Insignis*aktualisiert



16.

Die steinernen Greifen ragten über den Treppenstufen, die zum Herrenhaus der Wilsons führten, auf. Alainn musste den Kopf in den Nacken legen, um die scharfen Zähne in dem gefletschten Maul zu betrachten. Merkwürdig beobachtet fühlte sich das Mädchen von ihnen. Ganz so als würden die leblosen Steinaugen ihr noch weit bis zum Haus folgen. Sie drehte sich zu den Greifen um, erwartete fast, dass ihre Köpfe sich zu ihr herum drehten. Aber alles was sie sah, waren, die geschmeidigen, von der Umwelt leicht aufgerauten, Körper der Greifen. 

„Die Wächter des Hauses!", erklärte Chris, der ihrem Blick gefolgt war.

 „Wieso Greifen?", Chris zuckte mit den Achseln:" Wer weiß das schon?", er versuchte ein Lächeln. Chris und Lincoln glichen einander wie ein Ei dem anderen. Sie hatten feine Gesichtszüge. Nichts an ihnen wirkte scharf oder wild. Ihre Augenbrauen waren gebogen und fein. Die obsidianschwarzen Augen waren umrahmt von langen, schwarzen Wimpern für die, jedes Mädchen getötet hätte. Sie sahen gut aus. Surferboy- Typ fand Alainn. Die Mädchen mussten bei ihnen Schlange stehen.

 So ähnlich sie in ihrem Aussehen waren, so unterschiedlich waren sie in ihren Persönlichkeiten. Lincoln war der Skeptiker. Es gab nichts, was er nicht in Frage stellte. Er war selbstbewusst. Alainn sah es an seinem Gang, der geschwollenen Brust, die er bekam, wenn er an einer Gruppe Mädchen vorbei stolzierte. Er wusste, dass er gut aussah und er war stolz darauf. Lincoln war ein Womanizer, wie aus dem Buche. Doch Alainn fragte sich, ob mehr hinter Lincoln steckte. Ob er vielleicht auch nur eine Rolle spielte. Gerade als sie ihn aus den Augenwinkeln betrachtete und er mit schmerzverzerrten Gesicht auf das Herrenhaus starrte, kam ihr der Gedanke. Chris hingegen war der Sensible. Alainn sah es an seinem grauen Gesicht und dem Schrecken, der in seinen Augen noch immer lauerte. Seine Hände zitterten und er hörte auf das, was Kiran sagte.

 So wie sie alle, dachte Alainn und starrte auf Kirans Rücken, als sie den gepflasterten Weg zur Eingangstür entlang liefen. Sie beobachtete, wie sich seine Schulterblätter unter dem Shirt bewegten und die Rückenmuskulatur, die sich beim Hin und her der Arme einschaltete, unter dem Stoff abzeichnete. Kiran war anders als seine Cousins. Sie hatte ihn in der Schule beobachtete. Er war kein typischer Einzelgänger, aber er mochte die Aufmerksamkeit nicht. Dort wo seine Cousins lachten und alle Blicke auf sich lenkten, blieb er im Hintergrund. Nie weit weg. Meist stand er in einer Ecke, sah Lincoln und Chris zu und beobachtete. 

Immer beobachtete er. Seinen schwarzen Augen entgingen wenig und die Mimik der Menschen konnte er besser lesen, als jeder andere, den Alainn getroffen hatte. Alec war ein Zwischending zwischen den lauten, extrovertierten Zwillingen und Kiran. Aber er war loyal. Vor allem gegenüber Kiran. Alainn war es auf dem Schulhof aufgefallen wie Alec immer auf Kirans Zustimmung in Form eines Nickens oder eines Glitzerns in seinen Augen gewartete hatte, bevor er irgendetwas entschied. Wie ein Hund, der auf die Erlaubnis seines Herrchen wartete. Was wohl geschehen war, um eine solche Loyalität und Vertrauensbasis zwischen den beiden zu schaffen?

„Willkommen bei den Wilson!", Nicholas wilson öffnete gequält die Tür. Der Schmerz in seinen Augen verwirrte Alainn. Das Anwesen der Wilson war groß. Es ragte hoch über ihnen auf. Ein langgestreckter Bau mit dunklen Streben, verstrebten Fenstern, die sich in perfekter Symmetrie an den Mauern entlang reihten. Unfreundlich und abweisend wirkte das Herrenhaus, das gedämpfte Licht, das vom wolkenverhangene Himmel auf den Bau traf, machte die Wirkung nicht besser. Die Aura des Hauses war ansteckend. Die Stimmung ihrer Begleiter wurde grimmig und abwesender je näher sie auf das Haus zugekommen waren und jetzt wo sie in einer dunkel vertäfelten Eingangsbereich standen, glichen die Mienen der Männer dem wolkenverhangenen Himmel. Das Anwesen war atemberaubend: Hohe Wände, Säulen, die die Decken stützten. Decken, die mit Stuck und Malerei verziert waren. Und sich über die gesamte Eingangshalle zogen. 

„Gefällt es dir?", Kirans Blick war überrascht:" Ich hätte nicht gedacht, dass du dich für so etwas begeistern kannst!", die Worte kamen bitter und angewidert aus seinem Mund. Im ersten Moment wollte Alainn ihn zurechtweisen, aber dann bemerkte sie, dass sein Abscheu sich nicht gegen sie richtete. Es war das Haus. 

„Es ist wunderschön!", murmelte Alainn verwirrt und unentschlossen wie sie auf ihn reagieren sollte. Stattdessen wanderte ihr Blick über die breite, leicht gebogenen Treppe, die in den zweiten Stock führte. Gewundene Blumenranken aus dunklem Eisen, hielten eine polierte Balustrade, über die Alainn bedächtig ihre Finger gleiten ließ. Sie hob den Blick. Sie sah sich selber. Sie stand oben an der Treppen in einem grünen Kleid aus Seide. 

Das Licht des Kronleuchters spiegelte sich in dem weichen Stoff, dass sich in einem fließenden Rock auf den Boden sammelte. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet, ihre Haaren waren zur Hälfte an ihrem Hinterkopf befestigt, der Rest fiel ihr in schweren Locken über die Schulter. Ihre Augen waren auf jemanden am Ende der Treppe gerichtet. Alainns sah sich strahlend Lächeln. Sie fragte sich, ob sie jemals so glücklich aus gesehen hatte. Ihre Doppelgängerin hastete die Treppe hinunter, hob den Saum des Kleides, um ihr Tempo zu erhöhen. Sie sah, ausgestreckte Hände, die in einem Smoking steckten.

„Soll ich dich herum führen?", Alainn blinzelte. Erschrocken drehte sie den Kopf. Chris sah sie von oben herab an, die Hände in seiner Jeans vergraben. Alainn blickte wieder zur Treppe. Doch da war niemand. „Das Haus hat eine seltsame Wirkung", murmelte Chris und sah sie wissend an:" Gerüchten zu Folgen soll das Haus mit magischen Metalle, Artefakten und anderem Kram erbaut worden sein. Die Treppe heißt die verloren Zukunft!"

„Die verlorene Zukunft?!", skeptisch sah sie Chris an. Ihre Augen suchten in seinem Gesicht nach einem Hinweis, dass er sie auf den Arm nahm. Doch in seiner Mimik deutete nichts darauf. „Man sagt, die Treppe habe die Eigenschaft eine Zukunft zu zeige, die eingetroffen wäre, wenn man eine andere Entscheidung getroffen hätte!", verträumt sah Chris hinauf. Alainn fragte sich, was er wohl sah. „Das sind aber ganz schön viele Wenns und Hätte! Ich konzentriere mich lieber auf das, was vor mir liegt!Ich bin Realistin!"

„Gut!", sagte Chris, aber sie sah, dass er ihr nicht glaubte:" dann die Führung?", er ging voraus. Alainns Sohlen hallten auf dem Mamor wieder. Ein letztes Mal drehte sie sich zur Treppe. Sie sah sich. Strahlend lächelnd winkte sie ihr zu. Dann beugte sie sich hinunter und küsste jemanden. Jemanden, denn Alainn nicht erkennen konnte. In einem anderen Leben, dachte Alainn und drehte sich nicht mehr um.

Das Haus der Wilson war majestätisch. Imposante Gänge und pompöse Räume steckte in dem länglichen Bau, dessen Hinterhof einen Garten beherbergte. Im Frühjahr musste die Farbenpracht und Duft atemberaubend sein. Wenn Alainn die Augen schloss, konnte sie die Bienen summen hören, wie sie von Blüte zu Blüte flogen. Wankend würden die Blütenköpfe auf den grünen Stängeln wackeln wie ein Wackeldackel in den Heckscheiben der Autos bis sie wieder in Balance waren. Würde es auch so mit dieser Welt sein? Würde sie wackeln und ausschlagen wie ein tickendes Metronom bis sie wieder im Gleichgewicht war?

„Alainn?", sie schreckte auf. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie stehen geblieben war. Sie räusperte sich. „Der Wald ist ganz schön nah an eurem Haus!". 

Chris nickte:" Als wir Kinder waren, war das perfekt. Wie viele Abenteuer haben wir dort erlebt?", sein Blick wanderte durch das Fenster, während seine Augen glasig wurden von den Erinnerungen, die sich hinter seinen Pupillen abspielten. 

„Aber heutzutage ist der Wald kein Ort für Kinder. Kein Ort für niemanden...", seine schwarzen Augen wanderten über die dunkle Grenze des Waldes. Vereinzelte knorrige Wurzeln überschritten die Grenze und wanden sich geschwungen, um eines der wilsonschen Beete. Alainns grüne Augen fixierten Chris Gesicht, als dieser den Blick wand. Ihre Augen prüften ihn. „Er ist anders, weißt du ? Düsterer. Gefährlicher!"

„Kiran sagt, Personen seien verschwunden!", sie konnte Furcht sehen, die in seinen Augen aufflammte wie eine Glühbirne, die man ans Stromnetz anschloss. Chris nickte langsam. 

„Sie gehen freiwillig.". Alainns Stirn legte sich verständnislos in Falten:" Wie meinst du das?"

„Sie packen ihre Sachen und verschwinden im Wald. Sie lassen alles zurück und kehren der Stadt den Rücken zu."

„Wieso?", fassungslos sah Alainn Chris an. Ihre Skepsis hätte nicht deutlicher im Gesicht stehen können, wenn sie sie mit Edding auf ihre Stirn gekritzelt hätte. Chris schüttelte den Kopf:" Ich weiß es nicht!"

„Aber wieso wisst ihr dann, dass sie in den Wald gehen? Sie könnten doch auch irgendwo anders hingehen? Urlaub machen- was weiß ich!", Chris wand sich unter ihrem forschenden, eindringlichen Blick des Mädchens. 

„Wir haben einige letztens getroffen- im Wald!", murmelte Chris und starrte auf seine Hände. Die Nägel waren abgekaut und blutig, dennoch hörte er nicht auf an den Überresten herum zu fummeln. 

„Wann habt ihr sie getroffen?"

„An dem Tag, als Alex verletzt wurde. Gestern!", Alainn starrte ihn einen Moment an. Wie Sand, der gemächlich durch dir Verengung einer Sanduhr fließt, tropfte die Erkenntnis in Alainns Bewusstsein. Die Ghule. Sie waren Stadtbewohner. Der ängstliche Sanitäter kam ihr in den Sinn. Meine Eltern haben gegen die Regeln verstoßen. Ich gehöre nicht dazu. Wozu gehörte er nicht? Und was taten die Wesen im Wald? Wieso verließen sie ihre Häuser, ihre menschlicher Existenz – mit fließendem Wasser, um im Wald ihren Instinkten zu frönen?

„Allison...", Alainns Augen sahen ins Nichts;" ihre Mörder...", Wesen aus dieser merkwürdigen Sekte mussten sie ermordet haben, schoss es Alainn durch den Kopf. Vielleicht sogar die Initiatoren der Sekte? Aber was war ihr Beweggrund?

„Mörder?", fragte Chris, die Stirn in Falten gelegt:" Mehrzahl?" 

Alainn winkte ab:" nur eine Überlegung!", aus den Augenwinkeln heraus musterte Chris ihre grüblerische Miene. Alainn Namara, dachte er, wie viele Geheimnisse besitzt du? Und hütest oder lasten sie auf dir?

Tief in Gedanken versunken, folgte Alainn Chris durch das Anwesen. 

„Ich habe gehört du und deine Mutter sind schon oft umgezogen?", Alainn sah ihn von der Seite an:" In diesem Dorf kann wohl niemand seinen Mund halten?!", Chris lächelte entschuldigend. Alainns Schultern entspannten sich ein wenig, obwohl Chris nicht entging, wie wachsam und vorsichtig sie seinen Bewegungen und Worten folgten. 

„Wolfsbach ist eine eingeschworene kleine Gemeinde!", Alainn sagte nichts. Ihre Schritte hallten durch den Gang. „Ich war schon so gut wie überall!", begann sie:" Sibirien, Afrika, Tibet, New York und zu letzt in St. Petersburg."

 Neidisch sah Chris sie an:" Dein Leben muss wundervoll sein:" Alainn schnaubte abfällig:" Voller Abenteuer und neuen Dingen, die es zu entdecken gilt!", seufzte Chris, der ihren abfälligen Grunzer beflissentlich ignorierte. Vor seinem Inneren Augen wechselte sich die Dürre der Savanne mit dem lauten, belebten Straßen New Yorks ab. Auf Trockenzeit folgten Bilder von Schnee, Mönche in orangen Kutten wurden zu in Fellmäntel verpackte Menschen. 

„Macht es kein Spaß immer wieder neue Länder, Menschen und Kulturen zu entdecken?", Chris schwarze Augen blitzten aufgeregt.

 „Am Anfang schon..", murmelte Alainn zögerlich. Sie standen vor einer massiven Holztür. Ein riesiger Baum war in die Tür hinein geschnitz worden. Drei Ebenen verband der Baum, doch jeder mächtige Zweig zeigte eine Parallelwelt 

„Yggdrasil!", erklärte Chris, als er Alainns gebannten Blick bemerkten. Rechts von ihr konnte sie die Welt der Feen sehen, weiter unten war die Welt der Riesen. Sie sah die Unterwelt, die Oberwelt der Alben und die Welt der Menschen. Diese Welt. Das Brandmal in ihrer Hand begann zu pulsieren. Es war kein unangenehmes Gefühl. Es fühlte sich an, als ob das Mal den geschnitzten Baum erkannte. Das Quietschen der Türklinke brachte sie in das Hier und Jetzt. Chris stemmte sich die Tür, um sie zu öffnen. Stöhnend schwang das Holz auf. Alainns rechte Hand verkrampfte sich zu einer geschlossenen Faust, versteckte die schwarzen Einkerbungen in ihrer Hand. Einen Augenblick lang zögerte sie. Dann folgte sie Chris durch die Tür. Hohe Wände an denen Bücherregale bis unter die Decke reichten. Rechts und links führten Treppen auf balkonartige Vorsprünge, die ebenfalls gesäumt mit Bücherregal waten. Es roch nach Vanille und alten Papier. Die glänzende Lackierung der Regale verströmte einen hölzernen Duft.

 „WOW!", hauchte das Mädchen. Sie taumelte in die Bibliothek. Hohe Fenster erhellten die vielen Regale und warfen Licht auf die Tisch- und Sitzgruppe. 

„Eine Bücherfreundin?", Chris grinste. Ehrfürchtig berührte Alainn die ledergebundene Bücher, in dem Regal ein paar Meter von ihrer Ausgangsposition.

 „Sagenhaft", formten ihre Lippen tonlos. Sie schlug das Buch auf, steckte ihre Nase hinein und nahm einen tiefen Atemzug. Der Geruch von Tinte und vergilbten Pergament zog in ihre Nase.

 „Das. ist. der. absolute. Wahnsinn!", sie lächelte Chris an. Erst jetzt fielen Alainn die Besonderheiten an den Regalen auf. Frauen in griechischen Togas standen als Regalwände und hielten die Regalbretter mit ihren Armen zusammen. Andere Regalwände zeigten Figuren und Symbole, die kunstvoll und detailreich in das Holz geschnitzt waren. Menschen tollten mit Dryaden über Wiesen, Sirenen verführten Piraten zum Springen, Zentauren wandelten mit Lichtalben unter sternenklare Nachthimmel. Jedes Regal erzählte eine andere Geschichte. „Beeindruckend, oder?", Alainn Finger strichen andächtig über das weiche, polierte Holz:" Ja, sehr beeindruckend!", sie drehte sich um, beäugte Chris schadenfrohe Miene. „Ist jedes Regal mit Schnitzereien verziert?", fragte Alainn und sah Chris mit gerunzelter Stirn an. Seine Schadenfreude verunsicherte sie:" Nein", er schüttelte lächelnd den Kopf:" noch nicht. Kiran muss noch die Regale auf dem Balkon fertig machen."

„Kiran macht das?", ungläubig blickten die grünen Augen Chris an. Dieser nickte:" Kiran sieht ein Stück Holz an und weiß, was er daraus machen kann. Seit seine Eltern bei einem Autounfall starben, schläft er schlecht. Das...", seine Hand beschrieb einen Kreis über die Bibliothek:" entsteht in seinen schlaflosen Nächten."

„Wieso kann er nicht schlafen?", fragte Alainn. Chris wich ihr auf. Er zuckte mit den Schultern. „Chris", Alainns Stimme wurde eindringlich, drängend. Er wand sich unter ihrem hypnotisierenden Blick. Innerlich wehrte er sich einen Moment gegen ihren Blick, aber seine Zunge gehorchte ihm nicht:" Alpträume!", formte sein Mund, der ihm nicht mehr gehorchen wollte.

 „Alpträume wovon? Saß er mit im Wagen?"

„Nein. Er träumt von dem hier..", er ließ wieder seine Hand über die Regale schweifen:" Er schläft nicht viel. So ist das, seit er bei uns ist. Er träumt und dann fängt er an zu schnitzen", seine Zunge war schwer und seine Worte kamen gepresst hervor, so als zwang etwas ihm die Worte auszuspucken. Alainns Hand schloss sich fester um das Brandmal, das wieder merkwürdig in ihrer Innenfläche pulsierte. 

„Dein Dad hat ihn aufgenommen nach dem Unfall?", Chris nickte mechanisch:" Seine Mutter war Dads Schwester. Bis zu ihrem Tod war sie mit der Familie zerstritten. Grandma hat sie sogar enterbt!". Bedächtig strich Alainn über ein Liebespaar, dass unter dem Sternenzelt saß. In der Schnitzerei lag so viel Zärtlichkeit und Liebe, dass es dem Mädchen schwerfiel sich davon zu lösen. 

„Warum?", wieder drängte sich ihr intensives Grün in Chris obsidianschwarze Iris. „Grandma war nicht gerade ein Fan von Kirans Vater. Sie hielt ihn für einen Nichtsnutz!", er zuckte mit den Schultern:" Sie war nicht begeistert, als Dad ihn aufnehmen wollte. Grandma hätte Kiran wohl eher in ein Waisenheim gesteckt, aber Mom hat das nicht zu gelassen." In Chris Stimme schwang Stolz mit. 

„Wo ist deine Mom?"

„Sie ist tot. Lungenkrebs.", Chris Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Schmerz sprach aus seinen gequälten Gesichtszügen. „Tut mir leid", murmelte Alainn und wand sich unwohl berührt ab. Sie flanierte zwischen den Regalreihen entlang und bewunderte Kirans Werke. „Was ist mit dir? Wo ist dein Vater?", Chris folgte ihr. Er schien sich für seinen Schmerz und die Trauer nicht zu schämen. „Tot!", gab Alainn knapp zu Protokoll und zuckte mit den Schultern. „Wie war er so?"

„Ich weiß es nicht!", bedächtig machte sie ein paar Schritte auf ein Regal. Strich über die Geschichten, die das Holz erzählten. Geschichten von Wesen, die in der Welt der Menschen nur noch in Legenden und Filmen existierten.

 „Du weißt es nicht?", neugierig und mitleidig sah Chris sie an. Das Mitleid weckte in Alainn einen tief, versteckten Zorn. Einen Zorn, der sich gegen niemanden und gleichzeitig gegen jeden richtete. „Er ist gestorben bevor ich geboren wurde!"

„Wie hieß er?", wieder zuckte Alainn mit den Schultern:" Mom redet nicht über ihn!" Fassungslos sah Chris sie an:" Du kennst nicht einmal den Namen deines Vaters?"

„Nein!", das Mitleid machte Alainn rasend. Was bildete er sich ein? Glaubte er, sie bräuchte sein Mitleid? Sie war stark und es gab viele Waisen auf der Welt. Milliarden. Wieso sollte sie sich grämen? Das Leben war, wie es war und jeder musste einmal sterben."Das tut mir unendlich leid!", murmelte Chris:" Es muss schrecklich sein nichts über seinen Vater zu wissen!"

„Ich brauche dein Mitleid nicht!", zischte Alainn. Scharf genug, um den Jungen, der hinter ihr die Regalreihen entlang gefolgt war, zurücktaumeln zu lassen. Ihre Augen blitzten den Jungen wütend an:" Ich will gar nichts über meinen Vater wissen. Er war Asche lang bevor ich geboren wurde. Es interessiert mich nicht, wer er war!" 

Natürlich war das eine Lüge. Als Kind hatte Alainn in einem Schuhkarton Bilder von Männern gesammelt. Sämtliche Zeitschriften und Katalogen Waren durchlöchert und unvollständig gewesen. Zu jedem Mann hatte Alainn sich eine Geschichte, eine Identität ausgedacht. Stundenlang hatte sie in ihrem Zimmer zu gebracht und sich die wunderbarsten Heldengeschichten zu den Katalogmodels ausgedacht. Irgendwann hatte Caenna den Karton unter ihrem Bett gefunden. Sie hatte Alainn gezwungen jedes Bild zu verbrennen. Gefühle, Sentimentalitäten sind gefährlich und unbrauchbar. Genauso wie die Wenns und Hättes, hatte ihre Mutter mit ihrer kalten, autoritären Stimme gesagt, während sie die weinende 9- jährige Alainn zwang, jedes Bild einzeln zu verbrennen. Es gibt nur eine Sache auf du dich konzentrieren musst, Alainn: und das ist das Hier und Jetzt.

„Mitleid ist nichts schlechtes, Alainn! Nur ein Ausdruck, dass-", Alainn schnitt Chris mit einer energischen Handbewegung das Wort ab:" in meiner Welt können Gefühle tödlich sein", sie drehte sich auf den Absätzen um und rauschte in Richtung Tür. Sie riss die schwere Tür auf, drehte sich doch noch einmal um. Ihr Gesicht zeigte Bedauern. Ihre Augen waren auf ein unbekanntes Ziel gerichtet, als sie sagte:" ich fürchte, dass du das auch noch lernen wirst!"

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