28. Juli ~spät nachmittags~

Am 28. Juli rettete Ocean ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken.
Einen Tod vor dem er sich selbst nicht bewahren konnte.
Vor dem nicht einmal ich ihn bewahren konnte.

Wie ein Held wurde Ocean empfangen, als man ihn zwischen den sanft um ihn schlagenden Wellen ausmachen konnte. Das kleine Mädchen trug er in seinen Armen. Aus dem Augenwinkel sah ich wie die Eltern auf ihre Tochter zu rannten und wohl erleichtert feststellen, dass sie wohlauf war.
Den einen Schwimmflügel den sie trug, als sie ins Meer stürmte, musste sie wohl im Überlebenskampf unter den Wellen verloren haben, denn in Oceans Armen trug sie keinen mehr. Es grenzte an ein Wunder, dass sie überlebt hatte.
Ocean war dieses Wunder.
Das verstanden wohl auch die Eltern und die anderen Menschen, die sich in einem Kreis um Ocean versammelt hatten. Von meinen Platz unter einem der vielen, bunten Sonnenschirme konnte ich erkennen wie die Mutter ihn mit Tränen in den Augen fest in die Arme schloss, der Vater ihm dankbar auf die Schulter klopfte und noch andere kamen um dem Helden die Hand zu schütteln. Oceans Freunde von der Küstenwache kamen ebenfalls und redeten ihm beeindruckt zu.
Sie wussten am besten wie aussichtslos die Situation für das Mädchen eigentlich war.
Aber Ocean hatte allen das Gegenteil bewiesen.
Er war ohne Furcht in die Gischt gelaufen und hatte sie damit gerettet.

Oceans Kopf drehte sich in meine Richtung.
Ohne Umwege fand sein Blick den meinen.
Er hielt meinen Blick fest und ich konnte nicht wegsehen, ich wollte nicht. Seine Augen strahlten so schön, so azurblau. Wie das Meer.
Langsam, Schritt für Schritt kam er auf mich zu und mein Herz schlug in einem immer schnellerwerdenden Tackt.

Als er nun endlich vor mir stand, erhob ich mich von der Liege, auf der ich gesessen hatte. Still blickten wir uns entgegen. Es musste auf Außenstehende bestimmt merkwürdig gewirkt haben, wie wir da so standen, kein Wort sprachen, uns nur in die Augen starrten. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Es schien Ocean anzustecken, denn auch er began zu grinsen.
Es gefiel mir wie er lächelte. Sehr sogar.

Dennoch war es aber Ocean, der näher an mich heran trat und meine kleine Hand mit seiner großen Hand umschloss.
Mein Blick huschte auf unsere Hände und wieder zu Ocean, der offenbar wollte, dass ich ihm folgte.
Er zog mich mit sich in Richtung des Meeres.
Ich wusste, dass ich mich, wenn ich wollte, aus seiner Hand befreien konnte. Aber ich wollte nicht, zu geborgen fühlte sich meine Hand in seiner.

Es war später Nachmittag und weit hinter den Wellen des Pazifiks, konnte ich die tiefstehende Sonne ausmachen.
Ich beschleunigte meine Schritte und stolperte an Ocean vorbei und nun war ich es, die ihn hinter sich her zog.
Als der Sand zu meinen Füßen, Salzwasser wich, machte ich halt und sah aus dem Augenwinkel, dass Ocean sich dicht neben mich stellte.
Unsere Schultern berührten sich.
Und unsere Hände waren immer noch vereint.

Eine Zeit lang standen wir einfach nur so da und beobachteten den langsam untergehenden Ball aus Licht.
Wie ein Kribbeln, spürte ich Oceans Blick auf mir. Ich wusste würde ich mich jetzt zu ihm drehen, dann würden mir seine blauen Augen entgegen strahlen. In der Nähe des Meeres leuchteten sie immer heller und ein unbeschreibliches Glitzern war in ihnen zu erkennen.
Mein Blick ließ von dem am Horizont beginnenden Sonnenuntergang ab und wechselte zu Ocean.
Im Abschlussjahr traute ich mich nie Ocean länger anzusehen, seinem Blick standzuhalten, weil ich immer das Gefühl oder vielmehr die Angst hatte, es würde wie Salzwasser in meinen Augen brennen. Manchmal tat es das auch, aber der Grund dafür war ein anderer. Ich vergaß zu blinzeln.
Oceans Augen ließen mich vieles vergessen.

Auch jetzt musste ich mich daran erinnern zu blinzeln. Denn ich hatte Recht behalten, Oceans Augen strahlten mir in einem Blau entgegen, gegen das das Meer keine Chance zu haben schien. Er wiederspieglete das Meer, war aber gleichzeitig noch so viel mehr.
So viel mehr für mich.

,,Kann ich dir eine Frage stellen, Ocean?"

Ich konnte diesem Drang in mir, der nach Antworten auf das Rätsel rund um Ocean verlangte, nicht mehr standhalten.

,,Stell deine Frage, Elleira."

Bei seiner tiefen, klaren Stimme stellten sich die Härchen auf meinen Unterarmen auf.

,,Wie hast du es geschafft, das Mädchen zu retten?"

Oceans Augen ließen von mir ab und wechselten zu den Wellen der See, die sich mittlerweile wieder beruhigt hatten.
Der Wind hatte sich gelegt.
Nachdenklich blickte er in die Weite. Es war der gleiche Blick mit dem er am 17. Juli aufs Meer gesehen hatte.

,,Wollen wir uns nicht mal hinsetzten?"

Seine Augen waren wieder auf mich gerichtet und mit einer Kopfbewegung deutete er auf den trockenen Sand zwischen Meer und den dicht aneinander gereihten Liegen und Sonnenschirmen.
Ich nickte und setzte mich hin.
Ocean neben mir.

,,Als ich bei dem Mädchen angekam, war es schon tot."

Begann Ocean mit seiner Erklärung, die ich von ihm verlangt hatte. Schockiert sah ich ihn an. Damit hatte ich nicht gerechnet.

,,Aber, aber... Sie..."

Stotterte ich herum, nicht in der Lage zu verarbeiten was Ocean erzählte.

,,Ich weiß, ich weiß, ich hab sie lebend zurück gebracht. Denn wir hatten Glück. Ihre Seele hatte den Meeresspiegel noch nicht überschritten, sie schwebte noch im Wasser, als ich ankam. So konnte ich das Meer bitten ihr die Seele zurückzugeben."

Er erzählte es als wäre es etwas völlig alltägliches und normarles, aber ich konnte nur schockiert meine Augen aufreißen.

,,Bitte was?! Du willst mir gerade ernsthaft erzählen, dass du das Meer gebeten hast die Seele des Mädchens zu retten?"

,,Elleira es-"

Unterbrach er mich aber ich ließ mich nicht beirren.

,,Und, dass das Meer es dann verdammt noch mal getan hat?"

Ocean hatte wohl eingesehen wie sehr mich diese Aussage aus der Fassung gebracht hatte und nickte ein wenig geknickt.
Würde sich in meinem Kopf nicht gerade alles drehen, hätte ich ihm die tiefschwarze Haarsträhne, aus der Stirn gestichen.
Stattdessen schüttelte ich meinen Kopf und blickte wieder zu Ocean, der ebenfalls zu mir sah. Kurz vergaß ich was ich sagen wollte, seine Augen immer noch glitzerten als würde die Sonne daraufscheinen.

,,Wer oder eher was bist du, Ocean?"

Es war die Frage, die mir seit unsere ersten Begegnung durch den Kopf schwirrte. Bis jetzt hatte ich mich nie getraut sie zu stellen.

,,Ich habe mittlerweile eingesehen, dass es besser für dich ist wenn du es nicht weißt."

In seine Augen trat dabei ein trauriger Ausdruck. Und mein Herz verzog sich schmerzhaft.
Ich rückte näher an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Es schien ihn nicht zu stören. Eher im Gegenteil, er rückte ebenfalls näher an mich und ich konnte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, fühlen.

Ich hatte verstanden, dass das Rätsel um Ocean sehr viel komplizierter und zu sehr mit meinen Schicksal verbunden war als das man es in einer Antwort hätte erklären können. Es belastete Ocean, ich konnte es fühlen.
Tief in mir.
Aber ergründen konnte ich genau so wenig, wie das Gefühl von einem existierenden Teil in mir, der alles rund um Ocean verstand.

Ich blickte wieder zum Sonnenuntergang und genoss kurz diesen wunderbaren Moment, bevor er vorbei war. Der Moment in dem ich, an den Jungen, der wie das Meer war gelehnt da saß und das Naturschauspiel eines Sonnenuntergangs beobachtete.
Die Sonne am Himmelszelt war weiter nach unten gesunken und ließ langsam den Mond an ihre Stelle treten. Die Wolken hatten sich orange gefärbt und auf der Wasseroberfläche spiegelten sich diese Farben und der Feuerball selbst wieder.
Ich spürte Oceans Kopf auf meiner Schläfe und lächelte in mich hinein. Von mir aus hätte dieser Moment ewig dauern können, aber wie alles im Leben war auch dieser Moment vergänglich. Die Sonne verschwand, in der Ferne, hinter den Wellen der See und zurück blieben nur die dunklen Orangtöne, die schon bald von der Dunkelheit der Nacht verschluckt werden würden. Ich hätte mit Ocean gern die Sterne gezählt, aber ich musste die Frage stellen, die mir auf der Zunge brannte.

,,Warum sollte Unwissen besser für mich sein?"

Oceans Körper spannte sich an und er zog sich von mir zurück. Ich hatte diese Frage so lange heraus gezögert, weil ich wusste, dass er so reagieren würde. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde ihn schon mein ganzes Leben lang kennen.
Oder länger.

Er stützte seine Ellbogen auf seine Knie und ließ seinen Kopf in seine Händflächen fallen.
Wenige Augenblicke war es still und er saß weiterhin in dieser Position. Dann aber kehrte Leben in ihn zurück und er stand andächtig auf. Ich tat es ihm gleich. Ein wenig überfordert was ich tun sollte, stand ich vor ihm.
So hoffnungslos hatte ich ihn noch nie erlebt.

Dann endlich hob er seinen Kopf und bei dem Anblick, der sich mir bot, verkrampfte sich mein Herz. Oceans Augen strahlten so große Traurigkeit aus, dass ich selbst, es wie einen Schlag in den Magen spürte.
Er holte tief Luft und strich meine Arme von meinen Schultern bis hinunter zu meinen Handgelenken.
Meine Hände nahm er in seine.
Was auch immer er jetzt sagen würde, es gefiehl ihm ganz und gar nicht.

,,Weil ich dir kein Happy- End versprechen kann."

Dieser eine Satz, den er mir am Abend des 28. Julis sagte, traf mich wie eine Sturmwelle. Es fühlte sich an, als wäre ich in vollem Tempo gegen eine Wand aus Wasser gelaufen und das Salzwasser brannte nun nicht nur in meiner Nase, sondern auch in meinem Herzen.
Und das obwohl ich noch nicht einmal wusste was zwischen den Zeilen dieses Satzes stand, dass dahinter ein ganzer Sturm auf mich wartete.

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Endlich ein neues Kapitel!!! Ich hoffe es gefällt euch und ihr verzweifelt nicht allzusehr an den ganzen Andeutungen, die niemand außer Ocean versteht....

Freue mich auch über konstruktive Kritik und Hinweisung auf mögliche Grammatik- wie Rechtschreib- oder Tippfehler!!!
:D
Neue Theorien natürlich auch HAHAH

Hoffe ihr verfolgt die Geschichte weiterhin!!♡♡

Love you all!!

~Lilapurpel

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