14 | Madrisa

Zu viert saßen wir am Tisch und es verging eine ganze Weile, in der keiner auch nur ein Wort sagte.

Meine Mutter sah immer wieder besorgt zwischen mir und Elio hin und her, während mein Onkel Cecilio seine Augen nur auf meine Mutter gewandt hatte. Ich starrte währenddessen meinen Bruder mir gegenüber an und es tat mir zwar weh, wie niedergeschlagen er wirkte - jedoch hatte er ja selbst schuld. Wie oft hatte ich ihn vor dieser falschen Schlange gewarnt? Ich konnte es nicht mal mehr aufzählen...

"Also-", fing meine Mutter dann an, die Stille zu unterbrechen und rührte dabei mit einem Löffel in ihrem Tee herum. "Möchte einer von euch etwas von heute Abend erzählen? Ich meine, ihr könnt mir alles sagen und ich werde versuchen euch zu helfen, so gut es mir möglich ist."

"Weißt du, wie du mir helfen könntest", erwiderte ich ihr und bemerkte dabei ihr mildes Lächeln, dass ihr aber schnell wieder verging. "Kündige dieses Arschloch von Möchtegern Bodyguard."

Irrtiert zog sie ihre Stirn in Falten und schien anscheinend nicht zufrieden mit meiner Aussage. Mir egal. Der Typ musste weg, erst Recht, nachdem mein Vater ihm gedroht hatte. Er würde mich sicher bei jeder Gelegenheit verraten, die sich ihm bieten würde.

"Das Thema hatten wir doch-"

"Ja, ich weiß!", unterbrach ich sie und zeigte dabei demonstrativ auf meine Wange. "Aber wie du siehst, kann er mir sowieso nicht helfen, wenn es drauf ankommt! Er ist vollkommen unbrauchbar und eine scheiß Petze!"

"Halt einfach - nur ein einziges Mal - deinen Mund!"

Erschrocken fiel mein Blick zu Elio zurück, der mich in diesem Moment so bösartig fixierte, dass es mir kurz die Sprache verschlug.

"Du denkst immer, alles würde sich um dich drehen und du wärst der Mittelpunkt! So ist es aber nicht!"

Er wurde immer lauter und ich hatte ja noch keine Ahnung darüber, was überhaupt los war. Jedoch würde er es mir schon früh genug offenbaren. Trotzdem fühlte ich mich mehr als nur verletzt, denn so sprach Elio sonst nie mit mir.

"Was soll das?", wollte meine Mutter ebenfalls von ihm wissen, doch die Augen meines Bruders fixierten weiterhin nur mich alleine.

"Was das soll?!", wiederholte er sie und setzte ein düsteres Lächeln auf seine Lippen, dass vor Verachtung strotzte. "Genau das frage ich mich auch! Warst du nicht letzte Woche bei Madrisa und hast ihr gedroht, die umzubringen, sollte sie sich nicht von mir fernhalten?!"

Und da wurde mir klar, wieso er so sauer auf mich war.

"Ja! Ich war bei ihr, aber nur, weil ich dich schützen wollte!"

Welch Ironie, wenn man bedachte, dass meine Mutter mir mit den selben Worten den Bodyguard erklären wollte...

"Ich brauche niemanden, der mich schützt! Erst Recht niemanden wie dich, der selbst nichts hinbekommt!"

"Ach! Ich bekomme nichts hin?! Ist das dein verfickter ernst!?"

"Wäre ich nicht immer für dich da, hätte ich viel mehr Zeit für Madrisa! Ich könnte an dieser Beziehung arbeiten!"

"Oh mein Gott!", platzte es hysterisch aus mir heraus, während ich so ruckartig vom Tisch aufstand, dass meine Mutter mich erschrocken anblickte. "Du bist so dumm und naiv! Sie würde dich trotzdem betrügen! Sie ist eine dumme Nutte!"

"Beruhigt euch bitte!", warf meine Mutter aufgeregt ein, als Elio ebenfalls aufstand und wir uns nur noch voller Hass ansahen.

"Du hast meine Beziehung zerstört! Danke dafür!", entkam es meinem Bruder, auf den ich dann sofort um den Tisch herum zulief.

"Ich habe etwas zerstört, dass sowieso nie gut gegangen wäre!"

"Wer gibt dir das Recht, dich überhaupt einzumischen!"

"Hört auf!", hörte ich schlagartig die dunkle Stimme meines Onkels hinter uns und drehte mich daraufhin zu ihm herum. Er nickte kaum merklich zu meiner Seite und da bemerkte ich erst, dass meine Mutter aufgrund unser immer lauter werdenden Auseinander, einzelne Tränen vergoss.

"Mama."

Elio lief sofort zu ihr herüber und ging neben ihr in die Hocke, um ihre Hand in seine zu nehmen.

"Alles gut", erklärte sie mit ruhiger Stimme und wischte sich dabei ihre Tränen weg. "Ich ertrage es nur nicht, wenn ihr so miteinander umgeht - das ist alles."

"Wenn er so ein Idiot ist", sprach ich die Wahrheit aus und wurde aber sofort von Cecilio mit einem Blick ermahnt. "Ai, was?", fragte ich patzig nach, da hörte ich aber vor einer Antwort seinerseits Schritte hinter mir aus dem Flur.

"Ist es denn schon morgens?"

Antonio gähnte und stand mit seinem Mario Pyjama barfuß auf den hellen Fliesen, um sich verschlafen die Augen zu reiben.

"Schön wär's", gab ich ihm zurück und da ich weder Lust hatte, noch weiter zu diskutieren - noch dazu, meine Gefühle hier zu offenbaren, lief ich zu meinem kleinen Bruder und nahm seine Hand fest in meine. "Was hälst du davon, heute bei mir zu schlafen?"

"Jaaa!", freute er sich und bevor ich mit ihm den Hausflur aufsuchte, suchte ich noch einmal den Blick meines Bruders.

"Wenigstens einer, der meine Nähe zu schätzen weiß!"

____

Müde öffnete ich meine Augen und spürte immer noch die Auswirkungen dieser Nacht. Meine Wange pochte - meine Gedanken kreisten um meinen Bruder und dazu, hatte ich immer noch viele Fragen in meinem Kopf, die sich um meine Familie drehten.

"Bist du wach?"

Antonio saß neben mir auf meinem Bett und musterte mich grinsend. Am liebsten hätte ich sofort wieder meine Augen geschlossen und weiter geschlafen - doch heute war Sonntag... und zwar der erste des Monats. Meine gesamte Familie würde herkommen um langweilige Gespräche zu führen und zu grillen, was mich bereits jetzt frustriert durchatmen ließ.

"Halloooo!! Steh auf!"

"Hör auf mich anzuschreien und geh jemand anders nerven!", warnte ich meinen Bruder, der aber plötzlich kicherte und aufstand. Irritiert darüber, wollte ich meinen Oberkörper erheben, da schlug er mir aber ein Kissen mit solcher Wucht ins Gesicht, dass mein Kopf begann zu dröhnen.

"Fang mich doch!"

"Du kleiner Giftzwerg!"

Er wollte gerade über mich aus dem Bett springen, da umfasste ich aber seine Beine und er fiel mit einem Purzelbaum zu Boden. Sein erschrockener Ausdruck war so süß, dass ich trotz seiner frechen Aktion zuvor auflachen musste.

"Du siehst so doof aus, wenn du dir weh tust", lachte ich immer lauter, da schmiss er mir erneut ein Kissen wütend ins Gesicht und lief zur Tür.

"Keine Freunde mehr!", meckerte er und verließ mein Zimmer. Mir war aber klar, dass das bei ihm nur bedeutete, dass er einen für ein paar Stunden in Ruhe lassen würde. Und die nutzte ich an diesem Morgen für mich.

Ich krabbelte aus meinem Bett, stellte auf meinem Handy Musik an und begann dabei mein Zimmer etwas aufzuräumen. Die Gedanken an Ayaz, Riziero und Elio verdrängte ich die gesamte Zeit über so gut es ging und nachdem ich mir ein weißes Shirt und eine Jogginghose angezogen hatte, suchte ich schließlich noch das Badezimmer auf und machte mich fertig für den Tag.

"Scheiße! Was ist dir denn passiert?"

Mein Blick fiel vom Spielen zu Malino, der außer Stella der einzige war, der von Riziero wusste. Zumindest wusste er, dass ich auf ihn stand und wir schon rumgemacht hatten.

"Riziero hatte was mit einer anderen", erklärte ich und wollte aber schnell das Thema wechseln, während ich Wimperntusche auftrug und er sich neben mir die Zähne putzte. "Wie war es im Club?"

"Ganz okay", meinte er und wich meinem Blick aber aus, was mich stutzig machte.

"Ganz okay?", wiederholte ich ihn, doch er versuchte wohl genau wie ich, das Thema zu umgehen.

"Du weißt, dass ich Riziero dafür tot schlage?"

"Ach, Malino. Glaub mir, er hat seine Lektion gelernt. Außerdem bin ich gefallen, als wir uns gestritten haben."

"Nicht wegen deiner Wange, sondern weil dieser Bastard dich betrogen hat. Warte einfach ab, was ich morgen in der Schule mit ihm mache."

"Malino! Es ist alles gut jetzt!"

Er hörte mir gar nicht mehr zu und spülte noch seinen Mund aus, um anschließend sein Hemd zu richten. Erst da fiel mir überhaupt seine Aufmachung auf. Statt Hoddie wie sonst, trug er plötzlich ein schwarzes Hemd und auch seine Hose war elegant, was noch mehr Chaos in meinen Verstand brachte.

"Ich weiß schon, dass du Papa vergötterst. Das heißt aber nicht, dass du ihn kopieren musst."

"Du hast ja keine Ahnung, wer Padre überhaupt ist."

Mit diesen Worten verschwand er wieder aus dem Bad und ließ nichts zurück, außer Fragezeichen... Irrtiert sah ich ihm nach und betrachtete mich noch flüchtig im Spiegel, um ihm daraufhin neugierig zu folgen.

"Malino?! Was meinst du damit?", rief ich ihm hinterher und durchquerte den Flur, um an den Treppen angekommen schnell nach unten zu eilen. "Malino! Warte!"

In dem Moment, als ich um die Ecke wollte, knallte ich schlagartig gegen jemanden und sofort wollte ich schon patzig werden, da sah ich aber auf in diese krassen, blauen Augen.

"Ciao, Nives", begrüßte mich mein Onkel Dario, der gleich wieder einen Schritt von mir zurückwich. Man könnte meinen, ich hätte eine tödliche Krankheit oder sowas - bei ihm war das aber normal, dass er einem nie zu nahe stand. Mein Vater meinte, er wäre als Kind zu oft auf den Kopf gefallen - meine Mutter meinte, er hätte ein Trauma.

"Ciao, Dario", erwiderte ich ihm freundlich und kurz standen wir uns einfach nur gegenüber und starrten uns mit einem höflichen Lächeln an. Er hatte wohl genauso wenig Ahnung davon, über was er mit mir reden sollte, wie ich. Nur wurde es mir schnell unangenehm, sodass ich das Schweigen unterbrach. "Und, wie läuft es so?"

"Gut", antwortete er knapp und ich war nie so erleichtert, wie in diesem Augenblick, als hinter mir die Haustür aufging.

"Na ihr."

Onkel Adamo und Stella traten gemeinsam ein, wovon Letztere sofort meine Wange ins Visier nahm.

"Was ist passiert?! Ich hab dich überall gesucht, aber du-"

"Schon gut. Alles geklärt", versuchte ich sie zu beruhigen und nachdem meine Onkel an uns vorbei ins Wohnzimmer verschwanden, erzählte ich ihr in Ruhe die gesamte Geschichte.

"Dieser Wichser!", regte sie sich auf und zog ihre Lederjacke dabei aus, unter der sie nur ein knappes, schwarzes Kleidchen trug. "Das müssen wir dem heimzahlen. Ich ficke seinen Vater und die Eltern trennen sich! Das hat er davon!"

"Du weißt doch nicht mal, wie sein Vater aussieht, oder?"

"Na und. Tequila regelt", lachte sie und obwohl ich mir sicher war, dass sie nur scherzte, war sie trotzdem dazu im Stande. Sie hatte schon öfter was mit älteren und genoss ihre Freiheit in vollen Zügen.

"Tequila? Ohne mich?"

"Du bist hier?!", freute ich mich über meine Cousine Julia, die sonst nie Zeit hatte uns zu besuchen. Sie war Darios Tochter und erfolgreiches Model mit ihren 26 Jahren. Ich war oft neidisch, da sie die ganze Welt bereiste, doch sie brachte uns fast immer die neusten Kleider und Taschen mit, was meinen Neid wieder verdrängte.

"Ja, aber nur heute und morgen - dann muss ich wieder los."

Sie umarmte uns beide und ich musterte anschließend ihre hellen blauen Augen, die pechschwarzen Haare und ihre makellose Haut. Sie war wirklich Darios Ebenbild - zumindest vom optischen. Charakterlich lagen sie weit auseinander. Er in sich gekehrt und zeigte keiner Emotion - sie war offenherzig und lachte viel und ausgiebig. Wahrscheinlich hatte sie das von ihrer Mutter, die leider viel zu früh von uns gegangen war. Ein Autounfall, genau wie Stellas Mutter, die bei einem Raubüberfall erschossen wurde.

"Also, erzählt was so los ist bei euch", strahlte sie und ich dachte schon, ihr Lächeln könnte nicht noch glücklicher werden, da ging aber hinter uns die Haustür auf. "Zioooo!", quiekte sie und auch Nunzio strahlte und nahm sie sofort fest in seine Arme.

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