39 | Angst / Triggerwarnung
Mittlerweile war es bereits Freitag Abend und ich zog mir gerade zu meiner schwarzen Jeanshose noch einen schwarzen, dünnen Rollkragenpullover an. Wenn ich Madrisa überraschen würde, dann sollte ich dazu auch Kleidung tragen, die finster wirkte. Immerhin sollte sie den Schock ihres Lebens bekommen und so ganz in schwarz sah ich einfach umwerfend und gleichzeitig gefährlich aus.
"Was hast du vor? Irgendwo einbrechen?"
Elio trat mit einem Lächeln in mein Zimmer ein und machte es sich direkt auf meinem Bett bequem, um fragend zu mir aufzusehen.
"Nein. Ich gehe nur Angst und Schrecken verbreiten", grinste ich dämlich und war innerlich stolz, meinen Bruder heute solch eine Geste zukommen zu lassen. Er würde glücklich werden, sobald Madrisa aus seinem Leben verschwinden würde. Er wusste das noch nicht - ich aber.
"Wer sollte vor dir kleinem Standgebläse Angst haben?"
Malino kam ebenfalls in mein Zimmer und wollte an mir vorbei zu meinem Bett, da schubste ich ihn aber voller Kraft an meinem Kleiderschrank, zückte eines von Cecilios Messer aus der Tasche meiner Jeans und klappte es direkt an seinem Hals auf. Er schien wenig beeindruckt und hob abwartend eine Augenbraue an. Klar imponierte ich ihm nicht, denn er wusste, ich würde ihm nie ein Haar krümmen.
Madrisa schon...
"Sollte ich jetzt anfangen zu zittern?", gab Malino mir zurück und schon steckte ich grinsend wieder das Messer weg und ließ von ihm ab.
"Du nicht. Aber jemand anders wird sich heute wünschen, nie in mein Leben getreten zu sein."
Malino machte es sich neben Elio bequem, während ich aus dem Fenster heraus sah und Yavuz in der Dunkelheit der Einfahrt erkannte. Er war ohne Ayaz hier, genau wie die letzten Tage. Ich wusste nicht genau, was los war, nur, dass Ayaz wohl in der Türkei war um einige Angelegenheiten zu klären. Ich hakte nicht weiter nach und verkniff es mir auch, ihm zu schreiben. So hatte ich wenigstens einen klaren Kopf, was die Schlampe anging, die ich heute noch besuchen würde.
"Ach", riss Malino mich aus meinen Gedanken, sodass ich meinen Blick zu ihm wandte. Auch Elio nahm ihn ins Visier. "Deine hässliche Freundin hat mir einen Korb gegeben."
"Und deswegen nennst du sie plötzlich hässlich?", lächelte ich überlegen. "Kein Wunder. Wer will schon mit dir zusammen sein? Niemand auf freiwilliger Basis."
"Genug wollen mich, glaub mir."
"Sag mir eine einzige, die nicht nur ficken oder dein Geld will."
Er dachte nach und Elio fing daraufhin an zu lachen, was ich ihm gleichtat.
"Haltet eure Fresse!", regte sich Malino auf und schubste Elio leicht zur anderen Seite des Bettes. "Als würdet ihr so tolle Beziehungen haben! Wenigstens wurde mir nicht fremd gefickt!"
"Dio Mio! Jetzt hast du es mir aber gezeigt", tat ich auf verletzt und fasste mir vollkommen theatralisch ans Herz. Klar schmerzten seine Worte ein kleines bisschen, doch ich war eine Meisterin darin, es zu überspielen - ganz im Gegensatz zu meinem Zwilling. Elio stand wortlos auf und lief an uns vorbei aus dem Zimmer, woraufhin ich Malino tief durchatmend anstarrte. "Du weißt doch, was er durch macht."
"Dann fuckt mich nicht ab! Ganz einfach!"
Auch Malino erhob sich und verschwand aus meinem Zimmer, was mich nur den Kopf schütteln ließ. So unterschiedlich und doch, waren es Brüder, die in schlechten Zeiten immer zusammen hielten.
Ich steckte dann in Gedanken versunken ein dünnes Halstuch, mein Handy und das Messer in meine Taschen, um noch eine dicke schwarze Kapuzenjacke über zu ziehen. Danach suchte ich das Wohnzimmer auf, wo meine Mutter gemeinsam mit meinem Vater, Yavuz, Opa Enzo und Cecilio am Tisch saß.
"Wohin um diese Uhrzeit noch?", fragte meine Mutter neugierig, während mein Vater mich musterte und kaum merklich nickte. Auch Cecilio fixierte mich, wandte sich jedoch schnell wieder Enzo zu, mit dem er eine Unterhaltung führte.
"Ich gehe nur kurz zu einer Freundin. Sie wohnt die Straße runter und ihr dämlicher Freund hat Schluss gemacht."
"Das halte ich für keine gute Idee", murmelte meine Mutter besorgt, doch mein Vater nahm daraufhin ihre Hand in seine und legte ein sanftes Lächeln auf.
"Ai, Amore. Lass sie ruhig. Es wird schon nichts passieren."
Abwartend musterte ich die beiden, woraufhin meine Mutter dann widerwillig nickte. Jedoch stand sie auch auf und kam direkt auf mich zu.
"Hast du dein Handy dabei?"
Ich nickte und sie schien wirklich nicht begeistert, gab mir jedoch eine kurze Umarmung und erlaubte meinen Ausflug. Wenn sie nur gewusst hätte, auf welcher Mission ich wirklich war.
"Ich rufe an, wenn etwas sein sollte", versprach ich und drehte mich zum Flur herum, um durch die Haustür nach draußen in die Dunkelheit zu laufen. Mit meinem Handy am Ohr bestellte ich ein Taxi, während ich die Wachmänner beobachtete und der Pförtner mir die Tür öffnete.
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Nach zehn Minuten Fahrt kam ich endlich in dem Viertel an, wo Madrisa wohnte. Es war kein Villenviertel, aber auch keine Plattenbauten. Irgendwas dazwischen. Nachdem ich bezahlt hatte, verließ ich das Taxi und bereitete mich gedanklich vor, ihr Todesangst zu machen.
Ich lief über die Straße auf das kleine Häuschen zu, dass mit ihrer Hausnummer geschmückt war und sah mich nochmals genauer um. Kein Mensch war zu sehen. Nur geparkte Autos an der Straße hinter mir und die Geräusche des Windes huschten durch einige Bäume am Rande der Häuser hindurch.
Ich zog die Kapuze meiner schwarzen Jacke bis über meine Stirn und holte anschließend mein Handy heraus, um einige gespeicherte Sprachnachrichten aufzurufen. Erst dann klingelte ich und wartete darauf, dass jemand an die Freisprechanlage gehen würde. Als eine weibliche Stimme erklang, die aber definitiv nicht Madrisa gehörte, spielte ich die erste Aufzeichnung meines Bruders ab.
"Hey, Elio hier."
Ich stoppte die Aufnahme.
"Oh Elio. Moment. Ich hole Madrisa."
Wie dumm und naiv.
Ich wartete kurz und schon erklang diese nervige Stimme von Madrisa. Der Hass auf sie ließ mich fest auf meine Unterlippe beißen.
"Hey Sonnenschein. Willst du rein kommen?"
Augen verdrehend suchte ich die nächste Sprachnachricht heraus, die er mir mal vor einigen Wochen geschickt hatte.
"Ich warte draußen. Kommst du runter?"
"Ja, ich komme."
So einfach war es also, dumme Menschen um den Finger zu wickeln. Lächelnd steckte ich mein Handy ein und nahm dafür das Klappmesser von Cecilio und das dünne Seidentuch zur Hand. Mit den Sachen lief ich einige Schritte um die Ecke und suchte mir den dunkelsten Platz direkt an der Mauer. Dann musste ich nur noch mit dem Rücken zur Tür warten und hoffen, sie würde nicht allzu lange brauchen.
"Elio. Ich hab dich vorhin 10 mal angerufen!"
Da war sie schon und bereits jetzt vergiftete sie weiterhin meinen Verstand. Da war kein Funken Liebe oder Zuneigung in ihrer piepsigen Stimme. Nur Vorwürfe... Kein Wunder, dass Elio so drauf war. Ich fragte mich nur, wieso er plötzlich so naiv war und nicht einfach mit ihr Schluss machte. Immerhin war er der Schlauste von uns. Nachdenklich und immer fokussiert. Sie hatte ihn kaputt gemacht - doch das letzte Wort in diesem Krieg würde ich haben.
"Elio?"
Sie stand bereits nah hinter mir in dieser Finsternis und ich holte ein letztes Mal tief Luft, um mich schließlich ruckartig zu ihr herumzudrehen. Als sie mich erkannte und ihre Augen vor Schreck weit aufriss, legte ich ein triumphierendes Grinsen auf und drückte sie sofort mit meinem Unterarm an die Wand hinter uns. Sie wollte schreien, doch ich ließ ihr keine Chance dazu. Mit etwas mehr Kraft stopfte ich ihr das Tuch in den Mund und sorgte damit dafür, dass kein Laut mehr aus ihrer Kehle kam. Als sie mir darüber mit ihren Fingernägeln verzweifelt über meine Wange kratzte, holte ich aus und gab ihr solch einen Stoß mit meiner Stirn mitten in ihr Gesicht, dass sie gequälte Laute von sich gab und bitterlich anfing zu weinen.
"Halt bloß deine Fresse!", warnte ich sie und zückte im nächsten Moment das Messer, um es ihr direkt an ihre Halsschlagader zu halten. Ihr Blut pulsierte mit solch einer Schnelligkeit, dass ich anhand ihres Halses ihren Herzschlag erkennen konnte. Unbändig und voller Todesangst. Meine Augen wanderten hoch zu ihrem Gesicht und unzählige Tränen liefen über ihre roten Wangen, während das Tuch in ihrem Mund jeden Laut unterdrückte. "Hör mir jetzt ganz genau zu, denn mit Worten werde ich mich nicht wiederholen. Solltest du also auf die absolut beschissene Idee kommen, mich nicht ernst zu nehmen, wird es das Messer sein, dass es wiederholt!"
Sie nickte heftig und sah mich flehend an. Ich genoss jedoch in diesem Moment die Genugtuung, dass jede verfickte Träne meines Bruders ihre Rache bekommen würde. Das Messer in meiner Hand fühlte sich wie gemacht für mich an und ich drückte es wie in Rage noch etwas fester an die dünne Haut ihres Halses, wodurch eine rote Linie unter der scharfen Klinge entstand.
"Du wirst ihn nie wieder anrufen! Du wirst ihn nie wieder um etwas bitten. Du wirst von dir aus sagen, dass du Schluss machst und ihm das Beste wünschen! Solltest du unsere Unterhaltung hier erwähnen, wirst du sterben! Hast du das verstanden!?"
Sie nickte erneut, doch ich war nicht so naiv wie alle anderen. Ich wusste, dass jeder Mensch zu allem ja sagen würde, sobald er Angst spürte und nur noch diesen Ausweg sah. Ich legte also noch eine Schippe drauf und riss ihren Kopf an ihren Haaren zurück, sodass ihr Hals nun vollkommen frei lag.
"Du hast wirklich eine makellose Haut", hauchte ich und fuhr dabei mit der Spitze der Klinge bis zu ihrem Schlüsselbein herab. Sie zitterte am ganzen Körper, während ihr Brustkorb sich immer schneller hob und senkte. "Schade, dass ich das tun muss. Für dich zumindest schade, denn mir wird es Spaß machen."
Ich zog sie zur Seite und riss ihr Shirt hoch, um das Messer genau unter ihrem Arm an ihren Rippen anzusetzen. Mit leichtem Druck zog ich eine Spur bis hinab zu ihrer Taille. Blut folgte meiner geraden Linie und sie schrie mehrere Male in das Tuch, was mich nur noch mehr faszinierte. Weich, wie Butter, schnitt die Klinge ihre dünne Haut auf und da wurde mir erst wirklich bewusst, wieso Cecilio seine Messer so gut pflegte. Sie waren die reinste Perfektion darin, alles aufzulösen, was sich unter ihre Schärfe legte.
"Ein Wort", hauchte ich, als ich fertig war, ihr Shirt hektisch runterzog und mein Messer wieder einsteckte. "Und es wird nicht deine Seite sein! Sieh mich an!"
Ihre von Tränen ubersähten Augen trafen genau auf meine und mit einem gespielten Lächeln entnahm ich das Tuch ihren zitternden Lippen, was sie heftig nach Luft schnappen ließ.
"Mach Schluss und verpiss dich aus unserem Leben."
Ich ließ sie weinend in der Dunkelheit zurück und war nie stolzer, meinen Bruder ein Leben voller Qual und Demütigungen erspart zu haben. Er war durcheinander und ich, ich war nie klarer als in dieser Nacht. Ich erkannte, welch Schlange sie war und rettete ihn aus einer Situation, die ihn schon viel zu lange eingenommen hatte.
Als ich mit schnellen Schritten wieder an der Straße ankam, spürte ich das Adrenalin, welches durch meine Adern rauschte und ich hatte für einen Moment das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Anderseits nahm mich aber auch Angst ein. Angst davor, es genießen zu können, anderen Menschen weh zu tun. Es gefiel mir viel zu sehr und das brachte mich schlagartig dazu, inne zu halten und zu erstarren.
Was, wenn etwas nicht mit mir stimmte? Was, wenn das hier nur der Anfang war? Andere Menschen verfielen der Liebe oder den Drogen... War dieses Gefühl meine Droge? Würde ich nur darauf warten, es endlich wieder empfinden zu können und Situationen schaffen, in denen es mir erlaubt wäre, mich vollkommen auszuleben?
"Fühlt sich gut an, oder?"
Erschrocken drehte ich mich zur Seite und erkannte plötzlich meinen Vater, der in der Dunkelheit an seinem BMW lehnte und eine Zigarette rauchte. Er fixierte mich und wartete auf eine Antwort meinerseits. Obwohl ich ihn in dem Moment stolz machen wollte, war ich aber dankbar dafür, ihm gegenüber auch Schwäche zeigen zu dürfen, denn ich war auf einen Schlag mehr als nur durcheinander und überfordert.
"Ich habe Angst vor mir selbst, padre", hauchte ich und lief sofort hilfesuchend auf ihn zu, wodurch er mich fest an sich zog und mir die Geborgenheit brachte, die ich so bitter nötig hatte.
"Ich kenne diese Angst nur zu gut, Küken."
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