44

Wir standen auf dem Boden der Arena und warteten darauf, dass etwas passierte. Die Kälte war unbeschreiblich. Nicht nur, weil die geringen Gradzahlen draußen lauerten und sich im Innern dieses Berges nur noch verstärkten, sondern auch, weil eine immense Spannung in der Luft lag.

Wir alle warteten hier. Bereit, einen Kampf gegen den Unbesiegbaren zu kämpfen. Und es macht mir Angst, nicht zu wissen, ob ich den morgigen Tag noch erleben würde. Ob ich jemals meine Familie wiedersehen würde. Jemals eine Zukunft haben würde.

Tatsächlich war Jules' Rucksack bis oben hin mit den richtigen Büchern gefüllt. Weshalb er sie mitgenommen hatte, wussten wir nicht. Vielleicht hätte er etwas nachlesen wollen, falls es anders gelaufen wäre als gedacht. Letztendlich hatte ihm dies jedoch wenig gebracht.

Tatsächlich enthielten die wahren Bücher die

Bisher wagte niemand den Schritt, den Gott der Finsternis zu hintergehen. Er kennt die Absichten eines jeden. Nur der, der sich selbst als anders sieht, wird die Macht haben, ihn zu besiegen. Gemischtes Blut wird sich mit reinem mischen, sodass das eins getrennte, wieder vereint. Gestorben sind viele, an der Aufgabe, diese Prophezeiung zu erfüllen. Denn jeder, dem die Gabe verweigert ist, stirbt in dem Moment, in dem er die Waffe gegen den Dämon erhebt. Die Gabe haben nur Auserwählte der Geschichte. Seid gewarnt, nicht viele tragen das richtige Blut in sich.

Dies stand in einem der Bücher. Und obwohl der Autor in Rätseln sprach, war es offenkundig, dass unsere Chancen schlecht waren. Sehr schlecht.

Bisher hatte niemand geschafft, den Dämon zu töten. Sie alle gingen bei dem Versuch zu Grunde. Und wir wussten erst so wenig. Der Dolch. Er musste eine wesentliche Rolle spielen. Und ich, denn »Die Hoffnung wehrt bis ans Ziel. Sie stirbt zuletzt. Auch wenn sie dafür über Leichen geht.«

Mir gefiel diese Textstelle nicht. Sie verhieß nichts Gutes für mich. Denn ich war die Hoffnung. Der Schlüssel zu allen Geheimnissen. Wobei ich selbst wohl das größte Geheimnis war.

Da war diese Stelle in meinem Kopf, die nur Dunkelheit zeigte. Als würde ein Puzzleteil fehlen, um das Bild zu sehen. Ich konnte nicht auf die Erinnerungen an die Zeit, bevor ich auf dem Boden der Arena aufgewacht war, zugreifen. Nichts als Leere, bei jedem Versuch.

Viola hatte alles so detailreich beschrieben, wie es ihr Wortschatz wohl hergab. Dabei hatte sie gerne betont, wie schrecklich es sich für sie angefühlt hatte, zuzusehen, wie Jules auf mich einschlug. Er hatte mich von der Sitzfläche der Loge hochgerissen und gegen die Felswand geschleudert. Aber trotzdem hatte ich mich aufgerappelt. Ihn mit meinen brennenden Händen in die Luft gehoben und gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert. Die Loge hatte sich in unsere ganz eigene Arena verwandelt, in der Jules und ich uns einem Kampf ausgesetzt hatten, der keinen klaren Gewinner hätte vorhersehen lassen.

»Mit einem Mal ist er unsichtbar gewesen. Du konntest nicht mehr sehen, wo er war. Und dann, plötzlich, hat er dir den Dolch in den Bauch gerammt und dich mit voller Kraft über die Reling geworfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich geschrien habe. Ger hat die Gelegenheit genutzt und ist nach oben zu uns gesprungen, während Nathan auf dich eingeredet hat. Jules war schneller ausgeschaltet, als ich gedacht hätte und Rosella hat sich zwar nicht kampflos ergeben, aber immerhin weniger gewährt, als Jules.«

Der Grund war wohl gewesen, dass ich einen wichtigen Text in einem der Bücher geändert hatte. Ich hatte verhindert, dass Jules Nathan und Ger dazu zwang, gegeneinander zu kämpfen. Es war wohl logisch, dass ihm dies nicht gefallen hatte.

Ich konnte mir ein Bild dazu denken, aber mich nicht erinnern. Als würden diese Gedanken nicht zu mir gehören. Als hätte ich kein Recht auf diese Erinnerungen, weil sie nicht meine eigenen waren.

Vielleicht waren sie von der Person in mir. Dem Mädchen im Flugzeug. Mit den dramatisch langen schwarzen Haaren und dem ebenso dunklen Lippenstift. Denn wenn ich meine Kräfte benutzte, verlor ich die Kontrolle an dieses Wesen. Mit jeder Verwandlung bekommt sie mehr Kraft. Aber wer war sie? Sie. Das andere Mädchen in meinem Körper.

Ich muss zugeben, dass mir dieses Geheimnis am meisten Angst bereitete.
Meine Gedanken wurden vom Donner übertönt, der von neuem einsetzte. Es begann. Und ich musste mich konzentrieren, um es zu schaffen.
Dass der Dämon uns nicht schon längst aufgehalten hatte, zeigte nur, wie selbstüberzeugt er war. Wie sicher er sich war, dass wir allesamt beim Versuch ihn zu töten, sterben würden.

Und vielleicht unterschätzte er uns.

Und vielleicht überschätzten wir ihn.

Und vielleicht würde das alles anders enden, als gedacht.

Ich schreckte auf, als ich ein Klatschen hörte. Ein unglaublich schreckliches Geräusch, das von den Wänden abprallte und uns einhüllte. Unsere Blicke wanderten nach oben. Ich spürte, wie ich zu zittern begann. Wie mich grausame Kälte erfasste. Wie ich weinen wollte. Schreien. Weglaufen vor dem, was sich dort ganz langsam vom Himmel aus auf uns zu bewegte. Gereon umklammerte den Dolch. Wenn ich es richtig verstanden, richtig interpretiert hatte, dann müsste dieser Dolch den Weg in das Herz des Dämons finden, um alles zu beenden. Dann würde blaues Blut fließen und den Fluch brechen. Der Mond würde sich darin spiegeln, sodass es beinahe schön wirken würde. Aber dennoch würde jemand sterben. Etwas. Denn die Dunkelheit konnte man nicht menschlich nennen.

Automatisch rückten wir näher zusammen und Nathan verstärkte den Griff um meine Hand. Ger stellte sich schützend vor Viola, die die einzige von uns war, die keine Kräfte hatte. Ich machte mir ehrlich Sorgen um sie, obwohl sie den Dolch fest umklammerte und ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nicht zurückschrecken würde, jemanden zu töten.

Jules und Rosella waren eingesperrt in den Raum, sie würden uns dies nicht auch noch kaputt machen. Sie allein zu lassen war nicht meine Idee gewesen. Denn wenn sie irgendwelche Tricks hatten, konnten sie entkommen. Und wenn nicht und wir alle unsere Kräfte verlören, dann würde es keiner mehr schaffen, den Stein zur Seite zu schieben, um sie zu befreien.

Ich dachte daran, wie froh ich war, dass Travis dies nicht mehr miterleben musste. Er wäre in dieser Situation still gewesen, was wirklich eine Seltenheit war. Weil er genauso große Angst gehabt hätte, wie wir alle.

Das Wesen materialisierte sich von schwarzen Nebelschwaden zu einer langen Person in dunkler Robe. Kein Körper aus Fleisch und Blut. Nur Dunkelheit, die in einen Mantel gehüllt war.

Der Nebel sammelte sich an einigen Stellen und wurde fest. Man konnte Arme und Beine unter dem schwarzen Gewand erkennen. Das Gesicht jedoch, wurde von der Kapuze bedeckt, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Er sah aus wie ein Mensch, obwohl er keiner war. Die Kälte, die von ihm ausging, schien alles um ihn herum zu gefrieren. Eine unbeschreibliche Dunkelheit. Ein Gefühl, bei dem sich mein Magen umdrehte und jede Faser meines Körpers schrie: »Lauf weg.«

Dieses Bild zerstörte die Hoffnung an den naiven Glauben, der Dämon könnte nicht mehr, als ein paar Blitze und Donner über den Himmel zu jagen. Es erschien lächerlich, auch nur daran gedacht zu haben, wir hätten dieses Monster überschätzt und er wäre besiegbar.

Ein Ton, der wie Nadeln durch mein Trommelfell stach. Ein Lachen. Das Wesen lachte schrill. Verrückt. Grausam. Wie jemand, der nicht eine Sekunde zögern würde, ein kleines Kind zum Tode zu Foltern.

Ich wollte schreien. Weinen. In mein Bett kriechen und die Worte meiner Mutter hören, die sagte »Alles wird gut«. So wie ich es mir immer gewünscht hatte. Doch die Realität sah anders aus. Meine Mutter hatte nie die Zeit gefunden, mich als Kind zu trösten. Und ich würde nicht weglaufen und diesen Irren auf die Menschheit loslassen.

»Und ihr wollt mich töten?«, fragte er voller Ironie und blickte auf uns herab. »Das finde ich beinahe schon beleidigend.«

Er sprach nicht laut und doch seine Stimme fraß sich durch mich hindurch. Er erinnerte mich an einen Dementor aus Harry Potter. Nur, dass diese menschliche Trüge gefährlich echt war.

Wir hatten genau einen Vorteil. Er war hier. Auf der Erde. Etwas, das nicht ohne Folgen geschehen dürfte. Eines der Bücher beinhaltete einen kurzen Text dazu. Wenn der Dämon in Menschengestalt auf der Erde wandelte, dann hatte er nicht mehr Macht als die Gezeichneten. Und er hatte nur wenige Stunden, bevor ihn die Donner wieder in den Himmel ziehen und die Blitze das Tor zur Menschenwelt bis zur nächsten Generation Gezeichneter versperren würden. Ein Vorteil. Und dieser basierte auf der Handschrift eines gewissen Michaels, der ein Vorfahr von Zimo war.

Wir alle starrten ihn an. Beeindruckt von der unsichtbaren Macht, die von ihm ausging. Wir alle hatten uns diesen Moment seit Beginn vorgestellt. Uns gefragt, wie der Dämon der Gewitterstürme wohl aussehen mochte. Was ihn so nennenswert machte, dass sich alles um ihn drehte. Und nun standen wir hier und sahen ihn an. Wie er die Kapuze in Zeitlupe runternahm und dahinter ein Menschliches Gesicht zum Vorschein kam. Eine spitze Nase, schulterlange schwarze Haare, die ein markantes Gesicht umspielten. Er war nicht sehr muskulös, aber groß und der Umhang ließ ihn massiger erscheinen. Seine unnatürlich weiße Haut konnte mit Schnee verglichen werden und stand im Kontrast zu der Dunkelheit, aus der er bestand. Goldene Augen blitzten mir verspielt und fordernd entgegen.

Goldene Augen.

Ich wich einen Schritt zurück und Nathan griff nach meiner Hand, damit ich nicht umkippte.

Die Luft schien mit jeder Sekunde dünner zu werden und alles was man hörte, war das Lachen des Dämons. Ich erschrak, als auch er verstummte und mit einem Grinsen schiefe Zähne zeigte, die ebenso weiß wie seine Haut schienen.

»Melissia.« Es klang wie das schlimmste Wort, das ich je gehört hatte.

»Endlich lernen wir uns kennen.«


__________________

So, an alle, die sich gefreut haben, dass ein neues Kapitel kommt: Es ist nicht neu. Ich habe lediglich bis Kapitel 11 überarbeitet und die Kapitelzahlen haben sich geändert, sodass ich das alles nochmal ändern musste. Wir sind also von der Handlung auf dem gleichen Stand wie zuvor, Ich werde weiter überarbeiten und veröffentlichen, wenn ich mehr Zeit habe ;)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top