52) Bericht - 2

Achtung, Doppelupdate!😊💕

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Schweigen trat ein.

Dann richtete Ken sich auf. „Bitte?"

Ich holte tief Luft, angestrengt versucht, nicht den Eindruck eines verängstigten Kaninchens zu erwecken. „Meine Mutter hatte die gleichen Ausfallerscheinungen wie Zayns Vater, korrekt? Sie hat die Kontrolle über ihre Fähigkeiten verloren, den Bezug zur Realität. Sie ist daran verzweifelt."

Plötzlich schien die Temperatur im Raum um mehrere Grade zu sinken.

Kens eindringlicher Blick haftete an mir. „Woher willst du das wissen?"

Aha. Jetzt schien ich endgültig seine volle Aufmerksamkeit zu haben.

„Wie gesagt." Ich zwang mich, den Blickkontakt zu halten. „Ich habe meine Quellen. Sichere Quellen."

„Sichere Quellen also." Er musterte mich. „Dann sag mir doch: Was ist dein persönlicher Eindruck aus all diesen Quellen?"

Nun musste ich vorsichtig sein.

Oder vielleicht auch nicht? Lohnte es sich überhaupt noch, vorsichtig zu sein und mich mit meinem Theorien zurückzuhalten? Ken ahnte doch schon, dass ich weitaus mehr wusste, als ich sollte – und mir eine ebenso weitaus stärkere, fundiertere Meinung gebildet hatte, als ihm lieb sein dürfte.

„Mein Eindruck?" Trotz der eiskalten Atmosphäre zwischen uns brach mir der Schweiß aus allen Poren. „Mein Eindruck ist der, dass meine Mutter begriffen hat, dass die Mutation nicht nur rundum Verbesserungen und Vorteile mit sich bringt. Selektionsvorteile. Oder hat jemand, der aus Verzweiflung heraus den Freitod wählt, in deinen Augen einen Selektionsvorteil?"

Kens Gesicht blieb ausdruckslos. „Sprich weiter."

Ich wählte meine Worte mit Bedacht. „Sie hat sich am Ende für die Enzymforschung ausgesprochen. Weil ein Enzym, das die veränderte DNA-Struktur nachhaltig reparieren kann, eine Chance für all jene Oblivious ist, die die Kontrolle über ihre Mutation verlieren. Für..."

„Wir sind keine Oblivious, Niall", fuhr Ken mir brüsk über den Mund. „Oder besser: Wir sind nicht oblivious. Wir sind nicht unwissend oder arglos. Allein die Tatsache, dass uns dieser Begriff als allgemeingültige Bezeichnung aufgedrückt wurde, ist respektlos."

„Du lenkst vom Thema ab." Ich wusste nicht, woher ich meinen Mut nahm, aber aus irgendeinem Grund war er vorhanden und ich nutzte ihn. „Meine Mutter hat eingesehen, dass vor allem die Oblivious der zweiten Generation, also diejenigen mit den stärkeren Ausprägungen und Fähigkeiten, gefährdet sind." Ich hielt inne, um nervös meine Lippen zu befeuchten. „Sie hat mit Quinn zusammengearbeitet."

Bang zurrte sich mein Blick auf Kens Gesicht fest, eine große Bandbreite an Reaktionen von ihm erwartend. Nur ein kleiner Teil von mir rechnete mit Verblüffung, Unglauben, Schock. Irgendetwas, das trotz allem darauf hinwies, dass er vom Alleingang seiner Schwester nichts wusste, dass er an ihrem Verschwinden tatsächlich keine Schuld trug.

Doch insgeheim nagte schon dieses Gefühl einer Ahnung in mir. Die Ahnung davon, dass Ken mit all seinen Überzeugungen definitiv nicht unschuldig war.

„Richtig." Kens Mundwinkel zuckten in der Andeutung eines verkniffenen Lächelns. „Du hast die Situation perfekt erfasst. Glückwunsch an deine Quellen, Niall. Deine Mutter, die Gründerin und Anführerin der Cognizant-Rebellion, ist uns in den Rücken gefallen. Sie hat sich nach außen hin weiterhin als Rebellin gezeigt, während sie im Verdeckten mit Bernard Quinn kooperiert hat, dem größten Erzfeind unserer Erzfeinde. Nicht nur hat sie Informationen unserer Pläne und Schritte weitergeleitet, sondern auch aktiv an einer Waffe mitgewirkt, die uns alle vernichten kann."

„Keine Waffe." Allmählich bereitete es mir Schwierigkeiten, gleichmäßig zu atmen. „Sie wollte eine Heilung."

„Heilung?" Ken spie mir das Wort buchstäblich entgegen. „Heilung? Niall, diese Mutation ist ein Teil von uns, sie ist das, was uns zu dem macht, was wir sind. Sie ist keine Krankheit, die man heilen muss, sondern eine Gabe!"

„Wenn diese Gabe zu einem grässlichen Tod führt, gibt es für mich nicht mehr viel Unterschied zu einer Krankheit."

„Meine Güte, Niall." Kens Kiefer bebte. „Wer hat dir all das eingetrichtert?"

„Niemand", gab ich zurück. „Ich habe mir alle Informationen geholt und mir mein eigenes Bild gemacht."

„Hast du Kontakt zu Quinn?"

Irritiert davon, wie schnell er zu diesem Schluss kam, runzelte ich die Stirn. „Nein."

„Lüg mich nicht an." Seine Hände verkrampften sich kaum merklich. „Ich weiß, dass du im Besitz eines internetfähigen Geräts bist. Sonst hättest du nicht mehrfach versucht, aufs Dach zu gelangen. Und zu wem solltest du sonst Kontakt haben und dir diese ganze Gehirnwäsche abholen, wenn nicht von Bernard Quinn höchstpersönlich."

Stumm verfolgte ich, wie er sich erhob, sein Glas von vorhin schnappte und zur Couch hinüberging, um sich dort ein anderes, vermutlich stärkeres Getränk einzuschenken. Alkohol schien ihm zu helfen, seine Gedanken zu ordnen.

„Und wenn es so wäre?", hörte ich mich selbst sagen. „Wenn ich wirklich mit Quinn zusammenarbeite? Wie meine Mutter damals?"

Ken stürzte die durchsichtige Flüssigkeit in seinem Whiskyglas in einem Zug hinunter. Ganz sicher handelte es sich nicht um Wasser. Erstaunlich sachte stellte er das Glas wieder ab, rückte es penibel neben die Flasche.

„Weißt du, mein lieber Neffe", begann er dann in nachdenklichem Tonfall. „Am Anfang hätte ich nie damit gerechnet, dass du derjenige sein wirst, der Schwierigkeiten macht. Ich habe auf Harry getippt. Der bekommt vermutlich von Kindesbeinen an Hassreden über die Rebellion aufgetischt. Anne ist gut darin, mit all ihrer außerordentlichen Empathie Überzeugungsarbeit zu leisten. Du und Harry, ihr habt euch abgesprochen, nicht wahr?"

Diese Frage erwischte mich kalt. „Was?"

Ken seufzte theatralisch. „Leugne es einfach nicht. Ich weiß, dass Harry in exakt dieser Sekunde bei seiner Mutter am Tisch sitzt und sie über die Umstände von Mauras Tod ausquetscht. Und dabei mit Infos um sich wirft, die auch er nicht wissen dürfte. Diese Zusammenarbeit endet jetzt. Die Styles-Familie tut dir nicht gut."

Das darauffolgende, bedeutungsschwere Schweigen ließ mir sämtliche Haare zu Berge stehen.

Langsam erhob ich mich. „Was soll das heißen?"

Seine Lippen kräuselten sich. „Das heißt, dass die beiden Herrschaften in diesem Augenblick vom Gelände eskortiert und nicht zurückkehren werden."

Ich starrte ihn an.

Er erwiderte meinen Blick ungerührt und knallhart, ohne jegliche Gefühlsregung.

Und dann wurde mir schlagartig bewusst: Er wollte die beiden mundtot machen.

Weil sie nicht seine Überzeugungen verfolgten, sondern eine eigene Meinung vertraten, weil sie seinen radikalen Plänen Steine in den Weg legten.

Plötzlich bestand für mich keinerlei Zweifel mehr, auf wessen Konto Maura Gallaghers Verschwinden ging. Kens kalter, berechnender Augenaufschlag war Beweis genug.

Raus.

Panik begann in mir zu brodeln, und ehe ich mich zurückhalten oder meinen Reflex überdenken konnte, stürzte ich schon zur Tür. Falls Ken dachte, ich würde einfach so zulassen, dass er Anne und Harry geradewegs in den Tod schickte, hatte er sich geschnitten.

Ich wusste inzwischen, wie ich meine Fähigkeiten gezielt anzapfen konnte und wie ich es bewerkstelligte, danach nicht sofort aus den Latschen zu kippen.

Mithilfe eines einzigen Blicks sorgte ich dafür, dass die Tür aufschwang. Ein lauter Knall erklang, als die Klinke mit voller Wucht gegen die Wand krachte, doch anstatt durch die Wucht des Aufpralls wieder in die andere Richtung zu schwenken, verharrte die Tür in Position. Mein Fluchtweg war gesichert.

Doch leider war Ken schnell. Zu schnell. Und ich hektischer Idiot selbst zu sehr damit beschäftigt, mich für den Erfolg mit der Tür zu beglückwünschen.

Ein Teil von mir spürte das Flugobjekt zwar noch, das auf mich zuschoss, aber diesmal gelang es nicht einmal meinen unbewussten Reflexen, es abzuwehren. Einen Wimpernschlag später entbrannte stechender Schmerz an meinem Nacken, und als meine Hand emporschoss, konnte ich den gefiederten Injektionspfeil nur noch in leerem Zustand aus meinem Hals ziehen.

Schlagartig begann sich mein Kopf zu drehen.

Starr vor Entsetzen ließ ich den Pfeil fallen, verlor das Gleichgewicht und prallte gegen die noch immer offene Tür. Die Klinke bohrte sich in meine Seite, mein Blickfeld verschwamm, und dennoch entging mir nicht, wie Ken langsam näherkam, gemächlichen Schrittes, als hätte er alle Zeit der Welt.

Auf halber Strecke legte er etwas in einem der Regale ab – etwas, das verdächtig nach einer kleinen Druckluftpistole aussah.

„Keine Sorge, Niall." Erstaunlich sanft schob er mich zur Seite, um die Tür zu schließen. „Das war nur die kampfübliche Dosierung des O-Nesciols, wie OOA-Agenten sie verwenden. Zusammen mit ein wenig Beruhigungsmittel. Entschuldige mir diese Forschheit, aber ich brauche ein paar Sachen von dir. Und nachdem du sie mir wohl nicht freiwillig liefern wirst, muss ich sie mir eben holen."

Entspannt baute er sich vor mir auf und vergrub die Hände in den Hosentaschen, fixierte mich aus schmalen Augen.

Und dann spürte ich es.

Ich spürte, wie er in meinen Kopf vordrang, in meinen Geist. Wie er dort zu wühlen begann.

Und ich konnte nichts tun. Meine inzwischen so perfektionierten Abwehrmechanismen, mein mentaler Schutzwall, alles war plötzlich ... verschwunden. Ich konnte nichts davon mehr anzapfen.

Eine Welle der Hilflosigkeit drohte mich zu ersticken.

Unwillkürlich rutschte ich an der Wand hinab, nahm gar nicht richtig wahr, dass ich dabei eine Blumenvase von der nebenstehenden Kommode stieß. Kens Beine tauchten vor mir auf, dann seine bohrenden Augen, als er vor mir in die Hocke ging. Seine Hände umfassten mein Gesicht, als ich es instinktiv hinter meinen Armen verbergen wollte, zwangen mich dazu, ihn anzusehen. Meine Schläfen pochten unaufhörlich.

„Faszinierend." Sein Lächeln ließ Übelkeit in mir aufsteigen. „Weißt du, dass mich eine Tour durch deinen Kopf von Anfang an interessiert hätte? Deine Kindheitserinnerungen ... sie sind allesamt weg. Manipuliert. Maura hat außerordentliche Arbeit geleistet. Schade, dass ihr beide nicht dazu in der Lage seid, die Realität zu begreifen. Was für eine Verschwendung."

Meine Hände kribbelten, als wären sie eingeschlafen. Trotzdem versuchte ich vergeblich, die von Ken von mir zu schieben, nach ihm zu treten und ihn aus meinem persönlichen Radius zu befördern, wenn mir das geistig schon nicht gelingen wollte.

Was würde ich nur darum geben, jetzt eines der Bücher aus dem Regal heben zu können und es ihm an den Kopf krachen zu lassen? Es wäre so leicht für mich, ihn auszuschalten, ohne ihn auch nur im Geringsten berühren zu müssen.

Was er selbstverständlich auch selbst wusste. Klug von ihm, vor dem Kampf zuallererst meine Mutation zu einzuschränken.

„Du trägst dieses Smartphone mit dir herum", stellte er dann plötzlich fest. „Wie leichtsinnig. Ich werde es leider konfiszieren müssen."

Prompt griff er nach meiner Jacke.

Irgendetwas in mir erwachte zum Leben. Mit einem Aufschrei schlug ich erneut nach ihm, diesmal zu meiner eigenen Verblüffung mit Erfolg. Mein Ellbogen krachte gegen seinen Kiefer, entlockte diesem ein ekelhaftes Knacken, und als mir dann wie aus dem Nichts rote Spritzer entgegenflogen, wusste ich, dass er nun um einen Zahn ärmer sein dürfte.

Kens schmerzerfülltes Ächzen sprach Bände. Ruckartig zuckte er zurück, den Handrücken an den Mund gepresst. Er spuckte etwas aus, zusammen mit einer beachtlichen Ladung Blut, bestätigte somit meine Theorie, was den Zahn betraf.

Ich nutzte seine Ablenkung, um mich aufzurappeln.

Niemals würde ich ihm dieses Handy überlassen. Niemals.

„Du kleines Biest." Grob packte er mich am Kragen, schleuderte mich zur Seite, weiter in die Mitte des Raums hinein, weg von der Tür. Hart kollidierte meine Schläfe mit dem Boden, ließ noch mehr Schmerz in meinem Kopf explodieren. „Du erinnerst mich viel zu sehr an deine Mutter. Genauso störrisch. Genauso dumm. Genauso uneinsichtig."

Etwas blitzte im künstlichen Licht des Büros auf und ehe ich mich durch all den Schwindel hindurch neu orientieren konnte, befand sich schon eine Klinge an meiner Kehle.

Adrenalin ließ mein Sichtfeld schlagartig glasklar werden.

Mein eigener Onkel hielt mir einen Dolch an den Hals.

Nun gut, warum sollte er es nicht tun? Immerhin hatte er seiner Blutsverwandtschaft in der Vergangenheit schon weitaus Schlimmeres angetan.

Er hatte seine Schwester getötet. Und jetzt würde er mich töten.

„Ich kann es nicht oft genug sagen: Was für eine Verschwendung!", knurrte er mir ins Ohr, die Klinge so fest an meine Kehle gepresst, dass ich befürchtete, sie könnte jeden Moment die Haut durchbrechen. „Diese Mutationsfähigkeiten. Heute wie damals steht für mich fest: Ich hätte sie erhalten sollen. Nicht Maura. Nicht du. Ich hätte sie sinnvoll eingesetzt, statt sie zu bekämpfen, zu verteufeln. Ihr beide, ihr seid zu schwach dafür. Ja, ich habe dafür gesorgt, dass sie verschwindet. Als die OOA unseren Stützpunkt überrannt hat, habe ich sie aufs Dach verfolgt, sie dort zur Rede gestellt. Dass sie während unseres Gesprächs über die Kante gestolpert ist, war ein nicht intendierter Zwischenfall, aber definitiv kein unglücklicher. Sie hätte uns nur weiter geschadet und am Ende dafür gesorgt, dass man uns mit einer einzigen Spritze auslöschen kann."

Meine Kehle war viel zu eng, um klar und deutlich zu sprechen.

„Sie war deine Schwester!", entschlüpfte es mir. Tränen der Verzweiflung, der Todesangst brannten hinter meinen Lidern. „Du bist ein Monster!"

„Mein Fokus liegt auf dem großen Ganzen, Niall", erwiderte er arglos. „Ein großes Ganzes, in dem du offenbar nichts zu suchen hast. Ich kann es mir nicht leisten, dass du zu Quinn überläufst." Er hielt inne, um mich bedauernd zu mustern. „Ich muss dich leider ebenfalls verschwinden lassen."

In einem neuen Anflug von Energie wand ich mich in seinem Griff, versuchte, ihm meine Arme zu entreißen, musste jedoch sogleich wieder stillhalten, als ich spürte, wie sich die Klinge des Dolchs durch meine Haut bohrte. Etwas Warmes rann meinen Nacken hinab und ich musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass es sich um Blut handelte.

Meine Ohren rauschten an- und abschwellend im Rhythmus meines Herzschlags.

Er würde mich töten. Hier und jetzt.

Und ich konnte nichts anderes tun, als zu hoffen, dass es wenigstens Harry und Anne lebend aus seinen Fängen schafften.

Und Zayn.

Und dann explodierte die Welt um mich herum.

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OH WELL.

Gibt es hier jemanden, der hiermit gerechnet hat?👀

Dankeschön fürs Lesen und für euer Feedback & liebe Grüße!

Andi🥰💕

P.S: Ich hatte am Sonntag meine allererste eigene Autorenlesung und es war erstaunlicherweise echt toll!🥺 Es hat total Spaß gemacht, obwohl ich Vorträge aller Art normalerweise echt verabscheue, die Lesung an sich ist supergut angekommen und ich hab noch dazu ALLE meine Bücher verkauft - ich musste soeben welche nachbestellen🤣😊

Uuuuuund falls jemand auf der Leipziger Buchmesse ist: Ich bin da wahrscheinlich mit dem Deadsoft-Verlag und werde "truly, madly, deadly" signieren🥰 Herzliche Einladung, mir einen Besuch abzustatten🤭


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