die Haut unversehrt bis auf den Baum. Der Baum, der sich in ihr Fleisch eingebrannt hatte, so als ob Ceridwen ein heißes Eisen auf die Innenfläche ihrer Hand gepresst hatte. Getrocknetes Blut klebte an den verkohlten Rändern. Der Weltenbaum in ihrer Hand pochte. Teils vor Schmerz, teils durch eine Kraft, die Alainn nie gespürt hatte. Eine alte, mächtige Kraft. Jene, die sie auch schon in Ceridwens Gegenwart gespürt hatte. Was hatte Ceridwen nur mit ihr vor? Was hatte die Göttin noch gleich gesagt? Das Schicksal hat es nicht gut mit dir gemeint! Das klang doch nach einer Zukunft, auf die man sich freuen konnte.

Beim Aufrichten drehte sich Alainns Magen um. Sie würgte. An den Säulen des Pavillons richtete sie sich auf, taumelte die Stufen hinunter. Der Schnee drang in ihre Sportschuhe ein, durchnässte ihre Socken. Wieder fuhr die Kälte in ihren geschwächten Körper. Sie fühlte sich, als wäre sie so eben den Iron man gelaufen. Sie starrte hoch in den grauen wolkenverhangenen Himmel. Schnee fiel in eisigen Flocken als Dauerschleife vom Himmel. „Schnee im Oktober, ist ja total normal!", brummte Alainn sarkastisch und versuchte ihre klammen Hände an ihre Arme zu reiben, um ein bisschen Wärme in ihre Knochen zu bekommen. Sie drehte sich noch einmal zur toten Allison:" Ich wünschte, du wärest noch nicht tot. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen!", ihre Zähne begannen aufeinander zu klappern. Sie stapfte durch die Schneedecke auf das Gestrüpp zu. Zuerst würde sie aus diesem Wald finden und danach würde sie sich um dieses Schlamassel kümmern.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top