Kapitel 54
„Ich hab dich auch vermisst, Dad", brachte ich erstickt hervor, bevor mich seine starken Arme losließen und ich wieder sanft auf dem Boden aufkam.
Ich schaute in den dunkelblauen, intensiven Blick meines Vaters. Seine Augen schienen mich zu durchbohren, schienen wie so oft hinter meine Fassade zu blicken.
„Ella, Prinzessin, alles in Ordnung mit dir?", seine Stimme klang leise zu mir, während seine Augen nun besorgt in mein Gesicht blickten.
Ich biss mir auf die Lippen, schüttelte stumm mit dem Kopf. Mein Vater hob seinen Kopf und warf meiner Mutter über meine Schulter einen Blick zu.
„Babe, Ella und ich machen eine Spritztour mit dem Jeep."
„Okay, seid aber wieder zum Abendessen zuhause. Chris und Amber kommen"
„Wird gemacht, Babe", die Stimme meines Dads klang ein wenig tiefer, der Blick in seinen Augen veränderte sich für einen kurzen Moment, wurde dunkler, als er meine Mutter über meine Schulter hinweg fixierte.
Seine Gesichtszüge wurden plötzlich weicher, ich sah, wie seine Lippen stumm die Worte „ Ich liebe dich" formten. Ein Stich durchfuhr meinen Körper, als sich pure Liebe auf dem Gesicht meines Vaters widerspiegelte. Mein Blick fiel auf den Boden und plötzlich fiel mir auf, dass ich vermutlich niemals so etwas besitzen würde. Dass ich niemals so eine Liebe, wie die meiner Eltern besitzen würde. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, ich schluckte. Plötzlich spürte ich, wie eine Hand sanft nach meinem Arm griff.
„Lass uns losfahren, Ella", die Stimme meines Dads klang sanft durch unseren Flur. Ich hob meinen Kopf und nickte stumm, die blauen Augen meines Vaters lagen sanft und wissend auf mir, als er mich mit sich nach draußen zog.
In den nächsten zwanzig Minuten fuhren wir ziellos durch die Gegend. Ich hatte meine Füße auf das Armaturenbrett des Jeeps meines Vaters gestellt. Draußen fielen wieder weiße Flocken vom Himmel, unter uns stapelte sich der Schnee in Schichten. Während man in anderen Ländern schon längst nicht mehr mit dem Auto gefahren wäre, waren wir Kanadier derartige Schneemassen gewöhnt. Wir hatten extra spezielle Reifen mit Schneeketten an unseren Autos, die uns durch die Schneemassen brachten. Irgendwann hielt mein Dad plötzlich an, irgendwo im Nirgendwo am Straßenrand.
Inzwischen hatte sich der Himmel über uns dunkelgrau gefärbt, die Schneeflocken schlugen lautlos gegen die Windschutzscheibe. Ein paar Laternen flackerten am Straßenrand, während unser Atem in Rauchwolken durch den Wagen drang. Meine Zähne klapperten aufeinander, als ich die dunkelroten Ärmel meines Pullovers über meine nun fast eiskalten Hände zog.
„Hier", durchdrang plötzlich die Stimme meines Dads den Wagen, er hielt mir einen dunkelblauen Strickpullover hin.
Ich nahm ihn entgegen und zog ihn mir über. Er war fast zwei Nummern zu groß, aber das störte mich nicht
„Tut mir leid Babygirl, aber die Heizung hat vor einer Woche den Geist aufgegeben und ich hatte noch keine Zeit eine Neue einzubauen", sagte er und zuckte mit den Schultern auf so eine jugendliche Art und Weise, dass ich für einen kurzen Moment schmunzeln musste.
Mein Dad hatte sich ebenfalls einen dunkelgrauen Pullover übergeworfen und saß nun zurückgelehnt in dem Fahrersitz seines Jeep Wranglers. Aus dem Radio drang leise Aerosmith, während wir für eine Weile stumm den Schnee beobachteten, wie er leise gegen die Windschutzscheibe flog.
„Was ist los, Ella Prinzessin?"
Nach einer Weile drang die Stimme meines Dads leise durch das Auto.
„Ist es wegen Drew?", ich schüttelte stumm den Kopf, biss mir auf die Lippe, spürte wie die Tränen wieder in mir hochzukommen schienen.
„Ich ...", meine Stimme brach ab, die Tränen liefen nun über meine Wangen.
„Ella, Baby...", die Stimme meines Vaters klang besorgt.
Seine Hand griff nach meinem Nacken, zog mich über meinen Sitz bis mein Kopf auf seinen Schultern lag. Dann strich er in so einer väterlichen Geste über meinen Kopf, dass mir erneut die Tränen in die Augen drangen.
„Sprich mit deinem alten Herrn", gab er erneut von sich
„Muss ich irgendeinem Arschloch meine Faust ins Gesicht donnern?", fragte er nun etwas ernster „ Weil ich schwöre Ella Prinzessin, wenn dir irgendwer weh getan hat, dann breche ich ihm alle Knochen !", seine Stimme überschlug sich nun, ich spürte wie sich sein Körper unter mir versteifte.
Für einen kurzen Moment drang ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Mein Dad, hatte schon immer einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt gehabt.
„Nein Dad, mir hat niemand weh getan", beruhigte ich ihn.
„Es ist nur..", ich rang nach Worten, starrte auf die weiße Landschaft vor uns.
„Ist es normal, dass ... dass Liebe so wehtut?", die Frage kam in einem Flüstern von meinen Lippen, als ich meinen Kopf hob und meinem Vater nun in die Augen blickte.
Ich sah, wie etwas über das Gesicht meine Vaters huschte, bevor er langsam nickte. Sein Haar war an den Seiten ein wenig ergraut, aber das tat nichts an seinem Erscheinungsbild.
„Ja, das kann sie", die Stimme meines Vaters klang nun tiefer, seine Augen schienen nun weit entfernt zu sein.
„Als ich damals deine Mutter kennengelernt hab, da war sie noch mit einem anderen Mann verlobt. Sie hat lange gebraucht, um sich endlich von ihm loszureißen, obwohl sie schon lange vorher wusste, dass sie mich liebte", ein kleines, trauriges Lächeln stahl sich auf das Gesicht meines Dads, er schien in Gedanken verloren zu sein.
Als ich klein war, war die Geschichte meiner Eltern mir immer wie ein Märchen vorgekommen, aber jetzt als wir beide so in dem Auto hier saßen, realisierte ich , dass es vermutlich nicht immer ein Märchen gewesen war.
„Es hat weh getan sie zu lieben. Jeden einzelnen, verdammten Tag", der Blick meines Dads war an die Windschutzscheibe geheftet.
„ Aber weißt du was Ella, Prinzessin? Es war jeden, einzelnen Tag wert auf sie zu warten. Jeden, verdammten einzelnen Tag. Denn ich hab nicht nur die schönste, liebste und gutherzigste Frau an meiner Seite, sondern sie hat mir auch euch beide geschenkt."
Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten.
„Ella, die Liebe ist nicht immer einfach. Sie ist verdammt kompliziert. Aber wenn ich dir eins sagen kann, dann dass du für sie kämpfen musst. Kämpfe für ihn. Wenn er es wirklich wert ist Ella und das wird er sein, wenn du ihn dir ausgesucht hast, dann kämpfe für ihn."
„Wie...?", meine Augen hatten sich immer mehr bei seinen Worten geweitet, mein Mund war ein Stück nach untern geklappt .
„Wo.. Woher wusstest du ...?", mein Dad lachte.
„Ella, ich kenn dich. Du bist mein eigen Fleisch und Blut. Du musst mir nicht von ihm erzählt haben, um zu bemerken, dass du ihn liebst. Du hast den selben Ausdruck wie deine Mom im Gesicht, wenn sie mich anschaut."
Ein warmes Lächeln breitete sich nun auf dem Gesicht meines Vaters aus. Ich wusste nicht warum, aber urplötzlich sprudelten die Worte aus mir heraus. Mein Dad hatte schon immer eine Gabe dafür, das was mich bedrückte aus mir herauszulocken. Ich erzählte ihm Alles, von dem Tag an dem ich Drew mit dieser Frau im Bett erwischt hatte, bis zu gestern, als ich herausgefunden hatte, dass Macaulay bei der Air Force war. Ich erzählte ihm Alles. Wie komisch sich Macaulay mir gegenüber verhielt, von seinem Vater, seiner Mutter und von seiner Krankheit. Mir liefen inzwischen die Tränen in Bächen über mein Gesicht, ein lautes Hicksen drang aus meinem Mund, erfüllte den Wagen. Steven Tylers tiefe Stimme drang durch den Jeep, sang davon, dass er wach bleiben würde nur um sie atmen zu hören, sie lächeln zu sehen, während sie schlief. Der Song ließ mein Herz sich noch mehr zusammen ziehen, ließ mich unwillkürlich an Macaulay denken.
Als ich zu Ende geredet hatte, blickte ich aus tränenverschmierten Augen in das Gesicht meines Vaters. Seine Miene war undurchdringlich. Für einen kurzen Moment hielt mich sein Blick einfach nur fest. Und dann tat er das, was so typisch West Taylor war. Er zog mich in seine starken Arme und hielt mich ganz fest. So fest, dass ich wusste, dass egal wie schlimm es werden würde, ich hier in den Armen meines Vaters immer wieder einen sicheren Ort fand. Dass mir hier, nie etwas passieren konnte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top