Kapitel 5
„Der Neue will die Geschichte auch nicht hören, Gunnar.", entgegnete Cole schnell und zog mich zu den Kisten, die noch unter der Luke standen.
Er schob den Deckel einer recht kleinen Truhe auf und spähte ins Innere. Wortlos nahm er einen der beiden Griffe in die Hand und wies mich mit einem Kopfnicken an, das gleiche zu tun. Trotz der dicken Haut an meinen Händen schnitt mir der dünne Eisengriff in die Handfläche. Mit einem Ruck hoben wir die Kiste an und Cole manövrierte uns zu einer Lücke zwischen zwei Kisten an der inneren Wand.
„Getrocknetes Brot.", meinte er nur knapp. „Das Essen kommt auf die Innenseite."
Ich nickte wieder und folgte ihm zu dem Stapel verbleibender Kisten.
Einige Stunden später waren sie schließlich alle ordentlich gestapelt und verräumt. Ich war müde und meine Arme brannten. Cole schien so fröhlich wie eh und je, aber ich spürte, dass auch seine Kräfte nachgelassen hatten. Sadie war wortlos wieder verschwunden, nachdem alle Arbeit erledigt war. Um Gunnars Riesenkalmar-Geschichte war ich unglücklicherweise doch nicht herumgekommen. Die erspare ich euch an dieser Stelle. Ich erfuhr, dass der kleine rundliche Mann, der am Hafen die Leinen gelöst hatte, Phil hieß und in zweiter Gestalt ein Schweinswal war. Erzählt hatte mir das ein ziemlich blasser Mann, dessen Name wohl Patrik war. Er schien oft Probleme damit zu haben, die richtigen Worte für seine Sätze zu finden, was laut Cole daran lag, dass sein Kopf als Seestern nun mal nicht so leistungsfähig war.
Jetzt kniete ich neben Cole auf den leise knarzenden Planken vor einer Truhe, in der er herumwühlte. Fast die ganze Crew hatte den Frachtraum verlassen, nur Patrik fegte auf der anderen Seite des Raums pfeifend den Boden. Cole zog immer wieder Hemden und Hosen aus der Kiste, hielt sie neben mich und ließ sie dann entweder auf einen kleinen Haufen neben sich, oder zurück in die Kiste fallen.
„So eine Weste wie du eine hast haben wir hier glaub ich nicht." Eine dunkelbraune Hose landete auf dem Haufen. „Also bleibt es für dich wohl bei der einen." Ein beige-weißes Hemd verschwand wieder in den Tiefen der Truhe. Ich nickte nur. Schließlich zog er ein türkis-bläulich, aber schon ziemlich grau gewaschenes Tuch heraus und reichte es mir. „Gegen die Sonne."
„Danke.", murmelte ich und nahm es ihm ab. Ich faltete es einmal, sodass es die Form eines Dreiecks hatte. Der Stoff war rau, aber gleichzeitig auch irgendwie weich. Vermutlich ziemlich ungeschickt zog ich mir das Tuch über die Stirn und versuchte, es in meinem Nacken zusammenzuknoten. Cole schüttelte belustigt den Kopf.
„Warte." Er stand auf und knotete es mir mit zwei schnellen Bewegungen fest. Ich wusste genau, dass er die längliche Brandnarbe etwas rechts von meiner Wirbelsäule deutlich sehen konnte, aber er verlor kein Wort darüber. Stattdessen drückte er mir den kleinen Haufen aus zwei Hosen und drei Hemden in die Hand und zog aus einer weiteren Kiste eine staubige Hängematte. Der Staub brannte in meinen Augen und auch Cole hustete kurz, als er das große Stück Stoff ausschüttelte.
Mit einem „Bis später, Patrik." führte er mich wieder aus dem Frachtraum und zurück zur Kajüte. Das Quietschen der Tür tat mir auch jetzt nicht weniger in den Ohren weh, als noch vor ein paar Stunden. In der oberen Hängematte lag Sadie. Auf ihrem Bauch lag ihr Hut, an dem sie herumknetete. Sie würdigte mich keines Blickes. Auch Cole schien für sie Luft zu sein. Dieser hielt ihr eines der Enden der Hängematte hin und deutete auf einen Haken über ihrem Kopf.
„Kannst du den kurz einhängen?", fragte er sie lächelnd.
„Frag doch deinen neuen Freund.", fauchte sie.
Cole zuckte mit den Schultern und hängte die Matte selbst in die Haken, die vorne und hinten in die Wand geschraubt waren, während ich meine Sachen in die Kiste fallen ließ. Es war unübersehbar, dass jemand meinen Beutel durchwühlt hatte. Nach einem schnellen Blick hinein stellte ich aber zu meiner Erleichterung fest, dass nichts fehlte. Es wäre auch nicht wirklich etwas Wertvolles dabei gewesen.
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