Kapitel 87


Gegenwart

„Daddy, guck mal was ich kann!"

Ich streckte meine Hände aus und drehte einen Kreisel auf dem Eis.

„Piroretti" oder so etwas in der Art hatte Mommy gesagt.

Mein Daddy lachte laut auf und sofort musste ich auch lachen. Ich liebte sein Lachen, denn es machte mich immer glücklich.

„Sieh sie dir an Babe, eine wahre Kanadierin"

Daddy legte einen Arm um Mommys Schulter und zog sie zu sich heran.

„Irgendwann wird sie mit Cowboystiefeln nach Hause kommen und lautstark Brad Paisley hören, ich sag es dir West Taylor."

Mommy hob drohend ihren Zeigefinger und lachte.

„Gnade mir Gott, wenn sie genauso hei...", Daddy räusperte sich.

„Ich meine genauso hübsch aussieht, wie ihre Mommy."

Ich sah, wie er Mommy zuzwinkerte und sie rot wurde.

Ich musste kichern. Mommy sah aus, wie eine Tomate!

Daddy schüttelte den Kopf, bevor er weitersprach.

„Gott ich werde alle Jungs von ihr fernhalten müssen. Es wird Zeit ein wenig meines Ersparten in ein gutes Gewehr zu investieren."

„West!", rief Mommy empört.

Gleichzeitig rief ich: „Ih Daddy, Jungs sind ekelig!"

Meine Eltern brachen beide in Gelächter aus, was ich nicht verstand.

„Wetten du kriegst mich nicht, du larmarschige Ente?!", rief mir mein Bruder Luke entgegen, der nun mit seinen dunkelblauen Schlittschuhen, mit Rennstreifen an der Seite über das Eis sauste.

„Ich bin keine larmarschige Ente!", quengelte ich, während ich versuchte mit meinem Bruder mitzuhalten, der viel größer war als ich.

Hart stieß ich ins Eis, versuchte meinen Bruder zu fangen, der mir lachend vorausfuhr.

„Luke, das ist unfair!", rief ich laut aus, während ich mit meinen rosafarbenen Schlittschuhen so schnell ich konnte über das Eis raste, doch mein Bruder war immer noch schneller.

„Du bist zehn und hast viel längere Beine als ich. Ich bin erst sechs und in der ersten Klasse! Und du schon in der vierten !", quengelte ich.

„Schlittschuhfahren hat nichts mit Gehirn zu tun, das kann man selbst, wenn man dumm ist.", feixte mein Bruder und streckte mir die Zunge raus.

„Luke Christopher Taylor!", hörte ich die Stimme meiner Mutter über das Eis sausen.

„Ich will nicht, dass du so mit deiner Schwester sprichst!"

Ich sah, wie mein Bruder den Kopf hängen ließ und sich auf die Lippe biss.

„Sorry Ella..", gab er von sich, fuhr auf mich zu und gab mir eine Umarmung.

„Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern. Das war gar nicht so gemeint. Für eine Sechsjährige bist du ganzschön schnell, Curly.", er stupste mich in die Seite und ich lachte.

***

Meine Schuhe versanken fast komplett im Schnee, als ich die letzten Schritte zu dem Jeep meines Daddys machte. Mein Kopf hang tief zwischen meinen Schultern, ich riss die Beifahrertür auf und kletterte wortlos in den Wagen.

Aerosmith's Amazing drang mir entgegen, doch ich war nicht in der Laune, wie sonst mitzusingen.

„Bekommt der coolste Daddy in der Weltgeschichte nicht mal ein Hallo?", hörte ich meinen Daddy fragen, während er mich spielerisch mit der Schulter anstupste.

„Hallo", gab ich mürrisch von mir, nachdem ich mich angeschnallt hatte.

Ich wusste Daddy konnte nichts dafür, aber ich konnte einfach nicht anders. In meinem Herzen war ein kleines Loch. Alles was ich wollte, war mir meine Bettdecke über den Kopf zu ziehen und nie wieder unter ihr hervorzukommen.

Ein Klopfen an meiner Autoscheibe unterbrach meine mürrischen Gedanken für eine kurze Weile. Ich hob meinen Kopf und starrte in Hazel Cloe O'Kellys hellbraune Augen, die dem Namen alle Ehre machten. Ihre Freundinnen Lily und Brielle standen neben ihr, ihre Gesichter ebenfalls durch die Autoscheibe gleitend.

„Hi Mister Taylor!", riefen sie in hohen Stimmen und winkten meinem Vater zu.

Ihre manikürten Fingernägel leuchteten im Schneetreiben um uns herum. Ich beneidete ihre Haare, die selbst bei dem Wetter tadellos auf ihrem Kopf lagen, während meine aussahen, als hätte ich in eine Steckdose gegriffen.

Aber das war nicht nur das Einzige weswegen ich Hazel beneidete.

Daddy ließ das Fenster ein Stückchen herunter.

„Hallo Hazel, Lily, Brielle...", gab mein Vater von sich.

„Wie geht es euren Eltern? Was macht dein Dad Lily? Hat er seine Knieoperation gut überstanden?"

Ich sah, wie Lilys Gesicht ein klein bisschen rot anlief. Ich rollte innerlich mit den Augen, denn ich war diesen Effekt, den mein Vater auf Mädchen oder Frauen hatte schon gewöhnt. Mein Blick fiel auf Hazel. Warum musste sie so gut aussehen und warum konnte ich nicht so gut aussehen?

Sie war eine Jahrgangsstufe über mir. In derselben Jahrgangstufe wie Drew. Ihr Körper hatte sich schon langsam zu dem einer Frau entwickelt. An den Stellen an denen ich noch flach war, hatte sie bereits diverse Rundungen bekommen.

Ich war unendlich neidisch.

„War nett mit euch zu plaudern, aber Ella und ich müssen jetzt los", drang die Stimme meines Daddys durch meine Gedanken.

Er winkte den dreien noch ein letztes Mal zu, bevor er den Motor seines Jeeps anließ, das Fenster schloss und losfuhr.

Allerdings kamen wir nicht wirklich weit. Gerade einmal zwei Straßen weiter, in einer der kleinen Seitenstraßen, zwischen der Schule und dem örtlichen Park, blieben die Räder des Jeeps plötzlich im Schnee stecken. Es war einer dieser Straßen, die nicht freigeräumt wurde.

„Fuck!", mein Daddy fluchte leise.

Normalerweise musste ich immer lachen, wenn mein Daddy fluchte, doch diesmal war ich einfach nicht in Stimmung.

Meinem Daddy fiel dies auch auf.

Statt sich dem Wagen weiter zu widmen, drehte er sich nun zu mir, seine dunkelblauen Augen schauten mich besorgt von der Seite an.

„Was ist los Prinzessin?"

Ich seufzte.

„Drew hat Hazel gefragt, ob sie mit ihm zum Weihnachtsball geht."

„Was für ein Ar...", er räusperte sich „Affe..."

Ich ließ den Kopf hängen und schaute auf meine Schuhe.

„Ella Babe er hat gar keine Ahnung was er verpasst."

Mein Daddy griff nach meiner Hand und drückte sie. Die Tatsache, dass er meine Hand nun hielt, machte alles auf eine gewisse Weise schlimmer. Ich spürte, wie die Tränen in meine Augen stiegen. Mein Daddy hatte schon immer so einen Effekt auf mich gehabt. Ich konnte ihm nichts verheimlichen.

„Ist mir egal! Soll er doch mit der doofen Kuh zum Ball gehen! Der ist eh nicht so toll, wie alle immer sagen. Ich gucke mir viel lieber Eine wie keine an."

„Das wirst du auf garkeinen Fall tun", erwiderte mein Daddy.

„Du redest seit Tagen von nichts anderem mehr und überleg mal wie lange du an deinem Kleid genäht hast."

Ich stöhnte frustrierend auf.

„Daddy ich kann da nicht alleine aufkreuzen, sie werden mich alle auslachen."

Der Song wechselte und plötzlich ertönten die Töne von Ella Fitzpatricks Frosty the Snowman. Mein Dad hielt kurz inne und blickte mit einem verschmitzten Lächeln auf das Radio. Es war unserer gemeinsamer Weihnachtssong.

„Du kannst dich vielleicht nicht mehr dran erinnern, aber das aller erste Mal, als wir beide diesen Song zusammen gehört haben, da warst du vier, Ella. Ich hab dich auf meiner Hüfte getragen und du hast mit deiner kleinen süßen Stimme versucht mir nachzusingen", seine Stimme klang sanft.

„Du warst deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, hast mich mit denselben blauen Augen angeschaut, als ob ich dein größter Held wäre. Versteh mich nicht falsch Ella Prinzessin, ich liebe deinen Bruder genauso abgöttisch, wie ich dich liebe, aber bevor du mich so angeguckt hast, da wusste ich nicht einmal, ob ich die ganze Vatersache überhaupt einigermaßen gut mache. Aber in diesem Moment Ella Baby... ich hab mir geschworen, dass ich es immer weiter versuchen würde, dass ich immer weiter daran arbeiten würde, der Vater zu werden den ihr beide verdient habt.", er holte kurz Luft „Und dazu gehört auch, dass ich dich immer beschützen werde und dass ich alles daran setzen werde, dass du glücklich bist."

„Daddy..", gab ich von mir, schaute ihn nun an.

„Ich bin 13. Du kannst nicht für immer auf mich aufpassen.", ich schüttelte mit meinem Kopf.

„Und leider wirst du mich auch nicht dazu überreden können auf den Ball zu gehen."

„Wetten, ich kann es?", er holte sein Handy heraus und wählte eine Nummer.

Ich beobachtete meinen Dad, wie er konzentriert darauf wartete, dass sich die Person am anderen Ende meldete.

Wenig später meldete sich der Gegenüber und ich wusste sofort, dass derjenige Onkel Chris war.

„Hey C Man, alles klar bei dir?"

Ich musste mir ein Lachen verkneifen, als ich meinen 42 jährigen Vater seinen besten Freund immer noch wie ein 20 jähriger begrüßen hörte.

Für eine Weile hörte ich die Beiden Neuigkeiten austauschen, bis mein Dad schließlich zur Sache kam.

„Sag mal ist Asher immer noch ein guter Kerl?"

Verwirrt runzelte ich die Stirn.

Asher?

Wer war denn jetzt wieder Asher ?

„Mhhm, mhm gut. Ich hab nämlich einen Job für ihn. Sag ihm er soll morgen Abend um 18 Uhr bei uns vorbeikommen. Am Besten im Anzug. Ella hat ihren Weihnachtsball.. Nein, sie will nicht mit ihrem Daddy gesehen werden.. Nein, Chris auch nicht mit ihrem Onkel...", das Seufzen meines Daddys drang durch seinen Jeep.

„Ich weiß, dass er bereits 18 ist. Natürlich wird er sie nicht anfassen!", rief mein Dad plötzlich aufbrausend ins Handy.

„Gott Chris, ich hab nicht umsonst gefragt, ob er immer noch ein anständiger Kerl ist.. mhm. Mhm. Rede du erst mal mit ihm. Doppelte Warnungen halten besser."

Daddy lachte ins Telefon.

„Wenn deine Warnung nichts bringt, kann ich ihm immer noch mit meiner Schrotflinte drohen und..."

„Daddy!", rief ich erschrocken aus, als ich plötzlich ein Bild meines Daddys mit Schrotflinte vor meinem inneren Auge hatte.

„Was denn?", fragte er unschuldig, hielt sich das Telefon vom Ohr weg und zwinkerte mir spielerisch zu.

„Ich erfülle nur meine Vaterdienste..."

Seine Stimme klang plötzlich fern.

Ich runzelte die Stirn, als sein Kopf plötzlich zerschmolz.

„Daddy...?", rief ich panisch aus, als sich plötzlich schwarze, tiefe Dunkelheit über mich legt.

***

Schmerz pocht in meinem Unterleib, meine Augen fühlen sich schwer an. Mein ganzer Körper fühlt sich so schwer an.

Ein dumpfes Pochen dringt durch meinen Kopf, hämmert wie ein kleiner Vorschlaghammer immer wieder gegen ihn. In meiner Kehle tobt ein rasendes Feuer.

Die Schwere in meinen Augen wird plötzlich zu einem Druck, der sich gegen meine Augenlider drückt, sie dazu zwingt sich zu öffnen.

Ich blinzele ein paar Mal, als sich gleißendes Licht in meine Augen brennt. Für einen kurzen Moment steigen Tränen in ihnen auf, als ich versuche sie offen zu halten. Mein Schädel brummt immer noch, während meine Augen nun langsam an der schneeweißen Decke über mir entlangwandern. Erst jetzt vernehme ich ein leises piependes Geräusch an meinem Ohr. Ich runzele meine Stirn.

Wo bin ich ?

Das Letzte an das ich mich erinnern kann...

„Sie ist wach! Oh mein Gott, sie ist wach!", höre ich eine Stimme an mein Ohr keuchen.

Es dauert ein paar Sekunden, bis ich realisiere, dass es die Stimme meiner Mutter ist. Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.

„Mom?", meine Stimme kommt in einem krächzenden Flüstern aus meinem Mund, ein brennender Schmerz, senkt sich in meinem Hals.

„Ella. Oh mein Gott, Ella Baby!"

Baby.

Baby.

Instinktiv wandert meine Hand zu meinem Bauch, so wie sie es immer die letzten Monate getan hatte.

Doch statt eine runde Kugel vorzufinden, ist mein Bauch plötzlich flach.

Kälte steigt in mir hoch, meine Augen weit aufgerissen, als die Realität mich plötzlich, wie ein Faustschlag in die Magengrube trifft.

Mein Mund öffnet sich leicht, als ein stummer Schrei meinen Mund verlässt.

„Cinderella...", eine dumpfe Stimme klingt an das Rauschen in meinem Ohr.

Nein!

Nein!

Nein!

Das konnte nicht sein!

Ich schüttele meinen Kopf, taste hysterisch an meinem Bauch entlang. Doch egal was ich tue, er bleibt flach.

Ein schmerzvoller Laut dringt aus meinem Mund, erfüllt den ganzen Raum.

Fiola.

Meine kleine Prinzessin.

Mein Baby.

Sie war weg.

Genauso wie Angus weg war.

Nicht mehr hier.

Sie war...

Tränen steigen in meine Augen, eine Hand versucht nach meiner zu greifen, doch ich schlage sie weg. Mir ist kalt. So verdammt kalt.

Nicht schon wieder.

Nicht... nicht nochmal. Nein, nein!

Tränen laufen nun mein Gesicht herunter, der Raum vor mir leicht verschwommen.

Ich muss weg.

Ich muss hier raus!

Ich... ich ... ich will nicht mehr.. ich ... ich kann nicht mehr.

„Ella Prinzessin..."

Die Stimme meines Vaters dröhnt wie in Trance zu mir, als meine Augen panisch durch den Raum wandern.

Sie wandern unruhig durch den sterilen Raum. Durch den kargen, weißen, leblosen Raum. So leblos, wie Fiola war. So leblos wie ich mich fühle.

Mein Herz schmerzt. Schmerzt so stark, dass ich das Gefühl habe, dass es Sekunde um Sekunde immer mehr bricht. Mein Atem dringt nun hastig aus meinem Mund, als ich mich im Bett aufrichte. Ich werfe die Decke von meinen Füßen und will aufstehen, doch etwas hält mich zurück. Eine Hand.

Ich zucke zusammen.

„Lass... nein... ich ... lass mich!", meine Stimme dringt schmerzerfüllt aus meinem Mund.

Ich schüttele meinen Kopf und schwinge meine Beine trotz Übelkeit, die nun in mir aufkommt, aus dem Bett. Meine nackten Füße kommen auf dem sterilen, kalten Boden auf. Mit zittrigen Händen wandern ich zu der Infusion an meinem Arm und reiße sie heraus. Ein kurzer Schmerz dringt in meinem Arm.

„Cinderella.", Aidens Stimme dringt gekränkt zu mir.

„Cinderella ich weiß es ist schrecklich, aber .. aber lass mich für dich da sein."

Die Stimme meines Mannes klingt nun traurig. Ich hatte nicht nur mein Baby verloren, sondern auch seins.

Unser Baby.

Fiola.

Das Baby, das ich endlich hätte behalten sollen. Dessen Entscheidung es zu behalten die Richtige war.

Plötzlich scheinen die Wände des Raumes immer näher zu kommen, ich habe das Gefühl, als ob ich gefangen werde. Sie kommen immer näher, ziehen an mir. Erinnerungen der Vergangenheit holen mich ein. Sein Gesicht. Sein Lachen.

Das kalte Metall des Stuhls unter mir.

Der Schmerz.

Angus.

Fiola.

Schmerz schnürt mir die Kehle zu, als ich hastig, taumelnd aus meinem Bett springe. Meine Beine zittern, mein Gesicht mit Tränen bedeckt.

Ich renne.

Renne so schnell ich kann.

„ELLA!", höre ich die Stimme meines Dads an mein Ohr schreien, gleichzeitig das Schreien meiner Mom.

„West, nein! Sie ist unsere Tochter denk daran!"

Ich sehe nicht, wo ich hinrenne. Alles was ich will ist von hier weg zu kommen. Hier raus zu kommen. Irgendwohin. Irgendwohin, wo es nicht mehr so weh tut. Wo niemand ist. Wo nur ich bin.

Mein Gesicht klatscht an etwas Hartes. Ein schmerzvoller Schluchzer dringt aus meinem Mund, als sich plötzlich zwei Arme um mich schlingen. Ich versuche mich loszureißen, mein Körper schwingt von einer Seite zur anderen, doch der Griff ist zu fest.

„Lass mich!", schreie ich hysterisch, vermischt von Schluchzern, die aus meinem Mund kommen., versuche die Person erneut von mir zu stoßen, doch alles was passiert ist, dass mein Kopf erneut an eine Brust gedrückt wird.

„Sch, Mo Ghrian"

Ein Flüstern, das sich wie ein warmer Umhang um mich legt, dringt an mein Ohr.

Durch meinen hysterischen Schleier, der sich über mich gelegt hat, dringt plötzlich ein mir vertrauter Geruch nach Moschus.

„Finlay?", schluchze ich leise, mein Kopf hebt sich, meine Augen treffen auf zwei grünbraune.

Tränen fließen mein Gesicht herunter, als ich ihn weiter anblicke. Die Wärme seiner Augen legt sich wie eine Wolldecke über mich, verdrängt die Kälte für einen kurzen Moment. Mein Mund öffnet sich erneut, doch ich werde von einer Hand unterbrochen, die sich nun auf meine Schulter legt.

Sie ist groß und warm und so vertraut, wie mir mein Name ist.

„Ella Baby...", höre ich die sanfte Stimme meines Daddys, sagen.

Ich schaue Finlay für einen letzten Moment in die Augen, bevor ich mich von ihm abwende. Sofortige Kälte verdrängt die kurzweilige Wärme in meinem Inneren, frisst ein Loch in mich hinein.

„Wie wäre es, wenn ich bei dir bleibe, während deine Mutter mit Aiden nach Hause fährt und dir ein paar Sachen holt?"

Meine Lippe fängt an zu zittern, als ich die Erschöpfung in der Stimme meines Daddys höre. Als mein Blick nun auf seine dunkel umrandeten Augen fällt, bekomme ich kurze Gewissensbisse. Diese werden jedoch sofort wieder von Kälte überrollt.

Ich nicke stumm und emotionslos.

West Taylor schenkt mir eines seiner warmen Daddy Lächeln, das mich aber nicht erreicht. Alles was ich spüre ist Dunkelheit und Kälte.

„Gut. Baby, Aiden...", er adressiert erst meine Mutter und dann Aiden.

Ein Klopfen an der Tür unterbricht ihn. Mein Dad runzelt seine Stirn und ruft : „Herein."

Die Tür wird geöffnet und das Erste was ich sehe, sind dunkelrote Haare. Dunkelrote Haare, die von einem großen, blonden Mann begleitet werden.

Onkel Chris und Tante Amber.

Tränen steigen in meine Augen, als mir klar wird, dass sie extra wegen mir von Kanada hier hin geflogen sind.

„Oh mein Gott E", keucht meine Tante sofort.

Ich sehe, wie sie mit ihrem schwarzen Lederrock und ihren schwarzen Boots auf mich zu gerannt kommt.

„Süße...", Onkel Chris macht einen Schritt nach vorn und ergreift Tante Ambers Hand und hält sie zurück.

Er schüttelt mit dem Kopf.

„Chris, Amber...", höre ich meinen Vater mit erschöpfter Stimme sagen.

„Sag mir nur, ob es ihr gut geht.", unterbricht Onkel Chris meinen Dad. Unter seinen Augen befinden sich Augenringe. Er sah aus, wie ein übernächtigter Thor.

Statt etwas zu sagen, bricht Stille zwischen den Beiden aus. Stille, die aber mehr zu sein scheint, denn eine Weile später, höre ich die Stimme meines Onkels dumpf an mein Ohr dringen.

„Wie wärs, wenn Amber und ich auf den Flur gehen und uns einen Kaffee holen? Der Flug hierhin war ziemlich anstrengend."

„Ich komm mit.", höre ich plötzlich seine tiefe Stimme zu mir dringen.

Seine tiefe, warme Stimme, die nun an meinem Herzen zieht. Mich mit einer fast schon elektrisierenden Stärke zu sich zieht. Für einen klitzekleinen Moment hebe ich meinen Kopf, blicke in seine Augen, die mich von der nun anderen Seite des Zimmers anblicke. Für ganze fünf Sekunden legt sich ein warmer Mantel über meinen kalten Körper, unsere Augen verschmelzen, wie Aquamarin mit Onyx.

„Ich glaub ich bleib hie..."

Aidens Stimme durchschneidet den Moment. Kälte kriecht sofort wieder in meine Poren, rieselt wie klitzekleine Nadelstiche über meinen Körper. Meine Arme wandern zitternd zu meinem Körper, geben mir eine Umarmung.

„Nein tust du nicht!", unterbricht die Stimme meines Vaters Aiden.

„Du fährst mit Zoe zu eurem Haus und packst ein paar Klamotten für meine Prinzessin ein. Verstanden?"

Aiden antwortet nichts, stattdessen, höre ich wie meine Mutter leise auf ihn einredet. Vermutlich, um ein wenig Schadensbegrenzung zu betreiben.

Meine Augen starren nun ins Leere. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, dass ich mich fast gar nicht mehr in meinem Körper befinde, so als ob ich mich von oben herab betrachten würde. Irgendwo von ganz weit oben.

Irgendwo oben an einem Ort, an dem Fiola vielleicht war.

Meine Fiola.

Mein Baby.

Vielleicht war sie nun bei ihrem Bruder?

Angus würde sicherlich auf sie aufpassen.

Ich umarme mich ein wenig fester, während mein Blick nun aus dem Fenster wandert. Es ist dunkel draußen, die Nacht fast pechschwarz, keine Sterne am Himmel. Ich wünsche mir die Dunkelheit würde sich über mich legen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sie mich holt. Mich von meinem Schmerz befreit. Mich nicht mehr fühlen lässt, mich nicht mehr denken lässt. Mich nicht mehr an meine zwei größten Verluste erinnert.

Fiola.

Angus.

„Wie wäre es, wenn du dich wieder ein wenig hinlegst?", die Stimme meines Daddys hört sich an, als ob ich mich Unterwasser befinden würden.

Ich blinzele kurz und realisiere plötzlich, dass alle aus dem Raum verschwunden sind.

Ich versuche zu nicken, aber mein Körper reagiert nicht, stattdessen greift mein Vater nun nach meiner Hand. Die einst so vertraute Hand meines Daddys fühlt sich nun schwer in meiner an.

„Komm ich helfe dir..", flüstert mein Daddy, während er mich behutsam zum Bett führt.

Die nächsten Sekunden passieren wie in Trance, ich bekomme fast nichts davon mit, nur, dass ich mich eine ganze Weile später im Bett befinde. Meine Augen starren an die Decke, während sich mein Herz, so schwer wie ein Stein in meine Brust gräbt.



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