||Kapitel 4|| Von Freundschaft und Müll

Der kirschrote Kleinwagen ihrer Großeltern fuhr im gemütlichen Tempo die Küstenstraße entlang. Elisa hatte vor Staunen das Fenster aufgemacht und bewunderte die einmalige Landschaft der Nordseeküste.

Zu ihrer linken befanden sich eine beeindruckende Anzahl an Windmühlen, die sich scheinbar mühelos im Wind drehten. Zu ihrer Rechten befand sich die Küste mit ein paar Strandkörben und dahinter der scheinbar unendlich reichende Ozean.

Plötzlich spürte Elisa dieses betäubende Gefühl wieder. Es ließ sie gebannt auf den Ozean starren und alles andere ausblenden. Sie konnte gar nicht anders, ihr Blicke klebte förmlich an der glitzernden Oberfläche. Es war wieder
dieses ziehen, diese Sehnsucht. Als würde ihr Herz etwas begehren, das sich dort draußen befand. Eine Begierde von der sie nichtmal wusste, um was es sich handelte.

Aber Elisa wollte es nicht fühlen, denn dieses Gefühl war unheimlich. Wie konnte sie sich nach etwas sehnen wovon sie keine Ahnung hatte?

Sie kämpfte dagegen an und schaffte es, sich vom Meer abzuwenden.

"Elisa geht es dir gut?", fragte ihre Großmutter vom Beifahrersitz, da sie die zunehmende Stille bemerkte. "Ja alles gut. Ich rede während dem Autofahren nicht viel.", erklärte Elisa und versuchte nicht auf den Ozean zu schauen, der sie so in seinen Bann zog.

Ihre Großmutter nickte verständnisvoll und wandte sich wieder ihrem Großvater zu.
"Manfred, pass auf! Du verursachst noch einen Unfall!", schimpfte sie und zog noch rechtzeitig die Handbremse. Sonst hätte das Auto einen LKW gerammt. "Anne, ich pass schon auf. Tu nicht so als wäre ich blind.",blafte der Rentner und überholte den LKW von Rechts.

Ein mulmiges Gefühl stieg in Elisa auf. Ihr Großvater fuhr so, als besaßen alle Extraleben. Sie fuhr in Zukunft so wenig wie möglich mit dem Auto, da sie am Ende der Ferien nicht begraben werden wollte.

Mit ein bisschen Glück hatte sie die Autofahrt doch noch lebend überstanden. Als der Kleinwagen auf dem Kieselparkplatz stehen blieb, riss sie mit ein wenig Übelkeit die Autotür auf und schnappte gierig nach frischer Luft. 

Nachdem Elisa sich halbwegs erholte, betrachtet sie das riesige Anwesen ihrer Großeltern, welches hauptsächlich aus einem großen Reetdachhaus mit zwei Stockwerken bestand. Das Anwesen befand sich an auf einer breiten Klippe. Wenn man von dort aus circa zweihundert Meter weiter ging, hatte man freie Aussicht auf die tosenden Wellen, welche in regelmäßigen Abstand auf dem Gestein aufschlugen.

Das Reetdachhaus an sich war in einem strahlenden Weiß gestrichen und war von einem blühenden Garten umgeben, indem sich mehrere schön klingende Windspiele befanden.

"Elisa, du musst am verhungern sein.", mutmaßte ihre Großmutter und lud ihr Gepäck aus," Komm rein, ich wärme dir ein paar Pfannkuchen auf."

"Pfannkuchen?", murmelte Elisa überrascht. "Manfred, nimm das Gepäck! Das arme Kind ist am Verhungern."

"Ich bin nicht dein Sklave, Anne. Außerdem tut dir ein bisschen Sport echt gut.", konterte ihr Großvater.

Nachdem Anne ihm aber einen Todesblick zuwarf, schwieg er und trug kommentarlos das Gepäck ins Haus.

Elisa lachte herzlich, so eine lockere Stimmung existierte bei ihr zuhause nicht. Ihre Großeltern waren das komplette Gegenteil, von dem was sie erwartet hatte.

Dann stieg ihr ein warmes, süßes Aroma in die Nase, warme Schokolade und Vanillezucker. Der süßliche Duft führte sie in die Küche, wo auf dem Herd ein duftender, aber kalter Pfannkuchen Teller stand.

Elisa lief das Wasser im Mund zusammen, so ein leckeres Essen gab es bei ihr nur an Geburtstagen oder Feiertagen.

In der Küche befand sich eine einseitige Küchenzeile und gegenüber ein eckiger Esstisch mit Sitzbank. Neben der Sitzbank war eine Tür die in den ersten Stock führte.

"Kind, du bekommst gleich dein Essen.", schmunzelte ihre Großmutter.

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Es dämmerte bereits als Elisa den lehren Teller ins Spülbecken stellte. Die Pfannkuchen hatte sie restlos aufgegessen. Mit der warmen Schokosoẞe und dem Vanillezucker Extrakt schmeckten sie einfach himmlisch. "Elisa, wir gehen morgen auf eine Müllsammelaktion unten am Strand bei den Klippen. Möchtest du mitkommen? Eventuell findest du dort ein paar Freunde?", fragte ihr Großvater plötzlich.

"Manfred, lass unsere Enkelkind nicht im Dreck herumlaufen. Schick sie nicht dahin zurück wo sie her kommt!", erwiderte ihre Großmutter feindselig.

Wow, wären ihre Eltern hier gewesen, hätte sie sofort ins schwarze getroffen. Vielleicht waren ihre spitzen Bemerkungen einer vieler Gründe warum sie ihre Großeltern so lange nicht besuchen durfte? Dennoch kein guter!

"Ich komme trotzdem mit. Ich tue gerne etwas für die Umwelt", widersprach Elisa.

"Dann komm mit, aber pass auf dich auf!", ihre Oma gab schließlich nach.

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Die Möwen kreischten ununterbrochen, als die Sonne aufging. Das kalte nächtliche Schwarz verwandelte sich in die warmen morgendlichen Rottöne, die einen perfekten Kontrast zu Meer bildeten.

Tatenkräftig und mit voller Entschlossenheit spähte sie auf den Sandstrand, wo die Aktion innerhalb weniger Minuten begann.  Dies war ihre freiwillige Entscheidung. Eine Entscheidung, wo die dreckigen Finger ihrer Eltern nicht im Spiel waren.

Leider war ihren Großeltern ein wichtiger Termin dazwischen gekommen, weswegen sie leider nicht teilnehmen konnten.

Ein langer, hölzerner Weg führte von der Promenade bis in den Sand und am Ufer der Nordsee versammelte sich eine große Gruppe von Jugendlichen, die allerhand Müllsäcke, Warnwesten und Greifer bei sich trugen.

Elisa lief schneller. Sie wollte auf keinen Fall zu spät kommen! "Bin ich zu spät?", fragte sie panisch. "Nein, es fehlen noch einige Leute. Dein Name?", Elisa blickte in die versteifte Miene, einer etwas dreißig Jährigen Frau, deren dunkelblonde Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. "Dein Name?", erinnerte sie Elisa mit scharfer Stimme. "Elisa Tannenbeck." "Danke, dann gesell dich doch bitte zu den anderen Jugendlichen."

Danach trafen ungefähr ein dutzend Teenager ein, denen Elisa jedoch keine Beachtung schenkte. Ihre Aufmerksamkeit galt nur dem Meer. Das Gewässer faszinierte sie auf eine befremdliche Art und Weise. Wie hypnotisiert schaute sie auf sie seichten Wellen. Es war wieder diese Sehnsucht, die sie schon einige Male davor gespürt hatte. Doch diesmal war sie unglaublich stark, als würde eine unsichtbare Hand nach ihr greifen und sie mit sich zerren wollen. 

"Wer bist du?", fragte die Frau wieder, die wahrscheinlich die Betreuerin war, einen jungen ihres Alters und riss Elisa aus dem Bann des Meeres. "Daniel Niedermayer", erwiderte er. "Daniel, du bist zu spät!", mahnte die Frau ihn. 

Warum hörte Elisa ihnen überhaupt zu? Es war nichts weiter als ein lächerliches Gespräch! Aber dennoch lenkte der Junge ihre Aufmerksamkeit auf sich. Elisa hoffte inständig das er nicht bemerkte, wie sie ihn anstarrte.

"Ich bin nicht zu spät. Das hier ist ein Umweltprojekt und keine Schule. Aber wenn sie keine kleinen Helferlein brauchen, kann ich auch wieder gehen!", stellte er klar. Die Frau war sichtlich überfordert mit seiner Antwort, also hackte sie ihn einfach nur auf ihrer Liste ab. 

Daniel drehte sich plötzlich zu ihr um. "Denkst du ich merke nicht, das du mich die ganze Zeit anstarrst?".  Ihr Blick haftete immer noch an ihm. Wie sollte sie aus dieser Situation herauskommen? Dabei lag die Rettung direkt vor ihrer Nase. 

"Auf deinem Shirt klebt Kaugummi.", entgegnete Elisa. "Scheiße! Sorry wegen meinem ersten miesen Eindruck.", Daniel schüttelte ihre Hand," Ich bin Daniel. Schön dich zu Treffen!" Der Rotschopf lächelte sie an. Seine grünen Augen leuchteten, als hätte er grad seine Seelenverwandte gefunden. Aber das waren sie sicher nicht! Er war laut, selbstbewusst und frech. Sie gehorsam, leise und brav! "Ich bin Elisa. Schön dich kennenzulernen", sie schüttelte seine Hand ebenfalls.

Allerdings wusste Elisa nicht, welche drastischen Veränderungen sie diesen Tag erleben würde. Schon bald würde sie nicht mehr das kleine unreife Mädchen sein!

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