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»Ist alle ok?«, fragte Elijah, als ich mich neben ihn setzte. Er lächelte. In diesem Moment sah er nicht mehr aus, wie ein kleines Kind, sondern ein starker und unbesiegbarer Mann. Doch dieses Bild verschwand so schnell wieder, wie es gekommen war. Ich nickte.

»Ich werde jetzt etwas kochen«, meinte er und raffte sich auf. »Wir brauchen Kraft und Energie, wenn der Sturm uns diese Nacht erreicht.« Und wieder zuckten Blitze über den Himmel. Einfach nur, weil der Dämon uns Angst machen wollte. Doch es brauchte schon mehr als ein bisschen Licht, um uns von unserem Vorhaben abzuhalten. Wir waren fest entschlossen, diese Sache hinter uns zu bringen. Und vielleicht konnte man es als lebensmüde bezeichnen.

Der Regen begann mit Einbruch der Dunkelheit. Ich kauerte auf dem verdreckten Boden der Höhle und lauschte den Geräuschen der Nacht. Dort draußen braute sich ein Sturm zusammen, der höllische Angst in mir hervorrief. Ich wünschte mir, wie so oft, dass Travis nun bei mir wäre. Er würde irgendeinen schlechten Witz reißen und ich könnte wieder lachen. Doch er war nicht hier. Ich drehte meinen Kopf und blickte zu den Jungs. Elijah schlief in einer Ecke, einen dunkelbraunen Teddybär unter den Arm geklemmt. Bei diesem Anblick huschte ein kleines Lächeln über mein Gesicht. Jules schlief ebenfalls, mit dem Kopf zur Höhlenwand und Ger wälzte sich ununterbrochen. Mein Blick traf den von Nathan und ich lächelte leicht. Er rappelte sich von seinem Schlafsack auf und setzte sich neben mich an den Abhang des Berges. Ich ließ die Füße baumeln und starrte in die dunkle Tiefe. Der Mond war von Wolken verhangen und nicht mal die Sterne trauten sich, uns Licht zu spenden.

Ich schluckte und nahm Nathans Hand. »Wenn ich sterbe«, sagte ich leise und Nathan blickte mich bereits vorwurfsvoll an. Aber ich streichelte seine Hand und hinderte ihn daran, etwas zu sagen. »Wenn ich sterbe, sollst du wissen, dass ich dich liebe.« Bei dem Gedanken daran, von Nathan getrennt zu werden, zog sich alles in mir zusammen. Mir war zum Schreien zu Mute. Und ich wollte weinen. Weil es aussichtslos schien, dass wir den Kampf gewinnen würden. »Und wenn ich sterbe«, flüsterte Nathan. »Sollst du wissen, dass ich dich immer geliebt habe und ewig lieben werde.« Ich lächelte traurig und küsste ihn. Der Regen sammelte sich an der Decke der Höhle und plätscherte auf unsere Köpfe. Eine kleine Träne löste sich aus meinem Auge, wurde jedoch weggespült, bevor es jemand bemerken konnte. Ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Ich musste hoffnungsvoll sein. »Sobald der erste Blitz einschlägt«, sprach Nathan. »Beginnt es«, schloss Gereon, der hinter uns aufgetaucht war. Jules nickte leicht und sein Blick war starr ins Dunkle gerichtet. Wir waren stark. Wir könnten es schaffen. Aber wir unterschätzten die Waffen, die auf uns gerichtet waren...

Ich zuckte hoch, als Nathan mich leicht an der Schulter berührte. Ich war gegen die Felswand angelehnt, eingeschlafen und jemand hatte eine Decke über mich gelegt. Mir erschien dieser Platz wie der Himmel im Vergleich zu dem, was wir nun vor uns hatten. Stumm stand ich auf und lief zum Rucksack. Wir hatten besprochen, wie es ablaufen würde. Wir hatten Zimos Buch zum Brechen des Fluchs sogar mitgenommen. Wir sollten mit Beginn des Gewitters tiefer in die Höhle gehen. Was dies bedeutete wurde mir erst klar, als ich den Gang betrat. Wie ein riesiger Korridor legte sich vor uns die bedrückende Dunkelheit, die tiefer in das Vulkangestein hineinführte, als gedacht. Ich drehte mich noch einmal zu den Jungs um. Sie nickten und Nathan drückte meine kalte Hand etwas fester. Dann liefen wir los.

Mit jedem Schritt, den wir taten, erleuchtete eine Fackel an den Wänden der Höhle. Es war gruselig zu sehen, wie der Dämon bereits hier seine Macht spielen ließ. In der Theorie hatte es so einfach geklungen. Ich hatte die Texte aus den alten Büchern auswendig gelernt, so oft hatte ich sie gelesen. Ich müsste lediglich den Dolch an eine bestimmte Stelle im Vulkan legen, sodass das Mondlicht sie erhellte. Und dann würde sich der Vorgang der Zeichnung wiederholen. Den Jungs würden ihre Kräfte geraubt werden und damit sollten die Warnungen und Visionen aufhören.

Der Preis, den die Jungs damit bezahlten, schien wohl groß, im Vergleich zu den Dingen, die der Dämon mit ihnen machte. Aber es war ein schreckliches Gefühl. Jeden Morgen aufzuwachen und sich zu fragen, wen das Monster wohl heute aus meinem fiktiven Leben reißen würde. Welche grausamen Tode ich wohl noch sehen würde. Welche Schmerzen ich mit den Opfern litt. Ob die Träume vielleicht Realität wurden. Weil er damit drohte, wenn man seine Regeln nicht befolgte. Das ständige Gefühl, beobachtet zu werden war beinahe noch schlimmer. Der Dämon fügte die Dinge, wie es ihm gefiel. Egal wo wir waren, egal was wir taten. Er beobachtete alles. Er kontrollierte alles. Und wenn es nicht endete, würden wir alle verrückt werden. Paranoider als wir ohnehin schon waren. Vielleicht so verrückt, wie Elijah. Vielleicht hatte er seinen Verstand durch das Spiel mit dem Dämon verloren.

Mir erschienen die Texte der Bücher zu friedlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so einfach werden würde. Ich glaubte, dass wir belogen wurden. Und dieses Gefühl drang erst dann zu mir durch, als es bereits zu spät war.

Wenn das Ritual der Fluchbrechung gelogen war, dann war vielleicht alles gelogen. Dann war die einzige Hoffnung, die ich hatte, nur eine Illusion. Ich blickte zu Nathan hoch, der die Augen weit aufgerissen hatte und alles in seinem Umfeld mit Angst betrachtete. Er wusste, was ich dachte. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass etwas nicht stimmte. Ich drückte seine Hand fester. »Wir schaffen das. Wir haben keine Garantie für nichts.« »Und das ist das Problem«, flüsterte er leise und richtete seinen Blick wieder nach vorne.

»Was ist los?«, fragte Ger, der hinter uns lief, weil der Gang zu schmal für drei Personen war. »Wir trauen dem Ganzen nicht«, sagte Nathan leise und musterte Elijah von oben bis unten. »Hast du uns angelogen?«, fragte er etwas lauter. »Bringst du uns um?« Elijahs sonst so verrücktes Lächeln erlosch. Er hob die Hände und schüttelte heftig den Kopf. »Ich könnte niemals jemanden töten«, stotterte er. Ich nickte leicht und zog Nathan wieder nach vorne. Elijah sagte die Wahrheit, das spürte ich. Und doch konnte ich förmlich den Gestank der Täuschung an diesem Ort riechen.

Die Haare an meinen Armen stellten sich hoch und eine leichte Gänsehaut fuhr über meine Haut. »Inga«, flüsterte ich leise. Ich wusste, dass sie mich hören konnte. Dass sie alles sah, was ich in diesem Moment sah. Dass sie sehen würde, wie bald Menschen starben.
Und durch meinen Kopf geisterte nur eine Frage: Wenn ich stürbe, würde sie es dann ebenfalls?

Ich wusste, dass ich der entscheidende Punkt war. Ohne mich würde alles hier zusammenfallen. Ich musste die Welt retten. Egal, wie dramatisch das jetzt klingen mochte. Aber wie sollte ich das anstellen, wenn ich noch nicht mal wusste, was genau ich dem Dämon eigentlich sagen wollte? Ich war mir selbst nicht einig, ob ich Travis zurückholen sollte oder nicht. Trauer vergeht irgendwann, oder nicht? Wollte ich ihn wirklich in solch eine schreckliche Welt bringen? Und selbst wenn ich es tun würde, was würde passieren? Ich konnte mir kaum vorstellen, dass man die Grenze zwischen Leben und Tod ohne Bezahlung überschreiten durfte. Und was, wenn er gar nicht zurück wollte? Mein Kopf brummte, aber wenigstens lenkten mich meine Gedanken von der Angst ab. Die Wände schienen immer näher zu kommen. Der Stein, in den dieser Weg geschlagen worden war, glitzerte leicht. Alles hier erinnerte mich an meine Traumvision. Bald würden wir den Hauptpunkt des Berges erreichen. Und bis dahin sollte ich mir selbst einig sein, wie ich die Sache mit Travis regelte.

Mit stoßenden Atemzügen legte Nathan den Dolch auf einen, dafür vorgesehenen, Stein. Es war, als stände alles in diesem Moment still. Die Zeit, die Menschen, die Gedanken, die Luft. Wir alle warteten nur auf den Moment, in dem uns der Blitz aus dieser Starre lösen würde. Wie in Zeitlupe griff Nathan nach meiner Hand und drückte sie. Erst da bemerkte ich, dass ich zitterte. Ger und Jules sahen einander an und es schien, als wollten sie noch etwas sagen. So wie dieses »Ich liebe dich« in Filmen. Nur freundschaftlich. Aber sie schwiegen und es war in diesem Moment besser so.

Obwohl es aussichtslos schien, hatte ich das Gefühl, vorbereitet zu sein. Nathan, Gereon, Jules, ja sogar Elijah strahlten unglaubliche Macht aus, die es mir unmöglich machte, an uns zu zweifeln. Vielleicht könnten wir es wirklich schaffen. Vielleicht könnten wir alles ändern.

Viel zu schnell holte mich der Donner in die Realität zurück. Mit großen Augen sahen wir zu, wie sich der Mond an die höchste Stelle schob und den Dolch durch ein rundes Loch in der Decke erleuchtete. Der darauffolgende Blitz war der Startschuss. Nathan ließ meine Hand los und wir alle rückten näher zusammen. Ich konnte das Knistern in der Luft spüren, als sie in ihren Kräfte-Modus wechselten und sich ihre Sinne verschärften. Sie hatten das hier trainiert. Sie waren vorbereitet.

Nur ich wusste nicht genau, was passieren würde. Ich wusste nicht, ob wir dem Dämon begegnen würden. Ob wir tatsächlich einen richtigen Kampf ausführten oder es lediglich ein etwas spannenderes Ritual wurde. Denn irgendwie war dieser Teil in den Büchern nicht geschrieben worden. Niemand wusste, was nach all dem passierte. Es hatte niemand für wichtig gehalten.

Automatisch setzte ich mich in Bewegung. Der Stein, auf dem der Dolch lag, glitzerte. Rubine. Überall strahlten sie das Licht der Fackeln wider, die an den Wänden brannten. Die Pracht dieses Ortes traf mich wie ein Schlag. Alles hier war wunderschön und schien gefährlich zu gleich. Täuschung. Verrat. Tod. Es war, als flüsterten die Steine zu mir. Ich streckte meinen Kopf gen Himmel und sah zu, wie weitere Blitze über den Himmel zuckten.

Wie sich dort oben der schlimmste Sturm seit langem zusammenbraute. Und als ein weiterer elektrischer Lichtfaden auf den Dolch herabschoss, bildete ich mir ein, eine dunkle Gestalt in den Wolken zu sehen. Sofort zuckte ich zusammen. Das Feuer des Blitzes verbrannte einen Teil meiner Haut, doch es heilte, bevor sich die Wunde ausbreiten konnte. Ich konnte den Blitz mit meinen Augen in der Luft festhalten. Als sei er eingefroren, glitzerte er und bildete eine Linie vom Mond zum Dolch. Genau so, wie es in den Büchern geschrieben stand.

Mein Atem beschleunigte sich, als ich langsam meinen Blick vom Blitz zum Dolch führte. Sofort wurde der Raum mit grellem Licht erhellt und ich musste mich abwenden, um nicht geblendet zu werden. Dann war das Messer verschwunden und der Stein vor meinen Augen leer. Unsicher drehte ich mich zu Nathan um. War es vorbei? Hatten wir es geschafft?

In diesem Moment begann die Erde zu beben. Steinbrocken lösten sich von der Decke und fielen auf uns hinab. Schützend legte ich meine Arme über den Kopf, doch der Staub versperrte meine Sicht. Der ganze Ort schien verschwommen. Irreal. Ausgedacht. Das Funkeln der Edelsteine war dennoch zu sehen und ich konnte in etwa abschätzen, wo sich was befand, als ich meinen Arm von den Augen nahm. Das Erdbeben riss mich mit einem Mal zu Boden und ich spürte, wie Blut aus meinen aufgeschürften Armen lief. Sie heilen nicht. Das war die erste Erkenntnis. Und als sich der Rauch auflöste traf mich Erkenntnis Nummer zwei wie ein Stich ins Herz: Er hat uns verraten.

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So meine Lieben, endlich wieder ein neues Kapitel. Die Schule hält mich momentan leider ganz schön auf Trapp, weswegen ich wahrscheinlich erst später wieder uploaden oder etwas Lesbares zu Stande bringen werde.

Und hier die Angekündigte Info: Ich habe mich beim Platinaward angemeldet und dort hat die Votingphase begonnen. Es wäre sehr nett, wenn ein paar von euch im dafür vorgesehenen Kapitel des Platinawards das Wort "Vote" neben den Namen meiner Geschichte schreiben würden. Leider ist dort noch der alte Name "roselovewriting2002" angegeben und ich bin in der Kategorie "bis 500" eingetragen, da meine Anmeldung schon etwas her ist. Ich würde mich aber trotzdem freuen, wenn ein paar meiner stillen oder auch fleißig kommentieren und votenden Leser, dort für mich voten würden, damit ich weiter komme. Und das nicht, weil ich irgendwie "likegeil" bin oder so, sondern einfach gerne mehr Feedback bekommen würde, weshalb ich auf eine höhere Platzierung hoffe. Wäre wirklich nett, wenn ihr mal vorbeischauen könntet.

LG Sina. <3

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