57 | Schweiz
"Was hat die hier zu suchen?!"
Ich spannte mich bereits an und spürte regelrecht, dass Malino sich neben mir bereit machte, mich zurück zu halten. Dieses Miststück stand etwas hinter Elio, als würde dieser sie schützen können. Doch vor meinem Hass würde nicht mal Gott sie bewahren können.
"Ich habe mit Mama telefoniert. Sie hat uns erlaubt, dass wir einige Tage-"
"No!", unterbrach ich Elio sofort und wollte auf ihn zu, da schnappte Malino aber meine Hand und hielt mich an Ort und Stelle gefangen. Mein fassungsloser Blick lag auf Elios weißem Hemd, dass er bis oben ordentlich zugeknöpft hatte, bis ich wieder hoch in sein Gesicht sah. "Sie bleibt ganz sicher nicht hier! Hast du den Verstand verloren?!"
Wütend wandte ich meinen Blick flüchtig zu Madrisa herüber und bemerkte, dass sie ihre Haare gefärbt hatte. Oben waren sie jetzt dunkler und wurden zu den Spitzen hin immer heller. Würde an vielen Frauen gut aussehen, doch nicht an ihr.
"Hätte nie gedacht, dass du noch hässlicher werden könntest!"
"Nives ... es reicht", ermahnte Elio mich, da riss ich meine Hand von Malinos los und ging wütend darüber, dass er wieder mal zu dieser Nutte hielt, auf meinen Bruder zu.
"Weißt du, was wirklich reicht!? Deine scheiß Aktionen!", schrie ich ihn von Zorn eingenommen an. "Du warst zum ersten Mal nicht bei mir, Elio! Jeden verfickten Geburtstag haben wir gemeinsam gefeiert! Jedes Mal warst du der Erste, der mich in den Arm genommen hat und jetzt?! Jetzt lässt du mich fallen, wegen etwas, dass es nicht wert ist!"
"Das es nicht wert ist?", mischte sich Madrisa plötzlich ein und legte ihre Hände dabei um ihren Bauch. Natürlich wollte sie mich provozieren und gedanklich zerfetzte ich sie schon in alle Einzelteile. Doch ich riss mich zusammen - für meinen Bruder, auch wenn er es nicht verdient hatte. Tief inhalierte ich den Sauerstoff in meine Lunge, wobei meine Kehle vor Hass brannte und ich kaum noch klar denken konnte. Das alles hier schien aber sinnlos und egal wie sehr ich jetzt darum kämpfen würde, sie endlich loszuwerden - ich würde diesen Kampf verlieren.
"Weißt du was", sprach ich also mit bebender Stimme und ignorierte dabei Madrisas Lächeln, um meine Augen wieder genau auf die meines Bruders zu richten. "Happy Birthday."
Eilig drehte ich mich herum und lief so schnell es mir möglich war in mein Zimmer zurück, um die Tür fest zu knallen. Sofort suchte ich meinen Schreibtisch auf und legte das Handy und den Würfel ab, um innerlich einen Kampf mit mir selbst zu führen. Zu gerne wäre ich erneut raus in den Flur und hätte sie alle einfach angebrüllt! Ich wollte meinen Frust und den gesamten Hass los werden, doch ich konnte es einfach nicht. Mein Vater hatte mir zwar beigebracht, all die Emotionen unüberlegt aus mir rauszulassen - doch mein Onkel lehrte mich, tief durchzuatmen und erst in Ruhe nachzudenken. Jetzt war ich mal wieder gefangen zwischen diesen beiden Vorbildern und verlor mich selbst dadurch immer mehr.
Es dauerte eine ganze Weile, in der einfach nur zitternd da stand und aus dem Fenster nach draußen starrte. Die Sonne schien herunter auf Palermo und strahlte dabei eine angenehme Wärme aus, die selbst durch das geschlossene Fenster meine Haut erreichte. Wie schön dieser Tag hätte werden können ... Doch meine Familie war nicht dazu im Stande, Glück lange zu halten. Sobald man so etwas empfand, wurde es einem schneller, als man es überhaupt wahrhaben konnte, wieder weg genommen.
"Ein Wort von dir und ich schmeiße beide raus."
Malino trat hinter mir ins Zimmer ein und stellte sich genau an meine Seite. Ich schüttelte auf seine Aussage hin aber den Kopf verneinend. Es brachte nämlich nichts.
"Diese Ratte wird immer wieder einen Weg finden, herzukommen."
"Also akzeptieren wir es und lassen sie ihr Ding machen?"
"Ach, Malino", lächelte ich voller Ironie und drehte mich dabei zu ihm. Auf in seine dunklen Augen blickend, holte ich tief Luft. "Ganz sicher werden wir es nicht akzeptieren, aber wir halten uns zurück - zumindest fürs Erste."
"Schaffst du das überhaupt?", grinste er dämlich, da hob ich eine Augenbraue herausfordernd an.
"Das fragst du mich? Wer hat eben noch hier einen riesen Aufstand für nichts gemacht?"
"Weil ich dich beschützen will."
"Brauchst du aber nicht. Ich weiß immer ganz genau, was ich tue."
Er lachte nur dämlich auf, bis wir Geräusche hörten. Wir beide sahen daraufhin flüchtig zu meiner Zimmertür, während die schrille Stimme von Madrisa an alle Wände schallte. Sie kommandierte jetzt schon die Angestellten herum, was mich wieder wütend auf alles und jeden um mich herum machte.
"Ruhig bleiben", sprach Malino mir zu und lief anschließend aus meinem Zimmer, was mich dazu brachte, mein Handy zur Hand zu nehmen. Ich suchte Ayaz Nummer heraus und tippte auf das grüne Symbol. Einige Male tutete es am Ende der Leitung, bis aber seine Mailbox dranging. Da ich nicht draufsprechen wollte, legte ich auf und verdrehte frustriert meine Augen. Ich wollte den Tag keinesfalls hier mit dieser Hure verbringen. Alleine irgendwohin wollte ich aber noch weniger.
Ich entschloss mich also, hier zu bleiben, doch nicht alleine. Meine Füßen führten mich durch den Flur und nach unten ins Wohnzimmer, wo ich mir das Haustelefon zur Hand nahm und Stellas Nummer raussuchte.
"Oh mein Gott! Happy Birthday!", schrie sie in den Hörer.
"Jaja, danke. Ich rufe aber an, um dich zu bitten, vorbeizukommen."
"Ich hab so einen Kater, Nives. Du hast ja keine Ahnung, was los war."
"Wie? Was meinst du?"
"Ach, mir war irgendwann total schwindelig. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Wenigstens hat Orlando mich nach Hause gebracht."
"Orlando?", hakte ich nach, doch da platzte plötzlich Madrisa in einem Bikini ins Wohnzimmer und richtete ihre übergröße Sonnenbrille, um arrogant an mir herabzusehen.
"Siehst gar nicht schwanger aus", entgegnete ich auf ihren Auftritt hin bissig, woraufhin sie mir näher kam und ein gespieltes Lächeln auflegte.
"Du bist dein ganzes Leben schon so hochnäsig und eingebildet. Es ist wirklich an der Zeit, dass du es eins zu eins zurückbekommst."
"Oh, so ist das also", zischte ich und knallte das Telefon auf den Tresen der Küche, um Madrisa feindseelig ins Visier zu nehmen. "Du benutzt meinen Bruder, um Rache an mir zu nehmen! Für was?! Für die paar Male, wo ich dich beleidigt habe?! Du warst doch selbst Schuld!"
"Ich würde deinen Bruder niemals benutzen", lachte sie und streichelte dabei wieder über ihren Bauch. "Immerhin wirst du auch bald Tante."
"Nur über meine Leiche!", entkam es mir und ich wollte bereits nach einem Messer in der Schublade neben mir greifen, da trat aber Elio ins Wohnzimmer und sah mich irrtiert an.
"Alles okay?"
"Das fragst du noch?!", erwiderte ich ihm fassungslos. "Wieso tust du das denn alles?"
"Nives, ich habe mir nicht ausgesucht, dass es passiert! Es ist aber passiert und genau wie ich, musst du es auch akzeptieren."
"Ich muss gar nichts."
Das war das letzte, was ich sagte, ehe ich wieder das Telefon zur Hand nahm. Stella hatte leider aufgelegt und nachdem Elio gemeinsam mit Madrisa auf die Terrasse raus lief, setzte ich mich an den Esstisch und dachte wirklich schon darüber nach, ihr Gift unter zu mischen.
"Was ist los?"
Mein Opa kam ins Wohnzimmer und sah fragend zu mir herüber. Ich nickte zur Fensterfront, durch welche man draußen Elio und Madrisa am Pool sitzen sah. Sie unterhielten sich und obwohl es für Außenstehende sicher so aussah, als würden sie Spaß haben, so erkannte ich aber, dass mein Bruder verändert schien. Irgendwas stimmte nicht.
"Willst du nicht mit Freunden losziehen und deinen Geburtstag verbringen?"
"Welche Freunde?", wandte ich mich an meinen Opa, der auf meine Aussage hin kurz traurig wirkte. Das wollte ich sicher nicht erreichen und eilig erhob ich mich, um auf ihn zuzulaufen. Er war gerade dabei, an der Küchentheke einen Tee zu machen. "Also, natürlich habe ich viele Freunde, aber die haben vermutlich alle noch einen Kater."
"Achso", lächelte er wieder und schien beruhigt. Als er dann an mir vorbei sah, atmete er tief durch und wirkte nachdenklich. "Du solltest dich nicht von ihm abwenden. Geschwister sind nicht dazu geboren, um sich auseinander zu leben. So etwas ist traurig und ihr solltest das zu verhindern wissen."
"Meinst du, dass wir wie Papa und Onkel Dario enden?"
"Ich denke, wenn diese Madrisa wirklich schwanger ist, musst du an Elios Seite sein, auch wenn es dir verdammt schwer fällt."
"Ai, Opa", erwiderte ich ihm, während er an seinem Tee nippte und mich mit seinen blauen Augen musterte. "Sobald Padre da ist, ist Madrisa wieder weg. Er würde sie niemals hier-"
"Deine Mutter hat das letzte Wort, Nives", unterbrach mein Opa mich. "Und glaube mir - wenn sie möchte, dass Elio und Madrisa hier sind, dann werden sie hier bleiben."
"Das ist scheiße", regte ich mich auf und sah noch mal kurz aus der Fensterfront heraus, bis ich die Haustür hörte. Ich dachte schon, es wäre Stella, doch es war mein Onkel Felice mit meiner Tante Zita.
"Happppyyy Birthday", riefen sie schon aus dem Flur heraus und als mein Onkel bei mir ankam, riss er mich fest in seine Arme. Natürlich musterte Zita mich mit großen Augen. Kein Wunder, mit dem verschmierten Make Up im Gesicht.
"Alles Liebe und Gute!"
"Danke, Felice", lächelte ich und erst, als er mich wieder los ließ, sah ich mir die Aufmachung der beiden an. Mein Onkel trug wie fast immer seine Haare zu einem Zopf gebunden und hatte ein schwarzes Tanktop und eine Jogginghose an. Er war immer so gemütlich, ganz im Gegenteil zu meiner Tante. Sie trug ein atemberaubend schönes, rotes Kleid und dazu hatte sie ihre blondierten Haare zu einer Hochsteckfrisur gebunden.
"Hier. Nur eine Kleinigkeit."
Zita reichte mir eine Karte und ich öffnete diese, um mir verwirrt zwei Tickets anzusehen.
"Für dich und Elio. Ein Wochenende in der Schweiz, damit ihr auch Mal was anderes als Sonne und Strand seht."
"Wir waren da letztes Jahr", mischte mein Onkel sich ein und ich legte zwar ein dankbares Lächeln auf, doch war mir jetzt schon bewusst, dass Elio ganz sicher nicht mit mir in den Urlaub fliegen würde.
"Ich danke euch", sprach ich zu den beiden auf und sah flüchtig zu meinem Opa. Dieser dachte wohl das Gleiche wie ich und schien auch eher bedrückt zu sein.
"Wir gehen kurz Elio gratulieren."
Ich nickte den beiden zu und kaum, dass sie draußen waren, wandte ich mich Enzo zu.
"Mach dir keine Sorgen. Ich fahre doch zu Freunden und bin spätestens um 23 Uhr wieder da."
"Pass bitte auf dich auf."
"Ai, natürlich", gab ich ihm zurück und machte mich anschließend auf den Weg nach oben, um zu duschen, meine Zähne zu putzen und mich umzuziehen. Statt Kleid trug ich nun eine schwarze, enge Jeans und einen hellblauen Kapuzenpullover von Malino. Meine Haare ließ ich offen und suchte dann auch schon wieder das Erdgeschoss auf. Ich wollte gerade die Haustür öffnen, da hörte ich aber Elios Stimme hinter mir.
"Können wir kurz reden?"
"Sobald du den Müll raus gebracht hast, gerne."
Und schon verschwand ich unter der Sonne Palermos herunter zum Tor.
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