80 | Kleine Brüder
Nachdem Ayaz mich zu Hause absetzte, fuhr er direkt weiter, um das Handy einem Freund von sich zu bringen. Ich hoffte schnell Klarheit zu bekommen, denn ich hielt es nicht mehr aus. Die ständigen Beschuldigungen gegenüber Menschen, die ich kannte und denen ich es nicht zutraute. Es reizte an meinen Nerven, sodass ich dieses Thema beendet haben wollte.
"Da bist du ja."
Meine Mutter kam mir im Hauseingang entgegen. Neben ihr stand Dario, der mich ohne Ausdruck musterte. Ich beachtete weder ihn, noch sie, sondern nahm die Treppen neben mir nach oben. An der Schlafzimmer Tür hielt ich einen Moment inne, um anschließend laut anzuklopfen. Von innen hörte ich das Gelächter von Antonio. Ich öffnete die Tür und erkannte meinen Vater im Bett liegend, der Antonio neben sich Videos auf seinem Handy zeigte.
"Padre? Können wir bitte reden?", fragte ich und beide sahen sofort zu mir auf, während ich auf das Bett zulief.
"Natürlich. Toni, geh zu deiner Mutter und sag das, was ich dir beigebracht habe."
"Ja, Papa", kicherte Antonio und wollte schon an mir vorbei rennen, da stellte ich mich ihm aber in den Weg.
"Was willst du Mama sagen?"
Er drehte sich zu Papa, der nickte, als würde er ihm die Erlaubnis zum Sprechen erteilen.
"Du bist die wunderschönste Frau, die auf dieser Erde existiert und wir lieben dich alle mehr, als du dir vorstellen kannst", sprach Antonio zu mir auf und auch, wenn ich es süß fand, zeigte ich es nicht. Mit gehobener Augenbraue nahm ich meinen Vater ins Visier.
"Du hast Mist gebaut, oder?"
Antonio verließ das Schlafzimmer, sodass nur ich und mein Vater zurück blieben. Er erhob sich, um sich mit dem Blick auf mich gerichtet auf die Bettkante zu setzen. Anschließend rückte er sein schwarzes Hemd zurecht.
"Ich bin nicht derjenige, der Mist gebaut hat", erwiderte er mir und klopfte dabei neben sich auf die Matratze. Ich folgte seiner Anweisung und wollte mich gerade hinsetzen, da erkannte ich ein rotes Halsband, dass mitten auf dem Bett lag. Verwundert beugte ich mich zu diesem und nahm es an mich, doch mein Vater entriss es mir sofort wieder. Sein mahnender Ausdruck durchbohrte mich, als er es im Nachttisch neben sich verschwinden ließ.
"Wusste nicht, dass wir nach Randall noch einen Hund hatten."
"Wusste nicht, dass meine Tochter sich nicht gegen Jungs ihrer Schule durchsetzen kann."
"Ohhh", sprach ich mit einem dreckigen Grinsen. "Diese Tour also. Na gut. Ich wusste nicht, dass man heutzutage schon unschuldige Jungs windelweich prügelt."
"Und ich wusste nicht, wie wenig meine Tochter von mir hat. Ich hätte gedacht, sie ist die Einzige, um die ich mir nie Sorgen machen müsste."
"Ai, Padre!" Ich lief direkt vor ihn, um in die Hocke zu gehen und zu ihm aufzusehen. "Du brauchst dir auch keine Sorgen machen. Ich weiß ganz genau, was ich tue!"
"Nives... Es ist nicht deine Natur, dass dir so etwas passiert und du so ruhig bleibst! Weißt du, was es in mir anrichtet, zu wissen, dass du von irgendeinem Bastard bedrängt wurdest?! Ich kann nicht klar denken! Ich will einen Schuldigen! Ich will ihm so weh tun, dass er sein Leben lang nicht vergisst, welch Hass er in mir entfacht hat!"
"Ich doch auch!", wurde ich lauter und stand wieder auf. "Ich will nichts anderes! Aber ich will den Richtigen bestrafen! Das sind kleine Jungs! Weißt du, was Orlando für ein Typ ist? Einer, der nichts hinkriegst, außer kleine Mädchen um seinen Finger zu wickeln. Er ist ein gewöhnlicher Schuljunge! Genau wie Riziero!"
"Hättest du je gedacht, dass dieser Riziero sich betrügt?!"
"Nein, wieso?!"
Mein Vater schüttelte den Kopf und stand auf, um sich direkt vor mich zu stellen. Er sah mir tief in meine Augen und holte mehrere Male Luft, um sich zu beruhigen. Ich erkannte an seiner Brust, welch Anspannung in ihm steckte.
"Du siehst nur die Fassade. Selbst der dümmste Klassenclown kann zu einem gnadenlosen Killer werden", erklärte er und setzte aber im gleichen Moment ein Grinsen auf, was mich irritierte. "Ich meine, sieh dir Onkel Cecilio an."
"Padre", mahnte ich, musste jedoch auch kichern, bei der Vorstellung davon, dass mein Onkel der Klassenclown war. Mein Vater zog mich lächelnd in seine Arme, um mich fest an sich zu halten.
"Mein Küken...", hauchte er mit dunkler Stimme. "Ich möchte doch nur, dass du dich nicht von äußerlichen Eindrücken blenden lässt. Du kannst nie wissen, welch Kräfte und auch Abgründe sich in einem Mensch befinden, ehe du sie nicht an ihre Grenzen gebracht hast. Und vertraue mir. Dieser Orlando ... ich sehe es in seinen Augen. Er ist anders als Riziero. Bei Riziero sieht man Reue. Man erkennt seine Angst. Dieses hektische bewegen seiner Pupillen. Doch Orlando. Er zeigte keinerlei Reaktion. Er hat keine Angst. Kein Mitleid. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass mit ihm etwas nicht stimmt."
"Natürlich vertraue ich dir", flüsterte ich an seine Schulter und genoss es, dass er mich so lange umarmte. Dass tat er schon lange nicht mehr und ich fühlte mich einfach nur geborgen und angekommen. Ich kostete es aus und krallte mich fest an seinen Rücken. Er war es, der mich immer beschützen würde und ich wusste auch, dass er mich unterstützen würden, sobald wir die Wahrheit herausgefunden hätten.
"Oh, muss das kleine Küken getröstet werden?" Ich drehte mein Gesicht zur Seite und erkannte Malino, der mit einem dämlichen Grinsen auf uns zukam. Mein Vater hatte Recht. Auch ich sah es den Menschen an. Besonders meinem Bruder, dessen Augen sich seit der Nacht im Wald verändert hatten. Welch Ängste er wohl mit sich selbst ausmachte ... Es schmerzte, ihm so viel leid angetan zu haben. Er kannte zum Glück nicht die ganze Wahrheit. Diese hätte die Wucht ihn für sein ganzes Leben zu zerstören. Sie musste behütet werden.
Ich streckte meine Hand nach ihm aus, woraufhin er sie mit gerunzelter Stirn betrachtete. Doch nach seinem Zögern, nahm er sie in seine und ich zog ihn zu uns, sodass auch er von uns die Geborgenheit bekam, die er brauchte. Ganz egal ob er wollte, oder nicht.
Mein Vater gab ihm einen Kuss auf seine Stirn und wir standen noch eine kurze Zeit so da, bis mein Vater sich als erster wieder löste.
"Bald schon, wird alles wieder ganz normal sein. Wir finden den Schuldigen und auch Madrisa wird kein Thema mehr sein."
Mein Blick glitt zu Malino, der nur große Augen machte.
"Aber heute konzentrieren wir uns auf eure Mutter. Später hat sie ein wichtiges Abendessen. Ich kann nicht mit, da im Club genug zu tun ist und ich brauche dich auch im Club." Sein Blick schweifte zu Malino, doch ich schüttele den Kopf. Mein Bruder hatte zu viel durchgemacht, als dass er auch noch im Club jetzt mit Nutten und Gewalt konfrontiert werden sollte.
"Ich begleite dich, Padre", mischte ich mich also ein. Die Augen meines Vaters trafen genau auf meine. Ich erkannte, wie er stolz zu Schmunzeln begann, jedoch verschwand dieses Lächeln schnell wieder.
"Wie gerne ich dich an meiner Seite hätte", erklärte er. "Aber deine Mutter hat heute genug Trubel erlebt. Sie würde und zur Hölle verfluchen. Also, bleibst du hier und bist ein braves Mädchen."
Als er mich ein braves Mädchen nannte, schossen meine Gedanken sofort zu Ayaz. Meine Wangen erwärmten sich und ich wich dem Blick meines Vaters aus, als ich mich erinnerte, wie ich auf dem Gesicht meines Bodyguards saß und mich gehen ließ.
"Ich komme mit. Ist doch kein Problem."
"Bravo", meinte mein Vater zu Malino. "Du kommst mit mir. Elio und Cecilio begleiten eure Mutter. Nives, du bleibst heute hier und passt auf Enzo und Toni auf."
"Aiii, wieso ich?", beschwerte ich mich. "Toni nervt! Er will-"
"Er will nur dazu gehören. Ihr schenkt ihm sowieso schon viel zu wenig Aufmerksamkeit. Pass auf ihn auf und zeig ihm, dass er genau so ein Mancini ist wie ihr."
"Ein kleiner, nerviger Mancini", warf ich Augen verdrehend ein, woraufhin Malino grinsend nickte.
"Kein Wort mehr", mahnte mein Vater und drehte sich zum Kleiderschrank, um sich davor zu stellen. Er musterte uns im Spiegel und nickte kaum merklich zur Tür. Unser Zeichen zu gehen.
Im Flur angekommen, entdeckte ich Antonio, der neben der Tür an der Wand stand und traurig zu uns aufsah. Er hatte und tatsächlich belauscht.
"Toni", sprach ich, doch er drehte sich mit Tränen in den Augen zum Hauseingang und nahm die Treppen nach unten.
"Hast du ja super hinbekommen", meinte Malino, doch ich warf ihm einen warnenden Ausdruck zu.
"Du hast mir nicht wiedersprochen, oder?"
Er zuckte mit den Schultern und lief zu seinem Zimmer, während ich mich ebenso auf den Weg ins Erdgeschoss machte. Natürlich hatte mein Bruder schon bei meiner Mutter gepetzt. Er saß am Tisch auf ihrem Schoß und beide sahen zu mir, als ich das Wohnzimmer betrat. Auch Darios und Enzos Blicke lagen auf mir.
"Was ist?", fragte ich gereizt, da trat Cecilio aus der Küche heraus an meine Seite. Ich sah flüchtig zu ihm auf, ehe die Stimme meiner Mutter ertönte.
"Musst du ihm sagen, dass er dich nervt? Das ist gemein, Nives."
"Ich habe ihm das nicht gesagt", verteidigte ich mich. "Er hat mich belauscht weil er eine kleine Ratte ist."
"Nives!", mahnte meine Mutter, wobei mir nicht entging, dass Toni sich an sie schmiegte und mir unbemerkt die Zunge rausstreckte. Einzig Cecilio hatte es auch gesehen und legte mir einen Arm um meine Schulter.
"Also ich unterstütze ihre Ansicht", erklärte er in Richtung des Tisches. "Ich weiß am besten, wie nervig und anstrengend kleine Brüder sind. Vor allem, wenn ihr Wortschatz auf das Wort Fotze beschränkt ist."
Meine Mutter starrte ihn ungläubig an und verdrehte ihre Augen, um sich an anschließend an Antonio zu wenden. Sie flüsterte ihm etwas zu, doch ich wandte mich ab und drehte mich zu Cecilio, um dankbar zu ihm aufzusehen. Er zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich etwas zu mir herunter.
"Der Unterschied zwischen unseren Brüdern ist ...", flüsterte er leise an mein Ohr. "...dass deiner von dir formbar ist. Du kannst bestimmen, was aus ihm wird. Ich hatte bei Adamo keine Chance dazu. Sonst wäre er ein richtiger Mann und kein Vollidiot geworden."
Er löste sich von mir und grinste, was mich zum Schmunzeln brachte. Im Grunde hatte er Recht. Antonio besaß nicht wirklich ein Vorbild. Würde er zu mir aufsehen, könnte aus ihm mein perfektes Ebenbild werden. Vielleicht sollte ich wirklich mehr Zeit mit ihm verbringen und ihm einiges beibringen.
"Wann fahren wir?", fragte Cecilio an meine Mutter gewandt, die kurz auf die Uhr in der Küche sah.
"Zwei Stunden."
"Gut, dann gehe ich noch etwas trainieren."
Er verschwand zur Terassentür hinaus, während ich mich an den Tisch setzte. Zu meiner Erleichterung sprach keiner weiter darüber, wie unfair ich zu meinem kleinen Bruder war. Es ging hauptsächlich um das Essen heute Abend. Dario erzählte meiner Mutter viel von Julia, sie sich wohl einen Tag zuvor telefonisch gemeldet hatte. Mein Opa machte derweil ein Kreuzworträtsel und hörte den beiden aufmerksam zu. Einzig Toni nervte mich schon wieder, da er mich unter dem Tisch immer wieder mit seinem Fuß anstieß.
Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass ich ihm jeden einzelnen Zeh abtrenne, wenn er nicht aufhören würde. Ich riss mich aber zusammen und ignorierte ihn vollkommen. Die Zeit verging, bis Elio sich auch zu uns setzte. Er schrieb einen Liedtext auf ein Blatt Papier, das ich neugierig betrachtete. Es ging um den Schatten und das Licht.
"Geht's dir gut?", flüsterte er zu mir herüber, als er meine Blicke auf dem Blatt Papier bemerkte.
"Ja, und dir?"
"Alles gut", erklärte er und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder dem Zettel zu. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und schloss für eine Zeit lang meine Augen. Ich träumte vor mich hin, wobei es hauptsächlich um Ayaz ging, der hoffentlich mittlerweile das Handy geknackt hatte.
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Noch 3 Kapitel
1. Es wird spicy
2. Es wird spannend
3. Showdown
Hoffe ich kriege alles so hin, wie ich es mir vorstelle ❤️
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