62 | Loszuwerden
Ich war nie sehr besitzergreifend, wenn es um meine Mutter ging. Madrisa aber jetzt zu sehen, in einem Kleid meiner Mutter und fröhlich in ihren Armen, brachte eine Wut in mir auf, die nicht im Keim zu ersticken war. Mit zitternden Händen ließ ich meinen Vater stehen und lief genau auf die Beiden zu. Meine Mutter löste sich in dem Moment von Madrisa und sah lächelnd zu mir.
"Hallo, mein Schatz", begrüßte sie mich mit ihrer lieblichen Stimme, doch ich wandte mich von ihr ab und nahm statt des wieder Madrisa ins Visier.
Ohne zu überlegen, wie ich es hätte ruhiger regeln können, schnappte ich mir ihre Haare und riss sie grob zu mir.
"Ti ucciderò!"
Meine Stimme bebte, während ich meinen Griff um ihren Zopf verfestige. Sie wimmerte und krümmte sich, was mir ein teuflisches Grinsen auf die Lippen zauberte. Erst, als ich Hände um meine Taille spürte, verschwand mein Lächeln wieder. Ich schlug nach hinten aus und erkannte Elio, der mich mit großen Augen versuchte von dieser Hure wegzuziehen. Ich ließ jedoch nicht von ihr ab und sie schrie auf, als ich sie noch weiter herunterriss. "L'inferno sarà la tua salvezza da me! Sporca puttana!"
Elio hatte keine Chance, mich von ihr wegzuziehen. Dafür war ich zu sehr von meinem Hass eingenommen. Ich hörte jedoch meine Mutter, die sich hilfesuchend zu meinem Vater drehte. Dieser stand mit Ayaz, Yavuz und Enzo an der Bürotür.
"Mach doch was, Gino! Bitte!", wies sie ihn an, doch mein Vater zuckte desinteressiert mit den Schultern und zeigte dabei auf mich.
"Ai, sie spielen nur. Lass sie doch..."
Ich wollte gerade weiterhin diesem Schreihals die Haare rausrupfen, da zog mich jedoch jemand ruckartig von ihr weg. Sein harter Griff um meinen Nacken schmerzte und ich ließ nur widerwillig Madrisa los, um mich zornig herumzudrehen.
"Lass mich verdammt nochmal los!", brüllte ich meinen Onkel Cecilio an, der einen mahnenden Ausdruck auflegte. Er hörte nicht auf meine Worte und während Elio und meine Mutter sich um die bitterlich weinende Madrisa kümmerten, führte mein Onkel mich an meinem Nacken Richtung Wohnzimmer. Antonio und Malino standen im Türbogen und sahen mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen an, während ich in Cecilios Griff hektisch herumzappelte.
"Reiß dich zusammen, Nives!"
Mein Onkel öffnete die Terassentür und schubste mich grob hinaus, woraufhin auch er auf den Steinboden trat und die Tür hinter sich zuschob. Ich fühlte mich missverstanden und wusste nicht wohin mit meiner Wut. Alles in mir bebte und zitterte, als wäre ich gefangen in einem Körper aus purem Zorn. Unkontrolliert drehte ich mich unter der grellen Sonne zum Pool herum und trat voller Wucht gegen einen der kleinen Beistelltische aus Holz. Er flog ins Wasser vor mir, doch es veränderte sich rein gar nichts an meinen Gefühlen.
"Hör endlich auf!"
Cecilio trat neben mich und führte seine Hand an meinen Rücken. Dachte er wirklich, so einfach wäre es? Im Gegenteil. Sein Unverständnis ließ mich meine Hände zu Fäusten ballen. Ich schlug frustriert seinen Arm weg und sah unter Tränen zu ihm auf.
"Ich soll aufhören!?", schrie ich und bekam kaum noch Luft, so sehr regte mich all das auf. "Siehst du denn nicht, was sie macht! Siehst du es nicht!? Bist du schon genauso blind wie meine Mutter?!"
"Nives...", hauchte er leise und baute sich dabei vor mir auf. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufsehen zu können. Seine schwarzen Haare wehten leicht mit dem Wind und sein dunkles Hemd spannte bereits unter seinen Brustmuskeln. "Bitte, lass mich nicht die Kontrolle verlieren. Behalte deinen Respekt mir gegenüber. Das ist nur eine Warnung."
"Respekt?!", wiederholte ich ihn bissig. "Du schaffst es ja nicht mal, eine Schwangere los zu werden! Wieso sollte ich vor jemanden Respekt haben, der der Schoßhund meiner Mutter ist!"
Sofort umfasste er erneut meinen Nacken, was mich dazu brachte gegen seine Brust zu schlagen.
"Fass mich gefälligst nicht an!", zischte ich überfordert, doch er schubste mich rücksichtslos in den Pool neben uns.
Kälte durchfuhr meinen gesamten Körper. Ich schmeckte das Chlor auf meinen Lippen und schwamm wütend an die Oberfläche, um anschließend tief Luft zu holen. Meine Augen fixierten Cecilio, der sich nur in aller Seelenruhe eine Zigarette anzündete. Mein Kopf dröhnte von Frust eingenommen. Ich wusste nicht mal mehr, was ich dazu sagen sollte. Es kam sowieso bei meiner Familie nicht an. Sie verstanden es nicht. Würden es wahrscheinlich nie verstehen, was ich gerade durchmachte. Für sie war Madrisa anscheinend ein Teil der Familie und das nur, weil mein Bruder so bescheuert war und nicht verhütet hatte.
"Beruhigt?"
Cecilio beobachtete mich, wie ich aus dem Pool stieg. Das Wasser tropfte aus meinen Haaren und aus dem Kleid auf den Steinboden unter mir.
"Du kannst mich mal", flüsterte ich so leise, dass er es nicht hören konnte. Ich wollte ihn stehen lassen und an ihm vorbei, da umgriff er jedoch meinen Arm. Er drängte mich zurück, sodass ich auf der Liege hinter mir Platz nehmen musste.
"Hör mir jetzt zu!" Er ging vor mir in die Hocke und zog an seiner Zigarette, um den Rauch anschließend zur Seite auszupusten. "Denkst du wirklich, dein Vater würde dich jemals im Stich lassen, Küken?"
Irrtiert hob ich mein Gesicht, um ihm direkt in seine Augen zu sehen.
"Was meinst du?"
"Wir finden eine Lösung und diese wird sicher nicht sein, kopflos zu handeln. Madrisa wird nicht bleiben. Wir werden aber sicher keine Situation schaffen, in der wir uns von Elio vorwerfen lassen können, falsch gehandelt zu haben."
"Dio Mio!", wurde ich lauter, da ich wirklich nicht mehr daran glaubte, was Cecilio da von sich gab. Ich stand auf, wodurch auch er sich wieder erhob. "Sie trägt ein Kleid von Mama und wird sogar noch mit offenen Armen empfangen! Denkst du im ernst, Padre wird noch etwas gegen Madrisa tun, wenn Mama auf ihrer Seite ist!"
"Ja", erwiderte Cecilio mir. "Denn auch wenn deine Mutter sein Herz ist, so bist du diejenige, die es zum Schlagen bringt. Er würde die ganze Welt zum Beben bringen, wenn du unglücklich bist. Vertrau darauf, dass er es regeln wird. Du musst nur ruhig bleiben und uns machen lassen. Geh aus. Triff dich mit Freunden oder lenke dich mit deinem Bodyguard ab. Es wird nicht lange dauern, bis wir herausfinden, ob Elio überhaupt der Vater ist."
"Bist du verrückt?!" Ich machte einen Schritt auf ihn zu. "Ich soll dieser Hure noch mehr Zeit geben, sich bei meiner Mutter einzuschleimen!"
"Ich dachte, du hast keine gute Bindung zu deiner Mutter? Warum regt es dich so auf?"
"Weil es trotzdem meine Mutter ist! Außerdem halte ich mich nur von ihr fern, um ihr meinen Wahnsinn zu ersparen! Sie hat genug mit Malino und Antonio zu tun! Ich will nicht, dass sie zerbricht!"
"Ohhhh, Nives", meinte Cecilio auf meinen Aussage hin und machte anschließend die Zigarette neben uns im Aschenbecher aus. "Ludovica zu zerbrechen haben schon viele Leute versucht und sind kläglich daran gescheitert."
"Trotzdem", gab ich ihm patzig zurück und bemerkte dabei hinter ihm meinen Vater, der mit großen Augen zu uns in den Garten kam.
"Nives!", mahnte er und knöpfte dabei sein schwarzes Hemd auf. "Willst du, dass ich einen Infarkt bekomme?!"
Ich verstand überhaupt nicht, was jetzt wieder los war, da legte er mir auch schon sein Hemd um. Erst da wurde mir bewusst, dass man meinen roten BH durch das durchnässte, weiße Kleid sehen konnte. Mein Blick fiel flüchtig nach drinnen und ich sah Ayaz, der mich in dem Moment auch anstarrte. Er lehnte an der Kücheninsel gemeinsam mit Yavuz und Enzo. Seine Blicke amüsierten mich, doch zu meinem Vaters Wohlergehen zog ich das Hemd enger um meinen Körper.
"Idiota!", entkam es meinem Vater wütend, der mit freiem Oberkörper Cecilio ins Visier nahm. "Ist dir nicht aufgefallen, dass man ihren BH sehen konnte?!"
"Nein, denn ich gucke ihr sicher nicht dorthin!"
"Ach, aber ich?"
"Anscheinend", gab Cei ihm zurück und zuckte unschuldig mit den Schultern. Mein Vater schüttelte tief durchatmend den Kopf und nahm daraufhin wieder mich ins Visier. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
"Du machst mich wirklich stolz, aber wenn du jemanden weh tun willst, musst du direkt die Haare an der Kopfhaut zwischen die Finger nehmen."
"Bestärke sie doch nicht, wenn ich ihr gerade erklärt habe, dass sie ruhig bleiben soll!"
"Ai, was für ruhig bleiben! Sie haben nur Spaß gehabt!"
"Nach Spaß sah das nicht aus! Es bringt Unruhe und wir sollten uns auf das Wichtige konzentrieren!"
"Wir beide, ja. Lass meine Tochter doch ihren Emotionen freien Lauf lassen. Es kann ungesund werden, alles zu schlucken!"
Die beiden diskutierten immer lauter, sodass ich meine Augen verdrehte und frustriert durchatmete. Natürlich gab ich meinem Vater in jedem Punkt Recht. Ich sollte frei das tun können, was ich wollte. Außerdem konnte eine falsche Zutat das ganze Essen verderben. Madrisa war definitiv ein Kübel Salz. Ungenießbar und der Magen zog sich schon bei ihrer Anwesenheit zusammen.
"Ende der Diskussion!"
Mein Vater sah Cecilio warnend an, der seine Hände ergebend anhob und seinen Blick dabei zu mir wandte.
"Wenn impulsives, kopfloses Verhalten das ist, was ihr anwenden wollt, dann halte ich euch nicht auf", erklärte er. "Aber falls ihr genau wie ich erstmal abwarten wollt, wer überhaupt der Vater ist, dann sagt mir bescheid und wir überlegen zusammen, wie es dann weitergeht."
Ich nickte und er verschwand wieder nach drinnen. Mein Vater holte tief Luft und sah seinem Cousin kurz nach, ehe er sich an mich wandte. Ein skeptischer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.
"Und sonst? War dein Geburtstag ruhig, oder muss ich mir zusätzlich noch über irgendwelche Schuljungen den Kopf zerbrechen?"
"Ai, Padre", erwiderte ich ihm grinsend. "Wir haben alle zusammen gesessen und Tee getrunken. Was sonst?"
"Ach, Nunzio war auch hier?"
Ein dämliches Kichern entkam mir, da mir schon oft erzählt wurde, dass Cecilio Nunzio ein Teeservice geschenkt hatte. Er konnte wohl nichts für sich behalten. Umso besser, dass er nicht viel von meinem Leben mitbekam. Als eine Stille zwischen mir und meinem Vater entstand, starrte ich flüchtig zur Fensterfront hinein. Von Ayaz, Yavuz und Enzo war nichts mehr zu sehen. Dafür standen meine Mutter, Elio und Malino am Esstisch und packten einige Tüten aus.
"Madrisa hat ein Kleid von Mama angehabt. Genau das, welches du ihr geschenkt hast."
"Ich weiß."
Fassungslos richtete ich meine Augen genau auf die meines Vaters. Er hatte meine Mutter im Blick und schien gedanklich abwesend.
"Wenn du es weißt, wieso-"
"Dein Bruder hat uns angerufen, als wir gerade in Paris ankamen. Er hat deine Mutter gebeten, hier wohnen zu dürfen und da Madrisa keine Kleidung dabei hatte, fragte er auch, ob sie sich was borgen könnte."
"Und das hast du einfach zugelassen?", regte ich mich auf und wollte erneut hochfahren, da legte mein Vater mir beschwichtigend eine Hand auf meine Schulter.
"Hör mir zu. Deine Mutter ist schon immer zu liebevoll und hilfsbereit gewesen. Sie weiß, wie es ist, unerwünscht zu sein - glaub mir. Genau deshalb ist es auch so leicht für Madrisa, Ludovicas Mitgefühl zu wecken. Aber Küken, lass dir eins gesagt sein. Kein Mensch nutzt deine Mutter aus ohne Konsequenzen. Madrisa wird büßen, für jedes einzelne Mal, wo sie dir das Gefühl gegeben hat, dich unwohl Zuhause zu fühlen. Ich würde jetzt schon dafür sorgen, sie in die tiefste Hölle zu befördern, aber dein Onkel hat Recht. Wir müssen wissen, ob es Elios Kind ist."
"Ich hoffe, um bis zur Geburt zu warten, um das Kind zu nehmen und Madrisa zu töten...", murmelte ich, da grinste mein Vater zu mir herab. Er lehnte sich zu mir, gab mir einen sanften Kuss auf meine Stirn und kniff mir erfreut in meine Wange.
"Du denkst schon genau wie ich."
Wir standen noch kurz zusammen und es machte mich Stolz, meinen Vater stolz zu machen. Ich verschaffte mir mit meiner Art Respekt bei ihm, wo andere mich nie verstehen konnten.
"Hey."
Meine Mutter kam heraus zu uns und nachdem sie sich an die Seite meines Vaters gestellte hatte, musterte sie ihn skeptisch.
"Wieso kein Hemd mehr an?"
"Weil unsere Tochter aussah wie eine billige Stripperin."
Meine Mutter weitete ihre Augen und nahm dann mich ins Visier. Sie betrachtete die kleine Pfütze unter meinen Füßen und auch das nasse Kleid, welches unter dem dunklen Hemd meines Vaters herausschaute.
"Lässt du uns bitte alleine?"
Sie richtete diese Frage an meinen Vater, der daraufhin nickte und nach drinnen lief. Ich hörte ihn, wie er Malino begrüßte, ehe er die Terassentür zuschob.
"Nives ..."
Meine Mutter kam auf mich zu und schloss mich fest in ihre Arme. Ich war allerdings immer noch so enttäuscht und wütend, dass ich die Umarmung nicht erwidern konnte. Sie spürte meine Abneigung und löste sich auch schnell wieder von mir. Unsere Augen trafen aufeinander.
"Ich kann mir vorstellen, wie schwer das alles für dich ist. Ich-"
"Kannst du nicht", gab ich ihr zurück und ließ meine Miene dabei ausdruckslos. "Könntest du es dir vorstellen, würdest du nicht eine Sekunde dulden, dass dieses Miststück hier wohnt!"
"Sie ist schwanger und-"
"Mama! Sie lügt!"
Meine Mutter sah mich überfordert an und atmete einige Male tief durch.
"Das wissen wir nicht. Was, wenn sie nicht lügt? Willst du dir später vorwerfen, deinen Bruder allein gelassen zu haben? Er war immer für dich da, Nives. Egal was du für einen Blödsinn gebaut hast - er hat hinter dir gestanden. Er braucht dich jetzt. Er braucht jemanden, der ihm Mut zuspricht und ihn stark sein lässt."
"Er hat doch Madrisa..."
Ich konnte nicht verhindern, wie kalt meine Stimme sich anhörte. Als wäre keine Emotion mehr in mir da. So fühlte ich mich aber auch.
"Hass dieses Mädchen ruhig. Ich mag sie auch nicht! Ich versuche aber eine gute Miene aufzulegen, damit Elio weiß, ich bin an seiner Seite."
"Ich bin aber nicht wie du, Mama! Ich kann mir nicht mal vorstellen, auch nur ein nettes Wort mit ihr zu wechseln."
"Weißt du was?" Meine Mutter nahm meine Hände in ihre und sah eindringlich in meine Augen. "Hilf mir, unsere Familie zusammenzuhalten und ich verspreche dir, dass wenn es nicht das Baby deines Bruder ist, ich dir helfe, sie loszuwerden."
"Loszuwerden?" Irrtiert zog ich meine Augenbraue hoch, da meine Mutter mir noch nie so unheimlich vorkam. Ich war darauf gefasst, sie würde anfangen zu weinen, sobald wir diskutierten. Doch es passierte nicht. "Was meinst du mit loswerden?"
"Wirst du dann schon sehen."
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