Kapitel 98


Für ein paar Sekunden stehe ich einfach nur da und schaue ihn an, während seine Worte sich wie ein schmerzender Stachel in mich bohren.

Wenn ich dir irgendetwas wert bin, dann will ich, dass du ihn aus deinem Leben verbannst.

Seine schwarzen Haaren sind wie immer ordentlich gestylt, seine grünen Augen, die ich einst als warm wahrgenommen hatte, bohren sich nun in meine wie Giftstachel.

„Aiden...", sage ich leise.

„Ich hab dir ein einfaches Ultimatum gestellt!", gibt er forsch von sich. „Es gibt nur zwei Entscheidungen Ella. Entweder du liebst mich, hältst dich ab jetzt von ihm fern und arbeitest mit mir an unserer Ehe oder du beendest drei Jahre Ehe ein für alle Mal und gehst zu ihm!", schreit er mich plötzlich an, so als ob sich die Worte schon länger in ihm angestaut hatten und jetzt endgültig rauskamen.

Wut zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, seine Brust hebt und senkt sich. Mein Kopf dreht sich, Gedanken schleudern in Höchstgeschwindigkeit durch ihn hindurch, als seine Worte an mein Ohr dringen. Ich starre ihn an. In meinem ganzen Leben hatte ich ihn noch nie so wütend gesehen. Sein Gesicht ist zu einer hässlichen Grimasse verzogen unter seinen Augen Schatten. Ich warte. Warte auf ein Gefühl. Irgendein Gefühl. Warte auf die Liebe, die sich in mir ausbreiten sollte, während ich ihn anstarre. Liebe, die man doch für seinen Ehemann spüren sollte. Doch war das was ich für ihn gefühlt hatte jemals Liebe gewesen? War es jemals ein so tiefgreifendes Gefühl gewesen, dass es wehtat wenn er und ich getrennt waren? War es jemals ein Gefühl gewesen, als ob ich nicht mehr atmen konnte, wenn er nicht in meiner Nähe war? Ich erinnere mich an Worte, die meine Mutter einmal zu mir gesagt hatte, als ich ungefähr zwölf Jahre alt war. Ella wahre Liebe ist, wenn du die ganze Welt für ihn niederbrennen würdest, um mit ihm zusammen zu sein.

Würde ich die ganze Welt niederbrennen, um mit Aiden zusammen zu sein? Mein Atem stock in meiner Brust, meine Augen werden groß und mein Mund klappt leicht auf, als plötzlich ein lautes klares „Nein" in meinem Kopf ertönt. Es erschreckt mich und reißt mich für einen kurzen Moment vollkommen aus der Bahn.

Ich schlucke, während meine Augen über Aiden's Gesicht wandern. Über seine Wangen, zu seiner Nase, über seine grünen Augen, bis zu seinen schwarzen Haaren. Und auf einmal, während ich ihn anblicke, legt sich ein Schalter in meinem Kopf um und eine plötzliche Stille breitet sich in mir aus. Sie legt sich wie ein sanftes Tuch über mich. Eine Stille, die mir so viel Klarheit wie nie zuvor gibt. Genau in diesem Moment, in diesem Moment in dem sich nichts in mir regt, als ich ihn anblicke, weiß ich, dass ich nicht mehr so weiter machen kann.

Ich würde niemals für Aiden die Welt niederbrennen, um mit ihm zusammen zu sein.

„Ella, hörst du mir überhaupt zu?", ertönt Aiden's Stimme erneut an meinem Ohr. „Ich hab dir eine einfache Frage gestellt. Er oder ich?", seine Worte klingen hart, im Unterton höre ich aber auch ein andere Emotion mitschwingen.

Seine Worte fühlen sich an wie ein Faustschlag in meine Magengrube. Es war nicht fair mir so ein Ultimatum zu stellen. Die Person, die für einen bestimmt war würde einem niemals ein Ultimatum stellen. Plötzlich finde ich den Mut das auszusprechen, vor dem ich seit Jahren versuche wegzulaufen. Finde den Mut für mich selbst einzustehen. Ich konnte meinen Schmerz in meinem Herzen nicht mit einem Mann überdecken für den ich einfach nichts mehr fühlte. Für den ich seit langer Zeit keine Gefühle mehr hatte.

„Aiden unsere Ehe ist schon seit Langem nicht mehr das was sie sein sollte...", beginne ich.

„Du willst mich allen Ernstes wegen ihm verlassen?!", unterbricht mich Aiden fassungslos, seine Augen sind weit aufgerissen, sein linkes Augen zuckt.

Ich schüttele meinen Kopf, während sich in meinem Magen ein unwohles Gefühl ausbreitet. „Er hat nichts damit zu tun."

„Natürlich hat er das!", Aiden's Stimme wird immer lauter. „Glaubst du eigentlich ich bin dumm?! Glaubst du nicht ich sehe nicht, wie ihr euch immer anschaut?!", seine Stimme klingt wütend, im Unterton höre ich jedoch Verletztheit mitklingen.

„Aiden...", beginne ich ruhig, versuche die nächsten Worte in meinem Kopf zusammenzusetzen. Versuche irgendeinen Sinn zu erzeugen.

„Fuck Ella ich hab mir jeden einzelnen Tag versucht einzureden, dass das zwischen euch damals nur ein Ausrutscher war und irgendwann ja irgendwann war es das auch nur noch! Es war fast wieder so wie früher Ella. Ich hätte das Kind als mein eigenes aufgezogen! Ich hätte es wirklich als mein eigenes aufgezogen. Verdammt und nach Angus hätten wir sogar eine echte Familie mit Finola sein können. Sie wäre meins gewesen. Aber der verdammte Bastard musste ja unbedingt zurückkommen und vor unsere Tür stehen! Er musste dir ja immer diese scheiß Briefe schreiben! Glaubst du ich hab nicht gemerkt, dass du fast jede zweite Nacht weinend seine Briefe gelesen hast! Verdammt Ella ich bin dein Mann und nicht irgendein doofes Kind, was du an der Nase herumführen kannst!", schreit er mich nun an.

Eine kurze Schnur legt sich um meinen Hals und scheint mir die Luft abzuschnüren. Ich hab das Gefühl ich kann nicht mehr atmen. Ich schüttele meinen Kopf und schnappe nach Luft. „Hörst du dir überhaupt einmal beim Sprechen selber zu? Was ist aus dem Mann geworden, den ich geheiratet habe?!", rufe ich laut aus.

„Ella versuch es nicht auf mich zu schieben! Nicht ich hab mich verändert, sondern du!", er zeigt mit seinem Zeigefinger wütend auf mich. „Nur du und kein anderer!"

„Vielleicht weil ich einfach nicht glücklich in dieser scheiß Ehe bin!", schreie ich plötzlich meine ganzen über die Jahre hinweg angestauten Emotionen kommen aus mir heraus. „Verdammt ich steh jeden Tag auf und da ist diese Leere in meinem Herzen...", ich fange an zu weinen. „Diese verdammte Leere und ich weiß einfach nicht wie ich sie füllen kann.", ich schüttele meinen Kopf und versuche mich zu beruhigen, doch stattdessen laufen nun die Tränen mein Gesicht herunter.

Mein Herz tut so weh. Es tut so verdammt weh. Ein Schluchzer dringt aus meinem Mund, ich drehe mich um und renne die Treppe nach oben.

„Ella!", höre ich Aiden verzweifelt hinter mir rufen. Seine Fußschritte ertönen hinter mir, während ich halbblind in unser Schlafzimmer renne und den Schrank aufreiße. Wie in Trance ziehe ich einen meiner Koffer heraus, öffne ihn und schmeiße wahllos einen Haufen Kleidung in ihn hinein. Plötzlich spüre ich zwei Arme, die sich um meine Taille schlingen. Mit einer schnellen Bewegung dreht mich Aiden zu sich um. Er zieht mich an seine Brust und umklammert mich, als ob ich sein Anker wäre. „Ella bitte blei mir.", fleht er mich mit brüchiger Stimme an.

Plötzlich spüre ich etwas Nasses auf meinem Kopf. „Wir können es weiter versuchen Cinderella. Wir können weiter versuchen Kinder zu zeugen, wenn es das ist was du willst...wir... wir...ich kann dir dabei helfen, die Leere in deinem Herzen zu füllen. Komm lass mir dir helfen Ella.", mein Herz bricht bei seinem Worten, als er versucht nach dem letzten kleinen Strohhalm zu greifen.

Ich schüttele meinen Kopf und versuche mich von Aiden zu lösen. „Ella, Nein.", ruft er verzweifelt aus und versucht sich an mich weiter zu klammern, doch ich lasse ihn nicht.

„Aiden es ist besser so.", gebe ich leise, sanft von mir und drehe mich nun wieder zum Schrank um.

Mein Herz schlägt laut in meiner Brust, ich wische mir mit der Hand über die Augen und nehme weitere Kleidungsstücke in die Hand und stopfe sie in meinen Koffer. Ich musste mich irgendwie ablenken. Ich musste mich von den Gedanken ablenken.

Plötzlich fällt mein Blick auf ein Kleidungsstück, was ich in meiner Hand habe. Es ist Finlays Kapuzenpullover. Ich halte für einen kurzen Moment inne und starre auf ihn herunter, das laute Pochen meines Herzens in meinen Ohren. Schließlich drehe ich mich mit dem Pullover in der Hand zu meinem Koffer um, bücke mich und schließe ihn. „Ella...bitte...", höre ich Aiden erneut ertönen. „Ich liebe dich.", seine Stimme klingt voller Emotionen. „Du kannst mich nicht verlassen. Wir, wir gehören zusammen. Du bist doch meine Cinderella...", seine Stimme bricht nun voller Schmerz ab, ein tiefer Schluchzer dringt durch das Zimmer.

Mein Herz zieht sich zusammen, als ich sehe, wie Aiden vor mir zusammenbricht, sein Gesicht voller Emotionen zusammen gezogen. Ich lasse den Pullover aus meiner Hand fallen und gehe auf ihn zu. Er fährt sich völlig aufgelöst durch die Haare. Ich hatte ihn noch nie so in meinem Leben gesehen und es zerriss mir das Herz.

„Aiden...", sage ich leise und greife nach seinem Gesicht. „ Es ist besser so. Glaub es mir. Auf lange Sicht würde ich dich niemals glücklich machen.", ich streiche mit meiner rechten Hand eine Haarsträhne zur Seite, die nun aus seinen gestylten Haaren gefallen ist. „Doch das hättest du, Ella. Denn du bist es. Du bist es was mich glücklich macht", seine Stimme zittert, während er mich nun voller Emotionen anblickt.

Ich schließe meine Augen kurz und schüttele meinen Kopf. Meine Hände halten immer noch sein Gesicht fest umschlossen. „Dann weißt du nicht wirklich, was glücklich sein ist, Aiden.", sage ich sanft und blicke ihm in die Augen.

Plötzlich kommen die Worte meiner Mutter wieder in meinen Kopf.

„Würdest du für mich die ganze Welt niederbrennen, um mit mir zusammen zu sein?", frage ich ihn plötzlich.

Für einen kurzen Moment hält er inne, in seinen Augen immer noch Tränen.Verwirrung gleitet über sein Gesicht. „Was?", fragt er mich verwirrt.

Meine Mundwinkel ziehen sich hoch, ob aus Trauer oder Erleichterung ich weiß es nicht wirklich.

„Siehst du.", gebe ich sanft von mir und streiche das letzte Mal mit meinen Daumen über das Gesicht, das ich in den letzten Jahren so oft berührt hatte. „Versprich mir, wenn du so eine Frau findest Aiden, dann lass sie nie wieder los.", dann lehne ich mich nach vorne und presse meine Lippen auf seine. Es ist ein bittersüßer Kuss und obwohl er keinerlei romantische Gefühle in mir auslöst, tut er dennoch weh. Seine Hände wandern zu meinen Haaren und ich spüre, wie er an meinen Lippen zittert.

Schließlich löse ich mich von ihm, Tränen laufen nun sein Gesicht herunter.

Ich mache einen Schritt zurück und drehe mich schweren Herzens zu meinem Koffer um. Ich greife nach Finlays Pullover, das weiche Material fühlt sich vertraut in meiner Hand an. Ein Stich, der schmerzvoller als die anderen zuvor ist, bohrt sich in mich. Ich versuche das Gefühl herunterzuschlucken. Dann greife ich nach den Koffer und rolle ihn bis zur Tür. Ein Stich fährt durch mein Herz, als ich ein letztes Mal auf Aiden blicke, der mit so einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck fast schon wie festgefahren in der Mitte des Zimmers steht und mich anblickt. Ich war gerade dabei ihm das Herz rauszureißen. Ich schließe ein letztes Mal die Augen und atme tief ein und aus, bevor ich die Tür öffne und aus dem Zimmer verschwinde.

Aiden würde nicht der Erste sein, dem ich heute das Herz brechen würde.


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