25

Ich sah, wie mein Blut auf den dunklen Boden tropfte und damit zu verschmelzen schien. Ich konnte an nichts und alles mehr denken. Denn plötzlich kehrte etwas zurück, das mir bisher gefehlt hatte. Ich sah wie in einem Film ohne Ton, wie ich von Zimo in einem hellblauen Oldtimer zum leerstehenden Krankenhaus gefahren wurde und wie Travis meine Hand fest drückte. Hinter uns auf ihren Motorrädern die anderen. Ich spürte, wie gut diese Berührung tat und wie lieb mir das Gefühl war, wieder mal nicht alleine zu sein. Dann steigen wir aus und rennen in den Keller. Alles scheint dunkler. Der Tag verfliegt.

Wir betreten einen Raum, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe und knien uns auf den Boden. Eine Trainingshalle. Der Boden aus Beton und die Wände mit weißem Schaumstoff bedeckt. Die linke Wand voll mit Waffen. Ich sehe einen metallischen Bogen und Pistolen in jeder erdenklichen Konstellation. Eine Vielzahl an Dolchen, Messern und sogar Schwertern. Alle mit feinster Handarbeit gefertigt, so sieht es aus. Ger stürmt in den Raum und direkt zu dieser Mauer. Zimo schreit irgendwas und Ger zuckt zusammen, verlässt das Zimmer und verschließt eine dicke Tür. Ich spüre die Angst, die mich in diesem Moment packt und seither nicht mehr losgelassen hat. Mein Herz zerspringt beinahe und Travis rinnt kalter Schweiß über die Stirn. Auch er hat Angst. Vielleicht sogar mehr als ich.

Zimo sagt uns etwas und wir nicken langsam, dann sehen wir uns wieder an. Meine Lippen beben, diese Angst macht mich fertig. Es ist das schlimmste Gefühl, das ich je gespürt habe. Plötzlich hörte der Film auf und ich sah wieder das, was ich sehen sollte. Ich stand auf dem schwarzen Boden mit den endlosen weißen Wänden, an dem Ort, dem ich nur durch diese Erinnerungen entfliehen konnte. Suchend sah ich mich um. Ich wollte mehr sehen. Ich musste mehr sehen. Ich musste herausfinden, was geschehen war, dass ich mich nun an diesem Ort befand.

Ein weiteres Klacken und diesmal traf es mich in den linken Oberarm. Die Schmerzen waren nicht auszuhalten, ich stürzte und kniete mich auf dem Boden hin, was mit meinem durchlöcherten Bein nicht so gut zu vereinbaren war. Ich kippte zur Seite und lag nun auf dem Boden. Dann begann der Film wieder und ich spüre, wie ich stark werde. Stärker als in dem Raum mit den schwarzen Böden und weißen Wänden. So stark, wie bei der Verschmelzung mit Travis. Ich nutze seine Kräfte, als ich wieder neben Zimo knie. Ich strecke meine Hand aus und Travis nickt leicht. Ich lege sie auf seine Schulter und verringere den Abstand zwischen uns. Dann lege ich auch die andere Hand auf seine übrige Schulter.

Ein tiefes Luftholen. Jetzt stelle ich mir vor, wie es bei der Verschmelzung war. Wie ich Travis' Kräfte in mich aufgenommen habe um ihn zu retten. Damit er nicht stirbt. Und jetzt muss ich das gleiche tun. Weil sonst wir beide sterben. Mit diesen Gedanken verstärken sich die Schmerzen. Ich schließe die Augen und sehe dennoch die saphirblaue Linie, die durch den Kreis, den wir gebildet hatten, fließt. Es ist, als verschmelzen Realität, Erinnerung und Film miteinander und holen mich dahin zurück, wo ich sein sollte. Das nächste Klacken nahm ich kaum war, dafür spürte ich den Schmerz aber umso mehr. In den unteren Rückenbereich. Ich schreie. Viel zu lange. Ich würde sterben. Ich würde es nicht überleben, die ganzen Pistolenschüsse auszuhalten. Und es war so nah. Dieser eine Gedanke, der mir zuflüsterte, ich sollte alles loslassen. Mich von den ganzen Problemen lösen und Ruhe finden. Aber dieser Gedanke schien mir manipulativ. Ich stellte mir vor, dass es der Dämon war, der mich dies glauben ließ. Und dass ich niemals dem Dämon trauen durfte. Und erst, als mich mein Atem verließ, weil mein Schreien andauerte, konnte ich Nathans starke Arme um mich spüren.

~

Ich saß in eine Aluminiumdecke eingewickelt auf einem Behandlungsstuhl, wie ich sie nur vom Zahnarzt kannte. An mich angeschlossen war eine Vielzahl an Maschinen, deren Nutzen mir Zimo erklärt, ich allerdings vergessen hatte. Ich hatte so ziemlich nichts von dem verstanden, was sie alle zu mir gesagt hatten, nachdem ich aufgewacht war. Nein, nicht wie aus einem Traum aufgewacht. Das wäre zu schön gewesen. Eher aus einer Ohnmacht, in der ich eigentlich schon tot gewesen war. Nur, dass ich scheinbar durch diesen Traum in einer anderen Dimension zwischen Leben und Tod, wieder lebendig geworden war. So oder so ähnlich hatte es Ger beschrieben, als sie mich in diesen Nebenraum getragen hatten. Weshalb ich nun an all diese Geräte angeschlossen war, war unbekannt. Mir ging es relativ gut. Nicht sehr schlecht zumindest. Ich seufzte. Sie hatten mir verboten, Arme oder Beine anzusehen, bis die Maschinen ein Ergebnis ausgespuckt hätten. Wieder knibbelte ich an dem Pflaster, das die Infusion in meiner Hand festhielt. Ich bezweifelte, dass es sich wieder um ein Gift handelte. Gänzlich auszuschließen war dies aber nicht.

Mit einem Seitenblick zu Nathan, der auf dem Sessel neben mir eingeschlafen war, löste ich die Decke von mir. Ger, Jules und er hatten sich hier hingesetzt und auf mich aufgepasst. Eigentlich recht süß. Würden sie jetzt nur nicht sabbernd hier liegen und schlafen. Ich betrachtete das Krankenhemd, das ich trug und fragte mich, wer von ihnen mich wohl umgezogen hatte. Ich hoffte auf die blonde Assistentin, die ich allerdings seit meinem ersten Tag hier nicht mehr gesehen hatte. Ich zog den türkisblauen Stoff hoch und entblößte mein Bein. Ich war zu neugierig, was ich sehen würde. Und schockiert, als ich es sah. Eine Wunde, schon fast verheilt, oberhalb meines rechten Knies. Fasziniert fuhr ich mit dem Finger über die Kruste. Und innerhalb von Sekunden war sie verheilt. Sie zog sich zusammen und hinterließ eine Haut, die sogar vorher nicht schöner gewesen wäre. Ich blinzelte. Strich mit meinem Finger über die Stelle und drückte. Kein Schmerz. Gar nichts. Schnell sah ich zu meinem Arm und drehte ihn so, dass ich ungefähr etwas sehen konnte. Ich sah mein Spiegelbild in einem Metallbecher, der auf einem Tisch neben mir stand.

Diese Wunde war mit einem weißen Tupfer abgedeckt, der beinahe in Blut getränkt war. Doch ich spürte keine Schmerzen. Ich zog die weiße Watte von der Stelle und sah, eine fast verkrustete Wunde im Spiegelbild. Ich schloss die Augen und fuhr auch hier über die Haut, die Sekunden später ebenmäßig glatt war. »Was tust du da?«, ließ mich Gers Stimme aufschrecken. Sofort setzte ich mich gerade hin und zog den Kittel runter. »Gar nichts«, sagte ich schnell und sah ihm dabei nicht in seine Augen, die er nun verdrehte. »Hatte Zimo dir nicht verboten, deine Wunden anzusehen?« »Inzwischen sollte dir vielleicht klar sein, dass mich Verbote nur noch mehr locken.« Er lachte und verharrte in einem freundlichen Lächeln. »Es ist schön, dich zu sehen«, sagte er. »Schön zu sehen, dass es dir gut geht.« Ich lächelte. »Dir ist klar, dass ihr mir erklären müsst, was da eben passiert ist«, sagte ich nach einer kurzen Pause. Ger huschte ein Schatten übers Gesicht. Wartend sah ich ihn an. »Sag einfach, was du wissen willst«, sagte er recht kleinlaut. Ich runzelte die Stirn. Ger war augenscheinlich sauer. Und traurig. »Ich möchte wissen, wieso ich hier bin. Lief es nicht wie geplant?« Ger verzog das Gesicht. »Nein, nichts lief wie geplant.« Ich schluckte. Was sollte das heißen? Einige Momente sah ich ihn einfach nur an. Dann brach es plötzlich aus ihm raus. »Travis hat es nicht geschafft, Lissa. Er ist tot.«

Ich schluckte, runzelte die Stirn und blickte Ger tief in die Augen. »Wer ist tot?« Sein Blick war verwundert und ängstlich. Als konnte er sich denken, was passiert war. »Nein«, flüsterte er leise. Wie ein Keuchen mit letzter Kraft. Ihm standen Tränen in den Augen. »Das darf er nicht getan haben.«


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