79 | Handy

Ich nahm neben Dario Platz und schnallte mich bereits an, da hörte ich jedoch sein Räuspern. Aufgelöst blickte ich zu seiner Seite.

Er starrte mich ohne jeglichen Ausdruck an, was mir bei ihm Unwohlsein auslöste. Trotzdem hielt ich seinem Blick stand und regte mich nicht. Eine Stille kehrte zwischen uns, die die gesamte Situation noch viel merkwürdiger erscheinen ließ. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht den Anschein machte, irgendwas sagen zu wollen, ergriff ich die Initiative.

"Fahren wir dann endlich los, oder worauf warten wir?" Ich musterte flüchtig sein weißes Hemd und seine teure Rolex am Handgelenk.

"Muss ich dich denn fahren?", entgegnete er mir trocken.

"Naja, müssen nicht. Aber wäre halt nett."

"Wenn ich nicht muss, würde ich es bevorzugen, nicht zu fahren." Er schnallte sich plötzlich ab und wandte seinen Blick von mir. Ich griff daraufhin nach seinem Arm. Schlagartig zuckte er von meiner Berührung zusammen, als hätte ich ihm einen Stromschlag versetzt. Mit einem fassungslosen Ausdruck drehte er sein Gesicht wieder zu mir.

"Fährst du mich, wenn ich ganz lieb bitte sage?"

"Weiß deine Mutter denn, dass du so aufgelöst weg willst?"

"Aufgelöst?", hakte ich irrtiert nach, da ich mich im Gegensatz zu sonst relativ ruhig verhielt. Dario beugte sich vor und klappte den Spiegel zu mir, wodurch mir erstmalig die verschmierte Wimperntusche unter meinen Augen auffiel.

"Dazu der Jugendliche, der mit seinem demolierten Gesicht die Straße da vorne lang läuft und dein Bodyguard, der ihm mit Abstand hinterher fährt, als würde er ihn observieren."

"Er fährt ihm hinterher?", wurde ich lauter, da nickte Dario zustimmend. Ich regte mich erneut über all dieses Drama auf. "Ich bin von Idioten umgeben!", fluchte ich, da startete Dario neben mir den Motor des Wagens. Fragend blickte ich zu ihm.

"Ich fahre dich zum Krankenhaus. Danach bin ich weg."

"Ai!", sprach ich erfreut und lehnte mich zu ihm, um ihm einen Kuss auf seine Wange zu drücken. "Danke! Du bist der Beste!"

Er riss ungläubig seine Augen auf, doch ich ließ es mir nicht nehmen, vor lauter Freude noch durch seine Haare zu strubbeln. Sein mahnender Blick traf direkt auf meinen, doch ich grinste nur dämlich. "Auf los - geht's los!"

Hoffnung darauf, dass Riziero jeden Moment wach werden würde, überkam mich. Die Wahrheit käme ans Licht. Damit könnte ich allen beweisen, wie falsch sie lagen. Allen voraus meinem Vater und Ayaz, die im Moment all meine Grenzen ausreizten.

Dario fuhr ohne noch etwas zu sagen los. Was sollte er auch auf meine Geste erwidern. Nicht umsonst nannte Adamo ihn einen Eisblock. Trotzdem kam Neugier in mir auf. Diese Ruhe im Auto trieb mich dazu, Dario zu beobachten. Er lenkte seelenruhig den Wagen. Ließ dabei nicht eine Emotion durchblitzen. Sein Gesicht schien wie eingefroren. Da war kein Lächeln, keine Bewegung ... Einfach nichts.

"Was hat man dir eigentlich angetan, dass du so bist, wie du bist?", platzte es aus mir heraus. "Du bist ja wohl nicht so in dich gekehrt wegen einer Frau."

"Zwei Frauen", meinte er ohne zu überlegen, was mich irritiert die Stirn runzeln ließ.

"Du hattest gleichzeitig was mit zwei Frauen? Wow..."

Er sah flüchtig zu mir herüber, während mir klar wurde, dass er anscheinend ein Playboy war. So hätte ich ihn nicht eingeschätzt.

"Du hörst nur, was du hören willst, oder?", erwiderte er mir und hielt dabei an einer roten Ampel.

"No. Ich höre nur zu und mache mir meine Gedanken dazu."

Ohne meinen Blick von ihm zu nehmen, wartete ich auf eine Reaktion. Jedoch kam keine mehr. Die Ampel schaltete auf grün und Dario fuhr weiter. Er ignorierte es, dass ich ihn anstarrte. Vermutlich wollte er mir nichts weiter über sich erzählen. Oder er hatte die beiden Frauen betrogen und schämte sich.

Als wir vor dem Krankenhaus ankamen, erinnerte ich mich daran, dass Ayaz mir kurz zuvor noch versprochen hatte, die Wahrheit mit mir aufzudecken. Er tat es jedoch nicht und verließ sich auf seine eigene Wahrheit ... Dazu hetzte er meinen Vater unnötig auf. Dies brachte mir erneut Magenschmerzen, denn es passte mir auch nicht, dass er im Moment dabei war, Orlando zu beschatten. Was für einen Sinn sollte das ganze haben?

"Du solltest dich auf deine Mutter verlassen, wenn es dir schlecht geht", kam es plötzlich von Dario neben mir, als er auf dem Parkplatz zum Stehen kam. Irrtiert über seine Worte, nahm ich ihn ins Visier.

"Was meinst du damit?"

"Ich meine damit, dass du sicher eine schwere Zeit durchmachst und-"

"Dio Mio", hauchte ich ungläubig. "Sie hat es dir erzählt, oder? Alles?!"

Er nickte, was mich unfassbar wütend machte.

"Wie schön, dass anscheinend jeder alles über mich und mein Leben weiß! Willst du jetzt auch noch anfangen, mir Ratschläge zu geben!", blaffte ich ihn an, da nahm er meine Hand in seine. Verwundert blickte ich auf unsere Hände herab, ehe meine Augen seine suchten.

"Dein Vater, wird immer das tun, was das Beste für ihn und seine Denkweise ist. Er wird dir nicht zuhören. Er wird nicht dafür sorgen können, dass Malino, Elio und du das verkraften. Er wird auch nicht daran denken, wie es dir seit der Nacht deines Geburtstags geht, sondern nur damit beschäftigt sein, einen Schuldigen zu suchen. Deine Mutter aber, Nives. Sie ist da und bevor du daran zerbrichst, gegen alles und jeden anzukämpfen, vertraue dich ihr an."

Sofort entriss ich ihm meine Hand. Es passte mir nicht, dass ausgerechnet er meinte, er könnte sich einen Bild von meinem Vater machen. Gerade er, der doch gar nichts mit ihm zu tun hatte. Sie mochten sich nicht und es war Mal wieder typisch, dass er meine Mutter in den Himmel lobte.

"Du hast ja überhaupt keine Ahnung, was mein Vater alles versteht! Er weiß als Einziger, wie es in mir drin aussieht!" Ich wandte mich von ihm ab, um die Tür zu öffnen und auszusteigen. Wütend knallte ich diese zu und lief über den Parkplatz, ohne mich auch nur noch einmal umzudrehen.

Was dachte er sich eigentlich dabei, seinen eigenen Bruder so schlecht zu reden? Mein Vater wusste ganz genau, wie er mit mir umzugehen hatte. Ich wollte kein Mitleid - keine Tränen - keine Umarmungen. Ich wollte den Schuldigen finden und all meine Wut an ihm auslassen. Wobei ... Den Schuldigen wollte ich nur, weil alle mich dazu trieben. Mir war doch nichts passiert... Zumindest erinnerte ich mich an nichts Schlimmes.

Ich betrat das Krankenhaus und ließ all meine Gedanken draußen, um direkt zu Rizieros Zimmer zu laufen. Auf dem Flur kam mir jedoch unerwartet seine Mutter entgegen. Ihre roten Haare hatte sie hochgesteckt. Der weiße Hosenanzug saß wie angegossen.

"Nives!", sprach sie mich an. Irritiert musterte ich die Tränen in ihrem Gesicht und riss meinen Augen auf. Die schlimmsten Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab und vollkommen überwältigt lief ich an ihr vorbei zu der offenen Tür. Mein Blick fiel auf das Bett, wo niemand mehr drinnen lag. Er war einfach weg, als wäre er nie hier gewesen.
"Er ist aufgewacht und abgehauen! Er wollte dich selbst entlassen! Ich habe es ihm verboten! Nives... Ich weiß nicht wo mein Sohn ist! Bitte sag mir-"

"Er ist aufgewacht?", unterbrach ich sie und fühlte mich völlig überfordert, als sie meine Schulter umfasste. Sie hörte einfach nicht auf zu weinen und es sstorte mich extrem, ihrem Schluchzen zuzuhören.

"Ja! Aber-"

"Ganz ruhig. Ich finde ihn", versuchte ich sie von mir zu lösen, doch sie riss mich fast schon hysterisch in ihre Arme. Mein Gott! Ich kannte sie doch kaum! "Das ist mir zu viel!", wehrte ich mich also und stieß sie sanft von mir. Erschrocken blickte sie mich an, doch ich wandte mich von mir ab. Immerhin hatte ich selbst viel im Kopf und noch genug zu tun. Ich musste ihn finden. Als ich jedoch einige Schritte davon lief, überkam mich doch ein klitzekleines, schlechtes Gewissen. Ich drehte mich noch mal zu ihr und legte ein gespieltes Lächeln auf. "Keine Sorge. Ich rufe sofort an, sobald ich weiß, wo er ist."

Sie hielt sich ein Taschentuch halb vor ihr Gesicht und nickte, woraufhin ich wieder aus dem Krankenhaus verschwand. Ich fragte mich, wieso er sich selbst entlassen hatte. Hätte er mir das angetan, wüsste ich es. Er konnte kaum deshalb geflohen sein. Das einzige, was mir in den Sinn kam, war Angst. Angst vor demjenigen, dessen Verbrechen er aufklären könnte. Er war also aus Panik abgehauen. Aber vor wem?

"Neuigkeiten?"

Ich verdrehte meine Augen theatralisch, noch bevor ich mich unter der Sonne stehend zur Seite drehte. Eine Braue hoch ziehend, musterte ich Ayaz.

"Mit dir rede ich nicht mehr", erwiderte ich ihm und hob stolz mein Kinn, um einige Schritte zur Seite zu laufen. Er holte mich schnell ein und umfasste meinen Arm.

"Warum? Weil ich die Wahrheit gesagt habe?"

"Deine Wahrheit", widersprach ich ihm und entzog ihm meinen Arm, um wütend zu ihm aufzusehen. "Ich hätte dich mit deiner Knarre erschießen sollen!"

"Du hättest nicht abgedrückt."

"Achja?", gab ich ihm überheblich zurück und verschränkte dabei meine Arme. "Ich hab nur nicht geschossen, weil meine Mutter da war! Ich wollte ihr den Anblick ersparen."

"Also verdanke ich deiner Mutter, noch am Leben zu sein?"

Er grinste dämlich, was mich tief durchatmen ließ. Diese dämlichen Lachfalten wirkten so attraktiv, dass es mich regelrecht ankotzte. Ich wollte sauer sein und ihn stundenlang beschimpfen! Stattdessen starrte ich sein Gesicht an und wollte in seine Umarmung flüchten.

"Wie gut, dass du mich so verliebt musterst", entkam es ihm plötzlich. Sofort sah ich ihm in seine Augen. Sie blitzten gefährlich auf, während er mir einen Schritt näher kam. "Immerhin muss ich Nichtsnutz ja etwas kompensieren."

"Willst du jetzt wirklich anfangen, darüber zu diskutieren?"

"Ich möchte gar nicht diskutieren, Prinzessin."

"Was möchtest du dann von mir? Du hast mich einfach meinem Vater ausgeliefert! Du hast eine beschissene Situation hervorgerufen ... Mein Vater ist außer sich und gibt sicher keine Ruhe mehr. Dazu meine Mutter, die dass alles mit nimmt. Wieso musstest du mit Orlandos Namen so viel Unruhe stiften?!"

"Ich hab sein Handy."

Irrtiert wich ich einen Schritt von Ayaz zurück. Er holte dabei ein Handy hervor, dass ich kurz nur überfordert musterte.

"Orlandos Handy ...", hauchte ich und wandte meinen Blick wieder zu Ayaz auf. Er nickte.

"Ja, er ist danach abgehauen. Ich hab keine Ahnung wohin. Als ich zurück zur Straße gelaufen bin, hab ich dich in dem Auto von deinem Onkel gesehen. Dann bin ich euch gefolgt."

"Was ist auf dem Handy?"

"Ich weiß es nicht, weil ich ohne dich nicht reingucken wollte. Außerdem hat es eine Tastensperre. Ich kenne aber jemanden, der für Geld-"

"Lass uns gehen."

Ayaz schien verwirrt.

"Wieso auf einmal? Ich dachte du schließt Orlando aus?" Ich konnte nicht mehr leugnen, dass alles irgendwie seltsam war. Natürlich war ich überzeugt, dass niemand aus meiner Schule zu so etwas im Stande wäre. Aber ich war auch vor kurzem noch überzeugt, dass meine Familie vollkommen normal ist. Wer wusste schon, zu was Menschen im Stande waren? Man sah nur ihre Fassade...

Malino ... Äußerlich ein Jugendlicher, der gern Party machte. Hinter seinem Sunny Boy Lächeln steckte aber ein Mörder.

Meine Mutter, die vor ihren Wählern als die Reine bekannt war - verheiratet mit einem Zuhälter ... Dieser Zuhälter - mein Vater...

Jeder Mensch, der eine gute Seite hatte, besaß auch eine dunkle. Der eine versteckte sie gut. Der andere lebte sie offen aus.

Jetzt war es für mich an der Zeit, hinter die Fassade zu blicken. Erst Recht, wo Riziero verschwunden war.

"Ich schließe ihn zwar immer noch aus, doch man kann nie wissen. Außerdem will ich meinen Vater beruhigen, falls wir auf dem Handy nichts finden ... Und ich hoffe, du hörst dann auch endlich auf."

"Deal."

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