Kapitel 55
„Ella!", eine tiefe mir bekannte Stimme donnerte durch den Flur, als mein Dad und ich unser Haus betraten.
Es dauerte nicht einmal fünf Sekunden, bis die große Statur meines Onkels auf mich zukam, ich vom Boden gehoben wurde und er mir einen fetten Schmatzer auf den Mund drückte.
„Onkel Chris!", ein Lachen drang aus meinem Mund, als er mich spielerisch einmal hochwarf und mich wieder auffing.
„Uff. Irgendwie ging das doch auch mal einfacher!", rief Onkel Chris gespielt aus und hielt sich den Rücken.
Seine blonden Haare, die inzwischen ein wenig ergraut waren, hingen ihm immer noch bis auf die Schultern. Onkel Chris war nicht mein wirklicher Onkel, sondern der beste Freund meines Dads. Für meinen Dad war er jedoch wie ein Bruder. Die Beiden kannten sich schon seit sie klein waren und waren seit dem durch dick und dünn gegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Onkel Chris hatte meinen Dad aus der schlimmen Zeit geholfen, als seine Eltern gestorben waren und auch für meine Mutter war er mehr als nur ein guter Freund. Er war Familie. So wie meine Tante Amber, dessen Kreischen nun durch den Flur hallte.
„Elllaaaaaa!".
Über die Schulter meines Onkels sah ich, wie Amber in den Flur gestürmt kam, ihre dunkelroten Haare leuchteten mit ihrem strahlenden Grinsen um die Wette. Leute, die Tante Amber nicht kannten, steckten sie schnell in eine Schublade. Das war früher schon so gewesen, aber auch noch heute so. Man sah nicht oft eine Frau Mitte fünfzig, die so gekleidet war wie sie. Wobei Tante Amber immer noch die Figur dafür hatte, so etwas zu tragen. Ihre Beine steckten in einem enganliegenden, schwarzen Lederrock, darunter trug sie eine Strumpfhose. Ihren schwarzen Rollkragenpullover hatte sie mit einer modischen, goldenen Kette abgestimmt, passend zu ihrem Haar trug sie roten Lippenstift. Die Absätze ihrer schwarzen Stiefel hallten durch den Flur, als sie die letzten Meter zu mir überbrückte.
Onkel Chris ließ mich sofort los, woraufhin mich Amber sofort in ihre Arme schloss. Sie duftete wie so oft nach Parfüm und alleine der Geruch ließ eine Welle von Zuneigung über mich rollen.
„Ich hab dich vermisst, E.", flüsterte Amber in mein Ohr, ein Lächeln breitete sich bei dem Spitznamen auf meinem Gesicht aus.
Amber gab nur Leuten, die sie wirklich mochte einen Spitznamen. Meine Mutter war „ Z" und ich war „E". Als Amber sich von mir löste, fiel mein Blick durch den Flur. Verwirrt zog ich die Nase kraus.
„Mom, wo ist Luke?", fragte ich verwirrt, da ich meinen Bruder nirgendwo entdecken konnte.
„Ich dachte er wollte auch kommen?"
Meine Mutter seufzte und ich sah, wie sich ein merkwürdiger Ausdruck auf dem Gesicht meines Dads ausbreitete. Hatte ich etwa irgendetwas nicht mitbekommen?
„In letzter Zeit benimmt sich Luke ein bisschen merkwürdig. Wir haben ihn seit zwei Wochen nicht gesehen. Dein Dad und ich glauben, dass es irgendetwas mit einem Mädchen zu tun haben muss."
„Natürlich hat es etwas mit einem Mädchen zu tun", unterbrach uns mein Onkel Chris.
„Ist das nicht offensichtlich?", mein Dad fing an zu lachen und die Beiden warfen sich einen verschwörerischen Blick zu.
Ich schüttelte lachend den Kopf und lief Tante Amber und meiner Mom hinterher ins Wohnzimmer, an der bereits ein gedeckter Tisch mit Essen stand. Meine Augen wurden groß, als ich die Schokoladentorte in mich aufnahm.
„Mom!", rief ich begeistert aus.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen"
Sie lachte und machte eine abfallende Handbewegung.
„Ella, für mein Baby ist mir nichts zu Schade und da ich dich jetzt immer seltener sehe..", ich sah wie sich ein trauriger Gesichtsausdruck auf dem Gesicht meiner Mom abzeichnete, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Mom", stieß ich erstickt aus, in meinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet.
Ich hasste es, wenn ich meine Mom weinen sah.
„Wie wärs, wenn wir die Torte anschneiden?", donnerte plötzlich die Stimme meines Onkels durch den Raum
„Weinen ist etwas für Memmen!", rief er aus, woraufhin meine Mutter und ich lachten.
„Und ihr seid verdammt nochmal keine Memmen, ihr seid Taylors!", brachen meine Mutter und ich in einem Chor aus, so oft hatten wir die Worte meines Onkels schon gehört.
„Genau!", rief mein Onkel aus, riss die Hand in die Höhe, woraufhin wir alle gemeinsam in Lachen ausbrachen.
Es war schön wieder mit meiner Familie zusammen zu sein. Ich hatte sie vermisst. Meine Augen waren auf meine Mom gerichtet, die gerade Etwas von ihrer Stiftung erzählte. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ihre blonden Locken ringelten sich um ihr Gesicht, ließen sie jünger erscheinen als Mitte fünfzig. Mein Blick huschte zu meinem Dad, dessen Augen sich keinen Zentimeter von meiner Mutter lösten.
Ich seufzte und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Man brauchte die Beiden nur anschauen und man wusste sofort, wie sehr sie sich liebten. Und das immer noch seit fast 30 Jahren in denen sie verheiratet waren. Als meine Mutter fertig erzählt hatte, breitete sich plötzlich Stille zwischen uns aus. Wir hatten bereits gegessen, mein Bauch hatte die Größe einer Melone angenommen, so vollgestopft fühlte ich mich von dem Schokoladenkuchen.
„Ich glaub wir machen uns auf den Weg", drang auf einmal die kratzige Stimme von Chris durch den Raum.
Erst jetzt sah ich, wie er Tante Amber anstarrte. Wäre ich noch etwas kleiner gewesen, hätten mir meine Eltern vermutlich die Augen zuhalten müssen, so eindeutig war der Blick, der er ihr zuwarf. Ich wand meine Augen auf den Tisch vor mir und schüttelte den Kopf.
„Ernsthaft, Alter!", hörte ich die lachende Stimme meines Dads durch das Wohnzimmer dringen. „ Kannst du nicht für ein paar Stunden, dein Ding bei dir behalten?"
„Als ob du es kannst!", konterte Onkel Chris zurück.
„Ich hab schon vor einer halben Stunde gesehen, wie du Zoe beinahe mit deinen Augen ausgezogen hättest."
„Hallo!", rief ich laut aus und steckte mir die Finger in die Ohren.
„Hier sind Kinder am Tisch!", rief ich empört aus, woraufhin mein Dad und Onkel Chris mich erst verdutzt anschauten und dann anfingen zu lachen.
Meine Mom, die mir gegenüber saß rollte nur mit den Augen, Tante Amber schlug Chris auf den Rücken.
„Komm Casanova, wir gehen jetzt!", rief sie aus und zog Chris mit einem derartigen Ruck von seinem Stuhl, dass er kurz stolperte.
Ich lachte, als ich den erschrockenen Ausdruck auf seinem Gesicht erkannte, seine blauen Augen waren weit aufgerissen.
„Kommt gut nach Hause", die Stimme meiner Mutter klang sanft, als sie erst Amber umarmte und dann Chris sie in seine Arme zog und ihr seine Lippen auf den Mund presste.
„Danke, Süße. War wieder sehr lustig bei euch und ich hab mich gefreut meine Lieblingsnichte wiederzusehen."
Chris wandte seinen Kopf zu mir und zwinkerte mir zu.
„Onkel Chris ich bin deine einzige Nichte!", rief ich lachend aus, während er nur mit den Schultern zuckte, einen Schritt nach vorn machte und meinen Vater abklatschte.
Ich musste leicht schmunzeln, weil es so merkwürdig aussah, dass zwei über fünfzigjährige Männer sich abklatschten, so als ob sie noch zwanzig wären.
„Kommt gut nach Hause und Chris..!", rief mein Dad Onkel Chris, als der und Amber schon an der Haustür waren, zu. „ Übertreib es nicht. Deine Hüfte ist nicht mehr die Jüngste"
Ich verkniff mir ein Grinsen, als Chris meinen Vater über seine Schulter hinweg den Mittelfinger zeigte, die Tür aufriss und Tante Amber und er hinter ihr verschwanden.
Es war Mitte der nächsten Woche, als ich mich auf dem Weg zu meinem Bruder machte. Er wohnte zwanzig Minuten von dem Haus meiner Eltern entfernt. In der ganzen letzten Woche, war er kein einziges Mal zu meinen Eltern gekommen, obwohl er wusste, dass ich zuhause war. Es war mehr als nur merkwürdig, da Luke und ich so etwas wie beste Freunde waren und er sich auf meinen Besuch um Weihnachten herum, bereits Wochen zuvor gefreut hatte. Ich hielt mit dem Jeep meines Dads vor seinem Haus an, zog den Schlüssel aus der Zündung und öffnete die Fahrertür. Eiskalte Luft drang mir entgegen, pfiff durch meine Mütze hindurch und streifte meine Ohren. Ich erzitterte, als ich in meinen Stiefeln durch den hohen Schnee watete. Meine Hand blieb kurz in der Luft hängen, bevor ich an der Tür meines Bruders klopfte. Er hatte keine Klingel, sondern einen dieser altmodischen Klopfer mit denen man vermutlich die Geister aus einem ihrer tiefsten Schläfe herausreißen konnte.
Nach fünf Minuten hatte mein Bruder immer noch nicht seine Tür geöffnet. Ich war gerade im Beginn noch einmal zu klopfen, da öffnete sich plötzlich die Tür. Mein Bruder, der meinem Dad so ähnlich sah, stand an der Tür sein dunkles Haar war verstrubbelt, unter seinen blauen Augen zogen sich Schatten. Überraschung zierte sich über sein Gesicht.
„Ella?", ich schluckte meine Besorgnis herunter und schenkte ihm ein Lächeln.
„Lukey?", rief ich aus, machte einen Schritt nach vorn und zog ihn in meine Arme.
Mein Bruder schien sich wieder ziemlich schnell gefangen zu haben, denn keine Sekunde später schlang er meine Arme um seinen Körper und presste mich an sich.
„Scheint als ob dir die Trennung von dem Lackaffen echt gut bekommen ist."
Er kniff mich in die Seite und ich haute im spielerisch auf den Rücken. Mein Bruder lachte und trat in sein Haus. Kurz beobachtete ich, wie mein Bruder einen Blick in die obere Etage seines Hause warf. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und schloss die Tür hinter mir zu. Hatte mein Bruder etwa eine Frau hier bei sich?
„Was gibt es Neues bei dir? Wie ist es dort drüben in Schottland so?", gab mein Bruder ganz beiläufig von sich, seine athletische Figur thronte über mir, während er mit einer Hand das Schild seiner Cap nach hinten drehte.
Ich schluckte, überlegte ob ich meinem Bruder ebenfalls die Geschichte von Macaulay erzählen sollte, entschied mich aber dagegen und biss mir auf die Lippen.
„Mir geht's gut, Schottland ist sehr schön. Du solltest es auch mal sehen."
Ein warmes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
„Es ist total anders als Toronto. Viel hügeliger und die Gebäude, Lukey ich sage dir du hast noch nie so schöne alte Gebäude gesehen", ein verträumter Ausdruck breitete sich auf meinem Gesicht aus und ich sah, wie sich ein Lächeln auf Lukes Gesicht ausbreitete.
„Schottland scheint dir echt gut zu bekommen, Schwesterchen."
Ich nickte und plötzlich musste ich wieder an Macaulay denken. Ein Stich durchfuhr meinen Körper, ich öffnete meinen Mund, entschied mich gerade dazu Luke von Macaulay zu erzählen, als gleichzeitig ein hoher Schrei aus eines der oberen Schlafzimmer drang und mein Telefon laut anfing zu bimmeln. Luke zuckte bei dem Schrei zusammen, keine Sekunde später rannte er die Treppe nach oben. Verdutzt schaute ich ihm hinterher, während mein Telefon immer noch in meiner Hand bimmelte. Ich warf einen Blick auf mein Handy. Es war Logan. Ich drückte auf Abnehmen und spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte. Ich wusste, dass es Etwas Schlimmes sein musste, wenn Logan mich hier in Toronto anrief.
„Hallo", sagte ich atemlos ins Telefon, meine Hände zitterten.
„Ella?", Logans Stimme klang halbwegs normal, aber ich hatte das Gefühl, als ob ich in ihrem Unterton eine gewisse Spannung entdeckte.
„Ja ich bin dran", gab ich von mir.
„Wie geht's dir?", ich schluckte, mein Herz dröhnte mir bis in meine Ohren.
Ich wurde das merkwürdige Gefühl nicht los, dass irgendetwas in Schottland passiert sein musste. Irgendetwas, dass mit Macaulay zu tun haben musste.
„Geht so", presste ich hervor, eine innere Stimme in meinem Kopf schrie, dass Logan mir sofort sagen sollte, was passiert war.
„Wie geht's dir?", fragte ich mit mulmigem Gefühl und hoffte inständig, dass er mir eine Antwort darauf geben würde, was passiert war.
„Auch ganz okay. Hör mal Ella, weshalb ich dich anrufe. Macaulay...", ich schnappte nach Luft, fasste mir mit der Hand aufs Herz, machte mich auf Logans nächste Worte gefasst.
Doch nichts und wirklich nichts konnte mich auf die nächsten Worte vorbereiten. Ich fühlte mich, als ob ich in einen dunklen Strudel gesogen wurde.
„Sein Vater ist frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden."
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