Kapitel 3


Am nächsten Morgen weckte mich das laute Schrillen meines Handys. Ich hatte Rückenschmerzen von der durchgelegenen Matratze, aber ich schätzte es war besser, als draußen irgendwo auf der Straße zu schlafen.

Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es Drew war. Mein Herz zog sich zusammen, als ich meinen Finger über das Telefon fahren ließ und ihn wegdrückte. Erst jetzt sah ich, dass er die letzte Nacht ganze zwanzig Mal angerufen hatte. Außerdem hatte ich zwei neue Nachrichten auf der Mailbox. Ohne sie mir anzuhören löschte ich sie. Übrig blieben nur noch zwei Nachrichten. Eine von meinem Bruder Luke, der mich fragte, ob ich Weihnachten nach Hause käme und eine von meinem Dad, der mir mitteilte, dass er mich vermisste. Ein Stich durchfuhr meinen Körper, als ich die Nachricht meines Dads las. Ich schluckte und drückte den Antworten Button auf meinem Handy und schrieb ihm zurück, dass ich ihn auch vermisste, aber das wir uns Weihnachten wieder sehen würden. Bis dahin waren es noch drei Monate und ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt hoffentlich mein Leben halbwegs unter Kontrolle. Dann schickte ich meinem Bruder ebenfalls eine Nachricht, in dem ich ihm mitteilte, dass ich Weihnachten nach Hause kam. Mein Handy beiseitegelegt, schob ich die Decke von meinen Füßen und suchte nur in Unterwäsche bekleidet meine Sachen zusammen.

Lautes Männerlachen ließ mich zusammenzucken. Mein Blick wanderte zu der verschlossenen Tür, als ich nach meiner Leggings griff, die ich in eine der Ecken des Zimmers geworfen hatte. Dann zog ich nacheinander den Stoff über meine Beine.

Ein Schrei drang aus meiner Kehle, als plötzlich die Tür aufflog. Ein großer, breiter Kerl mit einem Stiernacken erfüllte den Türrahmen. " Na, was haben wir denn da?" ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er meine Brüste, die nur von meinem weißen Baumwoll-BH bedeckt waren in sich aufnahm. Panisch griff ich nach meinem Kleid und hielt es mir vor meinen halbnackten Oberkörper. "R...raus." stotterte ich mit zittriger Stimme, als ich ihn vollkommen erstarrt anblickte. " Hätte Macaulay mir gesagt, dass er so eine heiße Schnitte, wie dich in einem seiner Hinterzimmer versteckt, dann..." ich machte einen Schritt nach hinten, bis ich die Kante des Tisches in meinem Rücken spürte. "Buchanan!" donnerte plötzlich eine laute Stimme, die mir gewaltig bekannt vorkam durch den Flur vor meinem Zimmer. Keine Sekunde später, erschien Macaulays große Statur in meinem Türrahmen. Obwohl der Mann mit dem Stiernacken breiter war, als er hatte Macaulay eine beinahe aggressive Ausstrahlung an sich, die nicht nur mich, sondern auch den Kerl zusammenzucken ließ. Ein kurzer Blick ins Zimmer, ließ Macaulay, die Situation erfassen. "Raus. Sofort!" in seiner leisen Stimme lag eine Drohung. "Und sollte ich dich noch einmal in diesem Zimmer sehen, Buchanan. Dann ruf ich die Bullen." Die Erwähnung der Polizei schien seine Wirkung zu erzielen, denn der Typ mit dem Stiernacken, warf sofort seine Hände in die Luft. " Sorry, Alter! Kommt nicht mehr vor!" er drückte sich an ihm vorbei und lief aus dem Flur heraus. Macaulay würdigte mich keines Blickes, als er sich umdrehte und die Tür wieder hinter sich zuzog. Was zur Hölle war das?

Immer noch mit zittrigen Händen zog ich mir das Kleid über den Kopf, teilte meine Haare in zwei Teile und flocht sie zu zwei Zöpfen. Dann holte ich einmal tief Luft, bevor ich die Tür öffnete. Laute Rapmusik, vermischt mit männlichem Stimmengewirr und fallenden Gewichten drang zu mir. Ängstlich schaute ich mich im Flur einmal um, bevor ich meine Füße in Bewegung setzte. Als ich die Ecke umrundete, knallte ich beinahe mit drei Gestalten zusammen, die vor mir in ein anregendes Gespräch vertieft waren. Als sie mich jedoch erblickten verstummten sie. Es waren Aiden, eine Frau mit pastellrosanem Haar, die ich nicht kannte, und Macaulay. Er trug ein weißes Shirt, über seine Schultern hatte er achtlos eine Lederjacke geworfen. " Wenn ich heute Abend wieder da bin Taylor, dann will ich, dass du verschwunden bist." richtete er plötzlich das Wort an mich, sein Gesicht zeigte keine Regung, seine Stimme schroff, als er sich seine Lederjacke von der Schulter schnappte und sie sich im Vorbeigehen überzog. "Und sollte ich dich hier noch antreffen, dann werde ich dich eigenhändig hier rausschmeißen, hast du das verstanden?" seine dunklen Augen richteten sich nun auf mich, in seinem Ton lag eine Endgültigkeit, die mich nicht daran zweifeln ließ, dass er mich ernsthaft herausschmeißen würde, wenn ich mich noch hier befinden würde. Ich schluckte und versuchte mir nicht meine Verzweiflung ansehen zu lassen, als ich nickte. Er schaute mich noch ein letztes Mal warnend mit seinen dunklen Augen an, bevor er Aiden und der Frau kurz zunickte und aus der Lagerhalle verschwand. Mein Herz sackte sofort in meine Hose, Angst durchflutete mich. Ich schluckte ein weiteres Mal und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die in mir hochkamen. " Ich...ich werde dann mal meine Sachen zusammensuchen" brachte ich in einer zittrigen Stimme von mir. "Ja, das wäre wohl besser so" drang Aidens Stimme an mein Ohr, bevor ich mich umdrehte und wieder zurück in mein provisorisches Zimmer lief. Hinter mir hörte ich noch die Wortfetzen "Wer ist dieses Mädchen?" bevor ich die Tür hinter mir schloss. Sollte er doch erzählen, was er wollte!

Für einen kleinen Moment erlaubte ich es mir zu weinen. Aber nur eine ganze halbe Minute lang, bevor ich meine Augen trocken wischte und meine Sachen packte. Was nicht wirklich viel war. Mein Handy, was noch einen halben Akku hatte, dreißig Pfund, einen Kamm und zwei Kaugummis. Kurz ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen und entschied mich dann dazu die Decke mitzunehmen. Man wusste schließlich nie, wo man sie gebrauchen konnte und draußen war es kalt. Ich stopfte sie in meine Handtasche und hing diese dann über meine Schultern.

Angst kroch plötzlich in mir hoch, als mir klar wurde, dass ich obdachlos war. Dass ich kein Dach über den Kopf hatte. Ich schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken zu verdrängen, die in mir hochwallten. Mein Handy ertönte erneut, doch ich ließ es einfach läuten. Mit einem Stich in der Magengrube und zittrigen Händen öffnete ich die Tür und verließ das Zimmer. Vorne angekommen, beachtete mich niemand, als ich die schwere Tür öffnete und die große Lagerhalle verließ. Die kalte Herbstluft bließ mir entgegen, mein Magen knurrte, als ich vollkommen taub über den Platz zurück durch den Park lief. Ich wusste nicht wohin. Ich hatte kein Zuhause. Zu Drew konnte ich auf garkeinen Fall zurück. Und meinen Eltern konnte ich es auch nicht erzählen. Meine Mutter sah mich und Drew schon vor dem Altar stehen. Es würde ihr das Herz brechen! Ein stechender Schmerz durchzuckte mich, als ich wie in Trance durch den Park lief. Meine Strumpfhose kratzte an meinen Oberschenkeln. Drew. Mein ganzes Leben hatte ich geglaubt, dass ich ihn einmal heiraten würde. Er war mein Leben gewesen. Mein Ein und Alles. Mein zukünftiger Mann, Vater meiner Kinder. Die Liebe meines Lebens. So wie mein Vater für meine Mutter, die Liebe ihres Lebens war.

Ich wusste nicht, wie lange ich durch die Gegend gelaufen war, aber inzwischen war es Vormittag und ich befand mich wieder in den Straßen von Edinburgh. Nach einer Weile kam ich an einem Bäcker vorbei. Mein Magen grummelte immer noch, weshalb ich mir einen Scone kaufte und ihn auf den Weg durch die Straßen aufaß.

Als ich schließlich an einem Primark vorbeikam, kaufte ich mir von meinem übriggebliebenen Geld eine geblümte Hose, einen grauen Wollpulli und ein neues Paar Unterwäsche. Die Verkäuferin bat ich die Schilder abzuschneiden, damit ich mich in der Umkleidekabine sofort umziehen konnte.

Ich wusste nicht, wie lange ich durch die Gegend gewandert war und vor allem wusste ich nicht wo ich war. Ich befand mich in einer für mich völlig fremden Stadt. Mit einer für mich manchmal auch völlig fremden Sprache. Das schottische Englisch war schon manchmal etwas für sich. Während wir Kanadier in einem fließenden, weichen Englisch sprachen, hörte sich das Schottische, holprig und hart an. Der Himmel über mir wurde so langsam dunkel. Angst kroch durch meinen Körper, als ich über die dunklen Bürgersteine der Stadt lief. Mein Herz pochte laut in meinem Ohr und alle fünf Minuten drehte ich mich um, da ich das Gefühl hatte, dass mich jemand verfolgte. Mein Handyakku war inzwischen leer, weshalb ich auch, wenn mir etwas passierte nicht die Notrufnummer wählen konnte. Die Stimme meines Vaters schlich sich immer wieder in mein Gedächtnis. Ich möchte nicht, dass du nachts alleine durch die Gegend läufst, Ella. Niemals. Hörst du?. Tränen wallten in mir auf, als ich an meine Familie dachte. An meine liebevolle Mutter, die meine beste Freundin war und immer für mich da war. An meinen Vater, dessen leise, raue Stimme mich als kleines Mädchen immer in den Schlaf gesungen hatte und mein Bruder Luke, der für mich immer eine Art Held gewesen war.Und Drew. So sehr ich es auch verdrängen wollte. Drew hatte auch zu meiner Familie gehört. Deshalb tat es auch so weh, dass er mich für eine andere Frau ausgetauscht hatte.

Ich musste ungefähr noch eine weitere Stunde herumgeirrt sein, als ich plötzlich an einer mir bekannten Stelle ankam. Die Bäume warfen Schatten auf den Bürgersteig, der Park lag fast stockdunkel vor mir, einzig und allein, das Licht des Vollmondes erhellte ihn ein wenig. Mit zittrigen Beinen betrat ich den Park und hielt erst an, als ich die kleine Parkbank erreicht hatte. Ich wusste, dass sie nicht groß war und vermutlich war sie auch ziemlich unbequem, aber die Tatsache, dass der Park so dunkel und verlassen war, gab mir ein wenig Sicherheit, dass niemand vorbeikommen würde. Mit einer Hand öffnete ich meine Handtasche und zog die Decke aus ihr heraus. Inzwischen war es sehr kalt draußen geworden, meine Hände kleine Eiszapfen, mein Magen kam fast um vor Hunger, aber zumindest hatte ich saubere Wäsche an. Mit einer kleinen Bewegung legte ich mich auf die Parkbank und winkelte meine Beine an. Dann legte ich die Decke über mich, zog sie mir bis zum Kinn nach oben und schloss die Augen. In der Hoffnung, dass der Schlaf mich schnell überkommen würde.


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