Kapitel 45
Das laute Klingeln meines Handys unterbrach meine letzten Feinarbeiten an unserem Kostüm. Es war Freitag, 16 Uhr am Nachmittag und die Party würde in weniger als 5 Stunden beginnen. Ich war froh, dass ich die Kostüme rechtzeitig in der Zeit fertiggestellt hatte. Ich hasste es im Stress zu sein. Mit einer Nähnadel zwischen den Zähnen drückte ich auf mein Handy und hielt es mir an mein Ohr.
„Hallo?", fragte ich in den Hörer, wohlwissend, dass es eigentlich total unhöflich war sich so zu melden. Es rauschte und ich hörte eine abgehackte Stimme.
„ Hallo?", rief ich ins Telefon, hörte aber wieder nichts.
„Haaalllooo?", rief ich nun etwas lauter ins Telefon, alles was ich jedoch hörte war ein Knacksen. Ich erhob mich von meinem Stuhl und lief durch die Wohnung.
Ich öffnete das Fenster, dass zur Feuerleiter führte, schlüpfte hindurch und setzte mich auf die oberen Stufen. Hier müsste der Empfang besser sein.
„Hallo?," rief ich noch einmal, etwas sanfter ins Telefon.
„Cinderella?", Aidens Stimme krächzte durch den Hörer, er klang irgendwie merkwürdig.
„Aiden?", fragte ich verwundert, zog mit meinen freien Fingern die Nadel zwischen meinen Zähnen hervor.
„Ella, es tut mir so leid, aber ich ...", ein Stöhnen drang durch die Leitung.
„Ich hab die ganze Nacht gebrochen. Ich fühle mich, als hätte man mich überfahren", seine Stimme klang schwach.
„Ich kann unmöglich heute Abend mit auf die Party kommen", ich hielt bei seinen Worten inne, mein Atem bildete Rauchwolken in der kalten Luft.
Es war fast Abend, der Himmel begann sich solangsam am Horizont rot und orange zu färben.
„Oh..okay", gab ich von mir, versuchte meine Enttäuschung nicht zu sehr durch das Telefon dringen zu lassen.
"Es tut mir leid, Cinderella. Ich weiß wie sehr du dich gefreut hast und wieviel Arbeit du in die Kostüme gesteckt hast, aber ich fühl mich einfach am Arsch, ich hab kaum etwas gegessen, weil sobald ich es tue, kommt alles wieder hoch."
Ehh. Das waren eindeutig zu viele Informationen. Ich seufzte leise auf, blickte in die Ferne auf den Himmel, an dem ein paar verlassene Krähen ihre Kreise zogen und versuchte meine Stimme einen kleinen Deut unbeschwerter klingen zu lassen. So als ob es mir eigentlich nicht viel ausmachen würde, dass Aiden mir nun absagte. So als ob ich nicht die letzten Tage, Stunden an unseren Kostümen genäht hatte. Ich musste zugeben, dass ich mich anfangs nicht wirklich auf die Party gefreut hatte, aber so bald ich angefangen hatte mein Kostüm zu nähen, war die Vorfreude gestiegen.
„Mach dir keine Sorgen, Aiden. Am Wichtigsten ist es, dass es dir wieder gut geht", erwiderte ich, meine Stimme klang komisch in meinen Ohren.
„Und du bist auch nicht sauer?", hörte ich Aidens Stimme im Hintergrund an mein Ohr dringen, während meine Augen weiterhin auf die Krähen konzentriert waren, die ihre Kreise am Himmel zogen.
Hin und wieder zurück. Hin. Zurück. Ich fragte mich, wann sie sich auf den Weg in wärmere Gebiete machen würden?
„Nein.", meine Stimme klang ausdruckslos, distanziert, aber Aiden schien es nicht zu merken.
„Ich versprech dir Cinderella, ich werde es wieder gut machen! So bald ich wieder gesund bin, werde ich dich ausführen, versprochen", seine Stimme klang krächzend und das letzte Stück seines Satzes brach ab.
„Aiden, du musst auflegen. Ruh dich aus, das ist das Beste was du tun kannst", gab ich nun etwas sanfter von mir.
Die Krähen waren inzwischen weiter Richtung Süden gezogen.
„Danke, Cinderella", gab er leise von sich.
„Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben", trotz der Schwäche in seiner Stimme, hatte sie auch etwas Sanftes an sich, das für einen kurzen Moment, an meinem Herzen zog.
„Ich mich auch", erwiderte ich ebenso sanft, bevor wir beide auflegten.
Zehn Minuten später saß ich immer noch auf den Treppen, starrte auf den Horizont vor mir, beobachtete den Himmel. Ich drehte die Nähnadel zwischen meinen Fingern hin und her, die Beine angewinkelt, während der Himmel immer mehr von tieforangenen Tönen durchzogen wurde. Ich erzitterte leicht, als mich ein kalter Lufthauch traf.
„Bisschen spät um hier noch zu sitzen, oder?", eine tiefe Stimme drang an meinen Rücken, ließ einen warmen Schauer über meinen Rücken fahren.
Ich drehte mich nicht um, sondern starrte weiterhin auf die Ferne vor mir. Es war so anders auf Edinburgh hinauszuschauen, als auf Toronto. Irgendwie ruhiger. Es war seltsam. Geruch von Kiefernnadeln zog durch meine Nase, ich spürte die Wärme seines Körpers, als er sich neben mir niederließ. Der Stoff seines Shirts streifte den Stoff meines bordeauxroten Pullovers.
„Nicht wirklich", gab ich leise von mir, starrte immer noch in die Ferne.
„Boyd müsste jeden Moment da sein", stellte er fest, seine Worte knapp.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, er ist krank", gab ich von mir, schaute ihn bewusst nicht an, versuchte die Enttäuschung in meiner Stimme zu verbergen.
Stille brach zwischen uns ein, hüllte uns Stück für Stück in einen Kokon. Irgendwo in der Ferne läutete eine Kirchuhr. Es war 17 Uhr. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, atmete die kühle Luft, durchsetzt mit seinem Geruch von Kiefernnadeln ein.
„Ich geh mit dir", die Worte waren so leise, dass ich sie fast nicht hörte.
Ich nahm an, dass ich sie mir eingebildet hatte. Ich ließ den Kopf ein wenig sinken, lockerte meine Nackenmuskulatur, die vom ganzen Sitzen vor der Nähmaschine steif geworden war. Plötzlich spürte ich wie etwas unter mein Kinn griff, warme Fingerspitzen streiften meine Haut. Erschrocken öffnete ich die Augen, blickte in braune, jetzt warme Augen, die in meine blickten.
„Ich geh mit dir zu der Party", sein schottischer Akzent betonte jede einzelne Silbe und nicht zum ersten Mal realisierte ich, dass der Akzent für den ich zunächst nichts übrig gehabt hatte, mir nun doch immer mehr ans Herz ging.
Ich hielt die Luft an, schaute in seine Augen.
„Aber.. du hast doch garkein Kostüm", brachte ich leicht dümmlich über meine Lippen.
Ich sah, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen, die schwarzen Linien seines Halstattoos komplementierten das Dunkelblau seines Shirts. Es war das erste Mal, dass ich eine andere Farbe als schwarz oder dunkelgrau an ihm gesehen hatte.
„Ich bin mir sicher, du wirst eine Lösung finden", mein Herz machte einen Satz nach vorn, seine Stimme war ungemein sanft.
„Das tust du immer", ich schluckte, fühlte mich, als ob er mich mit seinem Blick komplett emblößte und meine Seele freilegte.
Ich wusste nicht wie er es tat, aber sein Blick alleine ließ mich manchmal vergessen wer ich war. Sog mich vollkommen in sich auf. Weckte in mir das Bedürfnis mich in ihm zu verkriechen.
Das Laute Aufheulen einer Sirene, ließ mich zusammenzucken und aus meiner Trance erwachen. Ich schüttelte leicht meinen Kopf, um mich wieder auf die wesentlichen Dinge zu konzentieren.
„Hast du ein weißes T-Shirt?", fragte ich ihn, gleichzeitig stand ich von den Stufen auf.
Er zog eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hoch. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben und ich schüttelte leicht belustigt den Kopf.
„Hätte ich mir eigentlich denken können"
Er zuckte mit den Schultern.
„Gut...", ich fing an zu überlegen.
Ich hatte noch einigen weißen Stoff von Aidens Shirt übrig.
Ein Shirt konnte ich in innerhalb von einer Stunde nähen. Maximal anderthalb Stunden. Das Problem war nur, dass ich seine genauen Maße nicht hatte. Als ich ihm das Boxshirt genäht hatte, hatte ich es absichtlich etwas weiter genäht, aber als Danny musste er ein etwas engeres Shirt tragen. Mein Blick wanderte von seinem Kopf bis hinunter zu seinen Schuhen. Ich spürte, wie ein Kribbeln über meine Arme fuhr, wie sein Blick sich schwer auf meinen legte. Ich schluckte.
„Willst du ein Shirt von mir haben, damit du meine Maße hast?", seine Stimme klang heiser, seine Augen bohrten sich nun in meine. Schienen mir etwas Anderes mitzuteilen, als seine Worte.
Ich nickte stumm. Ich sah, wie er sich nun ebenfalls erhob und nicht zum ersten Mal, begutachtete ich seinen Körper, seine muskulöse Statur, wie sie einen ganzen Kopf über mir thronte.
„Okay", gab er leise von sich, sein Körper streifte meinen, als er an mir vorbei, zurück durch das Fenster kletterte.
Ich stand einfach nur da und beobachtete ihn, atemlos, mit einer Wärme in meinem Körper, die sich spiralförmig in mich fraß. Ich riss meinen Blick von ihm los und versuchte meine Atmung zu regulieren. Bei Drew hatte ich mich doch auch nie atemlos gefühlt, warum tat ich das denn nun bei Macaulay? War es, weil er mir immer noch unterbewusst Angst machte?
Inzwischen war ich am Fenster angekommen und kletterte durch es hindurch. Sofort drang die Wärme der Wohnung mit entgegen, sank in meine Haut, ließ mich kurz erschaudern. Nein ich hatte keine Angst mehr vor ihm. Dennoch war er der komplizierteste Mann, den ich je getroffen hatte. Wahrscheinlich auch der Gebrochenste. Abrupt fragte ich mich, ob Macaulay als Kind überhaupt einmal auf einer Kostümparty gewesen war. Sicherlich hatten seine Pflegefamilien ihn doch bestimmt auf eine Kostümparty mitgenommen.
Ein irrationaler Teil in mir, glaubte fest daran, dass es so gewesen sein musste, aber der rationale Teil in meinem Gehirn, der Macaulay nun dabei beobachtete, wie er aus seinem Zimmer kam, mit einem seiner Shirts in der Hand, verriet mir die Wahrheit.
„Hier", als er mir das Shirt in die Hand drückte, sah er plötzlich aus, wie ein kleiner Junge.
Ich wusste nicht, warum ich es nicht schon früher gesehen hatte, aber manchmal, wenn man ganz genau hinsah, dann sah man ihn. Den kleinen Jungen, der sich unter seinem Gesicht verbarg. Ich lächelte ihn an, machte mich wieder zurück an meinen Nähtisch und fing an zu nähen.
Anderthalb Stunden später hielt ich das weiße Shirt in die Höhe. Macaulay hatte die ganze Zeit auf dem Sofa gesessen, hatte mir stumm zugeschaut. Ich konnte von Glück reden, dass ich mir nicht über die Hand genäht hatte. Macaulay stand nun von dem Sofa auf und kam in langen Schritten auf mich zu. Er blieb kurz vor mir stehen, bevor seine Hand plötzlich an den Saum seines Shirts wanderte. Ich riss erschrocken die Augen auf, als er sich vor meinen Augen, das Shirt vom Oberkörper zog. Mein Herz setzte aus, meine Finger fingen an zu kribbeln. Ich war kein impulsiver Mensch, nicht so wie meine Mom, aber in diesem Moment hatte ich das Bedürfnis meine Hände um seinen tätowierten Nacken zu schlingen und mein Gesicht in seiner Halsgrube zu vergraben. Ich war selbst erschrocken von meinen Gedanken. Macaulay griff nun nach dem Shirt und zog es sich mit einer geschmeidigen Bewegung über den Kopf. Es betonte perfekt die richtigen Stellen, bildete einen starken Kontrast zu seinem Halstattoo. Ich ließ es auf mich wirken und lächelte. Ich hatte ihn noch nie in Weiß gesehen, es stand ihm gut dennoch kamen die Worte aus meinem Mund. Sanft und klar.
„Schwarz steht dir besser."
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