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Mein Kopf schrie genau ein Wort: Verbindung.
Was, wenn ich auf unerklärliche Weise mit dem Dämon verbunden war? Wenn ich das eigentliche Monster war? Diese Person aus dem Flugzeug. Was, wenn ich tatsächlich viel tiefer drin steckte, als gedacht?
»Nana, wir wollen uns doch nicht den Kopf zerbrechen«, meinte er leise und zog einen großen Strich durch meine Gedanken. Mit einem gespielten Blick der Einfühlsamkeit sah er mich an, ein teuflisches Lächeln auf den Lippen. Es war wirklich schwer, ihn in eine Altersschicht einzuordnen. Er sah aus wie jemand, der noch recht jung war, aber schon lange rauchte, weshalb seine Wangen eingefallen waren und die dunklen Schatten seine goldenen Augen noch mehr hervorhoben. Dennoch waren seine Zähne strahlend weiß. Passten nicht zu seinem dunklen Erscheinungsbild. Er war jemand, der nicht alterte. Und er konnte seine Gestalt ändern, wie andere Leute ihre Socken. Er war ein Monstrum.
Als ich erneut den Gleichgewichtssinn zu verlieren drohte, legte Nathan einen Arm um meine Taille und hielt mich aufrecht.
»Puuh, ihr Menschen stinkt so nach... Sterblichkeit«, sagte er angewidert und zog die schmale Nase kraus.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, stand plötzlich nicht mehr er vor mir, sondern Travis.
Scharf sog ich die Luft ein, wissend, dass es nur eine Illusion war. Eine täuschend echte Illusion, die Sehnsüchte und Traurigkeit in mir weckte, für die es kein Ausmaß gab. Dennoch hoffte ich, dass es real war. Dass Travis seine Meinung geändert hatte und wieder bei uns war. Ich riss mich zusammen und verkniff mir die Tränen. Wandelte Trauer in Wut.
»Ich weiß doch, was du willst.«
Sogar seine Stimme konnte er imitieren. Ich schnaubte leicht.
Der Dämon verdrehte die Augen und mit einem Fingerschnipsen, löste sich Travis in schwarze Nebelschwaden auf und stattdessen kam wieder der dunkelhaarige Mann zum Vorschein.
»Wenn es das nicht ist, willst du vielleicht Antworten«, überlegte er weiter und grinste mich hämisch an.
In der nächsten Sekunde stand dieses unmenschliche Geschöpf vor mir, das jedes Mal ans Licht kam, wenn ich meine Fähigkeiten nutzte. Sie machte einen Schritt auf mich zu und blickte mir durch ihre goldenen Augen auf die Seele.
»Ich kann dir alles geben, was du dir wünschst«, sagte sie in einer Stimme, die meiner bis aufs Haar glich. Sie sprach nur ein wenig tiefer als ich. Ich schrieb dies der Boshaftigkeit zu.
Ich ließ Nathans Hand für einen Moment los und trat näher an das Wesen heran.
»Und was willst du dafür?« Es war eine patzige Frage, voller Hass und dennoch verzweifelt. Er schien jede Emotion daraus lesen zu können.
»Alles was ich will, ist reden«, sagte sie und klatschte zweimal in die Hände. Diese waren von kleinen weißen Narben übersät. Wie ein zerbrochener Spiegel, zog sich das Muster über ihre Haut, bis ich wegen der Ärmel ihres dunklen Kleides nicht weiter sehen konnte. Als hätte jemand mit einer Axt auf einen gefrorenen See geschlagen, sodass Risse entstanden waren. Risse in ihr selbst. Risse in mir.
Ihr Klatschen erzeugte Rauchschwaden, die links von mir zusammenfanden. Ein Tisch mit zwei Stühlen entstand daraus. Aus dunklem Ebenholz geschnitzt. Sie leuchteten Irreal, als seien Blitze in ihnen gefangen. Mit einem Fingerschnipsen stand eine dunkelrote Kerze auf dem Tisch. Sie erinnerte mich an die Zeremonien.
»In Ordnung«, hörte ich mich sagen.
»Allein«, fügte das Wesen mit einem grauenvollen Lächeln hinzu. Nathan spannte sich an, machte einen Schritt auf mich zu und griff nach meiner Hand. Ich lächelte ihn kurz an, nickte leicht. Sein Gesicht verkrampfte sich und er blickte das Mädchen aus hasserfüllten Augen an. Im nächsten Moment war er wieder der Mann und Dämon, den wir alle zu hassen gelernt hatten.
Nathan küsste mich und drückte meine Hand leicht. Dann drehte er sich um und verließ zusammen mit den anderen die Arena. Ich sah ihm nach, bis sein brauner Haarschopf hinter dem Felsen verschwand, in dem wir Rosella und Jules gefangen hielten.
Langsam drehte ich meinen Kopf wieder dem Dämon zu und beobachtete, wie er sich an den Tisch setzte.
»Nimm doch bitte Platz«, sagte er mit rauer Stimme. Ich holte noch einmal zittrig Luft.
Lass dich nicht täuschen.
Dann setzte ich mich tatsächlich zu ihm.
»Ja, womit fangen wir an...« Er tat so, als überlegte er tatsächlich. Rieb sich sein glattrasiertes Kinn und setzte eine undurchdringliche Miene auf.
»Du bist quasi schon tot«, flüsterte ich und blickte ihm voller Hass in die Augen.
»Ich habe keine Ahnung wie, aber du wirst sterben. Irgendwann wird jemand stark genug sein, dich zu besiegen.« Anders als ich erwartet hätte, fing er nicht an zu lachen. Er zuckte auch nicht gleichgültig die Schultern oder machte eine abfällige Geste. Er beugte sich langsam über den Tisch zu mir und sah mich mit seinen wunderschön goldenen Augen an.
»Das Witzige daran ist, dass du die einzige bist, die mich töten kann.« Seine Augen waren nicht einfach golden. Viele glitzernde Sprenkel zogen sich vom äußeren Ring seiner Iris bis zur Pupille. Dieses Funkeln erinnerte mich an eine vergoldete Galaxie.
Ich presste die Kiefer zusammen und riss den Blick von seiner Schönheit weg.
»Sag mir, was ich bin«, meinte ich ungeduldig. Ein selbstgefälliges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.
»Den Biss hast du von deiner Mutter«, stellte er fest und lehnte sich wieder zurück in den dunklen Holzstuhl. Sofort erstarrte ich.
Er kannte meine Mutter. Vielleicht war sie in seiner Gewalt und wurde irgendwo gefangen gehalten.
»Ich schwöre, wenn du ihr etwas tust, dann werde ich...«
»Dann wirst du was?«, fragte er provozierend.
»Dieses Wesen mit den goldenen Augen rufen? Es ist ein Teil von dir, so wie alles andere. Es macht deinen Charakter aus. Deine Fähigkeiten.« Er sprach mit solch einer Begeisterung, dass ich meine Familie für einen Moment vergaß.
»Das kann nicht sein«, sagte ich schlicht und verschränkte die Arme vor der Brust.
Er lachte.
»Das kann nicht sein? Weil Träume nur Illusionen sind und es Dämonen und böse Geister nur in Filmen gibt?« Ich schluckte.
»Nichts. Absolut nichts. Ist unmöglich.« Er zog einen seiner Mundwinkel hoch.
»Und nichts ist unendlich. Außer der Tod.«
Ich spürte, wie meine Lippen bebten. Der Tod war nicht unendlich, das wusste ich. Schließlich war ich ihm schon öfter entkommen, als ich zählen konnte. Und trotzdem hatte ich Angst, dass seine Worte wahr waren.
»Und dies ist ein weiterer Grund, weshalb du mir zuhören solltest. Du bist dem Tod zu oft entkommen. Denkst du das geht ohne Bezahlung?« Ich atmete tief durch.
»Was denkst du, wer du bist?«, fragte er leise und geheimnisvoll. Er hatte diese typische Erzählerstimme, wie man sie aus diversen Filmen kannte. Sogar ein angenehmer Ton. Wenn man sich die Verachtung wegdachte.
Er fing an, mit seinem Finger Linien und Kreise auf den Tisch zu malen. Diese Handbewegungen lösten etwas in mir aus.
Eine Verbindung, wie ich es schon am Anfang gespürt hatte. Von ihm zu mir. Weil ich diesen Tick ebenfalls hatte.
Er blickte vom Tisch auf und schien verwundert über meinen plötzlich doch recht ängstlichen Blick. Doch dann stockte seine Hand und er lächelte mich an. Beinahe schon warmherzig.
Beinahe menschlich.
»Du hattest nie einen Vater«, fing er an und ich schüttelte langsam den Kopf. Was auch immer er sagen wollte: es durfte nicht die Wahrheit sein.
»Meine Lissa hätte diese Tatsache genauer hinterfragt.«
Ohne, dass ich es kontrollieren konnte, fielen Tränen aus meinen Augen. Tränen der Verzweiflung. Der Angst. Dieses schreckliche Gefühl, dass er die Wahrheit sagte. Dass ich nicht mehr hoffen konnte, mein Vater wäre irgendjemand anderes. Es war, als suchte mein Gehirn nach einem Fehler in allen Erinnerungen.
Ich sprang zurück zu den unzähligen Malen, in denen ich meine Mutter nach meinem Vater gefragt hatte. Sah die vierjährige Lissa, wie sie weinend in ihrem Bett saß und sich fragte, ob ihr Papa sie nicht genug lieb gehabt hatte. Ich hatte früher immer diesen Komplex gehabt.
Dass jeder Mann, dem ich begegnete, mein Vater hätte sein können. Dass es möglich war, dass ich ihm schon mal begegnet war. Deshalb war ich früher mit hoffenden Augen durch die Stadt gegangen und hatte nach Männern gesucht, die mir ähnlich sahen. Mit der Zeit hatte ich die Suche aufgegeben, weil es aussichtslos schien.
Aber nun, in diesem Moment war es, als zöge mein Kopf diese Person in Betracht. Als wäre dieses Gefühl wieder da, dass ich meinen Vater finden wollte. Aber durch die pure Angst, die meinen Körper lähmte, verbannte ich diese Gedanken in die hinterste Ecke meines Kopfes, zusammen mit den Tränen, die für kindliche Schwäche standen. Ich hasste es, schwach zu sein.
Ruckartig stand ich auf, sodass der Stuhl umkippte. Ich konnte ihn einfach nur anstarren.
Dunkle Haare, wie die meines anderen Ichs.
Goldene Augen, wie die meines anderen Ichs.
Dieses Funkeln darin. Das, was jemand unmenschliches menschlich macht.
Und zusammen mit all der Verwirrung und den ungelösten Fragen, bildete sich purer Hass gegen mich selbst.
»Es tut mir leid«, sagte er leise und wirkte nicht mehr, wie jemand Grausames. Mit einem Mal, sah ich ihn an, als sei er ein Mensch. Jemand, der liebte und es bereute, seine Tochter nicht großgezogen zu haben. Seine Tochter. Erneut kämpfte ich mit den Tränen.
»Ich hätte schon viel früher mit dir reden sollen. Ich hätte nicht gehen dürfen.« Ich presste die Lippen aufeinander. Wartete, dass er irgendetwas sagte wie »reingefallen, ihr Menschen lasst euch einfach zu leicht manipulieren«. Aber er sah mich an. Mit dieser Liebe in seinen goldenen Augen, dass ich daran zweifelte, dass es nur ein Trick war. »Lass dich nicht täuschen«, ermahnte ich mich. Aber was, wenn es die Wahrheit war?
»Aber ich war immer bei dir. Und meine Melissia wusste das. Sie hielt sich zwar versteckt, doch in ihrem Herzen war immer ein Platz für mich.« Ich schüttelte heftig den Kopf.
»Ich bin Melissia. Nicht irgendein komischer Geist, in den ich mich verwandle, wenn ich übernatürliche Kräfte benutze. Das bin nicht ich. Ich bin ein Mensch!« Das Schreien tat gut.
»Du bist ein Mensch und ein Dämon. Nur nicht vereint, sondern getrennt. Jemand, mit zwei Persönlichkeiten, die nicht miteinander und nicht ohneeinander können.« Ich schüttelte wild den Kopf. »Wäre nicht diese Verwirrung da. All die Fragen mit ‚Wieso sollte mir das erst dieses Jahr aufgefallen sein'«, setzte ich mit bebender Stimme an. »Würde ich glauben, dass du die Wahrheit sagst.«
»Du weißt, dass es wahr ist. Du spürst es. Sie spürt es. Der Teil, den du vergessen musstest. Der Teil, der dich beherrschen kann, wenn er will. Der Teil, der dich an mich bindet. Und der Teil, der dich für eine Zeit unsterblich gemacht hat.« Ich hatte nun keine Mühe mehr, die Tränen zu unterdrücken. Es konnte nicht war sein. Es musste ein Trick sein.
»Der einzige Grund dir zu glauben, wäre die Einfachheit. Es wäre schön, dieses Rätsel gelöst zu haben. Erklärungen für das Unerklärliche zu finden. Aber so ist es nicht. Du kannst mich nicht täuschen.« Ich drehte mich um und wollte weggehen. Aber sofort stand er wieder vor mir.
»Du wolltest Antworten. Du sagst, ich würde Lügen, doch gibst dich damit zu Frieden. Du weißt, dass es wahr ist. Es muss nicht alles kompliziert sein.«
»Doch«, sagte ich und biss mir auf die Lippe um weitere Tränen zurückzuhalten.
»Es soll lieber kompliziert sein, als so grausam, dass ich mich selbst hasse.« Ein Zucken in seinem Gesicht verriet mir, dass ich ihn erneut verletzt hatte. Bestätigte, dass er Gefühle hatte, wo auch immer sich diese versteckten. Er bemerkte seinen Fehler und im nächsten Moment hatte er wieder diese undurchdringliche Maske aufgesetzt, die ihm zu dem Monster machte, das er wirklich war.
»Du glaubst mir nicht? Na schön! Es ist mir gleich, was mit dir passiert. Du bist doch ein Nichts ohne das hier. Unwichtig, unbedeutend. Normal.« Ich hob den Kopf und blickte wieder in seine goldenen Augen.
»Du wirst dir wünschen, dich nicht von mir abgewendet zu haben. Spätestens, wenn der Tod dich erreicht und endlich zurückschlägt, weil du so naiv warst, zu glauben, du könntest ihm entkommen. Wenn dein armselig perfektes Leben zu zerbrechen droht. Wenn die Welt, wie du sie kennst, untergeht.« Ich drückte meine Lippen aufeinander und betrachtete noch einmal seine goldenen Augen.
»Und du wirst dir noch wünschen, mich nicht unterschätzt zu haben«, sagte ich leise und entschloss mich in diesem Moment, es zu tun.
Ich konnte die Verblüffung in seinen Augen sehen, als ich ihm den Dolch in die Brust rammte.
Er riss den Mund auf und sackte auf die Knie. Nach Luft schnappend drehte er sich zur Seite und fixierte mich mit seinen Augen. Ich kniete mich neben ihn.
»Du hast mein Leben zerstört. Das Leben derer, die ich Liebe. Du hast sie allesamt tyrannisiert. Getötet. In den Wahnsinn getrieben. Du konntest mich nicht einfach leben lassen. Du musstest alles kontrollieren. Du hast alles vernichtet, was mir wichtig war. Du bist ein Monster.« Weitere Tränen rannen über mein Gesicht. Er sah mich an, wurde langsam ruhiger.
»Und mein Vater wäre kein Monster.«
»Irgendwann wirst du verstehen, dass ich all das nur aus Liebe zu dir tat«, presste er keuchend hervor.
»Dass du mir mehr ähnelst, als du denkst. Du bist mir näher, als du deiner Mutter je sein wirst.«
Dann fiel sein Kopf auf den kalten Stein und die goldenen Augen verloren ihren Glanz. Das einzige, was ihn menschlich machte gemacht hatte. Die Sterblichkeit.
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Ein neues Kapitel! JUHU! Ich hab es endlich geschafft, Applaus bitte. Es tut mir wirklich unglaublich leid, dass ich so lange inaktiv war. Und da dies das vorletzte Kapitel meines Buches ist, werdet ihr auf das letzte auch noch ein wenig warten müssen. Ich wünsche euch schon mal im Vorfeld frohe Weihnachten und ein frohes neues Jahr 2018, falls ich bis dahin nicht mehr uptade.
Ich würde mich sehr über Feedback freuen, da mich eure Gedanken bei diesem Kapitel besonders interessieren. Also scheut euch nicht, einen Kommentar zu hinterlassen und voted, wenn euch dieses Kapitel gefallen hat. :)
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