20 | Medusa

Die Dämmerung setzte bereits ein, als das Taxi vor der Villa auf der Straße anhielt. Die letzten Stunden sind viel zu schnell an mir vorbei gezogen und ich träumte kurz vor mich hin, da öffnete mir aber unser Pförtner freundlich die Tür des Taxis und bezahlte auch gleich.

"Was ist mit dem Jungen passiert?", fragte ich nach und natürlich wusste unser Pförtner, dass ich Riziero meinte.

"Es geht ihm gut. Der Krankenwagen hat ihn mitgenommen."

Ich ließ es mir nicht anmerken, jedoch erleichterte mich diese Auskunft. Tief durchatmend lief ich durch das breite Tor und auch weiter die Einfahrt hoch, wo mir plötzlich Jennifer und Nunzio entgegen kamen.

"Wo warst du? Du hast so viel verpasst", erklärte Nunzio und auch Jennifer sah mich fragend an.

"Nur auf dem Markt spazieren", antwortete ich. "Was habe ich den verpasst?"

"Naja", grinste Nunzio und fuhr sich mit einer Hand durch deine dunklen Haare. "Sagen wir, Cecilio und Adamo sollten keine Gesellschaftsspiele mehr miteinander spielen. Dazu ist dein Vater schon früh mit Malino und Elio abgehauen und deine Mutter hatte wohl ein paar Gläser Wein zu viel."

"Dio Mio. Also wie immer."

Ich schüttelte lächelnd den Kopf und umarmte beide noch zum Abschied, um mich auf den Weg nach innen zu machen.  Aus dem Wohnzimmer heraus hörte ich Stimmen und als ich dieses neugierig betrat, erkannte ich Enzo und Antonio auf dem Sofa. Sie schauten einen Film, unterhielten sich und aßen dabei Popcorn.

"Wo warst du?"

Erschrocken fiel mein Blick zur Seite in die offene Küche. Cecilio stand an der Theke und schenkte sich ein Weinglas ein, während er mich intensiv musterte.

"Auf dem Markt."

"Ach, auf dem Markt", wiederholte er mich grinsend und allein seine Tonlage reichte aus, um zu wissen, dass er mir nicht glaubte. "Was gab es denn so auf dem Markt zu sehen?"

Sein dämliches Grinsen wurde nur noch breiter, während er sich einen Schluck seines Glases genehmigte.

"Drei Russen und ein Türke."

Cecilio hob nachdenklich eine Augenbraue und wollte mir gerade etwas erwidern, da tauchte mein Opa aber genau neben mir auf und legte mir seinen Arm um den Rücken.

"Deine Mutter hat sich Sorgen gemacht. Wie wäre es, wenn du ihr bescheid sagst, dass du zu Hause bist?"

"Natürlich, Opa", lächelte ich freundlich und gab ihm einen Kuss auf seine Wange, um noch schnell zu Antonio an die Couch zu laufen. "Gute Nacht, kleines Monsterchen", sprach ich ihm zu und wirbelte einige Male wild durch seine Haare. Anschließend suchte ich den Weg nach oben und klopfte bei dem Schlafzimmer meiner Eltern angekommen an die Tür. Da meine Mutter nicht reagierte, öffnete ich die Tür und linste hinein.

"Mama?", fragte ich in die Stille und erkannte durch ihr kleines Nachtlicht, dass sie mit einem Buch in der Hand eingeschlafen war. Mit leisen Schritten lief ich auf sie zu und sah mir flüchtig die Fotos auf ihrem Nachttisch an. Da stand eines von Elio, Malino und mir - eines von Antonio und Julia und das dritte zeigte Papa.

"Nives?"

Meine Mutter schlug verschlafen ihre Augen auf und sah fragend zu mir auf.

"Ich wollte nur bescheid sagen, dass ich zu Hause bin", erklärte ich, da legte sie ein sanftes Lächeln auf, atmete tief durch und setzte sich auf.

"Danke", hauchte sie und legte das Buch beiseite, um mich für einen kurzen Moment nachdenklich zu mustern. "Geht es dir gut?"

Eigentlich hätte ich ja sagen wollten, so wie ich es immer tat. Aber ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass etwas nicht mit mir stimmte. Vor allem, da ich anscheinend schon Wut empfand, wenn Frauen sich Ayaz näherten. Meiner Ansicht nach, war dieses Verhalten nicht normal... Bei Riziero hatte es Monate gedauert, bis ich erste Anzeichen von verliebt sein gespürt hatte. So etwas passierte nicht, wenn man jemanden neu kennen lernte.

"Ich weiß es nicht", gab ich meiner Mutter also ehrlich zurück und ließ mich dabei neben ihr auf der Bettkante nieder. "Ich bin ständig so wütend und kann gar nichts dagegen tun. Dazu verärgere ich alle um mich herum und hab das Gefühl, ihr verheimlicht mir was."

Meine Augen trafen auf die meiner Mutter und voller Sorge musterte sie mich, ehe sie meine Hand behutsam in ihre nahm.

"Du verärgerst niemanden, mein Küken", sprach sie mit sanfter Stimme. "Dein Vater und ich sind stolz auf dich und wir stehen immer hinter dir. Natürlich machen wir uns aber auch Sorgen. Vor allem, wenn du immer mit dem Kopf durch die Wand rennst."

Nachdenklich starrte ich zu Boden herab, während sie tief Luft holte.

"Und ja, es wird immer Geheimnisse geben, Nives. Der Grund, warum wir euch nicht alles aus der Vergangenheit erzählen wollen, ist ganz einfach. Ihr braucht euch um diese Dinge keine Gedanken machen."

"Aber warum?", widersprach ich ihr und nahm meine Hand dabei aus ihrer, um hektisch aufzustehen. "Warum darf ich nicht selbst entscheiden, was ich wissen möchte oder nicht?"

"Weil es vollkommen uninteressant ist! Es würde dich nur verwirren und du sollst dein Leben genießen können."

"Ich kann es aber nicht genießen!", wurde ich lauter und spürte bereits wieder diese unbändige Wut in mir aufsteigen. "Jeden Tag erfahre ich neue Kleinigkeiten. Ich höre dich und Papa reden! Ich sehe Onkel Cecilio, der Waffen im Poolhaus lagert! Dazu stichelt jetzt auch noch Malino, dass ich Papa nicht kennen würde! Selbst dieser mir auferlegte Bodyguard scheint mehr über meine Familie zu wissen, als ich!"

Ich spürte mein Herz, wie es immer schneller klopfte und schnappte nach Luft. Meine Mutter machte sich Sorgen um mich und stand so hektisch auf, dass ihr weißes Shirt etwas hoch rutschte und ich plötzlich ein Tattoo an ihrem Unterbauch entdeckte. Sie trug nie bauchfrei und auch nie Bikinis. War dieses Tattoo der Grund dafür?

"Du hast mir gesagt, du hättest keine Tattos?", entkam es mir und sofort zog meine Mutter ihr Shirt wieder runter, um mich entschuldigend anzusehen.

"Das ist nichts. Nur eine Dummheit meiner Jugend", erklärte sie. "Und das mit Cecilio und Malino -", wollte sie weiter über das vorherige Thema sprechen, da lief ich aber einen Schritt auf sie zu und hob ihr Shirt an. Sie riss ihre Augen fassungslos auf und entzog sich mir, da hatte ich aber bereits die Medusa erkannt.

"Welche Bedeutung hat es?"

"Nives! Es reicht", wurde meine Mutter plötzlich wütend und ich war vollkommen durcheinander, als erste Tränen sich in ihren Augen sammelten. Sie wollte an mir vorbei ins Badezimmer, da hielt ich sie jedoch am Arm zurück.

"Mama! Was ist los!? Bitte sag es mir doch", sprach ich auf sie ein, da lief sie jedoch weiter und knallte mir vor der Nase die Tür zu. Mein schlechtes Gewissen überkam mich und ich klopfte noch mehrere Male an die Tür. "Mama! Es tut mir leid! Ich verspreche ich stelle keine Fragen mehr!"

Ich wollte noch mal klopfen, da hörte ich aber plötzlich hinter mir die Stimme meines Vaters.

"Was ist passiert?"

Er kam gemeinsam mit Elio und Malino auf mich zu, da zuckte ich nur unschuldig mit den Schultern.

"Ich wollte nur wissen, warum sie eine Medusa auf dem Unterbauch hat und-"

"Raus!", meinte mein Vater schlagartig vollkommen aufgeregt und stellte sich vor die Tür, um uns drei mahnend anzusehen. "Raus! Sofort!", wurde er nochmals lauter und da man meinem Vater nicht zu widersprechen hatte, verließen wir drei auch schnellen Schrittes das Schlafzimmer. Elio zog die Tür zu und beide nahmen mich ins Visier.

"Was für eine Medusa?", wollte Malino dann wissen und ich zog nur unwissend die Schultern hoch.

"Na, diese Frau da! Medusa eben. Mama hat ein tattoo von ihr auf dem Bauch. Ich wollte doch nur wissen, was sie bedeutet."

"Missbrauch", kam es von Elio, den ich verwirrt anstarrte. "Es bedeutet, dass man einen sexuellen Übergriff überlebt hat."

"Was für ein Schwachsinn", warf Malino ein. "Woher willst du den scheiß wissen?"

"Weil meine Musiklehrerin auch eins hat."

"Ai, Elio!", mischte ich mich nun auch wieder ein. "Als ob Mama sowas passiert ist. Wann soll das gewesen sein? Außerdem muss ein tattoo nicht immer was bedeuten... Oder?"

Ich wurde nun doch nervös und versuchte aber, nicht vom Schlimmsten auszugehen. Ehe wir uns auch weiter Gedanken machen konnten, kam Enzo die Treppe rauf und starrte uns verdutzt an.

"Was macht ihr hier? Eine Flurversammlung?"

Er lächelte uns freundlich entgegen, da sagten wir alle Gute Nacht und verschwanden in unsere Zimmer. Ich konnte diese Thema aber trotzdem nicht ruhen lassen und nahm mein Handy zur Hand, um nach diesem Tattoo zu googlen.  Plötzlich leuchtete jedoch eine Nachricht auf. Ich hatte die Nummer nicht gespeichert und klickte neugierig drauf.

"Die Wunde ist versorgt. Danke noch mal für deine Nichthilfe, kleine Prinzessin."

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