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»Ihr dürft die Hütten nach elf Uhr nicht mehr verlassen. Freizeit habt ihr zwischen dem geregelten Programm. Dieses hängt im Gemeinschaftshaus aus.«

Anders als ich gedacht hatte, war die Insel nicht unbewohnt oder still und naturbewusst. Es gab riesige Hotelanlagen und in der Mitte der Insel befand sich ein großes Stadtzentrum mit Geschäften und Häusern. Aber der Dämon hatte diesen Ort wohl nicht wegen der hübschen Läden auserwählt. Fern abgelegen vom Tumult der Stadt, lag der Dschungel mit all seinen Geheimnissen. Und dahinter der riesige Vulkanfelsen, in dessen Höhle sich unser Leben ändern würde. In der es entweder besser wird, oder endet.

Ich verließ meinen Platz in dem Halbkreis, den wir um unser Lehrerteam gebildet hatten und lief auf Maja zu, die sich mit einem jüngeren Mädchen unterhielt. Unsanft wurde ich zur Seite geschleudert, weil mich jemand angerempelt hatte. Ich erholte mich von meinem kleinen Schock und blickte zu ihm hoch. Leicht verwirrt rieb er sich seinen Kopf. Seine Lippen umspielte ein sadistisches Lächeln.

Seine Lippen, die wie die von Travis aussahen. In seinem Gesicht, das wie das von Travis aussah. Ich vergaß zu atmen und starrte ihn an. Wusste nicht, ob ich ihm um den Hals fallen sollte oder an meiner geistigen Gesundheit zweifeln müsste. Automatisch blinzelte ich, um eine Einbildung auszuschließen. Umso größer war die Enttäuschung, als mich ein fremder Junge anblickte und sich sicherlich fragte, weshalb ich ihn wie ein Auto angestarrt hatte. »Sorry«, murmelte ich etwas kleinlaut und wollte mich wieder umdrehen, doch er hielt mich am Ärmel fest. »Was läuft da eigentlich mit dir und diesem Jonathan?« Ich runzelte die Stirn und riss meinen Ärmel von ihm los. Kannte ich diesen Typen etwa? »Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, meinte ich patzig und nickte Maja zu, die das Ganze mit gefährlichen Blicken musterte. »Wohnst du nicht irgendwie bei dem?«, rief er mir noch hinterher und ich versuchte, ihn so gut wie möglich zu ignorieren.

»Oder doch bei diesem anderen. Travis, oder wie der hieß.« Wie angewurzelt blieb ich stehen und drückte meine Füße in den Sand. In der Schule war Travis mit keinem Wort erwähnt worden. Nunja, sein Spind war mit zahlreichen Fotos beklebt worden, aber keiner hatte etwas gesagt. Vielleicht hatte sich keiner getraut. Wie auch immer, als dieser Junge Travis erwähnte, hätte ich seinen Kopf am liebsten in den Sand gedrückt. »Was sagst du da?«, fragte ich und drehte mich wieder um. »So hieß er doch. Travis. Der Typ, mit dem du immer rumgehangen hast. War mir ja nie sympathisch.« Ich brodelte vor Wut als ich auf ihn zu raste und wild mit meinen Armen gestikulierte. »Ich könnte dich umbringen, wenn ich wollte. Pass auf, was du sagst!« Er lachte auf. »Du? Du könntest doch niemals etwas erreichen. Du bist ein kleines naives Mädchen. Davon lenkt auch deine neue Frisur nicht ab.«

Er spuckte seine Worte förmlich aus. »Und ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber diese Gruppe, bei denen du Betthäschen spielst, nutzt dich doch sowieso nur aus. Und dann begehst du auch noch Inzest mit deinem Pseudobruder. Echt schräg.« Ich spürte, wie die Wut in mir zu Kraft wurde. Kraft, die in mir loderte wie das Feuer, dass ich im Flugzeug schon nicht bändigen konnte. Doch nun war sie unaufhaltsam. Die Worte, die er sagte, schienen darin zu schmelzen. Meine Gedanken wurden zu Rauch, der das Feuer in mir ankündigte. Mein Sichtfeld verschwamm, als sich der Qualm ausbreitete. Unbändige Kraft. Die Haare an meinen Armen stellten sich hoch. Keine Kontrolle. Meine Hände zuckten in dem Rhythmus, in dem mein Herz pochte. Mein anderes Ich. Und dann pumpte es kein Blut mehr, sondern Macht. Macht, dessen Farbe ich nur zu gut kannte.

»Verschwinde«, zischte ich und sah aus dem Augenwinkel, wie meine pechschwarzen Haare bis zu den Ellenbogen wuchsen. In seinen Augen sah ich ein kleines Zucken. Und dies sah ich als Startschuss.

Bevor ich etwas tun konnte blinzelte ich und meine goldenen Augen kamen zum Vorschein. Was danach passierte, lässt mich noch immer staunen. Meine Hände schnellten nach vorne und schossen Feuerbälle auf ihn. Allein durch meinen Blick, sollte er verbrennen und vor Schmerzen am Boden liegen. Ich sah zu, wie mein verändertes Ich auf ihn einschlug, bis er blutete und sich nicht mehr regte. Ich spürte meine aufgeplatzten Knöchel nicht, die Wunden heilten bereits, bevor sie sich ausbilden konnten. In meinem Hinterkopf hörte ich eine leise Stimme. Nicht lauter als ein Flüstern, aber ich musste ihr zuhören. Es war wichtig, das wusste ich. Aber diese herrschende Macht in mir, hielt mich davon ab. Sie brachte mich dazu, weitere Feuerhiebe auf den Fremden einprasseln zu lassen und schottete die Realität von mir ab. Die Menschlichkeit.

Ich biss die Zähne zusammen. Schlug absichtlich nicht in sein Gesicht, sondern in meinen Bauch, um mich endlich zu besinnen. Sofort war die Kraft weg und ich bemerkte, was ich da soeben getan hatte. Er regte sich nicht, aber seine Brust hob sich mit jedem rasselnden Atemzug, den er tätigte. Ich hatte ich hatte ihn übel zugerichtet. Dieses Etwas in mir hatte das getan. Ich wurde von zwei starken Armen hochgehoben und vom Tatort weggebracht. Erst später bemerkte ich, dass ich sein ganzes T-Shirt mit Tränen durchnässt hatte. Meine Hände pulsierten noch von den Schlägen und alles in mir kämpfte gegen sich selbst. Ich spürte, wie ich zitterte und dann nahm mich jemand in den Arm. Verzweifelt blickte ich zu Ger hoch, der mich auf einen umgefallenen Baumstamm im künstlich angelegten Garten des Naturhotels abgestellt hatte. Ich fuhr mit meinen Händen über mein Gesicht um das bisschen Make-up, das noch übrig geblieben war, zu retten. Ger lachte leise. »Ihr Mädchen seid doch alle gleich. « Sofort musste ich auch lächeln. Mit normalen Menschen gleichgesetzt zu werden, war ein unglaublich befriedigendes Gefühl. Es half mir dabei, an die Normalität dieser Welt zu glauben. »Ich...«, stotterte ich. »Ich hatte keine Kontrolle.« Es war nur ein verzweifeltes Flüstern. »Mach dir keine Sorgen. Nathan hat es im Griff.« Ich seufzte. Wahrscheinlich hatte Nathan sogar geplant, dass so etwas eventuell mal passieren würde um sich darauf vorzubereiten. Es war einfach unnatürlich, wie intelligent und zielsicher dieser Junge war.

»Er wird sie manipulieren, nicht war?« Ger nickte leicht. Ich seufzte. »Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Hatte keine Kraft, um auf mich selbst zu hören.« Ich sah zu ihm hoch und sprach die nächsten Worte sehr leise. »Als wäre ich jemand anderes.« Ger sah mich aus seinen grün-blauen Augen an und legte die Stirn in Falten. Dann rieb er sich über seinen Drei-Tage-Bart. »Verdammt, dieser Dämon ist wirklich ein Schwein«, meinte er und rieb sich die Augen. »Was, wenn nichts aus den Spielregeln wahr ist?«, überlegte er. »Was, wenn wir uns auf Dinge verlassen, die nicht existieren?« Seine Schultern bebten, als er seine nächsten Worte sprach. »Was, wenn es keinen Ausweg gibt?«

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So, die Schule hält mich momentan ziemlich vom Schreiben ab, weshalb es wohl noch etwas länger dauern wird, bis die nächsten Kapitel kommen. Vielleicht schaffe ich es aber auch am Wochendende.
Könnt in den Kommentaren ja mal raten, ob sie den Mann unterschätzt hat, oder ob er vielleicht doch ganz nett ist und sie leben lässt ;)

Könnt mir wie immer gerne Verbesserungsvorschläge und Feedback in die Kommentare schreiben, ich freue mich über alles! :D

LG Sina <3


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