45 | Strand

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich  Yavuz geschockt in seine geweiteten Augen starrte.

"Scheiße!", fluchte ich und stieg hektisch von Ayaz Schoß herunter, um zur Couch zu eilen und mein Shirt vor meinen BH zu halten. Mein Atmen stockte und ich war mir den Konsequenzen unseren Handels nie mehr bewusst, als in diesem Augenblick.

"Es ist ganz anders-"

"-als ich denke?", unterbrach er mich und nahm daraufhin Ayaz ins Visier. Dieser stand gerade von seinem Sessel auf und ging sofort auf Yavuz zu.

"Lass es mich-"

Ich riss meine Augen erschrocken auf, als Yavuz schlagartig ausholte und Ayaz solch eine Backpfeife gab, das dessen Kopf zur Seite kippte.

"Still! Alle beide! Ich will kein Wort hören!", schrie er und ich hätte einfach wirklich meine Fresse halten sollen. Doch seine Art mit mir zu sprechen triggerte mich so dermaßen, dass ich gar nicht anders handeln konnte. Entschlossen zog ich mir mein Shirt an und lief ebenfalls auf Yavuz zu, um im Gegensatz zu Ayaz aber ein Lächeln aufzulegen, während ich mein Kinn stolz in die Höhe hielt.

"Vergiss nicht, wer ich bin, Yavuz", sprach ich selbstbewusst. "Immerhin arbeitest du für meine Familie, oder?"

Seine Augen schossen zu mir, wobei ich ganz genau erkannte, welch Zorn sich in ihnen entfachte. Er wollte ausrasten. Seiner Wut freien Lauf lassen, doch ich war gerissener als er es je sein würde.

"Sollte das hier", fing ich an und zeigte dabei zwischen mir und Ayaz hin und her. "Diesen Raum verlassen, werde ich dafür sorgen, dass du nicht nur deinen Job verlierst. Ist das klar?"

Ich dachte, meine Ansage hätte gesessen, doch als Yavuz plötzlich dämlich anfing zu grinsen und ich dabei bemerkte, wie überlegen er sich fühlte, drangen Zweifel in meinen Verstand.

"Angesichts dessen, was hier läuft, bist du wohl nicht in der Position, mir gegenüber Drohungen auszusprechen."

"Ach, ist das so?", erwiderte ich ihm, da spürte ich aber Ayaz Hand plötzlich an meinem Arm. Ich sah zu ihm herüber und er schüttelte kaum merklich seinen Kopf, ehe er sich wieder an Yavuz wandte.

"Das war alles meine Schuld und es wird nicht mehr vorkommen."

"Das wird es auch nicht", sprach Yavuz ihm zu. "Denn ich werde persönlich dafür sorgen! Nives. Geh runter und warte an meinem Wagen."

Ich konnte kaum fassen, was Ayaz da tat. Er nahm die Schuld zwar auf sich, was irgendwie fast schon heldenhaft wirkte, doch ich war niemand, der Schutz brauchte. Ich konnte für mich und meine Taten einstehen und wollte sicher keinesfalls, dass Ayaz sein Versprechen wahrmachen würde. Was meinte er überhaupt damit, dass es nicht mehr vorkommen würde? Wollte er mich jetzt fallen lassen, nur weil Yavuz uns erwischt hatte?

"Nives...", hörte ich Yavuz erneut und begann frech zu grinsen, als dieser mich mahnend ins Visier nahm. Ich ließ es mir nicht nehmen und lehnte mich auf zu meiner Seite, um Ayaz einen sanften Kuss genau auf die Wange zu hauchen, welche von dem Schlag noch leicht rot wirkte.

"Es war ein unvergesslicher Moment", flüsterte ich und als sich anschließend unsere Augen trafen, wusste ich, er sah es genauso. Nur spiegelten sich in seinem Ausdruck mehr Zweifel, als jemals zuvor.

Ich ging, ohne mich noch mal herumzudrehen zur Tür und verließ die Wohnung, um die Stufen herab zu laufen und die Haustür zu öffnen. Der sanfte Wind umspielte meine Haare und ich atmete einige Male tief durch. Die Sonne schien noch auf Palermo herab, sodass eine wohlige Hitze mich umgab - diese war aber nicht mit der zu vergleichen, die Ayaz in mir auslöste. Das alles aufgeben? In diesem Moment unvorstellbar für mich. Wir mussten nur vorsichtiger sein. Nicht so dumm und naiv wie alle anderen. Hätte ich nur gewusst, dass Yavuz den Schlüssel für seine Wohnung besaß... Wir hätten in ein Hotel gehen können. Irgendwo anders hin...

"Steig ein!"

Yavuz tauchte neben mir auf und würdigte mich keines Blickes, als er an mir vorbei zu seinem Wagen trat und die hintere Tür öffnete. Ich weigerte mich jedoch, denn egal was gerade hier passiert war. Ich wollte nicht nach Hause. Nicht dahin, wo vermutlich mehr Chaos herrschte, als in meinem eigenen Verstand.

"Nein", gab ich ihm also zurück und nahm ihn dabei ins Visier. "Ich werde nicht nach Hause fahren."

"Nives", mahnte er und holte tief Luft. "Was tust du da nur?! Ist dir überhaupt bewusst, wie falsch das alles ist?! Ist dir-"

"Dio Mio!", wurde ich lauter. "Misch dich nicht in mein Leben ein! Denkst du, nur weil ich dich Onkel nenne und du Geschäfte mit meinem Vater machst, bist du jetzt mein Vormund!?"

"Es geht mir nicht um dich!", erklärte er plötzlich wütend und zeigte dabei auf Ayaz Haus neben uns. "Du bist nicht dumm! Du weißt, was ihm passieren kann, wenn irgendjemand davon erfährt! Anscheinend magst du ihn, also bring ihn nicht in Gefahr!"

Und da wurde mir klar, dass er nicht vorhatte, es meinem Vater zu sagen. Er wollte Ayaz schützen und würde dieses Geheimnis bewahren.

"Es wird nicht rauskommen. Ich weiß, was ich tue", erwiderte ich ihm, da schüttelte er nur fassungslos den Kopf. "Yavuz. Was ich mit Ayaz habe, ist ganz alleine unsere Sache. Du hast dich-"

"Nein! Es ist nicht nur eure Sache!", wiedersprach er mir und kam dabei einige Schritte auf mich zu. "Und das hört auf! Sollte ich auch nur erwägen, dass ihr euch weiterhin so respektlos verhaltet, werde ich tun, was ich für richtig halte!"

"Tu was du nicht lassen kannst!"

Ich wollte an ihm vorbei, da griff er nach meinem Arm und sofort sah ich fassungslos zu ihm auf. Mit einer gekonnten Bewegung befreite ich mich und zeigte ihm meinen Mittelfinger, um zur Straße zu laufen und diese zu überqueren.

"Weißt du was gefährlich ist?", rief er mir nach, sodass ich mich nochmal zu ihm herumdrehte. "Dass du denkst, du wärst allen überlegen und doch, bist du immer noch ein Kind! Hitzköpfig und nicht im Stande, über die Konsequenzen für andere nachzudenken!"

"Fick dich doch", flüsterte ich und lief einfach weiter, um einfach nur der Situation zu entfliehen. Yavuz machte mich mit seiner Aussage so wütend! Nicht nur, weil er mich als Kind beleidigte, sondern weil er zum Teil auch Recht hatte. Idiota!

Minuten vergingen, während ich einen Fuß vor den anderen setzte und immer weiter in die Richtung lief, wo ich meine Ruhe finden würde. Es gab eine kleine Rettungkabine abgelegen am Strand. Nur ein Häuschen mit einer kleinen Treppe, an der ich schon einige Abend und Nächte verbracht hatte, in denen es mir so scheiße wie heute ging.

Die Sonne verschwand langsam immer mehr, als ich bereits am Strand ankam und elegant über den unebenen Sand lief. Einige Paare liefen Händchen haltend die Promenade entlang - einige Surfer waren weiter weg noch in den Wellen zu sehen, doch ich konzentrierte mich weiterhin nur auf mich selbst.

Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Hundert Probleme, die sich auf meine Schultern legten und es mir erschwerten, tief Luft zu holen. Ein beklemmendes Gefühl und doch, legte sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, als ich flüchtig von der Erinnerung zehrte, wie nah Ayaz mir wieder war. Sein Geruch, so anziehend, dass allein nur der Gedanke daran es mir ermöglichte, den Sauerstoff tief in meine Lungen zu ziehen. Er brachte mir etwas Ruhe, selbst jetzt, wo er nicht bei mir war.

Nachdem ich endlich die Hütte weiter weg erkannte, war bereits die Dämmerung eingekehrt und die Sonne verschwand, sodass es auch hier hinten am Strand immer dunkler wurde. Ich hatte jedoch keine Angst oder das Gefühl von Unwohlsein. So sehr ich die Stille auch hasste - es gab selbst in meinem Leben Momente, wo ich sie mehr als alles andere brauchte. Das waren die Momente, in denen ich mich neu sortieren musste. Doch nie war alles so zerissen wie an diesem Abend.

Vorsichtig nahm ich die vier Treppenstufen nach oben und setzte mich auf das dunkle Holz, um meinen Rücken an das kleine Häuschen zu lehnen. Mein Blick fiel vor mir auf das dunkle Meer. So ruhig und klar - und doch schien es gleichzeitig bedrohlich. Jederzeit bereit den Rhytmus der Wellen zu verändern. Es genügte ein Windstoß und schon wechselte das Wasser seine klaren Bewegungen, um nur noch Chaos zu hinterlassen.

Tief durchatmend fing ich unbewusst damit an, mein Handgelenk zu reiben und sah dabei auf zum finsteren Himmel, auf dessen Oberfläche sich die Sterne zeichneten. Poetisch? Vielleicht - doch ohne jemanden an seiner Seite auch einsam anzusehen.

Es verging eine längere Zeit. Zeit, in der ich mir überlegte, wie ich Madrisa bestrafen und Ayaz nicht verlieren könnte. Es musste einfach eine Lösung für all das geben. Ich wollte meinen Vater stolz machen - doch ich wollte auch Ayaz. Was war wichtiger? Theoretisch mein Vater - praktisch meine Gefühle. In der Theorie war alles einfacher - in der Praxis sah das jedoch anders aus.

"Au", entkam es mir, als ich plötzlich bemerkte, wie ein stechender Schmerz mich einnahm. Zu meinem Handgelenke blickend, erkannte ich dicke Kratzer und verdrehte über mich selbst meine Augen. Ich war besser als das hier. Versteckt in der Dunkelheit und überfordert. Das war nicht ich! Die Menschen um mich herum trieben mich aber zu, mein Feuer zu bändigen. Das durfte ich nicht mehr zulassen. Elio hatte auf mich zu hören! Madrisa hatte meine Drohungen ernst zu nehmen und auch Yavuz hatte kein Recht, sich in mein Leben einzumischen! Sie alle würden zu spüren bekommen, was es hieß, mich klein halten zu wollen! Sie würden sehen, wessen Tochter ich war und welch Einfluss meines Onkels in mir steckte.

Ich wollte entschlossen aufstehen, da bemerkte ich jedoch einen Schatten in dem dunklen Sand neben mir, der immer näher kam und vor mir an dem Geländer der kurzen Treppe stehenblieb.

Der hatte mir gerade noch gefehlt...

Ohne etwas zu sagen, starrte Riziero mich an und auch ich hatte nicht vor, das Schweigen zwischen uns zu brechen. Ich hatte ihm nichts zu sagen und ertrug kaum noch seine Nähe. Schnell wandte ich meinen Blick wieder auf das Meer vor mir und doch, spürte ich seine Blicke auf mir. Sie brannten sich unter meine Haut und ich wollte ihm bereits eine Ansage machen, da kam er auch schon die Stufen hinauf und ließ sich neben mir nieder, als wäre es das Normalste der Welt.

"Du hast wieder damit angefangen ...", hörte ich ihn und sah flüchtig zu ihm herüber. Ich folgte seinem Blick zu meinem Handgelenk und bemerkte dabei, dass ich schon wieder meine unbändige Wut an mir selbst ausließ. "Ich hab ihn immer dabei, wenn ich her komme."

Meine Augen huschten wieder zu Riziero und ich beobachtete stillschweigend, wie er einen meiner schwarzen Handschuhe aus seiner College Jacke kramte. Ich trug ihn öfters, wenn ich hier saß, da durch die Stille auch die Nervosität in mir zunahm.

"Was willst du eigentlich von mir?" gab ich Riziero zurück, da er mich mit seiner Art überforderte. Wie konnte jemand, der so ein mieses Arschloch war, trotzdem so nett sein? Alles Fassade. "Hat es dir nicht gereicht, mich zu demütigen?! Verfolgst du mich jetzt schon?"

"Ich will nur für dich da sein", erklärte er und wollte meine Hand nehmen, da holte ich aber ohne nachzudenken aus und schlug seinen Arm beiseite, um hektisch aufzustehen.

"Halt dich fern von mir! Wie oft soll ich das noch sagen!"

"Warte doch!", entkam es ihm, als ich bereits die Stufen nach unten nahm und über den Sand lief. "Nives!"

"Verpiss dich einfach!", rief ich über meine Schulter, da holte er mich aber ein und riss mich an meiner Taille herum.

"Du musst etwas wissen, okay?!"

"Dio Mio!", platzte es aus mir heraus, als ich ihn warnend ins Visier nahm. "Wenn du jetzt sagst, du würdest mich noch lieben, kratze ich dir deine Augen aus! Hast du das verstanden!"

"Nein!", verteidigte er sich. "Es geht um das Mädchen, dass du in meinem Zimmer erwischt hast."

"Ich will nichts davon hören!", wehrte ich mich, da ich an diese Situation nicht zurückdenken wollte. Als er erneut Luft holte und wohl etwas sagen wollte, schubste ich ihn zornig von mir, sodass er einige Schritte rückwärts traumelte und mein Handschuh auf den warmen Sand herunterfiel. "Lass mich in Ruhe!"

Ich verschwand und blieb nicht stehen. Weder, als er nach mir rief - noch als ich fast stolperte. Immer weiter kam ich der Straße näher und sah von weitem dann auch schon ein Taxi, dass mich sicher nach Hause bringen würde. Als ich jedoch erneut den Gedanken darüber bekam, dass Zuhause nur meine weinende Mutter auf mich warten würde, überlegte ich es mir anders.

Ich fuhr zum Club meines Vaters.

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Hoffe sehr, es hat euch Gefallen ❤️

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