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»Wirst du heute Abend auch auf der Party sein?«

Maja, das Mädchen, das dazu verdonnert wurde, mich hier herumzuführen, blickte mich erwartungsvoll aus ihren dunkelgrünen Hundeaugen an. Sie verband ihre Aufgabe damit, mir den neusten Klatsch und Tratsch zu erzählen, was generell ihr größtes Talent zu sein schien. Mittlerweile wusste ich zum Beispiel schon, wem man hier trauen konnte und wem besser nicht und weshalb die Klokabinen nur von innen mit Edding beschmiert waren, von außen aber makellos schienen. Ich blieb nicht verschont vor der peinlichen Geschichte einer gewissen Frida, die ausversehen Nacktbilder an die ganze Stufe geschickt haben soll. »Viele sagen, es sei nur ein Gerücht, aber ich bin davon nicht überzeugt«, hatte Maja erzählt. Sie war eine wirkliche Lästertante und mich verfolgte die ganze Zeit die Frage, ob sie nun zu den Leuten gehörte, denen ich trauen konnte, oder nicht.

»Eine Party am ersten Schultag nach den Sommerferien? Unter der Woche?« Ich konnte meinen überraschten Ton nicht verstecken. Die Blondine lächelte eingebildet. Ich blickte an ihr vorbei an die Wand. Das Logo, ein Löwe mit goldener Mähne, musterte mich aus roten Augen. Es passte nicht zum Namen »Cornstarch-High«. Aber was hatte ich erwartet? Einen Maiskolben als Schulwappen? Popcorn auf den Fluren?

»Man braucht ja eine Motivation um nach den Ferien wieder gut anzufangen«, meinte sie. »Auf jeden Fall ein toller Einstieg«, dachte ich, blieb aber still. »Es wäre natürlich besser, wenn du mit Begleitung kommen würdest, aber weil du ja neu bist, wird da wohl niemand drauf achten.« Sie spielte mit einer geglätteten Haarsträhne. »Ich weiß noch nicht, ob ich komme. Ich gehe eigentlich nicht auf Partys oder sowas«, sagte ich vorsichtig und warf damit ihre ganze Planung über Bord. Aber es war nicht mal gelogen. Irgendjemand trank immer zu viel und übergab sich über den gesamten Boden, an jeder Ecke wurde rumgeknutscht, es war überfüllt und die Musik zu laut. Dieses Szenario verband ich nicht unbedingt mit Spaß.

»Die heißesten Jungs der Schule werden da sein«, sagte sie, als würde das irgendwas an meiner Entscheidung ändern. »Hör mal, du musst da hin gehen. Es ist gut, wenn man sich als Neue unter die Leute mischt. Ich kann dich gerne mitnehmen.« Vielleicht hatte sie recht. Wollte ich wirklich die Neue spielen, die nicht mal auf eine Party ging? Damit wäre ich wohl gleich als Freak abgestempelt. Und eigentlich war Maja ja ganz nett. Ich nickte geschlagen.

»Super!«

Hüpfend führte sie mich zu einem Schließfach.

»Da sind all deine Bücher drin. In der Ersten hast du Kunst, in der Zweiten Geschichte. Alle anderen Fächer haben wir aber gemeinsam. Toiletten gibt es in jedem Stockwerk, die im Untersten sind am ekligsten, wie du ja weißt. Nach der vierten Stunde gibt es in der Mensa Mittagessen, da kannst du dich gerne zu mir setzen«, quasselte sie. »Wir treffen uns dann um acht bei mir, aber du musst mir noch versprechen, dass du keines dieser Mädchen bist, die es direkt mit dem nächst besten Typen treiben. Das würde deinen Ruf hier nämlich direkt kaputt machen.«

Skeptisch sah ich sie an.

»Versprochen?«, sagte ich fragend. »Das klingt nicht sehr überzeugt«, meinte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du darfst dich auf mich stürzen, falls sich ein Junge an mich ranmachen sollte«, sagte ich um sie zum Schweigen zu bringen. Sie nickte zufrieden. »Ich freu mich schon«, sagte sie und zwinkerte mir im Gehen noch mal zu.

Ich seufzte leise. Was hatte ich da nur schon wieder angerichtet? Ich war mir ziemlich sicher, dass ich Maja so schnell nicht mehr loswürde, was auf Dauer vielleicht nervig werden könnte.

Schwungvoll öffnete ich mein Schließfach und knallte die Tür damit gegen den Kopf eines Jungen. Er zog zischend die Luft ein und rieb sich seine Stirn. Schnell schloss ich die Tür wieder.

»Das tut mir schrecklich leid. Ich bin irgendwie noch nicht ganz wach und...«, ich sah ihm ins Gesicht und erkannte ihn wieder. Auch er schien sich an mich zu erinnern und nahm seine Hand von der Stelle weg, die langsam anschwoll. Es war der Junge, den ich auf meiner Verfolgungsjagd mit dem Rucksackdieb umgerannt hatte.

»Bist du immer so stürmisch?«, fragte er nun lachend und in seinen Mundwinkeln erschienen Grübchen. Seine dunkelblonden Haare hingen ihm zerzaust bis zu den dichten Augenbrauen, als hätte er sie seit Tagen nicht gekämmt. Den grauen Kapuzenpulli hatte er gegen ein schwarzes T-Shirt eingetauscht, unter dem sich deutlich seine Muskeln abzeichneten. Trotzdem erfror ich bei dem Gedanken an ein ärmelloses Oberteil schon. Die Nase war etwas zu groß und spitz für sein Gesicht, aber das glich er mit den wunderschönen dunkelbraunen Augen wieder aus.

Ich lächelte. »Eigentlich bin ich ziemlich ruhig.« Sobald die Worte raus waren, hätte ich mich dafür schlagen können. »Eigentlich bin ich ziemlich ruhig«?! fällt dir nichts Besseres ein? Ich holte tief Luft, um meine Gedanken loszuwerden. Er lächelte. »Hoffentlich nicht zu ruhig um heute Abend auf die Party zu gehen.«

Er würde auch kommen.

»Ich habe mich gerade dazu verpflichtet, Maja zu begleiten«, sagte ich, gespielt tragisch. Er nickte erfreut und damit ertönte der Schulgong, der den Beginn der ersten Stunde verkündete. Die Gänge hatten sich bereits geleert, sodass wir alleine hier standen.

»Solltest du nicht zum Unterricht?«, fragte ich, als er keinen Anschein machte sich zu bewegen.

»Du auch.«

»Aber ich bin Neu. Es wird niemanden wundern, wenn ich etwas zu spät komme.«

Er lächelte und ging ein paar Schritte rückwärts. »Bis heute Abend«, sagte er noch immer lächelnd und rannte dann die Stufen zur nächsten Etage rauf. Ich packte schnell meine Bücher ein und rannte zu den Kunsträumen.

Vielleicht würde der heutige Abend ja doch besser werden, als erhofft.

Der Schultag war schneller umgegangen als gedacht und ich hatte mir weder das Essen über mein T-Shirt gekippt, noch hatte ich im falschen Kurs gesessen oder etwas Dummes gesagt. Nun ja, mal angesehen von den Worten, die ich mit dem Rucksackjungen gewechselt hatte. Ich würde ihn einfachhalber nun so nennen. Rucksackjunge.

»Lissa, ist irgendwas? Du hast dein Essen ja kaum angerührt«, fragte mich Mum, als würde sie sich plötzlich um mich sorgen. »Ich muss gleich noch weg«, sagte ich so beiläufig wie möglich, damit sie hoffentlich nicht weiter nachfragen würde.

»Wohin?«, hörte ich neben mir. Vorwurfsvoll sah ich Inga an. »Danke«, formte ich ironisch und mit den Lippen. Sie lächelte entschuldigend. Mum schien eine Antwort zu erwarten, so wie sie die linke Augenbraue hochzog und das Essen unterbrochen hatte. Früher hatten wir nie gemeinsam gegessen. Ich vermisste diese Zeit, in der ihr alles egal gewesen war.

»Ich werde mit Maja auf diese Party gehen«, sagte ich möglichst beiläufig und führte eine Nudel in meinen Mund. Meine Mutter riss die Augen auf. »Du? Auf eine Party? Unter der Woche? Kommt nicht infrage!«

Sie nippte an ihrem Wein. Ich seufzte. »Das war bestimmt nicht meine Idee. Maja sagt, das wäre eine gute Möglichkeit um Leute kennenzulernen.«

»Mir ist egal, was diese Maja sagt«, meinte sie schneidend. Richard schwieg einen Moment und sah mich kurz an. »Viola und Jonathan werden auch dort sein. Sie könnten auf Lissa aufpassen.« Unbemerkt zwinkerte er mir zu. Ich zog den rechten Mundwinkel nach oben. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass dieser Mann Einfluss auf meine Mutter hatte. Ich konnte sehen, wie sie überlegte.

»Aber sie ist sechzehn...« Na bitte, das war ja schon besser als vorher. Inga zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte eine Nummer ein, die mir nur allzu bekannt war. Als das Tuten anfing, stellte sie auf Lautsprecher. Unsere Lieblingstante, bei der Inga und ich die Sommerferien verbracht hatten, würde Mum schon überzeugen können. Sie war eine Meisterin des Überredens und das genaue Gegenteil meiner diskussionsunfähigen, unorganisierten, nie zuhörenden, selbstgefälligen Mutter.

»Ich werde bald siebzehn«, führte ich die Diskussion weiter und lächelte, als Nadia abnahm und zu flüstern begann.

»Und? Wobei braucht ihr meine Hilfe?« Inga und ich grinsten, als unsere Mutter ihren Kopf auf die Hand stützte.

»Mum lässt mich nicht auf eine Party heute Abend gehen, weil ich scheinbar noch zu jung dafür bin.« Ein Seufzen meiner Mutter. Richard lauschte gespannt.

»Liebe große Schwester, das ist ja wohl nicht dein Ernst! Soll ich etwa anfangen mit all den Dingen, die du mit sechzehn gemacht hast?«

»Nadia«, begrüßte Mum sie wenig begeistert. »Ich bin ihre Mutter, nicht du.«

Ein ironisches Lachen aus dem Telefon.

»Ich habe mich die letzten Monate hervorragend um deine beiden Puppen gekümmert und von dir kam lediglich ein Anruf um zu fragen, ob Inga deine hohen Schuhe eingepackt hat. Du hast dich in letzter Zeit nicht dafür interessiert, was sie tun. Jetzt musst du nicht damit anfangen.«

Hatte ich erwähnt, dass ich Nadia liebte?

»Sie ist sechzehn, Nadia

»Und du hattest mit sechzehn schon alles durch, Sarah. Du warst jedes Wochenende dicht, hast dich bis morgens in den Städten mit diesem Typen Coca Cole rumgetrieben und ich will gar nicht wissen, was du mit ihm gemacht hast. Du musst deine Fehler nicht an deinen Töchtern gutmachen!« Mum schloss die Augen und ließ geschlagen die angespannten Schultern hängen.

»Danke, kleine Schwester. Damit hättest du dann auch meinen Mann verstört.«

Nadia schien dies egal zu sein, aber ich stutzte bei den Worten »Meinen Mann«. Das zeugte davon, dass sie dies hier länger durchziehen wollte.

»Lass sie gehen«, meinte Nadia. Mum blickte von Richard zu mir und dann zum Handy, auf dem ein Foto meiner wunderhübschen, blonden Tante zu sehen war.

»Na schön. Aber gib am Ende nicht mir die Schuld, wenn irgendwas passiert«, sagte sie. Ich lächelte zufrieden.

»Meine Arbeit hier ist getan. Macht's gut, ihr Süßen.« Mit Nadias Auflegen betrat Viola den Raum. Sie trug ein knielanges schwarzes Glitzerkleid, das bei jedem Atemzug das Licht an die Wände reflektierte.

»Es würde dir doch bestimmt nichts ausmachen, ein wenig auf Lissa aufzupassen.« Richard lächelte seine Tochter an, die versuchte, mich mit Blicken zu töten. »Ich brauch niemanden, der auf mich aufpasst«, sagte ich recht laut. »Außerdem gehe ich mit Maja dahin.« Viola musterte mich.

»Maja? Das ist nicht dein Ernst.« Sie lachte.

»Was hast du denn jetzt schon wieder an Maja zu bemeckern?«, warf ich ihr an den Kopf. Zu meiner Überraschung ging sie auf meine Streiteinladung ein. »Nur, dass sie die größte Lästertante der Schule ist und sich für etwas Besseres hält.« Ich lachte ironisch auf. »Na klar. Du hingegen bist natürlich wirklich was Besseres.« Stille. Wir funkelten uns nur gegenseitig an. »Ich werde jetzt gehen«, sagte ich in Mums Richtung ohne den Blick von Viola abzuwenden.

»Ich kann euch fahren«, bot Richard und bekam ein gefauchtes »Nein!« von Viola und mir. Ich stand auf, schnappte mir einen der Schlüssel, die Richard für uns hatte anfertigen lassen und schloss die Tür. Ich nahm mir eines der Fahrräder, die in der aufgeräumten Garage standen und fuhr durch die Dunkelheit zu der Adresse, die Maja mir geschickt hatte.

»Da bist du ja.« Sie begrüßte mich mit einer flüchtigen Umarmung und ließ mich dann in ihre Wohnung. »Hilfe, was hast du denn da an?« Erschrocken betrachtete sie mich und schüttelte angewidert den Kopf. Betreten blickte ich an mir herunter. Ich trug noch immer das graue Shirt und die Jeans, was Maja wohl als schwerwiegende Sünde ansah.

»Du kannst was von mir haben«, meinte sie und führte mich eine kleine Wendeltreppe hoch in ihr Zimmer. Auf dem rosafarbenen Bett hatte sie bereits einige Kleider zur Schau raus gelegt. Ich ließ mich zu einem Dunkelblauen mit schwarzen Pailletten am Bruststück überreden. Lippenstift konnte ich noch abstreiten, aber meine Augen schminkte sie unglaublich dunkel. Ich war überrascht, wie gut mir das stand.

»Da siehst du mal, was Make-up alles ändern kann«, meinte sie und betrachtete ihr Endergebnis beeindruckt. Auch, wenn ich wohl gekränkt sein sollte, musste ich zugeben, dass ich aussah, wie ein anderer Mensch. Ein hübscherer Mensch.

»Wir sollten los«, meinte Maja, als sie erneut mit dem Lipgloss über ihre Lippen fuhr.

Sie stöckelte auf ihren beigen Pumps zur Tür.

Ich war heilfroh, dass wir verschiedene Schuhgrößen hatten und ich deshalb meine Sneakers anbehalten durfte. Als ich die Zimmertür hinter mir schloss, durchfuhr mich ein elektrisches Zucken, als ich die Klinke berührte. Ich zuckte zurück und betrachtete verwundert den silbernen Edelstahl. Vorsichtig fasste ich es erneut an. Nichts. Ich holte tief Luft.

»Kommst du?«, rief mir Maja von unten zu.

Ich drehte mich noch einmal um. Ein Blitz zuckte durch die Tür und ich stolperte nach hinten, sodass ich beinahe eine Vase umgeworfen hätte. Ich fing sie rechtzeitig auf und stellte sie wieder hin. Rückwärts lief ich zur Treppe und krallte meine Finger in das hölzerne Geländer. Einige Sekunden starrte ich die Tür noch an. Dann drehte ich mich um und lief zu Maja.

»Ist alles gut bei dir? Du bist ganz bleich.« Besorgt sah mir Maja in die Augen. Ich nickte schnell und trat nach draußen. »Das ist nur das Puder«, sagte ich schnell und zog sie aus dem Haus.


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