12


Das rhythmische Widerhallen meiner Schritte wirkte beinahe beruhigend auf meine strapazierten Nerven. Die Kälte des Kirchengebäudes schlug auf mich ein, als hätte der Herbst schon längst begonnen und ich vergrub mein Gesicht in meiner Strickjacke. Ich tunkte meine Hand in das kalte Weihwasserbecken am Eingang und ließ meinen Blick über die alten Leute schweifen, die wie eingefroren in den dunklen Holzbänken saßen. Es waren nicht sehr viele, aber immer noch mehr, als ich erwartet hätte.

Zugegebenermaßen war ich unglaublich nervös und mein Herz hämmerte so, dass es die betenden Menschen übertönte.

Und Travis' »pünktlich« war etwa so genau gewesen wie die Dinge, die ich tatsächlich über den heutigen Abend wusste.

Ich würde Kontakt zu einem Dämon herstellen, der schon Gottweißwieviele Menschen auf dem Gewissen hatte, um herauszufinden, wie ich die Jungs aus ihrem Deal befreien konnte. Gedanklich klang es ja sogar noch lächerlicher. Wovor hatte ich eigentlich Angst? Es gab nur vage Beweise dafür, dass die Jungs die Wahrheit sagten und es gab bestimmt eine merkwürdig logische Erklärung für meine Tagträume.

Ein Gong ertönte und ich zuckte zusammen. Die Menschen beteten weiter. Ich atmete tief durch.

Ob die Jungs mich zum Spaß hierher geschickt hatten? Als eine Art Aufnahmeprüfung? Um zu sehen, wie ernst ich das alles nahm?

Wenn ich mich jetzt schon vor ein paar alten Leuten fürchtete, wie würde es mir dann gleich ergehen? Wenn ich eine Blutsverbindung über den Dämon herstellen würde?

Ich seufzte leise und für eine Sekunde bereute ich, mich darauf eingelassen zu haben. Ich nickte dem Kreuz auf dem Altar kurz zu, als würde es mich vor bevorstehendem Unheil beschützen können. Dann verließ ich die Kirche wieder und ging nach draußen.

Ein gepflasterter Steinweg führte durch eine parkähnliche Anlage, auf der mehrere Holzbänke standen. Starker Wind blies mir meine braunen Haare ins Gesicht und mit jeder Sekunde vergrößerte sich die Fläche an dicken Regenwolken, die den Himmel bedeckten.

Die vereinzelten Regentropfen entwickelten sich zu einem Starkregen und die Stoffkapuze meiner Strickjacke fühlte sich an wie ein nasser Lappen, den ich über meinen Kopf geschwungen hatte.

Ich sah mich nach einem Unterschlupf um und entdeckte dabei ein hohes Eisentor, weiter hinten im Park. Es bildete den Eingang zu einem menschengroßen Felsen, unter dem sich wohl Grabkammern befinden mussten. Erst jetzt entdeckte ich die anderen grauen Steine, in die römische Ziffern und veraltete Namen gemeißelt waren. Scheinbar war dieser Garten ein kleiner Friedhof, ehemaliger Pastöre oder Geistlicher.

Erst, als bis auf die Socken durchnässt war, drückte ich die tropfende Klinke runter und traute mich, die quietschenden Gitter aufzuschieben.

Eine Treppe mit steinernen Stufen führte in die Katakomben, mündete in tiefster Dunkelheit. ins Untere des Felsens. Ich blickte noch einmal zurück, wollte Zeit schinden, nicht dort runter gehen zu müssen. Aber es schüttete wie aus Eimern und das Kellergewölbe einer Kirche schien mir der geeignetste Ort für ein Dämonenritual. Ich schlich also seufzend die Stufen hinunter, umklammerte mein Handy, als würde die schwache Taschenlampe eine lebensrettende Waffe gegen die Dunkelheit sein.

Die Kälte verstärkte sich mit jedem Schritt, aber immerhin wurden Regen und Wind von den dicken Wänden abgehalten. Ich erreichte einen Gang, an dessen Ende ein weiteres Tor in die Dunkelheit führte. Das Tageslicht, das meinen Schatten bis eben noch groß, nahezu gefährlich, hatte wirken lassen, wurde von den Katakomben verschluckt. Das weiße Licht meines Handys ließ mich einen Blick auf die Wände der Tunnel werfen, aber der Kloß in meinem Hals wuchs.

Und gerade dies war die Gewissheit, dass ich mich am richtigen Ort befand. Als ich durch ein weiteres Tor ging, flammten plötzlich die Fackeln an den Wänden auf. Ich holte zittrig Luft. War es Magie? Ist die Macht, über solche Dinge zu herrschen, Magie?

»Da bist du ja«, begrüßte mich Gereon mit ausgebreiteten Armen. Ich blieb vor ihm stehen und hoffte, dass er mich nicht umarmen würde.

»Gereon«, sagte ich eher weniger erfreut. Er war scheinbar der einzige, der bereits hier war. »Nenn mich doch einfach Ger«, schlug er mit breitem Lächeln vor. Mir war klar, dass er mit mir spielte. Dass er plötzlich so nett zu mir war, weil er sich einen Spaß aus meinen Reaktionen machte.

»Wo sind die anderen?«

»Angst mit mir allein zu bleiben?«

Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken, als ich meine Handtasche auf einem Holztisch ablegte und mich langsam aus meiner triefenden Jacke schälte.

Der eisige Steinboden ging nahtlos in die Wände über. Auf einem zugedeckten Tisch standen weiße und rote Kerzen, die im gesamten Raum wieder auftauchten und mit den Fackeln gelbliches Licht spendeten. Auf einem anderen Tisch lagen ein Buch, eine Schüssel mit Wasser und ein weißes Tuch. Rote Samtkissen waren in einem Kreis auf den Boden gelegt worden. Scheinbar lagerte man hier sämtliche Utensilien für die Messen, die über uns stattfanden.

»Das hättest du wohl gerne«, meinte ich patzig als Antwort. Er grinste wieder, als ich mich zu ihm umdrehte. Er machte einen Schritt auf mich zu. Er war nicht viel größer als ich und dennoch musste ich zugeben, dass ich ein wenig Angst vor ihm hatte.

»Ja, ich muss zugeben, das wäre keine schlechte Vorstellung«, hauchte er leise.

»Ich würd's ja für dich rausfinden aber du weißt ja. Kraftsperre in ihrer Gegenwart und so.«

Travis schmiss eine riesige schwarze Reisetasche in eine Ecke und beobachtete uns, während er darin rumwühlte. Ich wich sofort einen Schritt von Gereon und zog mein Oberteil zurecht. Gereon lachte leise, zufrieden. »Du tropfst ja genauso wie die Kleine«, stellte er fest und setzte sich halb auf einen Tisch. Travis holte eine Weinflasche aus der Tasche. »Ein Nebeneffekt des Regens«, meinte er lehrend zu Gereon. Ich unterdrückte ein Lachen. »Und du hast dich wieder in die Sakristei geschlichen?«, fragte Gereon. Travis lächelte zufrieden.

»Hab ich dem Pastor abgemurkst.« Stolz holte er noch einen goldenen Kelch hervor.

»Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihn manipuliert habe. Wahrscheinlich hat er gedacht ich wär der Teufel in Person.« Die beiden lachten, aber ich konnte sie nur fassungslos anstarren.

»Dir macht es also wirklich Spaß, Menschen zu manipulieren? Ist dir egal, wie viel Angst sie haben?!« Travis sah mich einen Moment an, war scheinbar überrascht, dass ich schreien konnte. »Wenn ich die Macht habe, andere zu kontrollieren, weshalb sollte ich sie dann nicht nutzen?«, fragte er leise und sah mir tief in die Augen.

Ich fragte mich, ob sie von Anfang an so leichtsinnig mit ihren Kräften umgegangen waren, oder ob sie mit der Zeit tatsächlich Gefallen an der Macht gefunden hatten.

»Jetzt schau uns doch nicht so an, als seien wir Monster, Lissachen«, meinte Gereon und stellte sich zwischen Travis und mich. »Wir verletzen ja niemanden«, sagte er und legte die Arme um uns beide. Davon war ich nicht überzeugt.

»Nettes Oberteil«, meinte Travis und löste sich von Ger.

»Danke«, murmelte ich und zog es sofort höher, um den Ausschnitt zu verkleinern. Es klebte an mir wie eine zweite Haut und ich hoffte, dass ich mich nicht erkälten würde.

»Blau steht dir«, machte er weiter.

»Es betont deine einzigartigen braunen Augen.«

Ich verdrehte leicht die Augen.

»Ablenkung funktioniert nicht«, rutschte mir raus und sofort wurde Travis hellhörig.

»Was hast du gesagt?«

»Du kannst nicht in meinen Gedanken rumpfuschen. Also musst du das auch nicht immer wieder versuchen.«

Er verengte die Augen zu Schlitzen und sah mich an. »Du spürst, wenn ich versuche in deinen Kopf zu kommen?« Ich zuckte entschuldigend die Schultern.

»Natürlich spüre ich das.« Travis überlegte. »Oft genug«, schob ich hinterher.

Er runzelte nachdenklich die Stirn.

»Dann könntest du es ja abstellen.«

Reflexartig schüttelte ich den Kopf.

»Ich muss dich nicht mit aller Kraft davon abhalten und gegen deine Macht ankämpfen. Es ist eher so wie ein Warnsignal ‚Achtung, Travis will deine Gedanken lesen, schafft es aber nicht'. Ich kann das nicht kontrollieren, aber merke, wenn du es versuchst. Es ist schwer zu beschreiben.«

»Wann ist dir das aufgefallen?«, hörte ich Jules, der sich aus einer dunklen Ecke löste, einen vergoldeten Kerzenständer in der Hand. Er betrachtete mich, als sei ich eine eigene Wissenschaft und für ihn ein einziges Rätsel.

»Auf der Party hatte ich so ein Gefühl, konnte es aber nicht zuordnen. Eben bin ich darauf gekommen, dass es was mit euch zu tun hat und soeben hat sich meine Vermutung bestätigt.« Ich zuckte leicht die Schultern. Gereon grinste schief.

»Pfiffig«, sagte er wiedermal.

»Außerordentlich interessant«, verbesserte ihn Jules.

Ich lächelte leicht.

Nathan betrat den Raum. Den Kopf erhoben, würdigte er mich keines Blickes. Er lief mit großen Schritten zu einem Tisch und legte ein weißes Tuch neben die Wasserschale. Meine Brust zog sich zusammen und sofort wusste ich, was sich in dem Tuch befand. Ich hatte es gefunden, als ich in seiner Schreibtischschublade herumgewühlt hatte. Das Messer.

Gereon blickte von Nathan zu mir und wieder zurück. Ich versuchte inzwischen krampfhaft, mich auf einen Punkt an der Wand zu fixieren, um nicht laut loszuschreien. Es machte mich fertig, wie Nathan mit mir umging. Aber ignorieren konnte ich auch. Ich drehte mich vorwurfsvoll zu Travis, als er erneut versuchte, meine Gedanken zu lesen.

»Sorry, aber ich wollte wissen, was mit euch beiden los ist«, verteidigte er sich und musterte Nathan.

»Garnichts ist los!«, blafften Nathan und ich ihn gleichzeitig an.

Ich wurde wütend. Bereute die Entscheidung, hier hergekommen zu sein. Zu glauben, nach unserer Begegnung im Klassenzimmer würde Nathan wieder normal mit mir umgehen.

»Beziehungsstress? Weil die kleine Lissa bei uns mitmacht und unser Märtyrer sie vor den dunklen Geistern dieser Welt beschützen will?«

Super Travis. War es denn so offensichtlich?

Nathan hob tatsächlich für eine Sekunde den Blick vom Boden und sah mich an. Ein beinahe hasserfüllter Blick.

»Vielleicht solltet ihr wissen, dass unsere Lissa eigentlich Melissia heißt«, offenbarte Nathan so, als sei es meine Schuld, dass ich einen Spitznamen hatte.

»Melissia?«, fragte Jules und der Name schien ihm bekannt zu sein.

»Warte, wie die Tochter von der Neuen deines Vaters?«

Die Gesichter der anderen hellten sich auf. Dass Nathan von uns erzählt hatte war nur ein weiteres Zeichen dafür, dass wohl nicht oft neue Familien bei den Blanes einzogen.

Nathan blickte wieder zu Boden und Ger lachte auf.

»Du hast deine Schwester geküsst«, trällerte er in einem Singsang wie ein Kindergartenkind. Travis grinste. »Sie ist nicht meine Schwester«, zischte Nathan scharf. Ich funkelte ihn wütend an.

Was sprach gegen uns, wenn ich scheinbar nicht seine Schwester war? Wieso verhielt er sich dann so? Aber wollte ich überhaupt jemanden kennenlernen, der mir schon jetzt vorschrieb, was ich tun und lassen durfte?

»Ohoh, sieht so aus, als sei das noch nicht geklärt«, stellte Ger fest, der uns belustigt ansah.

»Ich unterbreche das nur ungern, aber wir sollten anfangen. Das Gewitter hat begonnen.« Sobald Travis den Satz beendet hatte, ertönte ein Donnerschlag und ich zuckte zusammen.

Ich überlegte, ob sie diese Dinge vielleicht mit Absicht taten. Auch, wenn ich nicht wusste, wie sie das anstellen wollten. Ihre Kräfte waren in meiner Gegenwart geblockt. Das würde bedeuten, dass der Dämon die Dinge so fügte. Und das wiederum hieß, dass er uns beobachtete. Eine grausige Vorstellung.

Travis musterte mich belustigt.

»Halt die Klappe«, zischte ich patzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Er grinste wieder. »Also mit solch positiven Schwingungen wird das hier bestimmt ein Zuckerschlecken!«

Er stellte eine große weiße Kerze mitten in den Raum und kniete sich davor. Jules brachte die Dinge vom Tisch in die Nähe des Kreises, zu dem wir uns gesetzt hatten. Ger schlug ein Buch auf und überflog die Seite. »Ich brauche noch deinen Namen«, sagte er. Etwas verwirrt sah ich ihn an. »Nunja. Deinen richtigen Namen.« Ger verkniff sich ein Grinsen, zwinkerte mir zu.

»Melissia Thess«, antwortete Nathan an meiner Stelle. Sein Blick schien sich durch mich zu bohren. »Ihr Name ist Melissia.«



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