Kapitel 6 - Der Feind meines Feindes ist mein Freund
„Wo bleibt mein Essen, bei Salazar!"
Die kalte Stimme hallte in dem steinernen Raum wider. Mehrere Todesser zuckten nervös zusammen. Ihr Anführer schien heute ganz besonders schlechte Laune zu haben und das war nie ein gutes Zeichen.
„Wird's bald? Wo ist dieser verfluchte Hauself? Travers, schau nach, was da so lange dauert!"
Der angesprochene Mann nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und verließ dann eilig das kahle Esszimmer. Den Boss sollte man lieber nicht warten lassen, das hatte er in der Vergangenheit schmerzhaft schnell gelernt.
„Boss? Hopkins ist hier", meldete sich ein anderer Todesser zögerlich zu Wort.
„Schickt ihn rein", antwortete die schneidende Stimme.
Die Tür, die das Esszimmer mit dem Flur verband, wurde auf die Aufforderung hin aufgestoßen. Ein kleiner, drahtiger Mann wurde hineingeführt, flankiert von zwei Todessern. Etwa zwei Meter vor dem Tisch blieben sie stehen und verbeugten sich gemeinsam in Richtung des thronähnlichen Stuhls, auf dem der Anführer der Tod-esser Platz genommen hatte.
„Hopkins. Was hast du zu berichten?"
Wayne Hopkins richtete sich auf, hielt seine Augen aber auf den Boden fixiert. „Nun, Herr, ich habe gute Neuigkeiten! Die Auroren haben bislang keine Ahnung von Ihren Plänen. Sie tappen im Dunkeln, ganz wie Sie es vorhergesagt haben. Ich bin ja erst in der Ausbildung und habe daher keinen Zugang zu den Akten mit höheren Sicherheitsfreigaben, aber ich habe Weasley und Robards über den Fall reden gehört. Ihr einziger Verdächtiger ist immer noch Draco Malfoy. Sie denken, er wäre das Oberhaupt der Garde, deshalb ist Potter auch in Hogwarts. Er überwacht ihn."
Ein kleines, selbstzufriedenes Lächeln breitete sich im Gesicht des Anführers aus, was die anwesenden Todesser aufatmen ließ. Vielleicht würde sich die Laune des Bosses doch noch bessern.
„Gut. Sehr gut! Sorg dafür, dass das auch so bleibt. Es ist zwar fast schon beleidigend, dass die Auroren glauben, Malfoy wäre auch nur annähernd intelligent genug, das zu schaffen, was ich hier aufgebaut habe. Aber wenn die Auroren glauben, dass Malfoy unsere Dunkle Garde anführt, dann wird sie das von unseren tatsächlichen Plänen ablenken. Zumindest so lange, bis es zu spät ist."
Hopkins setzte zu einer weiteren tiefen Verbeugung an. „Ich tue alles, was Sie verlangen, Boss."
„Das weiß ich doch, Hopkins. Informiere uns sofort, falls es neue Entwicklungen gibt, verstanden?"
„Verstanden, Herr."
„Perfekt. Du bist für heute entlassen."
Der Auror-in-Ausbildung verbeugte sich ein letztes Mal und wurde dann von den beiden Todessern neben ihm aus dem Raum geführt. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, beugte sich der Todesser, der dem Anführer der Dunklen Garde am nächsten stand, in dessen Richtung.
„Herr, darf ich eine Frage stellen?", setzte er zögerlich an. „Ich möchte wirklich nicht respektlos erscheinen, aber ist es eine gute Idee, diesem dreckigen Halbblut Hopkins zu vertrauen?"
„Keine Sorge, Selwyn." Das Lächeln im Gesicht des Anführers vertiefte sich. „Ich vertraue niemandem mit unreinem Blut, schon gar keinem feigen Hufflepuff-Abschaum. Aber im Moment ist Hopkins uns nützlich: Sein Hass auf seinen Muggel-Vater macht ihn zu einem perfekten Spitzel bei den Auroren. Das wird allerdings nicht immer der Fall sein. Sobald er keine nützlichen Informationen mehr liefert, werden wir uns seiner entledigen. Und dann vernichten wir unsere Feinde, einen nach dem anderen. Angefangen mit Potter und Malfoy."
Der Todesser nickte. „Ich hätte wissen müssen, dass Sie einem Blutsverräter nicht vertrauen, Herr, Entschuldigung. Und...darf ich fragen, wie Sie mit Ihren Plänen vorankommen? Ist das Gerät bald einsatzbereit?"
„Lange wird es nicht mehr dauern. Ein paar Monate noch und dann ist alles bereit."
Selwyn verzog den Mund zu einem grausamen Lächeln. „Ich freue mich schon auf diesen Tag."
„Ich mich auch, Selwyn, ich mich auch." Der Anführer der Todesser lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. „Und weißt du, was das Beste ist? Sie werden ihren Untergang nicht einmal kommen sehen. Keiner von ihnen."
*****
„Wirklich viel Positives zu berichten gibt es leider nicht."
Rons Stimme, die aus dem Kamin kam, klang genauso frustriert, wie Harry sich fühlte.
„Gestern gab es einen weiteren Vorfall. Das Geschäft eines muggelstämmigen Zauberers in der Winkelgasse wurde ausgeraubt und verwüstet. Glücklicherweise gab es dieses Mal keine Todesopfer, denn der Besitzer war zum Zeitpunkt des Überfalls nicht im Haus. Ansonsten entsprach das Vorgehen genau dem, was wir in den letzten Monaten immer wieder beobachtet haben: Kein dunkles Mal am Himmel, dafür diese komischen Zeichen im Haus."
„Konntet ihr jemanden festnehmen?", fragte Harry, obwohl er nicht damit rechnete. Ron hätte diese Info nicht so lange zurückgehalten.
„Nein, wir wurden viel zu spät gerufen. Als wir ankamen gab es von den Todessern keine Spur mehr."
„Verdammter Mist!"
„Das kannst du laut sagen", sagte Ron seufzend. „Naja, das ist eigentlich auch schon alles, was es zu dem Fall Neues gibt. Wobei Neues vielleicht ein bisschen übertrieben ist. Malfoy ist also weiterhin unsere einzige Spur. Wie kommst du mit ihm voran?"
„Überhaupt nicht", antwortete Harry erschöpft. „Die Durchsuchung seines Zimmers hat rein gar nichts ergeben und auch sonst verhält Malfoy sich nicht verdächtig. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Klassenzimmer für die Unterrichtsvorbereitung. Er bekommt nur Post von seiner Mutter, niemand hat bislang versucht, mit ihm über das Flohnetzwerk Kontakt aufzunehmen und er schleicht sich nachts auch nicht zu irgendwelchen geheimen Treffen. Das einzig Verdächtige sind die vielen Schutzzauber über seinem Schlafzimmer, aber wenn er da irgendetwas versteckt, dann so gut, dass ich es nicht finden konnte. Er ist zwar immer noch genauso nervtötend wie früher, aber ansonsten habe ich keine einzige Spur, keinen Hinweis auf irgendwelche bösen Absichten finden können. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er ist sauber."
„Heißt das, du glaubst nicht mehr, dass Malfoy unser Mann ist?"
Rons schockierter Blick war selbst durch das grüne Kaminfeuer hindurch deutlich zu erkennen.
„Ich...weiß es nicht, Ron. Ich weiß es wirklich nicht. Noch vor einigen Wochen hätte ich geschworen, dass Malfoy der neue Anführer der Todesser ist. Aber jetzt...wenn er es ist, dann geht er jedenfalls geschickter vor, als ich ihm zugetraut hätte."
„Das wird Robards überhaupt nicht gefallen."
„Deshalb wirst du ihm auch noch nichts sagen. Ich will erst ganz sicher sein, dass Malfoy schuldig oder unschuldig ist. Es wäre keinem geholfen, wenn Robards mich vorzeitig aus Hogwarts abzieht und sich dann herausstellt, dass Malfoy doch keine weiße Weste hat."
„Na gut. Aber lass dir nicht zu viel Zeit, Harry. Wir brauchen einen Erfolg in diesem Fall, und wir brauchen ihn schnell. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Todesser wieder die Bevölkerung terrorisieren. Die Zahl der Opfer hält sich momentan noch in Grenzen, aber man merkt, dass die Angst vor Überfällen zunimmt. Dabei hatten wir alle gehofft, dass wir das mit Voldemort hinter uns gelassen haben."
Harry fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare. „Das weiß ich doch, Ron. Niemand will mehr als ich, dass alle Verantwortlichen hinter Schloss und Riegel kommen."
„Hast du denn einen Plan, wie du weiter vorgehen willst?"
„Ich arbeite dran."
Ron zögerte für einen kurzen Moment. „Als letztes Mittel käme immer noch Veritaserum in Frage."
Harry warf seinem besten Freund einen scharfen Blick zu. „Du weißt genau, dass wir das Wahrheitsserum nur bei begründetem Verdacht einsetzen dürfen. Und bislang habe ich keinen einzigen Beweis, der einen solchen Einsatz rechtfertigen würde."
Ron seufzte tief. „Ich weiß. Aber Malfoy hat immerhin das Dunkle Mal auf seinem Arm. Reicht das nicht aus?"
Harry verschränkte die Arme vor der Brust. „Für mich nicht. Außerdem gehe ich sowieso davon aus, dass Malfoy ausreichende Okklumentik-Kenntnisse besitzt, um der Wirkung von Veritaserum zu widerstehen."
„Okay, okay", Ron hob beschwichtigend die Hände, „ich werde dir nicht reinreden, wie du den Fall anzugehen hast. Du warst immerhin derjenige, der sich nach Hogwarts hat versetzen lassen, weil er überzeugt war, dass Malfoy etwas im Schilde führt. Aber egal was du vorhast, du solltest dich lieber beeilen, denn Robards wird ungeduldig. Ich glaube, seine Vorgesetzten machen ihm ziemlich Druck."
„Ich lasse mir etwas einfallen, ich versprech's. Irgendwie werde ich Malfoy aus seiner Deckung locken und dann werden wir ein für alle Mal wissen, ob er wieder mit den Todessern unter einer Decke steckt oder nicht."
Harry hatte zwar noch keine Ahnung, wie genau er das anstellen sollte, aber irgendetwas würde ihm schon einfallen. Das tat es immer.
„Okay. Sag Bescheid, wenn wir dich dabei irgendwie unterstützen können. Oder du doch Veritaserum brauchst."
Harry rollte mit den Augen. „Das werde ich nicht, aber danke."
„Sag niemals nie", erwiderte der rothaarige Auror grinsend. „Jetzt aber mal was ganz anderes: Wann willst du eigentlich diese Sache mit meiner Schwester klären?"
Harry stöhnte. Das war noch so ein unangenehmes Thema, das er lieber vermieden hätte. Aber andererseits konnte Ron ihm in dieser Sache vielleicht wirklich helfen.
„Ron, ich bin wirklich nicht derjenige, der das in der Hand hat. Ginny redet seit Wochen nicht mit mir. Meine Briefe ignoriert sie, meine Flohpulver-Anrufe nimmt sie nicht an. Ich weiß langsam nicht, was ich noch tun soll."
Ron nickte verständnisvoll. „Du kennst sie doch, sie ist stur wie ein Esel. Aber ich weiß, dass sie dich vermisst. Ich war am Wochenende im Fuchsbau, um Mama und Papa zu besuchen und es war offensichtlich, dass es Ginny nicht gut geht."
„Aber was soll ich denn noch machen? Ich will mich ja mit ihr aussprechen, aber sie will das offensichtlich nicht. Kannst du vielleicht mal mit ihr reden?" Frustriert zupfte Harry an einer der Haarsträhnen, die ihm wieder einmal ins Gesicht fielen.
„Bin ich bescheuert?", antwortete Ron lachend. „Ich bin doch nicht so blöd, mich in eure Beziehung einzumischen. Nein, nein, auf die Flüche, die Ginny mir zum Dank auf den Hals hetzen würde, kann ich gut verzichten."
„Ein Einmischen verlange ich ja auch gar nicht von dir", entgegnete Harry augenrollend. „Ich will doch nur, dass du sie überredest, mit mir zu sprechen. Sonst nichts, okay? Sag ihr nur, dass sie mit mir reden soll. Diese Funkstille treibt mich in den Wahnsinn."
„Na gut, ausnahmsweise."
Harry lächelte erleichtert.
„Danke, Ron."
„Kein Ding. Dafür sind beste Freunde doch da."
*****
Nachdem er das Gespräch mit Ron beendet hatte, machte Harry sich eilig auf den Weg in die große Halle. Er war spät dran für das Abendessen, das bereits vor fünf Minuten begonnen hatte. Normalerweise wäre es ihm nicht so wichtig gewesen, pünktlich zu sein, aber gerade heute würde dieser vermaledeite Duellierclub starten, den Minerva ihm aufgezwungen hatte. Und die Schulleiterin hatte angekündigt, vorher noch einmal mit ihm und Malfoy sprechen zu wollen.
Kurz darauf ließ Harry sich außer Atem auf seinen Platz am Lehrertisch fallen. Malfoy, der bereits dabei war, eine Portion Roastbeef mit Yorkshire Pudding zu verspeisen, warf ihm einen durchdringenden Blick zu. Minerva hingegen begrüßte ihn mit einem Lächeln.
„Da bist du ja, Harry! Sehr schön. Dann können wir uns ja kurz besprechen. Die wichtigsten Regeln und organisatorischen Punkte hatten wir zwar schon geklärt, aber ein paar Kleinigkeiten sind noch offen. Wie ihr beide wisst, hatten die Schüler ab der vierten Klasse bis gestern Zeit, um sich für den Duellierclub einzutragen. Und wie es aussieht, war das Interesse durchaus hoch."
Das Pergament, das Minerva dabei aus ihrem Umhang hervorzog und auf dem Tisch ausbreitete, wirkte in Harrys Augen alarmierend lang. Hatte sich etwa die gesamte Schule darauf eingetragen?
„Ah ja", fuhr Minerva fort. „Insgesamt haben sich knapp achtzig Schüler dafür entschieden, am Duellierclub teilzunehmen."
„Achtzig?!?", Harry schüttelte fassungslos den Kopf. Der blonde Slytherin neben ihm schaute die Schulleiterin ebenso entgeistert an. „Wie sollen Malfoy und ich denn achtzig Schüler auf einmal betreuen?"
Bei so vielen Personen würde das Duellieren ganz sicher in einer Katastrophe enden, vor allem, weil er und Malfoy niemals alle Schüler gleichzeitig im Blick behalten konnten. Und da die Verletzungsgefahr gerade bei ungeübten Duellanten ein großes Problem darstellte, konnte das wirklich böse enden.
„Wir könnten euch dabei helfen", meldete sich plötzlich eine weibliche Stimme von Harrys rechter Seite zu Wort. Tracy Jones, die Lehrerin für Muggelkunde, mit der Harry bislang nur einzelne Sätze gewechselt hatte, hatte sich vorgebeugt und schaute an Malfoy vorbei zu Harry und Minerva. „Sorry, Minerva, ich wollte euch nicht unterbrechen. Aber falls Harry und Draco Hilfe brauchen, würden Mike und ich sehr gerne bei dem Duellierclub helfen. Das klingt nach einer Menge Spaß. Oder, Mike?"
„Klar", erwiderte Michael O'Sullivan neben ihr mit einem Grinsen. „Duellieren ist immer ein riesiger Spaß."
„Eine fantastische Idee, danke, Tracy! Ich denke, Harry und Draco können die Hilfe gut gebrauchen."
Tracy lächelte erfreut und zwinkerte – zu Harrys Erstaunen – Malfoy zu, bevor sie sich wieder ihrem Essen widmete.
„Gut, dann wäre ja alles geklärt. Nach dem Ende des Abendessens könnt ihr die Große Halle nutzen, denn ich fürchte, keines unserer Klassenzimmer bietet genügend Raum für mehr als 80 Personen. Ich wünsche euch viel Spaß!"
Mit diesen Worten erhob sich die Schulleiterin von ihrem Platz und ließ Harry mit einem bohrenden Gefühl im Magen zurück. Der Rest des Abendessens verlief für Harrys Geschmack viel zu schnell. Außerdem fehlte es ihm ohne Minerva an Gesprächspartnern, daher lenkte ihn auch nichts von den finsteren Gedanken ab, die er seit der Unterhaltung mit Ron nicht aus seinem Kopf verbannen konnte.
Um Punkt 19 Uhr wartete Harry schließlich zusammen mit Malfoy, Tracy Jones und Michael O'Sullivan darauf, dass sich die große Halle leerte. Langsam tröpfelten tatsächlich Schüler und Lehrer aus dem Raum, aber eine erschreckend große Menge an Gesichtern blieb an den Tischen sitzen. Mit einem Blick auf Malfoy neben ihm richtete Harry seinen Zauberstab auf seine eigene Kehle.
„Sonorus."
Als er sicher war, dass der Zauber wirkte und seine Stimme magisch verstärkte, setzte er an: „Hallo zusammen!"
Er wartete noch einen kurzen Moment, bis die Gespräche der Schüler zu einem leisen Murmeln verstummten. „Herzlich willkommen zu unserem neuen Duellierclub. Wie von Professor McGonagall angekündigt werden wir uns einmal die Woche nach dem Abendessen hier in der großen Halle treffen. Ziel dieses Clubs ist es, euch die Gelegenheit zu bieten, eure Duellier-Fähigkeiten zu erweitern und zu verbessern. Professor Malfoy und ich werden euch dafür demonstrieren, wie ein Duell abläuft und welche Dinge dabei zu beachten sind. Ihr werdet in den nächsten Wochen außerdem einige neue Zauber und Flüche lernen, die während eines Duells sehr vorteilhaft sein können. Ihr werdet natürlich auch die Möglichkeit haben, das Duellieren selbst zu üben. Bevor wir beginnen, möchten wir allerdings ein paar Grundregeln aufstellen, die unbedingt eingehalten werden müssen. Wer gegen diese Regeln verstößt, wird an dem Club leider nicht mehr teilnehmen können."
Harry warf dem Slytherin neben sich einen Blick zu und bedeutete ihm mit einem kurzen Nicken, zu übernehmen. Dieser räusperte sich kurz, setzte dann aber mithilfe des Sonorus-Zaubers zum Sprechen an.
„Die erste Grundregel ist, dass Sie genau das tun werden, was Professor Potter oder ich Ihnen sagen. Wir beide tragen die Verantwortung für diesen Club und dafür, dass Ihnen nichts passiert. Um zu verhindern, dass es zu Unfällen kommt, in denen Sie oder andere ernsthaft verletzt werden ist es daher absolut notwendig, dass Sie unseren Anweisungen sofort und ohne zu zögern folgen."
„Das Gleiche gilt natürlich auch für Anweisungen der Professoren Jones und O'Sullivan, die uns netterweise als Aufsichtspersonen unterstützen", warf Harry ein.
Malfoy nickte zustimmend und fuhr dann mit den zuvor festgelegten Regeln fort: „Unverzeihliche Flüche sind untersagt, ebenso wie jeder andere Zauber, der substanziellen physischen oder geistigen Schaden anrichten könnte. Am besten wenden Sie nur die Zauber an, die Professor Potter und ich Ihnen zeigen."
„Ganz genau", ergriff Harry wieder das Wort. „Hört außerdem sofort auf, euch zu duellieren, wenn euer Gegenüber rote Funken erscheinen lässt. Dieses Stopp-Signal solltet ihr immer verwenden, wenn ihr Schmerzen habt oder Hilfe braucht. Einer der Professoren wird dann sofort zu euch kommen, um nach euch zu sehen."
„Gibt es bis hierhin Fragen?", fragte Malfoy in die Runde. Ein kurzes Raunen ging durch die Reihen der Schüler, aber niemand meldete sich.
„Gut. Steht jetzt bitte alle auf und kommt hier nach vorne." Harry wartete einen kurzen Moment, bis alle Schüler seiner Aufforderung nachgekommen waren und fuhr dann fort: „Um euch zunächst einmal einen Eindruck davon zu verschaffen, wie ein Duell üblicherweise abläuft, werden Professor Malfoy und ich euch die wichtigsten Abläufe nun einmal demonstrieren."
Mit einem Schwenker seines Zauberstabs sorgte er dafür, dass sich die vier großen Haustische in die Luft erhoben und in der Mitte der großen Halle eine Art Bühne bildeten. Zusammen mit Malfoy betrat er diese erhöhte Plattform, während Tracy und O'Sullivan die Bänke zur Seite räumten und sich dann unter die Schüler mischten. Sobald sich alle Schüler um die Bühne versammelt hatten, ergriff Malfoy wieder das Wort.
„Wir werden Sie jetzt Schritt für Schritt durch die Abläufe eines Duells führen. Das Erste, was Sie sich merken sollten, ist, dass die beiden Duellanten normalerweise im Vorfeld jeweils einen Sekundanten benennen. Diese Aufgabe übernehmen für uns heute Professor Jones und Professor O'Sullivan. Aufgabe der Sekundanten ist es, für den Duellanten einzuspringen, falls dieser kampfunfähig sein sollte."
„Genau. Wenn diese Formalitäten geklärt sind und das richtige Duell beginnt, gibt es auch einige Regeln zu beachten. Ein Duell beginnt zum Beispiel immer mit einer förmlichen Verbeugung", nahm Harry den Faden wieder auf. Mit einem Blick auf Malfoy verbeugte er sich tief. Dieser tat es ihm gleich.
„Zweitens: Das Duell beginnt erst dann, wenn sich beide Duellanten drei Schritte voneinander entfernt haben und die korrekte Duellierhaltung eingenommen haben. Diese sieht so aus." Harry trat drei Schritte zurück und nahm die entsprechende Haltung ein. Malfoy, der nun etwa sechs Meter von ihm entfernt stand, tat dasselbe.
„Das Duell beginnt dann auf drei. Also, eins...zwei...drei!"
Bevor Harry reagieren konnte, sauste bereits ein roter Lichtstrahl auf ihn zu. Er biss die Zähne zusammen. Malfoy war wirklich verflucht schnell, oder er hatte schon bei zwei angefangen, was er dem Slytherin durchaus zutraute. Trotzdem war es für Harry ein leichtes, den Schockzauber abzuwehren.
„Protego!"
Ohne Schaden anzurichten prallte Malfoys Stupor an Harrys Schildzauber ab. Ohne den Blick von seinem Gegenüber abzuwenden, da er das in einem echten Duell auch niemals tun würde, wandte Harry sich an die umstehenden Schüler: „Schildzauber sind einige der nützlichsten Zauber in einem Duell, da sie so gut wie jeden Fluch abwehren können. Merkt euch das gut. Ihr solltet niemals vergessen: Eine gute Abwehr ist fast noch wichtiger als eure eigenen Angriffe."
Ohne Luft zu holen, feuerte Harry seinen ersten Zauber ab.
„Impedimenta!"
Malfoy blockte den Lähmzauber seinerseits ab und warf Harry dabei ein spöttisches Grinsen zu.
„Was Sie gerade von Professor Potter gesehen haben, war ein relativ einfacher Fluch, der sehr häufig in Duellen verwendet wird. Mit Impedimenta können Sie Ihren Gegner lähmen oder zumindest seine Bewegungen verlangsamen. Jedenfalls dann, wenn der Zauber trifft. Er ist allerdings längst nicht so hilfreich wie dieser Zauber."
Mit einer elegant aussehenden Drehung seines Zauberstabs schickte der Hauslehrer der Slytherins den nächsten Fluch in Harrys Richtung. Dieser erkannte den charakteristisch weißen Strahl sofort als Ganzkörperklammerfluch und setzte ihn mit einem Finite Incantatem außer Kraft.
„Okay. Petrificus Totalus ist ein nützlicher Zauber in Duellen. Wie die meisten Zauber und Flüche kann er jedoch durch einen einfachen Beendigungs-Zauber wie Finite oder Finite Incantatem neutralisiert werden. Ein weiterer Fluch, den ich sehr gerne in Duellen verwende, ist dieser hier."
Harry ließ seinen Zauberstab in einer schnellen Abfolge durch die Luft sausen. „Tarantallegra!"
Auch dieser Fluch verfehlte Malfoy, der dem heransausenden Strahl ganz einfach auswich. Harry hätte sich vermutlich über Malfoys schnelle, geschickte Bewegungen gewundert, wenn er nicht so von dessen amüsierten Gesichtsausdruck abgelenkt worden wäre.
„Wirklich, ein Tanzfluch? Das lernt man also bei den Auroren, Potter?"
Harry konnte einfach nicht anders. Er grinste den blonden Slytherin an.
„Unter anderem, Malfoy. Allerdings ist es tatsächlich ganz hilfreich, wenn ein Gegner seine Beine nicht mehr unter Kontrolle hat und weiteren Flüchen dementsprechend nicht mehr ausweichen kann." Mit einem Blick auf die gebannt lauschenden Schüler fuhr er fort: „So, ich denke, das waren alle Angriffs- und Verteidigungszauber, die wir euch heute zeigen wollten. Damit ihr aber auch einen Eindruck davon bekommt, wie schnell und intensiv ein Duell normalerweise abläuft, werden Professor Malfoy und ich das nun etwas realistischer demonstrieren. Natürlich werden wir weiterhin nur ungefährliche Zauber wirken, aber so könnt ihr etwas besser einschätzen, was ihr in einem echten Duell zu erwarten hättet. Bereit?", fragte er in Malfoys Richtung gewandt. Dieser nickte und schenkte Harry ein weiteres Grinsen, das vermutlich einen höhnischen oder arroganten Eindruck vermitteln sollte, auf Harry aber irgendwie aufrichtiger wirkte, als sonst.
„Gut, dann los!"
Dieses Mal gab Harry dem Slytherin keine Gelegenheit, den ersten Fluch zu wirken. In einer schnellen Abfolge wirbelte er seinen Zauberstab durch die Luft und bombardierte seinen Gegner mit gleich drei verschiedenen Schockzaubern. Malfoy gab sich jedoch unbeeindruckt und setzte alle drei mit einem ungesagten Finite Incantatum außer Kraft. Sein eigener Angriff folgte kurz darauf. Aber darauf war Harry vorbereitet.
Eine Weile flogen die Flüche und Zauber zwischen ihnen hin und her, ohne ihr jeweiliges Ziel zu treffen. Und obwohl Harry als Auror schon unzählige Duelle geführt hatte und dadurch eigentlich im Vorteil hätte sein sollen, musste er sich eingestehen, dass Malfoy ein würdiger Gegner war. Der Slytherin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fiel auch nicht auf Harrys Tricks und Täuschungsversuche herein. Überraschenderweise kämpfte er allerdings auch sehr fair. Schließlich fand Harry jedoch eine Schwachstelle in Malfoys Verteidigung und es gelang ihm, seinen Gegner mithilfe eines ungesagten Expelliarmus zu entwaffnen. Die umstehenden Schüler brachen in Applaus aus und obwohl Harry vermutete, dass die Niederlage an Malfoys Stolz kratzte, nickte ihm dieser kurz zu. Dann wandte er sich an die Schüler.
„Ich hoffe, Sie konnten einiges von unserer Demonstration lernen. Es gibt allerdings noch eine letzte Regel, die Sie beachten sollten: Wenn das Duell beendet ist, schütteln sich die beiden Gegner die Hände."
Mit diesen Worten machte Malfoy einen Schritt auf Harry zu und streckte ihm seine Hand entgegen. Harry – etwas überrumpelt von dieser Aktion – näherte sich ebenfalls, nahm Malfoys Hand in seine und schüttelte sie. Und stellte überrascht fest, wie warm und fest Malfoys Griff war. Seine Hände sahen so viel schmaler und eleganter aus als Harrys eigene; da hatte er nicht mit einem so kräftigen Händedruck gerechnet. Irritiert davon, wie sehr ihn die Berührung aus der Bahn warf, entzog Harry seine Hand mit einem Ruck. Malfoy blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue an, sagte aber nichts.
„Ähm...gibt es zu dem Ablauf eines Duells noch Fragen?", wandte sich Harry an die umstehenden Schüler, um Malfoys stechendem Blick auszuweichen. Wieder meldete sich niemand.
„Sehr schön. Dann beginnen wir jetzt mit den Übungen. Natürlich sollt ihr euch noch nicht richtig duellieren. Wir zeigen euch erst einmal den Ganzkörperklammerfluch sowie den Schildzauber, Protego. Einige von euch werden diese Zauber vielleicht schon kennen, dann könnt ihr gerne versuchen, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen und die Flüche zu verwenden, ohne die Zauberformel auszusprechen. Sobald ihr die Sprüche beherrscht, möchten wir, dass ihr euch in Paare aufteilt und dann immer abwechselnd euren Partner mit Petrificus Totalus angreift. Die andere Person versucht, den Klammerfluch abzuwehren. Gibt es soweit noch Fragen? Ja?"
„Professor, was sollen wir machen, wenn wir unseren Partner mit dem Klammerfluch getroffen haben?"
Harry nickte anerkennend. Bevor er allerdings auf die Frage der Ravenclaw Schülerin antworten konnte, hatte Malfoy bereits das Wort ergriffen. „Für diesen Fall werden wir Ihnen noch zwei Gegenzauber zeigen. Zum einen den generellen Aufhebungszauber Finite, zum anderen den Heilzauber Reparifors, der gegen kleine magische Verletzungen und auch Lähmungen wirkt. Weitere Fragen?"
Kopfschütteln folgte auf die Frage.
„Gut, dann können wir eigentlich anfangen, oder?", fragte Malfoy mit einem Blick auf Harry. Dieser blickte sich in der großen Halle um, um sich einen Überblick über den Zustand des Übungsraums zu verschaffen, der ihnen zur Verfügung stand. Dadurch, dass die Haustische in einer langen Reihe in der Mitte des Raums standen und die Bänke an die Seiten geschoben waren, gab es genügend Platz für die Übungen. Der Steinboden störte ihn allerdings noch. Wenn die Schüler sich gegenseitig lähmten bestand immerhin die Gefahr, dass sie ungebremst mit dem Kopf auf den Boden knallten. Um die Verletzungsgefahr zu reduzieren, beschwor er daher einen dicken, flauschigen Teppich herauf, der sich über die Steinplatten legte. Dann nickte er zufrieden.
„Ja, es müsste jetzt alles bereit sein. Okay, wir werden jetzt die verschiedenen Zauberformeln und die dazugehörigen Handbewegungen nacheinander durchgehen. Professor Malfoy und ich werden alles von hier oben demonstrieren und Professor Jones und Professor O'Sullivan werden dabei herumgehen und euch helfen, falls ihr Probleme haben solltet. Danach verteilt ihr euch bitte im Raum und übt sowohl die Angriffs- als auch die Verteidigungszauber."
Nur wenige Minuten später hatte Harry den Eindruck, dass die Schüler alle vier Zauber einigermaßen beherrschten. Er und Malfoy verließen daher die Bühne und gingen zwischen den Teilnehmern umher, korrigierten Haltungen, gaben Tipps für Verbesserungen und beantworteten Fragen. Und je mehr Zeit dabei verging, umso mehr musste Harry sich eingestehen, dass ihm die ganze Sache hier viel mehr Spaß machte, als erwartet.
Als Minerva ihm und Malfoy die Leitung des Duellierclub aufgedrückt hatte, war er sich so sicher gewesen, dass dies eine nervige Veranstaltung werden würde, bei der er sich mit Malfoy würde herumärgern müssen. Aber...das war absolut nicht der Fall. Stattdessen erinnerte ihn alles hier so sehr an die Zeit, in der er Dumbledores Armee angeführt und trainiert hatte, dass ihm fast schwindelig wurde. Es hatte Harry schon immer gefallen, anderen etwas beizubringen, ihnen zu helfen, über sich hinauszuwachsen und ihre verborgenen Talente zu erkennen. Zuzusehen, mit welcher Leidenschaft und Euphorie die Schüler hier neue Zauber und Flüche lernten...das verschaffte ihm einfach eine tiefe Befriedigung.
Aber es war noch mehr als das. Auch Malfoy verhielt sich bislang ganz anders, als Harry erwartet hatte. In ihrem Duell war er nicht nur ein überraschend starker Gegner gewesen; er auch hatte keinerlei unfaire Tricks angewendet. Außerdem hatte Harry ihn während der letzten halben Stunde mit den Schülern beobachtet und er musste zugeben, dass der Hauslehrer der Slytherins sein eigenes Haus längst nicht so sehr bevorzugte, wie gedacht. Nein, auch wenn er im Gegensatz zu Harry viel förmlicher und strenger auftrat, war er trotzdem nicht unfair. Nicht so, wie Snape es seinerzeit gewesen war.
Harry biss die Zähne zusammen. Er hasste es, sich das einzugestehen, aber vielleicht war Malfoy doch kein so schlechter Lehrer, wie vermutet. Vielleicht hatte er also wirklich vorschnell gehandelt, als er Malfoy vorgeworfen hatte, Gryffindor systematisch zu benachteiligen. Das hieß zwar nicht, dass der blonde Slytherin kein nervtötender Bastard war, aber vielleicht...Fuck.
Harry seufzte tief.
Vielleicht schuldete er Malfoy doch eine Entschuldigung.
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