4 | Bodyguard

"Na du", begrüßte mich Yavuz freundlich und wollte gerade an mir vorbei die Haustür rein, da umfasste ich jedoch seinen Unterarm. Ich spürte auf meine Geste hin seine fragenden Blicke auf mir - meine Augen waren aber weiterhin auf seinen Mercedes gerichtet.

"Wer ist das?", wollte ich neugierig wissen und musterte den Mann auf dem Beifahrersitz, von dem ich nur die Hälfte seines Gesichts begutachten konnte. Er saß seitlich zu mir und tippte auf seinem Handy herum.

"Ayaz - mein Neffe", erklärte Yavuz und nachdem ich meinen Blick dann vom Auto wieder abgewandt hatte, sah ich zu Yavuz auf.

"Achso", erwiderte ich ihm und nahm einen letzten Zug meiner Zigarette, um sie anschließend zu Boden zu schnippsen. Natürlich kassierte ich dafür einen schiefen Blick von Yavuz. "Ich hebe sie später auf", erklärte ich und folgte ihm schließlich wieder nach drinnen.

"Wie ich sehe, sind wirklich alle da", sprach Yavuz im Wohnzimmer angekommen und lief daraufhin gleich zu meinem Vater, um sich direkt an seine Seite zu stellen. Ich verharrte im Türbogen und hatte wirklich keine Ahnung, was hier überhaupt vor sich ging.

"Elio - geh doch bitte mit Malino und Stella nach oben", wies meine Mutter die anderen an und es irritierte mich noch mehr, dass sie meinen Namen nicht erwähnte.

"Was ist mit mir?", hakte ich nach, doch es war mein Opa Enzo, der plötzlich aufstand und direkt auf mich zu kam. Er blieb dicht neben mir stehen und legte ein sanftes Lächeln auf.

"Du wirst gleich das Gefühl haben, dass alle gegen dich sind. Das Gegenteil ist aber der Fall", flüsterte er und warf einen kurzen Blick über seine Schulter. "Falls du später reden möchtest, weißt du, wo du mich findest."

Er klopfte mir auf meine Schulter und lief an mir vorbei in den Hausflur, um die Treppen nach oben zu nehmen. Im Grunde verbrachte er die meiste Zeit in seinem Zimmer, wo er alte Musik hörte und seinen Ruhestand zu genießen schien. Mein Blick fiel von ihm wieder zu meinen Brüdern, die ebenfalls gemeinsam mit Stella den Weg nach oben suchten.

"Nives", hörte ich schließlich meine Mutter und wandte nur zögerlich meinen Blick zu mir. "Setz dich bitte."

"Wieso?", protestierte ich und sah zu Adamo, der aber nur mit seinem Handy beschäftigt war. Auch Cecilio nahm ich ins Visier - doch er wich meinem Blick aus.

"Setzen!", ertönte die Stimme meines Vaters mit Nachdruck und sofort setzte ich mich in Bewegung und nahm am Kopfende Platz - direkt gegenüber meiner Mutter.

"Also", fing diese an und nahm dabei die Hand meines Vaters in ihre. Es kam mir vor, als würde sie gerade jetzt seinen Beistand brauchen und das bedeutete für mich nichts Gutes. "Letzten Monat - da wurdest du von zwei Mitschülern nach der Schule abgefangen und wäre Malino nicht zufällig da gewesen, dann-"

"Dann hätte ich ihnen auch alleine den Arsch aufgerissen", unterbrach ich sie ohne Ausdruck, doch sie hob nur ihre Hand und brachte mich damit zum Schweigen. Einzig Adamos leises Lachen hallte noch durchs Wohnzimmer.

"Letzte Woche - da hast du einem Lehrer damit gedroht, ihm die Reifen zu zerstechen, sollte er dir keine bessere Note geben."

"Na und? Der ist sowieso ein Arschloch und macht ständig Fotos von den Mädchen im Sportunterricht! Also hat er es verdient, oder?", verteidigte ich mich und sah dabei zu Cecilio.

"Naja, im Grunde ja", hielt dieser zu mir, kassierte jedoch dafür sofort einen warnenden Blick von meiner Mutter, wodurch er sich erneut mir zuwandte. "Aber es gibt sicherlich auch friedvollere Lösungen."

"Ach, und was hättest du getan?"

"Ihn überfahren", gab Cecilio mir trocken zurück und da reichte es meiner Mutter wohl entgültig. Sie schenkte meinem Vater stumme Blicke und der schickte auf ihre Geste hin Adamo und Cecilio nach draußen, denen auch Nunzio und Jennifer folgten. Jetzt hatte ich wirklich niemanden mehr auf meiner Seite.

"Gestern hast du dich wieder einmal in eine Lage gebracht, die übel hätte enden können und das war nicht das erste Mal diese Woche."

"Was wollt ihr eigentlich von mir?", wurde ich langsam sauer und bereute aber sofort meine patzige Art und Weise zu sprechen, als mein Vater mich ansah, als würde er mich gleich kopfüber aufhängen.

"Es reicht jetzt entgültig!", wurde er lauter und stand auf, wodurch meine Mutter ebenfalls aufstand und ihn beruhigen wollte. Er riss seinen Arm jedoch von ihr los und kam einige Schritte auf mich zu. "Deine ganze Art gegenüber uns ist provozierend und ignorant! Ich weiß, dass das hauptsächlich mein Verdienst ist, aber vergiss bloß nicht, wer hier vor dir steht! Du wirst in Zukunft respektvoll mit deiner Mutter umgehen, ansonsten kannst du mal sehen, wie das Leben so ohne meine Kreditkarte ist! Hast du das verstanden!"

Eingeschnappt verschränkte ich meine Arme, doch mein Vater nahm mein Kinn zwischen seine Finger und sah mich so zornig an, dass ich wirklich Probleme hatte, seinem Blick stand zu halten.

"Ob du das verstanden hast!?"

"Ja!", gab ich ihm laut und deutlich zurück und dachte, damit hätte es sich geklärt. Er nickte jedoch zu meiner Mutter und starrte mich eindringlich an. Im Grunde hatte er Recht, das wusste ich auch. Ich fand es trotzdem unfair, dass Malino und Elio nie Ärger für irgendwas bekamen.

"Entschuldige, Mama."

Mein Vater atmete tief durch und meine Mutter setzte auf meine Worte hin gleich ein sanftes Lächeln auf. Trotzdem schien diese Situation nicht vorbei zu sein, denn beide blickten plötzlich flüchtig zu Yavuz, um erneut mich zu mustern.

"Du wirst ab jetzt von jemandem begleitet. Egal wohin du gehst", entkam es meinem Vater, den ich daraufhin vollkommen entgeistert anstarrte

"Wie bitte? Was soll das?", hakte ich überfordert nach und stand auf. "Meinst du sowas wie einen Babysitter?!"

"Einen Bodyguard", erklärte Yavuz und vor lauter Schock über das Gesagte, fing ich hysterisch an zu lachen. Meine Augen huschten zwischen den Dreien hin und her, in der Hoffnung, eine List zu erkennen. Sie wirkten jedoch vollkommen ernst, was mich fassungslos mit den Händen gestikulieren ließ.

"No!", regte ich mich auf und sah flehend zu meinem Vater auf. "Ai, padre! Ich habe nichts gemacht! Ich bitte dich - das kann nicht euer ernst sein!"

"Nives! Es ist beschlossene Sache und ich diskutiere nicht!"

"Aber-"

"Ich diskutiere nicht!", gab er mir ohne Ausdruck zurück, wodurch ich wusste, dass ich bei ihm keine Chance mehr hätte zu verhandeln. Schnell nahm ich meine Mutter ins Visier, die mich nur besorgt musterte.

"Mama", flehte ich und lief um den Tisch herum. "Ich bitte dich, Mama! Ich mache nichts mehr! Versprochen!"

Sie knickte beinahe ein. Das sah ich ihr an. Jedoch sah es auch mein Vater ihr an und mischte sich ein.

"Habe ich nicht gesagt, wir diskutieren darüber nicht mehr!?"

Ich fühlte mich missverstanden und komplett überfordert, doch schnell lösten sich diese Gefühle in Luft auf und zurück blieb nur Zorn. Zorn darauf, dass Malino nie solche Konsequenzen bekommen hatte, obwohl er viel schlimmer war als ich und auch Zorn darüber, dass ich nicht mal darüber reden konnte. Sie entschieden einfach etwas, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen. Natürlich war das alles nur ein Vorwand, was sie hier erzählten! Dieser Bodyguard wurde bestimmt nur wegen meiner Mutter eingestellt! Sie war in der Politik und nun musste ich darunter leiden! Nur weil ich ein Mädchen war!

Wüssten sie nur, dass Onkel Cecilio mir alles über Messer und Pistolen beigebracht hat - dann würden sie wissen, dass ich keinen scheiß Bodyguard brauchen würde! Doch ich hatte ihm versprochen, es geheim zu halten und daran hielt ich mich auch. Immerhin hatte er mich auch noch nie verraten und mich sogar öfters gedeckt, als meine eigenen Geschwister.

"Er kann nicht gut italienisch, also rede bitte auf Englisch mit ihm", erklärte Yavuz und riss mich damit aus meinen Gedanken, während ich jemanden im Flur hörte und meine Augen zum Türbogen schweifen ließ.

"Guten Morgen", begrüßte meine Mutter den Mann als erstes, den ich gerade noch im Auto gemustert hatte und lief dabei mit einem freundlichen Ausdruck auf ihn zu. Ich musterte ihn neugierig - von seinen dunklen, verwuschelten Haaren - über seinen schwarzen Kapuzenpullover - bis hin zu seiner Jeanshose. Bevor ich allerdings weiter die Tattoos auf seinen Händen begutachten konnte, riss mein Vater mich aus meiner Starre.

"Willst du Ayaz nicht begrüßen, Nives?"

Ein dämliches Grinsen setzte sich auf meine Lippen und nachdem ich erneut meinen neuen Bodyguard ins Visier nahm, zog ich provokant meine Augenbraue hoch.

"Ciao stronzo e benvenuto all'inferno!"

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