32 | Sauber bleiben

Alle Gesichter wandten sich zum Türbogen, durch welchen meine Mutter gemeinsam mit Malino eintrat. Sie hatte den Arm meines Bruders fest im Griff und ließ ihn erst los, als sie vor uns am Tisch zum Stehen kam. Mein Blick schweifte herab über ihre edle weiße Kleidung, ehe ich meine Augen wieder auf ihre richtete. Sie hatte allerdings nur meinen Vater im Blick.

"Keines unserer Kinder wird zum Heiraten gezwungen! Genauso wenig schickst du Malino zu einem Schuljungen, um diesen unnötig einzuschüchtern!"

"Anatra, es reicht!", warnte mein Vater, doch meine Mutter hob nur unbeeindruckt ihre Augenbraue an und lief mit langsamen Schritten genau auf ihn zu.

"Es reicht?", wiederholte sie ihn und sah anschließend zu mir und Malino, der mittlerweile neben mir stand. Erst, als sie uns ein mildes Lächeln geschenkt hatte, wandte sie sich wieder ganz meinem Vater zu. "Du hast recht. Es reicht... Unsere Tochter ist alt genug, um selbst zu entscheiden, mit wem sie sich umgibt - oder eben nicht. Immerhin hast du sie zu einer starken Frau erzogen. Und Malino ist nicht einer deiner Soldaten und du wirst ihn auch nicht so behandeln!"

"Wisst ihr was", entkam es daraufhin Cecilio, der aufstand und dabei Nunzio ansah. "Ich denke wir sollten gehen."

"Ich denke, ich bleibe noch", gab Nunzio ihm grinsend zurück und starrte neugierig zu meiner Mutter auf. Cecilio verdrehte auf seine Worte hin genervt seine Augen und lehnte sich mit den Händen auf dem Tisch etwas vor.

"Du altes Klatschweib!", mahnte er kopfschüttelnd und warf dann solch einen  bedrohlichen Blick auf Nunzio, dass dieser sich trotz seiner vorherigen Aussage doch noch zögerlich erhob. In dem Moment, standen wir anderen ebenfalls auf - eingeschlossen Yavuz und Ayaz.

"Ai, no!", meinte mein Vater plötzlich ohne Ausdruck und erhob sich ebenfalls, um seine Augen dabei nicht eine Sekunde von meiner Mutter zu nehmen. "Setzt euch gefälligst hin! Wir gehen das kurz unter vier Augen besprechen."

"Es gibt nichts zu besprechen. Weißt du noch... Du kümmerst dich um deinen Club - ich um unsere Kinder", setzte meine Mutter nach und legte dabei ein triumphierendes Grinsen auf. "Also halte dich an deine Versprechen. Das ist mein aller letztes Wort dazu!"

Sie machte mit ihrer Hand eine Geste in Richtung von mir und Malino, die uns deutlich machte, ihr zu folgen. Erst, als sie sich dann zum Hausflur herumdrehte, setzten mein Bruder und ich uns in Bewegung und folgten ihr. Natürlich kam aber auch mein Vater uns hinterher.

"Anatra! Hoch!", sprach er mit bedrohlicher Stimme und griff auch schon nach ihrer Hand, als er genau neben uns stehen blieb und Richtung Treppe nickte.

"No!", wehrte sie sich wütend, da schnappte er aber schlagartig ihre Taille und schmiss sie ohne Probleme über seine Schulter. "Gino! Lass mich sofort runter!"

"Geht shoppen... Wir reden später."

Mein Vater holte mit einer Hand seine schwarze Karte aus der Hosentasche, um Malino diese zu reichen, ehe er mit meiner Mutter auf der Schulter die Treppen nach oben verschwand. Sie zappelte wild herum und regte sich auf, doch ich hörte im nächsten Augenblick auch ihr so schönes Lachen, als mein Vater ihr leicht auf den Po schlug. Ihre Ehe sollte mal jemand verstehen. Trotzdem erfreute es mich, dass egal wie oft sie sich zankten und ihre Machtkämpfe ausübten, ich mir sicher sein konnte, dass sie sich wieder vertrugen. Wie viele Eltern meiner Freunde getrennt waren... Doch darüber musste ich mir nie Sorgen machen.

"Widerlich", entkam es mir im nächsten Augenblick, als mir dann flüchtig die Vorstellung darüber kam, was dort oben gleich passieren würde. Auch Malino schien nicht begeistert, doch er reichte mir plötzlich die Karte und zwinkerte amüsiert.

"Mach dir einen schönen Tag."

"Und du?", hakte ich irrtiert nach, da ich eigentlich wirklich dachte, er würde den Tag mit mir gemeinsam in der Stadt verbringen.

"Ich muss zu Riziero. Schon vergessen?"

Er lief an mir vorbei zur Haustür, doch ich stellte mich ihm eilig in den Weg.

"Hast du Mama eben nicht zugehört?"

"Doch", gab er mir ohne Zögern zurück. "Aber das, was Padre sagt, ist für mich das letzte Wort. Verstehst du?"

"Nein! Ich verstehe nicht", machte ich meiner Wut Luft und selbst, als neben uns die Haustür aufging, löste ich meine Augen nicht von Malinos. "Riziero ist ein Idiota, aber er hat es verstanden, dass er mich in Ruhe lassen soll!"

"Sah auf der Party anders aus."

"Und bin ich nicht gut damit alleine klar gekommen?!"

Wir fixierten uns, doch er schmunzelte nach kürzester Zeit und wandte seinen Blick zur Seite. Ich tat das gleiche und sah Elio entgegen, der irrtiert zwischen uns hin und hersah.

"Was ist los?", wollte er wissen, da schlug Malino ihm auf die Schulter und lehnte sich nah zu ihm.

"Pass auf unsere kleine Schwester auf. Ich muss los."

"Ich bin älter als du! Verfluchter Idiota!", wurde ich lauter, da lief er aber bereits an Elio vorbei zur Haustür raus. "Arschloch!", brüllte ich ihm wütend hinterher, da schloss Elio die Haustür und stellte sich genau vor mich.

"Würdest du mir erklären, was los ist?!"

Tief durchatmend fasste ich mir mit zwei Fingern an die Stirn und spürte diesen Druck in meinem Schädel. Wie sehr ich es hasste, wenn keiner auf mich hören wollte. Dazu die Worte meines Vaters, dass er mir einen Mann aussuchen würde. Langsam aber sicher verloren hier alle ihren Verstand! Zwar behaupteten alle immer wieder, ich wäre durchgeknallt und impulsiv, doch mittlerweile war ich anscheinend die einzige, die noch normal agierte.

"Malino soll Riziero Angst machen. Achja, Padre will mir einen Mann aussuchen", erklärte ich Elio dann alles so kurz und knapp wie möglich, der auf meine Worte hin sofort ein besorgtes Gesicht auflegte. Er streckte seine Arme aus und legte ein aufmunterndes Lächeln auf. Das tat er immer wieder, um meine schlechte Laune zu vertreiben. Vielleicht klappte das noch, als ich kleiner war. Umarmungen würden mir aber heutzutage rein gar nichts mehr bringen.

Trotzdem breitete auch ich meine Arme aus und ließ mich von ihm in eine Umarmung ziehen, die wirklich gut tat. Ich zeigte es aber nicht und genoss es im Stillen ganz für mich alleine. Selbst sein Geruch brachte mein Herz dazu, wieder langsamer und rhythmisch zu schlagen.

"Ich rede mit Padre. Du musst sicher nicht irgendeinen Idioten heiraten."

"Sowieso nicht. Vorher erschieße ich den Pfarrer", murmelte ich an seine Schulter und obwohl Elio lachte, wusste ich, dass ich es durchziehen würde.

"Na also. Dann ist das ja geklärt."

Wir lösten uns wieder voneinander, wobei er plötzlich verwirrt zu meiner Hand herabsah. Auch ich blickte herab und erkannte Papas Kreditkarte. Ein schelmisches Grinsen breitete sich in meinem Gesicht aus.

"Lust auf einen Tag ohne jegliche Grenzen?"

"Immer doch."

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Nachdem ich kurz in meinem Zimmer war, mir eine dunkle Jeans und ein weißes Top angezogen hatte und meine Haare hochgebunden hatte, suchte ich wieder das Wohnzimmer auf.

Cecilio, Nunzio, Ayaz und Yavuz saßen immer noch am Tisch und spielten Karten, während die Kanne Kaffe zwischen ihnen von der Haushälterin gerade wieder gefüllt wurde. Die Sonne schien hell herein und natürlich suchten meine Augen sofort die dunklen von Ayaz. Er lächelte kaum merklich, als unsere Blicke sich trafen - doch ich bemerkte auch etwas anderes an ihm. Er schien nervös und löste seinen Blick viel zu schnell wieder von mir, um herab auf seine Karten zu sehen.

"Wohin des Weges?"

Mein Onkel Cecilio musste sich nicht mal zu mir herumdrehen, um wohl zu ahnen, dass ich vorhatte zu gehen. Ich lief an seine Seite und sah mir flüchtig seine Karten an, um auch das viele Geld in der Mitte des Tisches ins Visier zu nehmen.

"Nives?"

"Nur shoppen mit Elio", beantwortete ich seine Frage und er nickte nachdenklich zu mir auf. In dem Moment kam auch Elio ins Wohnzimmer, der eine helle Jeans und ein schwarzes Shirt trug.

"Dann viel Spaß euch", kam es von Cecilio und ebenfalls von Nunzio. Wir bedankten uns und wollten schon gehen, da ertönte erneut seine Stimme. "Sieht aus, als wärst du raus. Pass gut auf sie auf. Man weiß ja nie, wer auf die verdammt blöde Idee kommt, sich ihr zu nähern", sprach Cei amüsiert zu Ayaz, der meinen Onkel für den Bruchteil einer Sekunde fassungslos musterte. Als er anschließend seine Karten ablegte, mischte ich mich aber schon ein.

"Elio ist bei mir. Das reicht", versuchte ich auf meinen Onkel einzureden, da meldete sich aber Yavuz zu Wort.

"Mein Neffe wird nicht fürs Karten spielen bezahlt."

Ich genoss zwar Ayaz Nähe, jedoch nicht dann, wenn ich mit meinem Bruder einfach nur einige Stunden in der Stadt abschalten wollte. Trotzdem wiedersprach ich nicht weiter und beobachtete Ayaz, der sich erhob und uns voraus nach draußen lief. Elio folgte ihm als erster.

"Nives", hörte ich meinen Onkel noch mal und als ich seinen Rücken abwartend betrachtete, drehte er sich zu mir herum. "Sauber bleiben."

Ich zog eine genervte Grimasse und folgte den anderen nach draußen. Yavuz hatte Ayaz wohl die Schlüssel von seinem Mercedes gegeben, denn er öffnete diesen und hielt mir und Elio die hintere Tür zuvorkommend auf. Elio stieg als erster ein und ich warf noch einen kurzen Blick zu Ayaz auf.

"Danke", gab ich ohne jegliche Emotion von mir. Als ich aber plötzlich bemerkte, wie seine Hand die meine streifte, weiteten sich meine Augen und ich hielt für einen Moment inne.

"Gerne", flüsterte er zu mir herab und erst, als sein Daumen sich wieder von meinen Handrücken entfernte, stieg auch ich mit einer Gänsehaut auf den Armen ins Auto ein.

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