42 | Bruch

Meine Atmung stoppte, als ich nur ganz langsam realisierte, was mein Bruder da gerade offenbart hatte. Seine Worte schnürten mir die Kehle zu und es fiel mir unglaublich schwer, wieder zu Atem zu kommen. Ich spürte Ceis Griff um meine Schultern, der sich verfestigte. Sicher aus Sorge davor, ich würde gleich vollkommen die Kontrolle verlieren. Ich sehe ebenso mein Herz, dass sich einfach nur noch zerissen und gedemütigt anfühlte. Es pochte zwar, doch jeder Schlag schmerzte so sehr, dass mein gesamter Körper zu zittern begann.

"Elio...", hauchte meine Mutter und als ich daraufhin meinen Blick flüchtig zu ihr wandte, wollte sie gerade auf meinen Bruder zu. Mein Vater riss sie jedoch sofort zurück und stellte sich zwischen sie und Elio. Das alles lief vor meinen Augen so langsam ab, als würde Raum und Zeit keinerlei Bedeutung mehr für mich spielen.

"Du musst jetzt ruhig bleiben, egal wie schwer es dir fällt...", flüsterte Cecilio mir ins Ohr und obwohl ich ihn ganz genau verstehen konnte, nahm ich keines seiner Worte wirklich war. Als würden wir nicht die gleiche Sprache sprechen. "Atme, Nives. Atme den Impuls weg..."

Er drückte seinen starken Oberkörper enger an meinen Rücken heran und atmete mehrere Male tief durch, sodass ich mit aller Anstrengung versuchte, meine Atmung seiner anzugleichen. Ich versuchte es mit aller Macht, doch der Hass auf meinen Bruder war in diesem Moment größer, als alle anderen Emotionen die mich durchströmten.

"Raus! Raus aus meinem Haus!", schrie mein Vater Madrisa an, doch diese versteckte sich feige hinter meinem Bruder, während wir anderen die Situation nur von außen betrachteten.

"Sie wird nicht gehen! Wenn sie geht, gehe ich auch!", wehrte sich Elio, doch mein Vater packte ihn ruckartig am Nacken und zog ihn gewaltvoll vor sein Gesicht.

"Du willst die Familie so verraten für einen Bastard, von dem du nicht mal weißt, ob er von dir ist!", brüllte mein Vater mit bebender Stimme und benahm sich vollkommen unkontrolliert. Da Malino wohl Angst hatte, dass es komplett eskalieren würde, erhob er sich ebenfalls vom Tisch und stellte sich schützend neben meine bereits weinende Mutter, um ihr einen Arm um die Taille zu legen.

"Es ist mein Kind!"

Mein Vater ließ von Elio ab und fuhr sich mehrere Male aufgebracht durch sein Gesicht. Nunzio sprach beruhigend auf ihn ein und wollte an seine Seite, doch mein Vater hob warnend seine Hand an und sah erneut voller Hass zu Madrisa.

"Verpiss dich! Sofort!", schrie er so bedrohlich, dass dieses Miststück augenblicklich anfing zu weinen und an meinem Vater vorbeilief. Elio wollte ihr hinterher, doch mein Vater hielt ihn blitzschnell am Arm zurück. "Du wirst nicht gehen!"

Und dann, als ich plötzlich dabei zusah, wie Elio sich meinem Vater entriss und ihn mit Gewalt von sich schubste, konnte selbst ein Cecilio mich nicht mehr bändigen.

"Lass mich los!", zischte ich, doch er ließ nicht von mir ab. Mir blieb also nichts anderes mehr übrig und ich holte mit meinem Kopf aus, um ihm meinen Hinterkopf voller Wucht in sein Gesicht zu schlagen. Er stöhnte hinter mir Schmerz verzerrt auf, doch er brauchte mir keine Vorwürfe machen. Immerhin hatte er beigebracht, wie ich mich aus solchen Situationen befreien konnte.

"Elio!", entkam es mir voller Hass und ich lief um den Tisch herum direkt auf ihn zu. Jennifer wollte mich aufhalten, doch ein Blick genügte und sie blieb auf ihrem Stuhl sitzen. "Wie kannst du so etwas tun?!", fragte ich ihn vorwurfsvoll und stellte mich dabei genau vor meinen Vater, um meinen Bruder wütend zu mustern. Wie konnte er es sich nur wagen, Padre so anzugehen!?

"Wir halten immer zusammen, richtig?", gab er mir voller Provokation zurück, doch dieses Mal war er zu weit gegangen.

"Wie konntest du uns nur so verraten?!"

"Ich dich?", erwiderte er mir und zeigte neben uns zu Madrisa, die an der Tür stand und bitterlich weinte. "Du hast mich verraten!"

"Ich habe dich beschützt!", schrie ich meine ganze Wut heraus und zeigte dabei zu Madrisa. "Vor ihr! Sie ist diejenige, die-"

"Nives, bitte", hörte ich meine weinende Mutter hinter mir, doch ich drehte mich nicht zu ihr herum. Ich gab mir keine Schuld! Mich musste niemand um etwas bitten! Es gab nur eine Schuldige.

Mein hasserfüllter Blick fiel zu Madrisa und mit zitternden Händen drehte ich mich zum Tisch herum. Alle sahen mich an, keiner sagte etwas. Ich hatte dabei nur Adamo im Visier. Ohne nachzudenken, lehnte ich mich zu ihm und wollte aus seiner Motorradjacke die Waffe nehmen, von der ich wusste, dass er sie immer bei sich trug. Bevor ich allerdings den Griff zu fassen bekam, packte mich plötzlich jemand im Nacken.

"Es reicht", ermahnte Malino mich und wollte mich dabei weg vom Tisch ziehen. Ich holte jedoch aus und gab ihm eine Backpfeife, was er ohne sich zu wehren über sich ergehen ließ. Er grinste nur gequält und schnappte sich meine Arme, um mich fest an sich zu ziehen. Ich zappelte und schlug um mich, doch er ließ mich nicht mehr los. Unter vollkommener Zerstörungswut, hörte ich meine Mutter und meinen Vater schreien und es brachte mich beinahe zum Wahnsinn, sie so lautstark streiten zu hören.

"Malino, lass mich los!"

"Niemals..."

"Ich bringe dich um! Ich schwöre es dir!", brüllte ich in seine schwarze Jacke, während er mich enger an sich zog und ich mich verzweifelt zu wehren versuchte. Er ließ jedoch egal was ich tat nicht von mir ab und ich wurde so zornig, dass bereits erste Tränen über meine Wangen flossen. "Lass - mich - los!!!!"

Malino gab mir keine Reaktion mehr und hielt mich an sich, sodass ich irgendwann aufgab mich zu wehren und meine Arme hilfesuchend um seinen Körper schlang. Ich machte meine Augen zu, lauschte unter Tränen dem Chaos um uns herum, bis die Stimmen nach einiger Zeit leiser wurden und sich immer weiter entfernten. Dabei unwehte mich der Geruch von Malino, der eine Mischung aus Rauch und Aftershave war. Er benutzte schon immer das gleiche...

"Es bringt nichts", hauchte er mir zu, als ich meine Augen nur langsam wieder öffnete und dabei bemerkte, dass wir nur noch zu zweit im Garten standen. "Ich würde ihn auch gerne fertig machen, aber er ist schon länger verloren. Nicht erst seit heute."

"Aber es ist ihre Schuld, dass er so ist", erwiderte ich Malino und löste mich dabei langsam wieder von ihm. Mein Körper hatte aufgehört zu zittern und der Sauerstoff erreichte endlich wieder vollends meine Lungen.

"Er ist selbst schuld", wiedersprach Malino mir. "Rumficken kann jeder. Er hätte verhüten sollen."

"Du denkst doch nicht ernsthaft, dass es von ihm ist?!"

"Keine Ahnung", meinte Malino und zuckte dabei mit den Schultern. "Ist mir aber auch relativ scheiß egal."

Da war er wieder. Malino wie ich ihn kannte.

"Mir aber nicht!", gab ich ihm zickig zurück und wollte an ihm vorbei nach drinnen, um nachzusehen, ob Madrisa noch da war. Malino hielt mich jedoch an der Hand zurück, woraufhin ich ihn fragend ansah.

"Hör zu! Padre will uns beide fürs Familiengeschäft. Nicht Elio. Lass ihn doch machen, was er will. Wenn er meint, er will ne Hure schwängern, dann soll es halt so sein."

"Ich bin aber nun mal nicht so egoistisch wie du, Malino! Er ist unser Bruder, scheiß egal ob er mit im Geschäft ist, oder eben nicht!"

"Ein Bruder, der dich gerade für eine Hure verraten und verkauft hat! Es ist nicht deine Aufgabe, ihm jetzt hinterherlaufen. Er muss sich erstmal klar werden, was er da getan hat."

"Was hast du genommen?", fragte ich verwirrt nach, da er mir viel zu geschwollen sprach. "Hat dein Gehirn heute mal ausnahmsweise gezündet oder was ist los mit dir?!"

"No", grinste er dämlich. "Aber Padre erlaubt mir keine Drogen mehr. Leider sehe ich dadurch die Dinge klarer."

"Fragt sich wie lange..."

Nachdem ich meine Hand endlich seiner entzogen hatte, ließ ich ihn stehen und lief zielstrebig nach innen. Keine Ahnung was mit Malino los war, aber durch ihn hatte Madrisa Glück. Ich hätte sie vermutlich sonst wirklich erschossen vor lauter Zorn.

Im Wohnzimmer angekommen erkannte ich Jennifer und Nunzio auf der Couch, die sich um Antonio kümmerten. Adamo und Stella unterhielten sich in der Küche und mein Opa Enzo saß am Tisch und schien gedanklich abwesend.

Ich wollte gerade fragen, wo die anderen waren, da hörte ich im Hausflur bereits meine Mutter wie eine Furie schreien und eilte zu ihr.

"Was ist-"

Meine Mutter stand weinend vor der Tür und wollte raus. Mein Vater versperrte ihr aber den Weg.

"Gino! Du kannst ihn nicht gehen lassen! Er ist noch ein Kind!"

"Anatra! Beruhige dich!", sprach mein Vater auf sie ein und wollte ihr näher kommen, da schlug sie seine Hand jedoch weg und drehte sich zur Treppe herum. Sie rannte hoch und mein Vater ihr hinterher. Ich sah den beiden nach und es passte mir überhaupt nicht, dass Elio wohl mit Madrisa gegangen war. Das Gespräch meiner Eltern ließ mich nur erahnen, dass mein Vater wohl nicht vorhatte, Elio hinterher zu fahren. Meine Mutter aber schon... Sie war eben immer schon weich.

"Willst du dich nicht wenigstens entschuldigen?"

Mein Blick fiel zu meiner Seite und ich erkannte Cecilio, der sich ein Taschentuch an seine blutende Nase hielt.

"Du hättest mich los lassen sollen, dann wäre dir nichts passiert!"

"Und für was?", hakte er in aller Ruhe nach und kam dabei auf mich zu. "Damit du eine Schwangere angreifen kannst?"

"Damit ich Elio zur Vernunft bringen kann!"

"Nives, du bringst niemanden mit deiner Wut zur Vernunft! Dafür braucht es mehr als unkontrolliert auszurasten! Zwang bringt einen zwar dazu, dass zu tun, was man will - doch es hält nur für den Moment!"

"Ein Moment, in dem er mir zuhören würde, würde mir genügen! Er-"

Als ich plötzlich Kleidung hinter mir auf den Boden fallen hörte, drehte ich mich erschrocken herum und sah zum Geländer nach oben. Meine Mutter schmiss weinend einige Hemden und Hosen meines Vaters auf den hellen Marmorboden herab.

"Amore! Es reicht!"

"Nein! Solange du unseren Sohn nicht sofort zurückholst, hast du in meinem Schlafzimmer nichts-"

"Unser Schlafzimmer!"

"Achja!", setzte meine Mutter ihm entgegen. "Schön! Dann gehe ich eben!"

Sie verschwanden wieder in den Flur und Cecilio drehte mich an meiner Schulter zu sich herum. Ohne Ausdruck starrte er mich an und legte anschließend ein kaum merkliches Lächeln auf.

"Heute ist dein Glückstag", meinte er und ließ mich wieder los, sodass ich ihm vollkommen irritiert nachsah. Er machte die Haustür auf und fing an zu pfeifen.

"Geht's dir gut?", hakte ich nach, da ich Angst bekam, er hätte durch meinen Schlag ne Schraube locker. Er beachtete mich jedoch nicht und ich weitete meine Augen, als Ayaz plötzlich direkt neben ihm im Türrahmen auftauchte.

"Bring sie für heute hier weg. Es gibt einige Dinge, die ich lieber in aller Ruhe und ohne einen giftigen Zwerg an meiner Seite lösen möchte", sprach Cecilio zu Ayaz, woraufhin beide zu mir sahen.

"Ich weiß nicht, worüber ich mehr geschockt sein soll", gab ich ihnen zu verstehen und schüttelte leicht meinen Kopf. "Das du mich Zwerg nennst, obwohl du derjenige bist, der sicher eine gebrochene Nase hat - oder das du auf sein Pfeifen gehört hast, als wärst du sein Hund."

"Nives, raus jetzt. Es wird dir gut tun."

Ich glaubte kaum, dass es mir gut tun würde. Als ich jedoch erneut meine Eltern streiten hörte, kam es mir wirklich besser vor, den Tag mit einem attraktiven Türken zu verbringen. Er würde es sicher mit Leichtigkeit schaffen, mich wieder zum Entspannen zu bringen.

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