Kapitel 58
Die Kugel, die ich festhielt, fiel aus meiner Hand, rollte lautlos über den Boden. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden, mein Herz fühlte sich schwer an. So verdammt schwer. Meine Beine bewegten sich wie auf Autopilot, liefen ohne dass ich es mitbekam zu ihm. Vor der Couch hielt ich inne, ließ mich auf meine Knie fallen und streckte meine Hand vorsichtig nach ihm aus. Doch bevor meine Hand ihn berührte, zuckte er zusammen. Sein Körper rückte ein Stück zurück, weiter in die Couch hinein. Meine Hand schwebte in der Luft. Ich wusste, dass er verletzt war, dass die Tatsache, dass sein Vater aus dem Knast gekommen war ihn innerlich zerstörte, ihn sich seine Mauern hochziehen ließ, doch trotzdem bohrte sich ein kleiner Stachel in mein Herz.
„Macau..", begann ich, meine Stimme gepresst, doch ich kam leider nicht weiter, denn ruckartig hatte er sich von der Couch hochgestemmt.
Sein Gesichtsausdruck war nun ausdruckslos, seine Augen leblos, als ich zu ihm hinaufschaute. In einer flinken Bewegung lief er durch das Wohnzimmer, floh in sein Zimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu, ließ mich knieend vor dem Sofa zurück. Ich starrte auf die verschlossene Tür, in meinem Herzen hatte sich ein schmerzender Klumpen gebildet.
Hilflosigkeit breitete sich in meinem Körper aus. Pure, verzweifelte Hilflosigkeit, die mich wie eine Flutwelle unter sich vergraben zu schien. Mein Körper zitterte, als ich mich auf wankenden Beinen von dem Boden aufrichtete. Ich trug immer noch meine Schuhe und meinen Mantel, doch trotzdem war mir in diesem Moment eisig kalt. Ich wusste nicht, wie ich Macaulay helfen sollte. Ich hatte verdammt noch mal keine Ahnung! Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf schrie, dass ich ihm nicht helfen konnte, doch mein Herz, mein verdammtes weiches Herz, ließ mich nicht. Ließ es nicht zu, dass er mir egal war, dass ich ihn in Ruhe ließ. Ich sog scharf die Luft ein, versuchte mein schmerzendes Herz zu beruhigen.
Ein lautes Schrillen drang durch die Stille des Wohnzimmers. Ich zuckte zusammen. Durch das Chaos lief ich durch das Wohnzimmer, das Knirschen der Scherben unter meinen Füßen. Mit einer zittrigen Hand, Gedanken die in Lichtgeschwindigkeit durch meinen Kopf zu rasen schienen, nahm ich den Anruf auf meinem Handy entgegen.
„Cinderella!", hörte ich die Stimme von Aiden in mein Ohr dringen.
„Bist du schon zuhause?", seine Stimme klang besorgt.
Bei Aidens Stimme drangen mir plötzlich die Tränen in die Augen. Ich wusste nicht wieso, aber es war, als ob die vertraute Stimme von ihm, den Damm in mir zu brechen schien.
„Ja", brachte ich unterdrückt hervor.
„Hör mir zu, du solltest vielleicht für die nächsten Tage im Steels bleiben, Macaulay macht eine ziemlich schlimme Zeit du...." „ Ich weiß. Logan hat mir.... alles erzählt" unterbrach ich ihn.
Am anderen Ende ertönte ein Seufzen.
„Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst, Ella. Er ist vollkommen fertig. Ich hab ihn in den ganzen Jahren in denen ich ihn kenne, noch nie so gesehen. Logan und ich machen uns verdammte Sorgen um ihn, aber er ist wie ausgewechselt. Er war die letzten Tage kein einziges Mal draußen. Hat selbst einen Übungsflug von der Air Force verpasst und er ist eine der wichtigsten Führungsrollen. Er war noch nicht einmal im Steels und das ist sein Baby", seine Stimme klang erschöpft.
„Ich komm in einer Stunde vorbei und hol dich ab. Pack am besten ein paar Sachen ein. Ich werde den Jungs sagen, dass in den nächsten Tagen das Abstellzimmer tabu ist."
„Ich will nicht im Steels bleiben", meine Stimme unterbrach ihn leise.
Stille brach zwischen uns ein.
„Ella...", seine Stimme klang besorgt.
„Macaulay ist ein toller Mensch und verdammt er ist mein bester Freund, aber er ist auch gleichzeitig der kaputteste Mensch, den ich kenne. Ich weiß, dass du versuchst ihn zu reparieren, dass du hoffst, dass er ein normales Leben irgendwann wieder führen kann, aber manche Sachen, Ella, verfolgen einen das ganze Leben."
Ich schluckte, öffnete meinen Mund, wollte etwas erwidern, doch Aiden kam mir bereits zuvor.
„Ella ich mach mir schon so genug Sorgen um ihn, ich will mir nicht noch Sorgen um dich machen müssen, wenn ich über Weihnachten bei meinen Eltern bin."
Ich schloss meine Augen, mein Kopf wusste, dass er auf eine gewisse Weise recht hatte, aber ich wusste tief in meinem Herzen, dass wenn ich Macaulay jetzt auch noch alleine lassen würde, er niemanden mehr hatte. Seine Freunde liebten ihn, aber sie wussten nicht, wie sie mit ihm umzugehen hatten.
„Aiden...", meine Stimme war weich, während ich überlegte, wie ich es am besten rüber bringen sollte.
„Ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst und ich verstehe das auch, aber ich kann nicht ins Steels ziehen. Sein ganzes Leben wurde Macaulay von Menschen verlassen. Erst seine Mutter, die ihm genommen wurde, dann sein .....", ich brachte das Wort nicht über meine Lippen, denn ich konnte so einen schrecklichen Menschen nicht mit dem Begriff „ Vater" in Verbindung bringen.
„Ich will nicht, dass er denkt, dass seine Freunde ihn auch noch im Stich lassen", bei dem Wort „ Freunde" musste ich schlucken, weil es offensichtlich mehr zwischen mir und Macaulay war, als nur Freundschaft.
„Cinderella, du bist ein toller Mensch. Hat dir das schon mal jemand gesagt?" ich atmete erleichtert aus.
„Nein nicht in letzter Zeit", ein Lachen drang aus meinem Mund, das so falsch zu sein schien, dass ich für einen kurzen Moment inne halten musste.
Meine Gefühle spielten mir einen Streich, machten mich verrückt. Ein lautes Seufzen drang vom anderen Ende durch das Telefon.
„Du weißt, dass ich das nicht gut finde, aber du weißt genauso, dass ich deine Entscheidungen akzeptiere. Tu mir nur einen Gefallen, Ella....", er hielt inne für einen kurzen Moment, ich wartete ab, der Kloß in meinem Herzen, so schien es mir, wurde immer größer.
„Bevor ich zu meinen Eltern fahre, will ich dich noch mal sehen und wenn irgendwas passiert, ruf Logan bitte an. Er weiß, wie er mit Macaulay umzugehen hat", ich schloss die Augen, biss mir auf die Lippe und nickte, bevor ein leises „ Ja" aus meinem Mund drang.
Aiden hatte mich mit dem Auto abgeholt. Es war der Morgen einen Tag vor Weihnachten. Aiden fuhr mit Ivera in zwei Stunden zu seinen Eltern, die irgendwo in den Scottish Highlands wohnten. Wir saßen in einem kleinen Café, vor uns heiße Schokolade, als Aiden plötzlich meine Hand in seine nahm. Er strich mir kurz über die Handoberfläche, bevor er meine Hand umdrehte und plötzlich etwas aus seiner Hosentasche zog. Es war ein silbernes Armkettchen an dem ein silberner Herzanhänger hing. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in meiner Bauchgegend aus, als ich den Herzanhänger in mir aufnahm.
„Ella du bist eines der tollsten Mädchen, dass ich je kennengelernt habe und ich weiß nicht wie ich das hier sagen soll, aber...", er stotterte, sein Gesicht färbte sich rot.
„ Ich ... ich schätze ich mag dich . Sehr sogar", druckste er nun.
Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, als er mir das silberne Armkettchen um das Handgelenk legte und den Verschluss zu knipste. Stattdessen lehnte ich mich nach vorn und gab Aiden einen Kuss auf die Wange.
„Danke Aiden."
Er lächelte mich an und strich mir mit dem Finger über das Gesicht.
„Für dich immer wieder, Cinderella."
Es war kurz nach vier als ich völlig außer Atem, am oberen Ende der Treppe vor Macaulays Wohnung angekommen war. Ich war auf die glorreiche Idee gekommen einen Tannenbaum zu besorgen. Dass er allerdings gefühlte zehn Tonnen wog, hatte ich allerdings nicht in Betracht gezogen. Es war ein recht kleiner Baum, denn einen großen hätte ich niemals allein nach Hause schleppen können. Zuhause schlugen wir alle als Familie den Baum selbst und immer trugen mein Vater und Luke den Baum nach Hause, während meine Mutter und ich Weihnachtslieder losträllerten. Nie in meinem Leben hätte ich mir vorgestellt, dass ein Weihnachtsbaum so schwer sein konnte.
Ich legte den Baum mit einem stöhnenden Geräusch für einen kurzen Moment ab und kramte in meiner Tasche nach dem Haustürschlüssel. Mein Atem kam in unregelmäßigen Stößen aus meinem Mund, als die Tür aufsprang. In den letzten Tagen hatte ich das ganze Chaos, das Macaulay angerichtet hatte, beseitigt, hatte selbst wieder neue Kugeln aufgehängt. Macaulay war kein einziges Mal aus seinem Zimmer herausgekommen und so oft, wie ich versucht hatte, in sein Zimmer zu gelangen, in der Hoffnung, dass ich ihm durch diese schlimme Zeit helfen konnte, sein Zimmer war abgeschlossen. Genauso war es dieses Mal der Fall.
Ein Stich fuhr durch mein Herz, ich schluckte das Gefühl, das sich meinen Hals hochbahnte wieder herunter und widmete mich dem Baum. Meine Arme fühlten sich schwer von dem ganzen Gewicht an, meine Beine ebenfalls. Mit meiner letzten Kraft zog ich den Baum in die Wohnung und schloss völlig außer Atem die Tür hinter mir. Das Geräusch der sich schließenden Tür, übertönte beinahe das Geräusch einer Tür, die nun geöffnet wurde. Mein Kopf hob sich ruckartig, blieb auf dem Gesicht von Macaulay hängen, dessen braune Augen sich nun in meine bohrten. Sie waren voller Schmerz. Erst jetzt sah ich, dass er seine schwarze Air Force Lederjacke trug, darunter das graue Hemd mit der Krawatte an der sich ein goldener Flügel befand. Angst wallte plötzlich in mir auf. Auf einmal kamen mir schreckliche Gedanken. Wollte er etwa früher zurück? Wollte er so von seinem Vater fliehen? Übelkeit stieg in mir hoch, ich machte einen Schritt nach vorn, öffnete meinen Mund, doch bevor die Wörter meinen Mund verlassen konnten, drangen drei Worte durch das Zimmer, die mein Herz für einen kurzen Moment höher schlagen ließen.
„Komm mit mir."
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Hier ein neues Kapitel für euch :) ich hoffe es gefällt euch !:D
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